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Indian Summer

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Beitrag  Aud Mi 04 Jul 2012, 00:14

Kapitel 22 (Jacob)

Der Schmerz, den Nells Worte verursachten, machte mich für einen Moment taub und blind. Ich spürte mehr, als ich sah, wie Dr. Cullen sie von mir wegbrachte, während Embry und Paul auf mich einredeten. Ihre Worte waren für mich nur Laute, die keinen Sinn ergaben. Das Einzige, was ich wirklich wahrnahm, war die Entfernung die sich zwischen Nell und mir ausbreitete.
Erstaunt, stellte ich fest, dass es keine größere Qual für mich geben konnte, als von ihr getrennt zu sein. Und: Sie hatte Recht! Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann hatte Nell Recht. Da war etwas zwischen Bella und mir gewesen, aber sie hatte sich gegen mich entschieden und ich im Grunde auch gegen sie, denn es war Nell, für die ich immer bestimmt gewesen war. Erst als ich die Flügeltüren des Krankenhauses zuschlagen hörte, erwachte ich aus meiner Starre und hob den Blick.
„Jake? Alles in Ordnung? Hast du mir zugehört?“, fragte Embry.
Ich antwortete ihm nicht, sondern tastete in meiner Hosentasche, nach dem Ersatzschlüssel für meinen Wagen. Kaum hatte ich ihn gefunden, setzte ich mich in Bewegung.
„Jake?“ Embry und Paul liefen hinter mir her.
„Paul, du wartest hier auf Nell und bringst sie nach Hause.
„Aber ich muss gleich zu Sam, ich hab heute Dienst.“
Ich baute mich vor ihm auf.
„Herzlichen Glückwunsch, du hast heute frei.“
„Jake!“
„Bring sie einfach nach Hause. Und wehe ihr passiert was!“
Paul öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schwieg dann aber, was vermutlich etwas mit dem wild gestikulierenden Embry zu tun hatte, den ich aber nur aus den Augenwinkeln sehen konnte.
Laufen. Ich musste einfach laufen. Wenn ich noch länger hier rumstand, würde ich explodieren und es kam nicht Frage, sich mitten in Forks in einen Wolf zu verwandeln. Wieder einmal war ich versucht, davon zu laufen. Sogar Embry hatte Mühe mit mir Schritt zu halten. Dennoch beschleunigte ich mein Tempo nochmals. Mein wölfisches Ich, war mir viel zu nah an die Oberfläche geraten. Nicht hier und nicht jetzt, dachte ich und versuchte es in seine Grenzen zu weisen.
„Wo rennst du hin, Jake?“
„Auto holen.“
„Was ist mit Nell?“
„Paul ist da.“
„Meinst du nicht, dass sie dich erwartet?“
„Nein!“, erwiderte ich unwirsch.
Im Moment wusste ich gar nichts. Einen Teil von mir schmerzte es fast körperlich von Nell wegzugehen, ein anderer Teil wollte einfach nur davonlaufen und ein dritter Teil – der mir noch am meisten bei Verstand zu sein schien - hielt es für eine gute Idee die Gemüter erst einmal abkühlen zu lassen und sich abzulenken. Aber die Stimme dieses Teils war recht leise, sodass mich Embrys nervige Fragen aus dem Konzept brachten.
„Jake …“
„Embry, tu mir den Gefallen und sei einfach still. Danke!“
Zu seinem eigenen Glück kam er meiner Bitte nach und trabte still hinter mir her.

Bei der Strecke zwischen dem Krankenhaus und Harpers Café, handelte es sich eigentlich, um ein ordentliches Wegstück, aber wir hatten die Entfernung im Nullkommanichts zurückgelegt. Viel zu schnell für meinen Geschmack, denn kaum hatten wie den Hofraum betreten, wo Nell den Wagen abgestellt hatte, eilten auch schon Mrs. und Mr. Harper herbei, um sich nach ihr zu erkundigen.
„Jacob, habt ihr sie gefunden? Wie geht es ihr?“, fragte Mrs. Harper und sah mich dabei besorgt an. Irritiert schaute ich zu Embry, der neben mir stand. Aber offensichtlich wusste sie genau wer ich war, denn sie sah definitiv mich an.
„Nell ist im Krankenhaus und wird dort versorgt. Sie hat vermutlich eine Gehirnerschütterung. Deswegen war sie eben auch verwirrt“, ergriff Embry an meiner statt das Wort, ehe mein Schweigen peinlich werden konnte. Kaum sichtbar nickte ich ihm dankend zu, als er kurz zu mir herüber sah, um sich zu vergewissern, dass er das Richtige gesagt hatte. Ich selbst brachte keinen Ton heraus. Zu sehr war ich damit beschäftigt mein inneres Chaos in Zaum zu halten.
„Ich hoffe, es geht ihr bald wieder besser. Sie sah gar nicht gut aus, als sie an mir vorbei gelaufen ist“, meinte Mr. Harper. „Wünscht ihr „gute Besserung“ von uns. Wegen des Jobs braucht sie sich keine Sorgen zu machen. Sie soll nur wieder gesund werden.“
Während Embry noch mit den Harpers sprach, versuchte ich den Wagen zu öffnen. Ich musste hier weg. Meine Finger zitterten, sodass ich kaum das Türschloss traf, dann endlich war der Wagen offen und ich stieg ein. Einen kurzen Moment, machte ich mir Sorgen darum, wie ich auf Nells Arbeitgeber, die sich so ehrlich um sie sorgten, wirkten musste, aber ich wusste, dass ich nicht hier bleiben konnte. Außer dem Ruf der Prägung, konnte ich nur den des Wolfes hören.
„Embry, komm“, schnauzte ich unwirsch.
„Machen sie sich keine Sorgen, wir kümmern uns um Nell“, hörte ich Embry sagen, während ich auf die Lenksäule einstach, weil es mir nicht gelang die Zündung zu treffen. Mit einem Seufzen quetschte sich Embry, durch die bereits offene Tür in meinen Kleinwagen.
„Oh, Sardinenbüchse“, kommentierte er die Enge. „Soll nicht lieber ich fahren?“
„Nein“, murrte ich, immer noch auf die Lenksäule einstechend.
Als er nach meiner Hand griff, zog ich sie weg. Eine Art Knurren kam aus meiner Kehle.
„Nur mit der Ruhe. Ich will nur den Schlüssel einstecken.“
Okay, das durfte er.
Kaum steckte der Schlüssel, röhrte der Motor auch schon auf. Mein Fuß lag wie Blei auf dem Gaspedal und als ich den kleinen Hofraum verließ, quietschten die Reifen auf dem Asphalt. Hinter uns hupte es.
„Jake, beruhig dich“, redete Embry vorsichtig auf mich ein.
Ich konnte ja verstehen, dass er keine Lust hatte sich das Auto mit einem riesigen Wolf zu teilen, der noch dazu am Steuer saß.
„Ich bin ruhig“, presste ich aus zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Dann halt wenigstens das Lenkrad nicht so fest, sonst hast du es nachher noch in der Hand.“
Er hatte Recht. Meine Knöchel traten schon weiß hervor. Ich ließ etwas lockerer.
Aber erst als wir Forks verlassen hatten und uns das dichte Grün des Waldes empfing, gelang es mir durchzuatmen.
„Sie hat es nicht so gemeint“, sagte Embry schließlich.
Ich stieg auf die Bremse und hielt am Straßenrand an. Der arme Kerl hatte keine Ahnung, was ihn nun erwarten würde und hatte zur Sicherheit die Hand schon mal auf den Türgriff gelegt. Ich drehte mich zu ihm.
„Doch, sie hat es so gemeint. Und soll ich dir etwas sagen? Sie hat verdammt nochmal Recht damit und allen Grund auf mich wütend zu sein. Sie hatte Angst, große Angst und das wegen mir. Weil ich nur von dem gesprochen hab, was für mich wichtig war. Ich habe keinen Gedanken daran verschwendet, was für Nell wichtig sein könnte. Sie sollte sich wegen mir niemals so fühlen müssen!“ Ich starrte das Lenkrad an. Vor meinem geistigen Auge erschien Nell in dem Zustand, in dem ich sie in ihrem Versteck gefunden hatte. „Verdammt!“ Ich schlug so hart auf das Armaturenbrett, sodass der Hartplastik unter meiner Faust verdächtig knirschte.
„Ich würde sagen, ihr seid quitt.“
„Nein, sind wir nicht. Ich …“
„Weißt du, an wenn du mich mit deinem Gejammer erinnerst?“
Ich sah zu Embry, der mich herausfordernd anschaute.
„Du stinkst zwar nicht so, aber wenn du etwas blasser wärst und in der Sonne glitzern würdest …“
Mir fiel die Kinnlade herunter.
„Hast du mich gerade mit Edward verglichen?“
Embry nickte, nun doch etwas unsicher. „Sieht wohl so aus.“
„Okaaay.“ Den Gedanken musste ich erst sacken lassen.
„Jake, es ist nun mal geschehen, was geschehen ist und es nutzt weder Nell noch dir etwas, wenn du jetzt in Selbstgeißelung verfällst.“
„Mh.“ Ich starrte auf den feinen Haarriss, der sich nun über das Armaturenbrett zog.
„Nichts da „mh“, und du hörst am besten gleich damit auf, dich fertigzumachen, bevor du dein Auto noch in Einzelteile zerlegst“, meinte Embry und rieb mit den Fingerspitzen über den Riss, den ich verursacht hatte.
Als von mir nichts kam, redete er weiter. „Ich mach dir nen Vorschlag: wie wäre es, wenn ich deinen Wagen zu Sam fahre, den anderen kurz sage, was los ist und wir treffen dich dann im Wald?“
Ich atmete tief durch. „Danke Embry, du bist ein echter Freund.“
Verlegen winkte er ab.
„Doch, das bist du. Ich werde bei „Winslows Fichtenwäldchen“ auf euch warten.“
Hastig stieg ich aus und warf Shirt, Schuhe und Socken auf die Rückbank. Ich hatte es eilig aus meiner menschlichen Haut heraus zu kommen. Nur die Shorts behielt ich noch an.
Embry klemmte sich hinters Steuer. „Mach dir keinen Kopf. Das wird wieder.“
Ich nickte, nicht wirklich überzeugt, und klopfte auf das Wagendach, um ihm anzuzeigen, dass er fahren konnte.

Mit großen Schritten verließ ich die Straße. Ich musste mich zwingen, nicht zu rennen. Erst als ich mir sicher war, dass man mich vom Weg aus nicht mehr sehen konnte, suchte ich nach dem kleinen Täschchen, das ich immer bei mir trug. Ich entledigte mich meiner Shorts und verstaute sie daran. Dann band ich das kleine Behältnis an meinem Knöchel fest.
Und erst jetzt erlaubte ich dem Wolf zum Vorschein zu kommen. Es dauerte nur wenige Atemzüge, bis mein Körper sich verformt und neu geordnet hatte. Statt auf zwei Füßen, stand ich nun auf vier Pfoten. Meine Sinne, die auch als Mensch von meinem wölfischen Ich verstärkt wurden, erwachten nun vollends. Ich hielt die Nase in die Luft, atmete den Geruch des Waldes ein. Sowohl der Geruch des Lebens, als auch der des Todes lagen in der Luft. Doch in einem, noch fast natürlichen, Wald wie diesem, war das nichts Ungewöhnliches. Leben und Tod gehört nun einmal untrennbar zueinander.
Nachdem ich meine Umgebung wahrgenommen hatte, fing ich nun auch endlich an mich wieder zu spüren. Meine menschlichen Sorgen fielen von mir ab, wie Fesseln und ich nahm nur mehr meine Größe und meine Kraft wahr. Dann rannte ich los.
Durch das Unterholz flog ich geradezu. Manche Äste zerbarsten, wenn ich einfach hindurchrannte, aber ich war auch in der Lage, größere Hindernisse, rechtzeitig wahrzunehmen, und an ihnen vorbei zu laufen. Wenn der Kopf nicht voller Gedanken war, dann funktionierte die Koordination viel besser. Und nach dem ich eine Weile einfach nur gerannt war, fühlte ich mich auch besser. Leicht, fast schwerelos. Ich hatte zwar nicht vergessen, was zwischen Nell und mir passiert war, aber die Lage erschien mir nicht mehr hoffnungslos. Wir würden das schaffen. Ich war mir sicher.

Trotzdem rannte ich weiter, bis meine Lungen brannten. Erst ein kleiner Bachlauf brachte mich dazu, anzuhalten. Vorsichtig beugte ich mich nach vorne und trank gierig. Als ich den Kopf wieder hob, perlten einzelne Tropfen von meiner Schnauze ab. Ich sah ihnen zu, wie sie wieder eins mit dem Bach wurden und die Strömung sie davon trug. Undeutlich konnte ich mein eigenes Spiegelbild erkennen. Die Augen waren mir vertraut, aber ich wusste, dass sie jetzt mehr grün als braun waren und eine Wildheit darin lag, die mir in menschlicher Gestalt fehlte. Dennoch war der rotbraune Wolf ein Teil von mir, den ich manchmal so sehr brauchte, wie die Luft zum Atmen. Genauso wie ich Nell brauchte. Und mit einem Mal wurde mir klar, dass der Wolf uns nicht nur zusammengeführt hatte, er würde uns auch eines Tages trennen. Wenn ich selbst das nicht schon geschafft hatte. Mein Spiegelbild schüttelte das mächtige Haupt und ich riss mich von seinem Anblick los. Die Lage war schlimm genug. Ich sollte sie nicht noch schlimmer machen. Bevor ich Nell ein zweites Mal verlieren konnte, musste ich sie erst einmal wieder zurückgewinnen.

Um „Winslows Fichtenwäldchen“ zu erreichen, hatte ich es nicht eilig. Das kleine Waldstück gehörte längst zum Reservat, war aber immer noch unter dem Namen der ehemaligen Besitzer bekannt. Auch wuchsen dort nicht mehr nur Fichten. Der Wald hatte sich längst zurückgeholt, was ihm gehörte. Erleichtert atmete ich auf, als ich nur die Gedanken von Sam und Embry wahrnahm. Egal wie praktisch es war, dass wir in Wolfsgestalt die Gedanken der anderen hören konnten, es war manchmal auch eine Last.
Fast lautlos, traten die beiden aus dem Unterholz hervor. Wie leise wir sein können, wenn wir das wollen, dachte ich. Der riesenhafte, schwarze Wolf, der Sam war, nickte mir zu.
Embry? Gehst du schon mal vor? Ich möchte mit Jake reden, hörte ich seine Gedanken.
Bin schon weg. Der kleinere, hellgraue Wolf entfernte sich leichtpfotig.
Ich schaute ihm nach, wie er zwischen den Bäumen verschwand. Plötzlich sah ich Emily vor mir. Verwirrt schüttelte ich den Kopf, aber das Bild wollte nicht verschwinden.
Was…?
Sieh hin! Es waren Sam’s Gedanken. Und dann nahm ich es wahr. Emily mit unversehrtem Gesicht! Die Erinnerung war so lebendig, dass sie fast real wirkte:

„Sam, wir können nicht zusammen sein. Nicht hinter Leah’s Rücken.“
„Aber ich weiß nicht, was ich ihr sagen soll. Wie ich es ihr sagen soll. Sie darf die Wahrheit nicht erfahren.“
„Sie wird es erfahren und dann wird sie uns hassen. Sam! Sie ist für mich wie eine Schwester. Ich will sie nicht verlieren – genauso wenig, wie ich dich verlieren will!“
Verzweifelt wendet Emily das Gesicht ab. Ich gehe näher zu ihr, lege die Hand auf ihre Wange.
„Emily. Bitte!“
„Nein, Sam. Nein. Nicht so. Ich kann das nicht.“
„Bitte Emily!“ Meine Stimme ist leise. Mein Körper bebt. Ich kenne dieses Gefühl, aber ich kann sie jetzt nicht gehen lassen.
„Ich kann nicht. Lass mich.“ Der Blick in ihren Augen. So traurig und doch entschlossen. Ich weiß, was sie sagen will.
„Bitte sag es nicht.“
„Sam, wir können nicht …“
„Nein …“Der Rest geht in einem Jaulen unter. Ich spüre wie meine Hände zu Klauen werden. Wie die Krallen in warmes Fleisch fahren. Ich rieche das Blut. Was habe ich getan? Vor mir das einst schöne Gesicht von Emily. Zerrissen. Blutüberströmt. Und bevor sie endgültig das Bewusstsein verliert, sehe ich das Entsetzen in ihren Augen.

Der Wald erschien mir stiller als zuvor, als Sam und ich aus Emilys Augen und somit aus seiner Erinnerung wieder auftauchten.
Warum teilst du das mit mir?
Weil Embry mir erzählt hat, was passiert ist und ich dir zeigen wollte, was einem alles verziehen werden kann. Versuch es für dich zu behalten. Es ist der Moment in meinem Leben auf den im am wenigsten stolz bin. Er ließ den Kopf hängen. Und auch wenn mein Versagen für jeden sichtbar und für Emily sogar spürbar ist, will ich diesen Moment nicht mit jedem teilen.
Sam sah mich an.
Verstanden.
Er trottet langsam davon und schien mit einem mal viel älter, als er wirklich war. Nachdenklich sah ich ihm nach.
Sam?
Er blieb stehen, drehte sich um.
Ja?
Danke.

Etliche Stunden später betrat ich endlich wieder mein Zuhause. Die Nacht war ereignislos gewesen, aber es hatte mir gut getan, einfach Wolf unter Wölfen zu sein. Doch nun – zurück in meiner menschlichen Gestalt - kehrten viel zu schnell alle Zweifel wieder. Leise durchquerte ich die Wohnküche und den Flur, bis ich, mit klopfendem Herzen, die Tür zu meiner Kammer erreichte. Wie gelähmt stand ich da. Mit einem verzweifelten Lächeln auf den Lippen, schüttelte ich den Kopf. Da stand ich nun - großer Alphawolf und Krieger meines Stammes – und traute mich nicht, einem kleinen Mädchen in die Augen zu sehen. Aber es war nun einmal so, dass sie mein Herz in ihren zarten Händen hielt. Es gelang mir nur mit Mühe, die Hand zu heben und gerade als ich zum Klopfen ansetzen wollte, hörte ich dieses Geräusch. Es war ganz leise, aber es zerriss mich fast. Ein Schluchzen. So tief und voller Schmerz, dass ich mitten in der Bewegung inne hielt. Ich konnte ihr nicht vor die Augen treten. Nicht, wenn ich sie so sehr verletzt hatte. Dem Schluchzen folgte ein Wimmern und ich ließ die erhobene Hand sinken. Ich fühlte mich elend. Elender als jemals zuvor in meinem Leben. Steif ging ich hinüber zum Sofa, legte mich hin und starrte die Decke an. Noch immer konnte ich Nells Schluchzen hören und noch immer drohte jeder Laut mich zu zerreißen. Wie hatte ich nur glauben können, dass wir das schaffen würden?
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Beitrag  Aud Sa 17 Nov 2012, 00:48

Kapitel 23 (Jacob)

Schon eine ganze Weile lag ich still da und hielt die Augen geschlossen. Ich hörte nur, was um mich herum geschah. Dad war zuerst in die Küche gekommen und hatte begonnen, leise vor sich hin zu hantieren. Fast wäre ich wieder eingeschlafen, als ich Nell zaghaftes „Guten Morgen“ vernahm. Mein Herz fühlte sich an, als würde es einen Moment lang aussetzen. Sie klang so schrecklich zerbrechlich. Trotzdem versuchte sie gleich, Dad die Arbeit abzunehmen, aber der dirigierte sie mit fester Stimme auf einen der Küchenstühle. Seitdem war nur wieder geschäftiges Klappern zu hören. Dem Geruch nach Eiern und Speck zu urteilen, wurde es Zeit aufzuwachen. Nell und Dad würden erwarten, dass mich der Duft des Essens weckte. Hunger hatte ich keinen. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit. Nicht einmal, nachdem sich Bella für Edward entschieden hatte, war ich des Essens überdrüssig geworden. In meinem Leben hatte es bisher nur einen Anlass gegeben, der mir jeden Hunger geraubt hatte. Und obwohl Nell sich im gleichen Raum mit mir befand, fühlte es sich ein wenig so an, wie damals, als Mum gestorben war.
Bleischwer drückte mich diese altbekannte Traurigkeit nieder und vermischte sich mit der Neuen. Ich konnte mir ein Leben ohne Nell nicht vorstellen. Während meine Mutter die Erde gewesen war, die mich hatte wachsen lassen, war Nell die Luft, die ich zum Atmen brauchte. Doch sie würde gehen und ich würde sie letzten Endes ziehen lassen, weil das ihr Wille war – auch wenn es mich umbringen würde.
Nur mit Mühe schaffte ich es die Lider zu heben und als es mir endlich gelang, träge zu blinzeln, brannte mir das Tageslicht in den Augen. Ich hatte geschlafen, aber bei Weitem nicht genug. Irgendwann, nachdem das Schluchzen nachgelassen hatte, war ich eingeschlafen, doch Nells Tränen hatten mich bis in meine Träume verfolgt. Und auch jetzt verfolgten sie mich noch.
Es war lange her, dass ich solch eine tiefe Traurigkeit gespürt hatte. Obwohl Nell nur wenige Meter neben mir saß, war das Gefühl von Verlust so gegenwärtig, als wäre sie hunderte Meilen entfernt … oder tot. Oh ja, meine Familie wusste wie es sich anfühlte, wenn man jemanden verlor, den man liebte und dieses Gefühl, das ich jetzt hatte, kam dem verdammt nahe. Ich musste Nell sehen. Energisch drehte ich mich auf die Seite und öffnete endlich die Augen.
Sie saß am Tisch und starte gedankenverloren auf eine dampfende Tasse, die vor ihr stand. Sie war blass. Als sie bemerkte, dass ich aufgewacht war, drehte sie sich zu mir und der Anflug eines Lächelns erschien auf ihrem Gesicht. Aber es verschwand so schnell wieder, dass ich es mir eingebildet haben musste. Ihre Augen waren gerötet.
„Guten Morgen, Jake“, sagte sie mit brüchiger Stimme und wandte sich dann wieder der Tasse zu. Pfefferminztee verriet mir meine Nase.
Mein Dad stand am Herd und stocherte mit dem Wender in einer Pfanne herum, dreht sich aber zu uns, als er Nells morgendlichen Gruß vernahm.
„Endlich bist du wach. Es gibt gleich Frühstück. Eigentlich eher ein früher Lunch, aber ich wollte euch beide ausschlafen lassen.“
„Danke“, murmelte ich und schälte mich etwas steif vom Sofa. Ich kam mir vor wie ein alter Mann. Das letzte Mal als mir die Knochen so wehgetan hatten, waren sie von Vampiren zertrümmert worden – und das gleich zweimal. Langsam schlürfte ich ins Badezimmer und hielt meinen Kopf unter den Wasserhahn.
Als Müdigkeit und auch ein wenig die Trauer den Abfluss hinuntergespült worden waren, meldete sich ein gewisser Sarkasmus zu Wort: „Verdammt, verdammt, verdammt“, sagte ich leise zu meinem Spiegelbild. „Was machen wir denn jetzt?“ Aber der Typ im Spiegel sah genauso ratlos aus wie ich. Es blieb mir wohl nichts andere übrig, als raus zu gehen, Nells verweinte Augen galant zu übersehen und zu versuchen, irgendwann den Mut zu finden, mit ihr zu reden. Ganz einfach also. Der Typ im Spiegel verdrehte die Augen.
„Entschuldige bitte, dass ich ein Idiot bin“, probten wir. Das hörte sich doch ganz gut an. Jetzt musste ich es nur noch zu Nell sagen. Was erwartete ich, was sie dann tun würde? Mir um den Hals fallen? Mir sagen „Ja Jake, ich weiß, aber ich liebe dich.“? Und wir würden auf einem weißen Ross in den Sonnenuntergang reiten und zusammen glücklich bis an unser Ende leben?
„Ja, genau“, sagte ich und knipste dem Typ im Spiegel das Licht aus. Bevor ich mich noch weiter mit dem Idioten unterhalten musste, ging ich doch lieber zurück in die Wohnküche und setzte mich zu Nell an den Tisch. Normal. Versuch normal zu wirken, ermahnte ich mich. Aber was war, wenn ich normal wirkte? Dann musste sie doch denken, dass es mich nicht interessierte, wie es ihr ging.
„Jake?“, fragend sah Dad mich an. „Rührei?“
„Ja, bitte.“ Ich reichte ihm lustlos meinen Teller.
Nell aß bereits schweigend.
„Nell, ich habe Sue deine Uniform zum Waschen und Ausbessern mitgegeben, aber ich habe noch etwas darin gefunden, was du sicher behalten willst.“
Er schob eine kleine Karte über den Tisch. Dieses Mal lächelte Nell wirklich.
„Vielen Dank, Billy. An die Visitenkarte hab ich gar nicht mehr gedacht.“
„Aber heute wirst du die Cullens noch nicht besuchen“, ermahnte Dad geradezu liebevoll seine Patientin.
„Nein, erst wenn die Wunde abgeheilt ist.“ Sie zeigte in Richtung des kleinen Pflasters an ihrer Stirn. „Ich will ja niemanden in Versuchung führen“, versuchte sie zu scherzen, aber man sah ihr an, dass sie sich da nicht so ganz sicher war, ob sie nicht wirklich Gefahr lief, zum Vampirdinner zu werden.
„Du gehst da nicht alleine hin!“ Erschrocken stellte ich fest, dass das aus meinem Mund gekommen war und ehe ich mich versah, war ich aufgesprungen. Mein Stuhl rutschte scharrend zurück und wurde erst vom Sofa gestoppt. Nell und Dad sahen mich mit offenen Mündern an. Wenn das für sie so schroff geklungen hatte, wie für mich, dann sollte ich mich entschuldigen. Stattdessen hörte ich mich murmeln: „Ich muss weg.“ Dann war ich auch schon vor dem Haus. Hatte ich die Tür zugeknallt? Ich wusste es nicht mehr.
Erst als Bäume den Blick auf mich verdeckten, blieb ich stehen und atmete tief durch. Was war nur los mit mir? Embry hatte Recht, ich benahm mich wie Edward. So konnte das nicht weitergehen. Denken Jake! Denken! Es fiel mir jedoch nichts Besseres ein, als hinunter zum Strand zu gehen. Mein Magen verlangte nun lautstark nach Essen, aber ich ignorierte ihn. Ich konnte nicht zurückgehen, weil ich keine Ahnung hatte, was ich hätte sagen können, um mein dämliches Verhalten zu entschuldigen.
Leider war ich am Strand nicht allein. Auf dem angespülten Baumstamm, auf dem ich Nell am ersten Morgen vorgefunden hatte, saß eine dunkelhaarige, schlanke Frau. Sie hatte mir den Rücken zugedreht und war ganz vertieft in das Buch in ihren Händen. Der böige Wind der heute wehte, machte es ihr schwer Haar und Buchseiten in Zaum zu halten. Ich traute meinen Augen kaum, als ich näher kam und Leah erkannte.
„Was machst du denn hier?“, begrüßte ich sie und ließ mich ihr gegenüber auf den Stamm fallen. Warum musste sie ausgerechnet heute hier sein?
„Lesen?“, antwortete sie schnippisch und versuchte das Buch vor mir zu verbergen.
„Jane Eyre, Leah? Das ist doch nicht dein Ernst. Ich wusste nicht, dass du auf so einen Mädchenkram stehst.“
Ihre dunklen Augen funkelten zornig. „Falls es dir noch nicht aufgefallen ist: Ich bin ein Mädchen! Ich weiß, ihr vergesst das sehr gerne. Für das Rudel bin ich nur Leah, die Zicke, die ein Problem damit hat, dass Sam und Emily zusammen sind.“
„Leah, so war das nicht gemeint.“
„Doch. Genau so war es gemeint.“
„Nein, ich hab nur gerade viel um die Ohren. Ich bin wegen Nell hierher zurückgekommen, hab das Rudel übernommen, gemerkt, dass ich auf Nell geprägt bin, bin Nathan begegnet und nun habe ich gestern vermutlich alles verbockt. Ich bin ein Idiot.“
Fassungslos sah mich Leah an. „Du hast absolut Recht, Jake. Du bist ein Idiot. Glaubst du, für irgendwen von uns, waren die letzten Jahre einfach? Während ich meinen Freund verloren habe, mein kleiner Bruder, der noch ein halbes Kind ist, sich in einen Wolf verwandelt hat und mein Vater gestorben ist, hast du Sam die Verantwortung für das Rudel überlassen, deinen Liebeskummer auskuriert und den einen Menschen gefunden, der für dich bestimmt ist.“ Sie lachte auf, doch es klang bitter. „Und mal abgesehen von alle dem, bist du keine Missgeburt, keine Laune der Natur, so wie ich es bin.“
„Leah …“
„Wenn ich hier also sitze, wie ein ganz normales Mädchen und ein ganz normales Buch lese, in dem sich Menschen ganz normal verlieben und egal durch welchen Mist sie durch müssen, am Ende alles gut ist, dann lass mir das. Dann lass mich für ein paar hundert Seiten, ein ganz normales Mädchen sein.“
„Du bist keine Missgeburt, Leah.“
Sie sah mich an. Wartete, dass ich mehr sagte, aber mehr fiel mir nicht ein. Sie hatte ja Recht. Ich hatte es mir einfach gemacht. Der Einzige, um den ich mich gekümmert hatte, war ich selbst gewesen.
„Kannst du dir vorstellen, wie es war, drauf und dran zu sein, ein Kind zu töten? Hast du eine Ahnung, wie Sam sich gequält hat, eine Entscheidung zu treffen? Weißt du, wie nahe wir an einem Krieg mit den Vampiren waren?“ Verzweifelt schüttelte sie den Kopf. „Nein, ich weiß, die hast du natürlich nicht. Wie auch? Du warst ja nicht da.“
„Tut mir leid.“
Sie lachte bitter. „Und damit glaubst du, ist es gut? Hat Sam dir erzählt, was passiert ist?“
„Nicht viel.“
„Das war mir klar. Sam macht es mit sich aus.“
„Erzähl du mir, was passiert ist.“
„Also gut. Aber komm ja nicht auf die Idee deinen Job als Alpha wieder hinzuschmeißen.“
„So schlimm?“
„Ja. Und jetzt halt die Klappe und hör zu:
Nachdem du weg warst, sind wir über Seth mit den Cullens in Kontakt geblieben. Als Bella und ihr Blutsauger aus den Flitterwochen kamen, verhielt sich Seth zusehends merkwürdiger. Er drückte sich davor, mit dem Rudel unterwegs zu sein und hielt sich viel zu oft bei den Cullens auf. Wir haben ihn dann zur Rede gestellt und er ließ die Bombe platzen: Bella war schwanger. Sam war ziemlich wütend auf ihn, weil Seth nichts gesagt hatte. Und er machte sich Sorgen. Du konntest praktisch stündlich die Ringe unter den Augen dunkler und die Falten auf der Stirn tiefer werden sehen. Wir hatten keine Ahnung was Bella da austrug. Mensch, Vampir oder noch ein schlimmeres Monster. Sam traf eine Entscheidung. Das Leben dieses Dings, das da in Bella wuchs, konnte niemals all die Leben aufwiegen, für die er verantwortlich war. Er musste den Stamm beschützen.
Also sind wir einige Tage später, im Schutz der Dunkelheit losgezogen mit der Absicht alle zu töten, deren Tod notwendig war, um uns zu schützen. Aber wir haben nicht mit dem gerechnet, was uns dort erwartete.“
Mit jedem Wort war Leahs Stimme rauer geworden. Sie atmete tief durch. Dann sprach sie weiter. „Wir standen also vor dem Haus der Cullens, bereit, sie alle zu töten. Statt einem der Vampire kam Seth heraus. Er hatte sie gewarnt. Sam fletschte wütend die Zähne. Seine Wut überrollte das Rudel regelrecht. Stell dir Paul vor, wenn er sauer ist, nur viel schlimmer und mit einem guten Grund. Denn es ging um Leben und Tod. Seth redete auf uns ein. Wir sollten wieder gehen. Das Kind sei schon geboren und stelle keine Gefahr da. Ich glaubte meinem Bruder. Auch in anderen Gedanken hörte ich Zweifel. Aber Sam war immer noch entschlossen, unser Vorhaben durchzusetzen. In seinem Kopf hatte nichts anderes mehr Platz, als der Gedanke, das Wohl der Quileute zu sichern. Es war, als wärst du Teil einer Bombe, die jederzeit hochgehen konnte. Bevor das jedoch geschah, öffnete sich die Tür und Edward kam heraus. In seinem Armen ein Bündel. Und das sah er an, voll Liebe und Stolz, ehe er sich an Sam wandte.
<< Ich weiß, welche Verantwortung du trägst, Sam. Nicht nur für dich oder dein Rudel, sondern für dein ganzes Volk. Aber ich versichere dir, dass von diesem Kind keine Gefahr für euch ausgeht. Sie ist kein blutrünstiges Monster. Bella liegt im Sterben. Sie gibt ihr Leben. Für ihre Tochter. Renesmee.>> Vorsichtig, schlug er die Decke zurück, in die das Baby gewickelt war und da war wirklich kein Monster. Blasse, aber rosige Haut. Zarte Bronzefarbene Locken. Dunkelbraune Augen, wie die ihrer Mutter. Seth hielt der kleinen einen Finger hin und sie griff danach.
<< Ihre Haut ist warm. Das könnt ihr nicht tun.>>
Sam verzweifelte fast. Er wollte nicht töten, aber er wollte uns auch beschützen. Da kam Edward, mit der Kleinen, noch einen Schritt auf ihn zu.
<>
Die beiden sahen einander an. Dann änderte sich etwas in Sams Gedanken. Emily. Er dachte an Emily. An den Tag, an dem er sie fast verloren hätte. An die Kinder, die sie sich wünschten. Daran, wie sehr er sie liebt. Beschissenes Gefühl für mich, kann ich dir sagen. Ich war froh, als er endlich eine Entscheidung traf. Wir ließen Edward seine Tochter. Und mit dem Gedanken Rette deine Frau, gab Sam ihm auch die Erlaubnis, Bella zu einer von ihnen zu machen.“
„Ich hatte keine Ahnung.“
„Ja, das weiß ich. Wir versuchen alle es mehr oder weniger erfolgreich zu verdrängen. Aber ich dachte, du solltest wissen, wie kurz wir vor einer Katastrophe standen.“
„Danke.“
„Immer doch. Ich bin ja sowieso die, die mit ihren bösen Gedanken, das Rudel nervt.“
„Ist vermutlich nicht leicht für dich, Sam und Emily zusammen zu sehen.“
Überrascht sah sie mich an. „Das ist es tatsächlich nicht. Aber schön, dass es mal jemandem auffällt.“
„Ist nicht mein Verdienst. Bedank dich bei Nell.“ Niedergeschlagen schaute ich auf den Ozean hinaus.
„Ich weiß, was gestern zwischen euch passiert ist.“
„Dann weißt du ja auch, dass du dich schnell bei ihr bedanken solltest, bevor sie uns verlässt.“
„Red keinen Müll Jacob, das wird sie nicht.“
„Warum sollte sie bleiben?“
„Weil sie in dich verliebt ist?“
„Selbst wenn sie mich mal mochte, nach gestern, ist das mit Sicherheit anders.“
„Jake, wenn jemand nicht die Flucht ergreift, wenn du ihm von der Prägungskiste erzählst, dann kannst du dir ziemlich sicher sein, dass er dich mehr als nur mag.“ Sie knuffte mich in die Seite. „Hör auf, Trübsal zu blasen, den Part hab ich gepachtet.“
„Den musst du jetzt wohl teilen.“
Einen Moment schauten wir uns stumm an, dann sprang Leah auf, griff meine Hand und zog mich hoch.
„Ich werde den Part nicht mit dir teilen und deswegen machen wir jetzt etwas, das hilft.“
Zweifelnd sah ich sie an. „Was könnten wir beiden denn zusammen machen, was mir helfen würde?“
Sie verdrehte die Augen. „Halt die Klappe und komm mit.“
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