Indian Summer
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Indian Summer
Ich habe mich immer gefragt ob Jacob sich nicht vielleicht doch ein andere Leben gewünscht hat. Hier ist meine Alternative.
Originalwerke: Stephenie Meyer - The Twilight Series
Charaktere: die bekannten Charaktere aus den Büchern, insbesondere Jacob Black
Nell Arden, Nathan Hall und einige andere die meinem Kopf entsprungen sind
Handlung: Meine Handlung setzt nach dem Ende von Eclipse ein Jacob hat sich in die Wälder zurückgezogen um dort als Wolf Herr über seinen Schmerz zu werden. Aber lest selbst....
Über Kommentare würd ich mich freuen.
Originalwerke: Stephenie Meyer - The Twilight Series
Charaktere: die bekannten Charaktere aus den Büchern, insbesondere Jacob Black
Nell Arden, Nathan Hall und einige andere die meinem Kopf entsprungen sind
Handlung: Meine Handlung setzt nach dem Ende von Eclipse ein Jacob hat sich in die Wälder zurückgezogen um dort als Wolf Herr über seinen Schmerz zu werden. Aber lest selbst....
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Re: Indian Summer
Indian Summer
Prolog
Er zog seine Jacke über, nahm die Schlüssel aus der Schale neben der Tür und steckte sie in seine Tasche. Draußen ertönte noch ein Mal die Hupe der Limousine in der seine Freunde auf ihn warteten. Er ging in die Küche wo seine Verlobte mit dem Abwasch beschäftig war. Zärtlich legte er seine Arme um ihre Taille und sog ihren Geruch in sich ein. In einer Woche wollten sie heiraten. Dann würde diese wundervolle Frau für immer an seiner Seite sein. Sie lachte als sie seinen Atem an ihren Hals spürte und drehte sich zu ihm um so dass sie ihn zum Abschied küssen konnte. Er spürte ihre weichen Lippen auf seinen und wäre am liebsten bei ihr geblieben, aber das konnte er seinen Kumpels nicht antun die extra einen Junggesellenabschied für ihn geplant hatten. Er löste sich widerwillig von ihr. Sie wünschte ihm viel Spaß und er eilte hinaus zum Wagen, der schon auf ihn wartete.
Sie fuhren zu einem der gerade angesagten Nacht- und Strippclubs in Boston, nahmen an einem der großen Tische dort Platz und seine Freunde orderten gleich die ersten Pitcher Bier. Dass er dafür noch zu jung war schien hier niemanden zu interessieren. Die Stimmung war ausgelassen. Man lachte über gemeinsame Erlebnisse, scherzte über seine baldige Einfahrt in den Hafen der Ehe und der Alkohol floss reichlich. Von Bier wechselten sie irgendwann auf Jim Beam und von Schwelgen in alten Zeiten zu einer süßen kleinen brünetten Stripperin die sich vor ihnen auf dem Tisch räkelte. Sie war wirklich sehr hübsch und wahnsinnig gelenkig, aber der Alkohol war ihm schon zu sehr zu Kopf gestiegen, als dass er ihre Show hätte genießen können. Er wartet seinen Kumpels zu liebe, spielte das Spiel mit, steckte ihr Scheine in den Slip und war heilfroh, als sie endlich gänzlich nackt war, ihre Sachen einsammelte und verschwand.
Unbeholfen kletterte er über einen seiner Freunde hinweg und schwankte durch den halbdunklen Club Richtung Notausgang. Er fingerte ungelenk an der Verrieglung herum und schaffte es schließlich doch die Tür zu öffnen. Gierig sog er die kühle Nachtluft ein. Der Schwindel in seinem Kopf ließ ein wenig nach, aber nicht genug, damit die Erde nicht mehr schwankte. Er taumelte zur gegenüberliegenden Häuserwand und stützte sich mit den Händen ab. So stand er eine Weile, den Kopf zwischen den ausgestreckten Armen hängend. Eine gefühlte Ewigkeit schien er so da gestanden zu haben, als hinter im die Tür ins Schloss fiel. Vielleicht kam einer seiner Kumpel um ihn einzusammeln. Langsam richtete er sich auf und drehte sich um. Nur mit Mühe konnte er seinen Blick auf die Person vor ihm fixieren. Es war keiner seiner Kumpel. Vor ihm stand eine junge Frau. Sie war groß, schlank und ausgesprochen schön. Ihre helle Haut schien trotz der Dunkelheit der Seitengasse zu leuchten. Sie lächelte, als sie sich langsam und katzenhaft auf ihn zu bewegte, aber etwas an ihr versetzte ihm eine Gänsehaut. Als sie näher trat konnte er es sehen: Ihre Augen! Ihre Iris, sie schimmerte rot! Entsetzt wollt er davon rennen, aber da war sie auch schon bei ihm. Während sich ihre Zähne irgendwo unterhalb seines Schlüsselbeins in sein Fleisch gruben konnte er nichts anderes tun als sich von dem wunderbaren Duft ihres roten Schopfes in eine tiefe Dunkelheit begleiten zu lassen.
Zuletzt von Aud am Fr 27 Aug 2010, 01:37 bearbeitet; insgesamt 2-mal bearbeitet
Re: Indian Summer
Kapitel 1 (Jacob)
Mein Zeitgefühl hatte mich bereits ein wenig verlassen so lange streifte ich schon in meinem Wolfskörper durch die Wälder. Es machte mir den Schmerz erträglicher niemals der für Bella sein zu können, der ich für sie sein wollte. Den einzigen annähernd menschlichen Kontakt den ich hatte waren die Gedanken meines Rudels. Die Rudelmitglieder waren es auch die meinen Vater immer wieder beruhigten und ihm versicherten ich würde wieder kommen, wenn ich so weit wäre. Meine Tage waren stets gleich. Jagen, schlafen, durch den Wald streifen - viel mehr tat ich eigentlich nicht. Dennoch war der Schmerz den ich als Wolf empfand stumpfer als der, welchem ich als Mensch ausgesetzt war. Er war jedes Mal überwältigend, wenn ich kurzzeitig meine menschliche Gestalt annahm. Ich dachte der schlimmste Tag meines Lebens wäre der Tag von Bellas und Edwards Hochzeit gewesen, doch dann erfuhr ich, dass Edward sie verwandelt hatte, weil das Kind, welches sie von im empfangen hatte sie fast getötet hätte. Ich hatte sie endgültig verloren.
Es dauerte lange bis ich nicht mehr dachte ich müsste auseinander brechen, wie Bella es glaubte als Edward sie verließ, aber ich wusste sie würde niemals zu mir zurückkommen. Deswegen musste ich loslassen und versuchen darüber hinweg zukommen, sonst würde ich nie wieder zurückkehren können. Die Einfachheit meiner Tage half mir dabei die Wunden zu schließen. Nur selten ließ ich es zu, dass der Gedanke an sie die Wunden wieder aufriss. Ich folgte meinen Instinkten, versuchte Herr über meinen Schmerz zu werden und wartete auf den Tag an dem ich endlich die Kraft hätte nach Hause gehen zu können.
Ich war auf einem meiner täglichen Streifzüge, als ich ganz schwach einen menschlichen Geruch wahrnahm. Sonderbar, dass sich jemand so tief in die Wälder verirrte. Neugierig folgte ich dem Duft. Gerade als ich meine Pfoten auf eine kleine Lichtung setzen wollte entdeckte ich sie. Sie saß auf einem umgestürzten Baumstamm. Ihre Kleidung war verwaschen und ihre Schuhe mussten sie schon einige Meilen getragen haben. Zwischen ihren Füßen stand ein großer Rücksack. Sie wirkte klein und schmal, fast zierlich und doch konnte man eine gewisse Körperspannung in ihrer Haltung und ihren Bewegungen erkennen. Ich hatte niemals jemanden so anmutig in einem Rucksack kramen sehen. Während sie nach sich nach vorne beugte wurde ihr Gesicht von dichtem, leicht gewelltem, blondem Haar bedeckt. Im Licht der Sonne schienen sie fast weiß zu sein. Erst als sie sich seufzend wieder aufsetzte, konnte ich ihr Gesicht sehen. Mein Blick blieb an ihren Augen hängen. Sie waren blau, aber kein gewöhnliches blau. Selbst von meinem Versteck aus, sah ich sie leuchten. Je nachdem wie das Licht sie traf wandelte sich die Farbe. Sie erinnerten mich an das Meer Zuhause in La Push, dass ich schon so lange nicht mehr gesehen hatte.
Erst als ich mich von ihren Augen losreißen konnte um mir den Rest ihres Gesichtes zu betrachten sah ich die Erschöpfung in ihren Zügen. Ich überlegte, ob ich meine menschliche Gestalt annehmen sollte, um ihr meine Hilfe anzubieten und trat einige Schritte weiter zurück in das schützende Dickicht aus niedrigen Bäumen, Büschen und Farnen welches mich vor ihr verbarg. Das leise Rascheln lies sie aufschrecken und in meine Richtung schauen, als erwartete sie jemanden. „Wer ist da?“ fragte sie zaghaft. Ich versuchte mich ruhig zu verhalten denn ich dachte mir, weder einem großen Wolf noch einem nackten Mann wolle sie alleine im Wald begegnen. Sie schaute noch mal misstrauisch in meine Richtung, wandte sich dann aber wieder ihrem Rucksack zu.
Plötzlich stieg mir ein übler Geruch in die Nase. Der Gestank eines Vampirs. Das war das erste Mal, dass ich bei dem Gedanken an Vampire tatsächlich Angst verspürte. Was wenn es Bella und Edward wären? Das würde ich noch nicht ertragen können! Aber was würde es für das Mädchen bedeuten, wenn es nun niemand der Cullens war? Ich blickte noch mal zu ihr und zu ihrer Rechten stand nun ein junger Mann, nur wenig älter als ich. Seine Haut glitzerte dort wo die hohen Baumwipfel das Sonnenlicht nicht abhielten. Er war etwas kleiner und schmaler als ich in menschlicher Gestalt. Seine Haare waren dunkelbraun, gelockt und fielen ihm fast bis auf die Schultern. Seine Augen funkelten rubinrot.
„Meine kleine Nell“ sprach er das Mädchen mit leichtem Spott in der Stimme an. Diese hatte sich angewidert von ihm abgewandt, doch nun fuhr ihr Kopf wieder zu ihm herum. „Ich bin nicht schon lange nicht mehr Deine kleine Nell Nathan. Nicht seit dem das aus Dir geworden ist“ ihr Blick musterte Ihn von oben bis unten „und erst recht nicht mehr nach den Dingen die Du getan hast.“ Verachtung stand in ihren Augen. „Aber, aber mein Schatz, das hat doch früher ganz anders geklungen“ spottete er weiter. Sie sah ihn zornig an. „Früher“ sagte sie „da hast Du auch noch keine Menschen getötet und Dich von ihrem Blut ernährt.“ Er lachte. Ganz ruhig und in ernsten Tonfall sagte er: „Und bald meine Liebe, da wirst Du es mir gleich tun.“
Wütend sprang sie auf und obwohl sie wahrscheinlich wusste, dass sie gegen ihn keine Chance hatte schlug sie ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. „Wage es nicht mich zu dem zu machen was Du bist. Trink von mir wenn Du willst, aber dann töte mich bitte. Wenn Du mich wirklich noch liebst, dann lässt Du mich sterben anstatt mich zu verwandeln.“
Er lächelte und entfernte sich einige Schritte von ihr, doch ich sah, dass er nicht wirklich vor hatte zu gehen. Ich nahm wahr, wie sich seine Muskeln ganz leicht anspannten und dann stürzte er sich auch schon auf das Mädchen. Schreiend stürzte sie zu Boden, der Vampir direkt über ihr. Ich sprang aus meiner Deckung. Die Spitzen seiner Fangzähne bohrten sich gerade in ihre linke Halsseite, als ich ihn von ihr wegriss. Er war überrascht, denn er hatte mich bis dahin nicht wahrgenommen. Aber er war schnell und stark. Dennoch gelang es mir ihn von ihr wegzutreiben.
Ein Hieb meiner Krallen verletzte seinen linken Arm, doch gleichzeitig verpasste er mir eine Rechte die sich anfühlte als wäre ich gegen einen Felsen gelaufen. Er versuchte mich zu beißen doch ich war schneller und erwischte seine rechte Seite aus der ich ein Stück Fleisch herausriss. Seine Augen weiteten sich und er schien verwundert darüber, dass man ihn derart verletzen konnte. Bevor ich erneut zuschlagen konnte flüchtete er vor mir in die Tiefen der Wälder. Ich überlegte kurz ihn zu verfolgen, doch dann hörte ich hinter mir ein leises Wimmern.
Schnell nahm ich meine menschliche Gestalt an, bedeckte mich und lief zurück zu dem Mädchen. Sie versuchte sich aufzurichten, doch das Vampirgift, gegen das ihr Körper kämpfte schwächte sie. „Bitte hilf mir“ flüsterte sie unter Tränen. „beende es bevor es zu spät ist.“ Dann verlor sie das Bewusstsein. Vor meinem geistigen Auge erschien die kleine halbmondförmige Narbe auf Bellas Hand und plötzlich wusste was ich tun konnte. Der erste Schluck Blut schmeckte genauso widerlich wie diese Blutsauger rochen. Ich spie in hastig aus. Als ihr Blut nur noch nach Blut schmeckte hielt ich inne. Im Grunde hatte ich keine Ahnung was ich da tat. Sie brauchte einen Arzt, einen der mir sagen konnte ob sie gerettet war. Über das „oder nicht“ wollte ich nicht nachdenken.
Ich hielt sie noch in meinen Armen und überlegt was zu tun war, da tauchte Leah aus dem Gebüsch hinter uns auf. „Ich bin so schnell gekommen wie ich konnte, als ich in Deinen Gedanken den fremden Vampir wahrnahm.“ „Ich bin froh Dich zu sehen Leah“ sagte ich und meinte es auch so. „Bitte bring Dr. Cullen hierher.“ Sie rümpfte die Nase. „Jake, meinst Du das sei so eine gute Idee?“ „Nein ich halte es nicht für eine gute Idee, aber es ist die beste Möglichkeit die wir haben. Ich muss wissen ob ich sie weiterleben lassen kann“ brach es aus mir heraus. „Ok, wenn Du es so möchtest bringe ich ihn zur Dir.“ Mit diesen Worten verschwand sie wieder im Wald.
Während ich wartete spielte Zeit für mich plötzlich doch wieder eine Rolle. Erst nach einer halben Ewigkeit, so schien es mir, trafen Leah der Wolf und Dr. Cullen auf der kleinen Lichtung ein. Ich freute mich fast ihn zu sehen. „Jacob“ nickte er mir zu, dann sah er sich die Wunde am Hals des Mädchens an. „Was ist geschehen?“ „Sie wurde von einem Vampir angegriffen. Ich habe ihr das Gift ausgesaugt, aber ich weiß nicht ob es reicht um sie zu retten.“ Er schaute sich die Bissspuren genau an und betastete die Wunde vorsichtig. „Ich denke sie wird sich nicht verwandeln, falls Du das mit retten meinst“ sagte er schließlich. „Sollte es doch passieren, dann werde ich tun was ich tun muss“ verkündete ich entschlossen. „Wenn sie sich doch verwandelt, dann bringt sie zu mir. Ich kann ihr helfen.“ „Nein“ sagte ich kopfschüttelnd „ das kann ich nicht tun. Sie hat darum gebeten es zu beenden, wenn sie nicht zu retten ist. Wenn sie etwas für sie tun wollen dann bringen sie in Erfahrung wo ich den Vampir der sie angegriffen hat finden kann.“ Ich beschrieb ihm kurz den jungen Vampir und nannte ihm seinen Namen. „Ich werde sehe was ich tun kann“ sagte er während er sich wieder erhob. „Ihr wird es wahrscheinlich einige Tage schlecht gehen, auch wenn sie sich nicht verwandelt. Du solltest ein Auge auf sie haben. Wenn Du meine Hilfe brauchst, weißt Du wo Du mich findest.“ Mit diesen Worten verschwand er wieder im dichten Wald.
Leah, die sich zurückgezogen hatte kam wieder näher und sah mich an. „Dann werde ich wohl wieder nach Hause kommen müssen. Hier kann ich mich nicht richtig um sie kümmern.“ Leah bleckte die Lefzen zu einem schiefen Lächeln. „Läufst Du bitte voraus und sagst meinem Dad bescheid, dass ich zurückkomme und ein verletztes Mädchen mitbringe, das unsere Hilfe benötigt?“ Sie nickte leicht mit dem Kopf und rannte los. Der Gedanke nach Hause zurück zu kehren wo all diese Erinnerungen auf mich warten, machte mir Angst. Ich wusste nicht ob ich schon soweit war, aber dafür konnte das Mädchen in meinen Armen nichts. Ich hob sie hoch und machte mich auf den Weg nach Hause.
Mein Zeitgefühl hatte mich bereits ein wenig verlassen so lange streifte ich schon in meinem Wolfskörper durch die Wälder. Es machte mir den Schmerz erträglicher niemals der für Bella sein zu können, der ich für sie sein wollte. Den einzigen annähernd menschlichen Kontakt den ich hatte waren die Gedanken meines Rudels. Die Rudelmitglieder waren es auch die meinen Vater immer wieder beruhigten und ihm versicherten ich würde wieder kommen, wenn ich so weit wäre. Meine Tage waren stets gleich. Jagen, schlafen, durch den Wald streifen - viel mehr tat ich eigentlich nicht. Dennoch war der Schmerz den ich als Wolf empfand stumpfer als der, welchem ich als Mensch ausgesetzt war. Er war jedes Mal überwältigend, wenn ich kurzzeitig meine menschliche Gestalt annahm. Ich dachte der schlimmste Tag meines Lebens wäre der Tag von Bellas und Edwards Hochzeit gewesen, doch dann erfuhr ich, dass Edward sie verwandelt hatte, weil das Kind, welches sie von im empfangen hatte sie fast getötet hätte. Ich hatte sie endgültig verloren.
Es dauerte lange bis ich nicht mehr dachte ich müsste auseinander brechen, wie Bella es glaubte als Edward sie verließ, aber ich wusste sie würde niemals zu mir zurückkommen. Deswegen musste ich loslassen und versuchen darüber hinweg zukommen, sonst würde ich nie wieder zurückkehren können. Die Einfachheit meiner Tage half mir dabei die Wunden zu schließen. Nur selten ließ ich es zu, dass der Gedanke an sie die Wunden wieder aufriss. Ich folgte meinen Instinkten, versuchte Herr über meinen Schmerz zu werden und wartete auf den Tag an dem ich endlich die Kraft hätte nach Hause gehen zu können.
Ich war auf einem meiner täglichen Streifzüge, als ich ganz schwach einen menschlichen Geruch wahrnahm. Sonderbar, dass sich jemand so tief in die Wälder verirrte. Neugierig folgte ich dem Duft. Gerade als ich meine Pfoten auf eine kleine Lichtung setzen wollte entdeckte ich sie. Sie saß auf einem umgestürzten Baumstamm. Ihre Kleidung war verwaschen und ihre Schuhe mussten sie schon einige Meilen getragen haben. Zwischen ihren Füßen stand ein großer Rücksack. Sie wirkte klein und schmal, fast zierlich und doch konnte man eine gewisse Körperspannung in ihrer Haltung und ihren Bewegungen erkennen. Ich hatte niemals jemanden so anmutig in einem Rucksack kramen sehen. Während sie nach sich nach vorne beugte wurde ihr Gesicht von dichtem, leicht gewelltem, blondem Haar bedeckt. Im Licht der Sonne schienen sie fast weiß zu sein. Erst als sie sich seufzend wieder aufsetzte, konnte ich ihr Gesicht sehen. Mein Blick blieb an ihren Augen hängen. Sie waren blau, aber kein gewöhnliches blau. Selbst von meinem Versteck aus, sah ich sie leuchten. Je nachdem wie das Licht sie traf wandelte sich die Farbe. Sie erinnerten mich an das Meer Zuhause in La Push, dass ich schon so lange nicht mehr gesehen hatte.
Erst als ich mich von ihren Augen losreißen konnte um mir den Rest ihres Gesichtes zu betrachten sah ich die Erschöpfung in ihren Zügen. Ich überlegte, ob ich meine menschliche Gestalt annehmen sollte, um ihr meine Hilfe anzubieten und trat einige Schritte weiter zurück in das schützende Dickicht aus niedrigen Bäumen, Büschen und Farnen welches mich vor ihr verbarg. Das leise Rascheln lies sie aufschrecken und in meine Richtung schauen, als erwartete sie jemanden. „Wer ist da?“ fragte sie zaghaft. Ich versuchte mich ruhig zu verhalten denn ich dachte mir, weder einem großen Wolf noch einem nackten Mann wolle sie alleine im Wald begegnen. Sie schaute noch mal misstrauisch in meine Richtung, wandte sich dann aber wieder ihrem Rucksack zu.
Plötzlich stieg mir ein übler Geruch in die Nase. Der Gestank eines Vampirs. Das war das erste Mal, dass ich bei dem Gedanken an Vampire tatsächlich Angst verspürte. Was wenn es Bella und Edward wären? Das würde ich noch nicht ertragen können! Aber was würde es für das Mädchen bedeuten, wenn es nun niemand der Cullens war? Ich blickte noch mal zu ihr und zu ihrer Rechten stand nun ein junger Mann, nur wenig älter als ich. Seine Haut glitzerte dort wo die hohen Baumwipfel das Sonnenlicht nicht abhielten. Er war etwas kleiner und schmaler als ich in menschlicher Gestalt. Seine Haare waren dunkelbraun, gelockt und fielen ihm fast bis auf die Schultern. Seine Augen funkelten rubinrot.
„Meine kleine Nell“ sprach er das Mädchen mit leichtem Spott in der Stimme an. Diese hatte sich angewidert von ihm abgewandt, doch nun fuhr ihr Kopf wieder zu ihm herum. „Ich bin nicht schon lange nicht mehr Deine kleine Nell Nathan. Nicht seit dem das aus Dir geworden ist“ ihr Blick musterte Ihn von oben bis unten „und erst recht nicht mehr nach den Dingen die Du getan hast.“ Verachtung stand in ihren Augen. „Aber, aber mein Schatz, das hat doch früher ganz anders geklungen“ spottete er weiter. Sie sah ihn zornig an. „Früher“ sagte sie „da hast Du auch noch keine Menschen getötet und Dich von ihrem Blut ernährt.“ Er lachte. Ganz ruhig und in ernsten Tonfall sagte er: „Und bald meine Liebe, da wirst Du es mir gleich tun.“
Wütend sprang sie auf und obwohl sie wahrscheinlich wusste, dass sie gegen ihn keine Chance hatte schlug sie ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. „Wage es nicht mich zu dem zu machen was Du bist. Trink von mir wenn Du willst, aber dann töte mich bitte. Wenn Du mich wirklich noch liebst, dann lässt Du mich sterben anstatt mich zu verwandeln.“
Er lächelte und entfernte sich einige Schritte von ihr, doch ich sah, dass er nicht wirklich vor hatte zu gehen. Ich nahm wahr, wie sich seine Muskeln ganz leicht anspannten und dann stürzte er sich auch schon auf das Mädchen. Schreiend stürzte sie zu Boden, der Vampir direkt über ihr. Ich sprang aus meiner Deckung. Die Spitzen seiner Fangzähne bohrten sich gerade in ihre linke Halsseite, als ich ihn von ihr wegriss. Er war überrascht, denn er hatte mich bis dahin nicht wahrgenommen. Aber er war schnell und stark. Dennoch gelang es mir ihn von ihr wegzutreiben.
Ein Hieb meiner Krallen verletzte seinen linken Arm, doch gleichzeitig verpasste er mir eine Rechte die sich anfühlte als wäre ich gegen einen Felsen gelaufen. Er versuchte mich zu beißen doch ich war schneller und erwischte seine rechte Seite aus der ich ein Stück Fleisch herausriss. Seine Augen weiteten sich und er schien verwundert darüber, dass man ihn derart verletzen konnte. Bevor ich erneut zuschlagen konnte flüchtete er vor mir in die Tiefen der Wälder. Ich überlegte kurz ihn zu verfolgen, doch dann hörte ich hinter mir ein leises Wimmern.
Schnell nahm ich meine menschliche Gestalt an, bedeckte mich und lief zurück zu dem Mädchen. Sie versuchte sich aufzurichten, doch das Vampirgift, gegen das ihr Körper kämpfte schwächte sie. „Bitte hilf mir“ flüsterte sie unter Tränen. „beende es bevor es zu spät ist.“ Dann verlor sie das Bewusstsein. Vor meinem geistigen Auge erschien die kleine halbmondförmige Narbe auf Bellas Hand und plötzlich wusste was ich tun konnte. Der erste Schluck Blut schmeckte genauso widerlich wie diese Blutsauger rochen. Ich spie in hastig aus. Als ihr Blut nur noch nach Blut schmeckte hielt ich inne. Im Grunde hatte ich keine Ahnung was ich da tat. Sie brauchte einen Arzt, einen der mir sagen konnte ob sie gerettet war. Über das „oder nicht“ wollte ich nicht nachdenken.
Ich hielt sie noch in meinen Armen und überlegt was zu tun war, da tauchte Leah aus dem Gebüsch hinter uns auf. „Ich bin so schnell gekommen wie ich konnte, als ich in Deinen Gedanken den fremden Vampir wahrnahm.“ „Ich bin froh Dich zu sehen Leah“ sagte ich und meinte es auch so. „Bitte bring Dr. Cullen hierher.“ Sie rümpfte die Nase. „Jake, meinst Du das sei so eine gute Idee?“ „Nein ich halte es nicht für eine gute Idee, aber es ist die beste Möglichkeit die wir haben. Ich muss wissen ob ich sie weiterleben lassen kann“ brach es aus mir heraus. „Ok, wenn Du es so möchtest bringe ich ihn zur Dir.“ Mit diesen Worten verschwand sie wieder im Wald.
Während ich wartete spielte Zeit für mich plötzlich doch wieder eine Rolle. Erst nach einer halben Ewigkeit, so schien es mir, trafen Leah der Wolf und Dr. Cullen auf der kleinen Lichtung ein. Ich freute mich fast ihn zu sehen. „Jacob“ nickte er mir zu, dann sah er sich die Wunde am Hals des Mädchens an. „Was ist geschehen?“ „Sie wurde von einem Vampir angegriffen. Ich habe ihr das Gift ausgesaugt, aber ich weiß nicht ob es reicht um sie zu retten.“ Er schaute sich die Bissspuren genau an und betastete die Wunde vorsichtig. „Ich denke sie wird sich nicht verwandeln, falls Du das mit retten meinst“ sagte er schließlich. „Sollte es doch passieren, dann werde ich tun was ich tun muss“ verkündete ich entschlossen. „Wenn sie sich doch verwandelt, dann bringt sie zu mir. Ich kann ihr helfen.“ „Nein“ sagte ich kopfschüttelnd „ das kann ich nicht tun. Sie hat darum gebeten es zu beenden, wenn sie nicht zu retten ist. Wenn sie etwas für sie tun wollen dann bringen sie in Erfahrung wo ich den Vampir der sie angegriffen hat finden kann.“ Ich beschrieb ihm kurz den jungen Vampir und nannte ihm seinen Namen. „Ich werde sehe was ich tun kann“ sagte er während er sich wieder erhob. „Ihr wird es wahrscheinlich einige Tage schlecht gehen, auch wenn sie sich nicht verwandelt. Du solltest ein Auge auf sie haben. Wenn Du meine Hilfe brauchst, weißt Du wo Du mich findest.“ Mit diesen Worten verschwand er wieder im dichten Wald.
Leah, die sich zurückgezogen hatte kam wieder näher und sah mich an. „Dann werde ich wohl wieder nach Hause kommen müssen. Hier kann ich mich nicht richtig um sie kümmern.“ Leah bleckte die Lefzen zu einem schiefen Lächeln. „Läufst Du bitte voraus und sagst meinem Dad bescheid, dass ich zurückkomme und ein verletztes Mädchen mitbringe, das unsere Hilfe benötigt?“ Sie nickte leicht mit dem Kopf und rannte los. Der Gedanke nach Hause zurück zu kehren wo all diese Erinnerungen auf mich warten, machte mir Angst. Ich wusste nicht ob ich schon soweit war, aber dafür konnte das Mädchen in meinen Armen nichts. Ich hob sie hoch und machte mich auf den Weg nach Hause.
Re: Indian Summer
Kapitel 2 (Jacob)
Die Strecke zum Reservat in menschlicher Gestalt zurückzulegen war anstrengender als ich gedacht hatte. Zwar war ich auch als Mensch stärker und schneller als ein Normalsterblicher, aber ich hatte mich lange nicht mehr auf zwei Beinen fortbewegt. Zusätzlich trug ich noch das Gewicht des bewusstlosen Mädchens. Nach einer Weile wurde ich ziemlich durstig und überlegte mir eine kleine Rast zu machen. In Rucksack des Mädchens würde ich sicher Proviant finden. Vorsichtig legte ich sie auf den weichen Waldboden. Sie war immer noch nicht zu sich gekommen. Auf der Suche nach einer Wasserflasche musste ich einige Dinge aus ihrem Rucksack herausnehmen. Zwar versuchte ich mir die Sachen nicht genauer anzusehen, aber ich kam nicht umhin zu bemerken, dass sie nicht auf einem kleinen Wandertrip war. Ich fand ihre Papiere in einem Plastikbeutel, einen antik wirkenden silbernen Armreif der mit Chrysokollen besetzt war, ein kleines Photoalbum und verschiedene Landkarten die vermuten ließen, dass ihr Weg sie quer durch die USA geführt haben musste. Schließlich fand ich auch eine halbvolle Wasserflasche. Nachdem ich meinen Durst gestillt hatte packte ich alle ihre Habseligkeiten behutsam wieder ein, hob sie vorsichtig von ihrem bemoosten Bett und setzt meinen Weg fort.
Als ich den ersten Weg erreichte den man annähernd als Straße bezeichnen konnte stand dort ein dunkelgrüner Pick-up. Zu meiner Überraschung saß Paul am Steuer. Embry stand bereits hinten an der Ladefläche. „Leah meinte Du könntest Hilfe gebrauchen. Schön Dich zusehen Jacob.“ Und mit einem Blick auf das Mädchen: „Auch wenn es keine schönen Umstände sind die Dich nach Hause führen.“ Mittlerweile war auch Paul ausgestiegen. „Hi Jacob, wir dachten wir kommen Dir mal entgegen. Billy wartet schon auf Dich.“ „Danke, dass ihr gekommen seid“ sagte ich erleichtert darüber, dass sie mir wegen meiner langen Abwesenheit nicht böse waren. Embry öffnete die Ladeklappe und kletterte nach oben. Ich hob das Mädchen auf die Ladefläche und er legte sie dort vorsichtig hin. Ich kletterte hoch, stellte ihren Rucksack ab und betete ihren Kopf auf meinen Oberschenkeln anstatt auf das harte Metall. Embry sprang runter und schloß die Ladeklappe wieder. „Alles klar?“ „Ja, ist ok. Ich werd hier hinten schon klar kommen.“ „Na dann.“ Embry stieg zu Paul ins Fahrerhaus und wir führen los.
Mit dem Auto gelangten wir recht schnell ins Reservat. Auf der Veranda unseres Hauses wartete mein Vater schon. Paul fuhr direkt vor die Veranda damit wir das Mädchen nicht so weit tragen mussten. „Jacob“ nickte mein Vater wir zu. Mehr brauchte er nicht zusagen. Ich kannte ihn gut genug um zu wissen, was er damit sagen wollte. Paul half mir unsere Patientin vom Auto runter zu heben und wir brachten sie in meine kleine Kammer wo Emily schon ein Krankenlager für sie aufgeschlagen hatte. „So Jungs und nun geht mal einen Moment raus. Ich werd ihr die blutigen Kleider ausziehen.“ Während Emily sich um das Mädchen kümmerte gingen wir wieder nach draußen. Paul und Embry verabschiedeten sich, nicht ohne mir das Versprechen abzunehmen bald bei ihnen vorbei zu schauen. Ich war mit meinem Vater allein. „Dad es tut mir so leid, dass ich so lange fort war.“ „Ich kann Dich verstehen, mein Junge“ sagte er und tätschelte mir väterlich die Hand. „Wie geht es Dir jetzt wo Du wieder hier bist?“ „Es geht schon. Ich dachte es würde schlimmer sein, aber es ist ok.“ Da kam Emily aus dem Haus. „Ich hab sie umgezogen und ihre Wunde gesäubert. Sie hat kurz die Augen geöffnet, aber richtig wahrgenommen hat sie mich nicht. Seht ab und zu nach ihr. Ich schau morgen wieder vorbei“ verabschiedete sie sich. Billy und ich gingen rein und setzen uns an den Küchentisch. „Leah hat schon ein bisschen erzählt, aber nun möchte ich die ganze Geschichte hören“ sagte er und ich erzählte ihm was sich im Wald zugetragen hatte.
Die Strecke zum Reservat in menschlicher Gestalt zurückzulegen war anstrengender als ich gedacht hatte. Zwar war ich auch als Mensch stärker und schneller als ein Normalsterblicher, aber ich hatte mich lange nicht mehr auf zwei Beinen fortbewegt. Zusätzlich trug ich noch das Gewicht des bewusstlosen Mädchens. Nach einer Weile wurde ich ziemlich durstig und überlegte mir eine kleine Rast zu machen. In Rucksack des Mädchens würde ich sicher Proviant finden. Vorsichtig legte ich sie auf den weichen Waldboden. Sie war immer noch nicht zu sich gekommen. Auf der Suche nach einer Wasserflasche musste ich einige Dinge aus ihrem Rucksack herausnehmen. Zwar versuchte ich mir die Sachen nicht genauer anzusehen, aber ich kam nicht umhin zu bemerken, dass sie nicht auf einem kleinen Wandertrip war. Ich fand ihre Papiere in einem Plastikbeutel, einen antik wirkenden silbernen Armreif der mit Chrysokollen besetzt war, ein kleines Photoalbum und verschiedene Landkarten die vermuten ließen, dass ihr Weg sie quer durch die USA geführt haben musste. Schließlich fand ich auch eine halbvolle Wasserflasche. Nachdem ich meinen Durst gestillt hatte packte ich alle ihre Habseligkeiten behutsam wieder ein, hob sie vorsichtig von ihrem bemoosten Bett und setzt meinen Weg fort.
Als ich den ersten Weg erreichte den man annähernd als Straße bezeichnen konnte stand dort ein dunkelgrüner Pick-up. Zu meiner Überraschung saß Paul am Steuer. Embry stand bereits hinten an der Ladefläche. „Leah meinte Du könntest Hilfe gebrauchen. Schön Dich zusehen Jacob.“ Und mit einem Blick auf das Mädchen: „Auch wenn es keine schönen Umstände sind die Dich nach Hause führen.“ Mittlerweile war auch Paul ausgestiegen. „Hi Jacob, wir dachten wir kommen Dir mal entgegen. Billy wartet schon auf Dich.“ „Danke, dass ihr gekommen seid“ sagte ich erleichtert darüber, dass sie mir wegen meiner langen Abwesenheit nicht böse waren. Embry öffnete die Ladeklappe und kletterte nach oben. Ich hob das Mädchen auf die Ladefläche und er legte sie dort vorsichtig hin. Ich kletterte hoch, stellte ihren Rucksack ab und betete ihren Kopf auf meinen Oberschenkeln anstatt auf das harte Metall. Embry sprang runter und schloß die Ladeklappe wieder. „Alles klar?“ „Ja, ist ok. Ich werd hier hinten schon klar kommen.“ „Na dann.“ Embry stieg zu Paul ins Fahrerhaus und wir führen los.
Mit dem Auto gelangten wir recht schnell ins Reservat. Auf der Veranda unseres Hauses wartete mein Vater schon. Paul fuhr direkt vor die Veranda damit wir das Mädchen nicht so weit tragen mussten. „Jacob“ nickte mein Vater wir zu. Mehr brauchte er nicht zusagen. Ich kannte ihn gut genug um zu wissen, was er damit sagen wollte. Paul half mir unsere Patientin vom Auto runter zu heben und wir brachten sie in meine kleine Kammer wo Emily schon ein Krankenlager für sie aufgeschlagen hatte. „So Jungs und nun geht mal einen Moment raus. Ich werd ihr die blutigen Kleider ausziehen.“ Während Emily sich um das Mädchen kümmerte gingen wir wieder nach draußen. Paul und Embry verabschiedeten sich, nicht ohne mir das Versprechen abzunehmen bald bei ihnen vorbei zu schauen. Ich war mit meinem Vater allein. „Dad es tut mir so leid, dass ich so lange fort war.“ „Ich kann Dich verstehen, mein Junge“ sagte er und tätschelte mir väterlich die Hand. „Wie geht es Dir jetzt wo Du wieder hier bist?“ „Es geht schon. Ich dachte es würde schlimmer sein, aber es ist ok.“ Da kam Emily aus dem Haus. „Ich hab sie umgezogen und ihre Wunde gesäubert. Sie hat kurz die Augen geöffnet, aber richtig wahrgenommen hat sie mich nicht. Seht ab und zu nach ihr. Ich schau morgen wieder vorbei“ verabschiedete sie sich. Billy und ich gingen rein und setzen uns an den Küchentisch. „Leah hat schon ein bisschen erzählt, aber nun möchte ich die ganze Geschichte hören“ sagte er und ich erzählte ihm was sich im Wald zugetragen hatte.
Re: Indian Summer
Kurze Zeit später klopfte es an der Tür und ich erhob mich um sie zu öffnen. Doch dazu kam ich nicht mehr, denn da kamen auch schon Seth und Leah hereingepoltert und fielen mir um den Hals. „Jake, klasse, dass Du wieder da bist“ rief Seth lachend. „Sag ich doch“ meinte seine Schwester. Dann trat Sue Clearwater durch die Tür. „Hallo Jacob. Ich hab hier was zu Essen, damit Du Deinem Vater nicht die Haare vom Kopf futtern musst.“ „Vielen Dank Sue. Setzt euch doch.“ Alle nahmen um den Tisch Platz und machten sich über den Thunfischauflauf von Sue her. Es war einige Zeit her, dass ich was Selbstgekochtes, nein eigentlich überhaupt was Gekochtes, gegessen hatte und es machte sich gut, dass Sue gleich zwei Auflaufformen mitgebracht hatte. Ehe ich mich versah hatte ich nämlich eine der Formen fast alleine geleert. Wir redeten noch eine Weile über dies und jenes, aber niemand fragte danach, wie es mir in der Zeit meiner Abwesenheit ergangen war und ich war ihnen dankbar dafür. Es machte es mir leichter wieder Zuhause zu sein. Seth und Leah versprachen mit Sam und den Anderen zu reden, damit uns dieser Vampir nicht durch die Lappen ging, sollte er versuchen sich das Mädchen doch noch zu holen. Ich wollte mich melden sobald das Mädchen wieder bei Bewusstsein und in der Lage zu Sprechen wäre. Erst spät verabschiedeten sich die Clearwaters.
Während Billy mir noch ein paar Decken holen wollte, damit ich mir das Sofa für die Nacht her richten konnte, sah ich noch mal nach dem Mädchen. Obwohl vom Emily gut eingepackt, zitterte sie am ganze Körper und ihre Augen rollten wild hinter den Lidern. Ich fühlte ihre Stirn, auf der kalter Schweiß stand. „Dad, ich glaube es geht ihr ziemlich schlecht.“ Er kam zur Tür und warf einen Blick auf das Mädchen. „Sie hat Schüttelfrost. Du musst sie wärmen.“ „Dann gib mir bitte die Decken die Du geholt hast, ich brauch sie sowieso nicht.“ Dad musterte mich von Kopf bis Fuß. „Wie wäre es wenn Du Dich einfach zu ihr legst? 42 Grad sollten reichen um sie warm zu halten.“ Etwas pikiert sah ich ihn an. „Ich kann mich nicht einfach zu einem fremden Mädchen ins Bett legen.“ Ich fühlte mich unwohl bei dem Gedanken, ihr ohne ihre Zustimmung so Nahe zu kommen. „Es ist die einfachste und schnellste Möglichkeit. Ich denke in so einem Fall ist das schon in Ordnung“ sagte er schmunzelnd. „Wenn Du meinst“ erwiderte ich Schulter zuckend. „Leg Dich zu ihr, es scheint ihr wirklich schlecht zu gehen.“ Dann verschwand er in seinem Schlafzimmer.
Ich schlug die Decke zu Seite und schob das Mädchen behutsam Richtung Wand. Irgendwie schaffte ich es auch tatsächlich noch mich zu ihr in das schmale Bett zu legen. Vorsichtig schob ich meinem Arm unter ihrem Nacken hindurch, so dass sie in meinem Arm lag und ihr Kopf an meiner Brust ruhte. Mehr Nähe erlaubte ich mir nicht. Meinen Körper hielt ich ein wenig auf Abstand. Sie schien ruhiger zu werden und das Zittern wurde weniger. Ich strich ihr eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie wirkte so zart und zerbrechlich. „Was verbindet dich und den Blutsauger nur?“ fragte ich ohne eine Antwort zu erwarten.
Obwohl es zu zweit in meinem schmalen Bett nicht unbedingt bequem war schlief ich schnell ein. Meine Träume waren wirr und es vermischte sich Vergangenes mit Gegenwärtigem. Noch bevor die Sonne auf ging schreckte ich aus meinen Träumen auf. Das Letzte, an was ich mich erinnern konnte war, dass ich geträumt hatte eine blutdurstige Bella töten zu müssen um die Fremde zu retten. Zuerst war ich etwas orientierungslos, dann erinnerte ich mich aber mein Lager nicht irgendwo im Wald aufgeschlagen zu haben, sondern wieder Zuhause zu sein. Das Mädchen hatte mir mittlerweile den Rücken zugedreht. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Ich nahm den Duft ihrer Haare war. Er erinnerte mich an den frischen Geruch, den die Erde nach einem warmen Regenschauer hat. Fast wäre ich wieder eingeschlafen, da fiel mir ein, dass es vielleicht besser wäre mein Nachtlager doch noch auf dem Sofa aufzuschlagen. Ich wollte sie nicht erschrecken indem sie, sollte sie am Morgen die Augen aufschlagen, einen fremden Mann neben sich im Bett finden würde. Ein fremdes Bett, ein fremdes Haus, fern von dem Ort wo sie das Bewusstsein verloren hatte, dass sollte eigentlich an Verwirrung reichen. Ich stand auf und legte mich auf die Couch. Die bereitgelegten Decke brauchte ich nicht, mir war immer warm, daher rollte ich sie mir unter meinem Kopf zu einem Kissen zusammen.
Als ich morgens aufwachte, fielen gerade die ersten Sonnenstrahlen durchs Fenster herein. Verschlafen stand ich auf und schlürfte in Richtung meiner Kammer um nach unserer Patientin zu sehen. Ihr Bett war leer! Schlagartig war ich hellwach. Ich sah mich im Zimmer um. Es schien alles so wie ich es vor wenigen Stunden verlassen hatte. Ihr Rucksack lugte noch genauso unter dem Bett hervor und sogar ihre Wanderschuhe standen noch in der Zimmerecke. Nur von ihr fehlte jede Spur.
Während Billy mir noch ein paar Decken holen wollte, damit ich mir das Sofa für die Nacht her richten konnte, sah ich noch mal nach dem Mädchen. Obwohl vom Emily gut eingepackt, zitterte sie am ganze Körper und ihre Augen rollten wild hinter den Lidern. Ich fühlte ihre Stirn, auf der kalter Schweiß stand. „Dad, ich glaube es geht ihr ziemlich schlecht.“ Er kam zur Tür und warf einen Blick auf das Mädchen. „Sie hat Schüttelfrost. Du musst sie wärmen.“ „Dann gib mir bitte die Decken die Du geholt hast, ich brauch sie sowieso nicht.“ Dad musterte mich von Kopf bis Fuß. „Wie wäre es wenn Du Dich einfach zu ihr legst? 42 Grad sollten reichen um sie warm zu halten.“ Etwas pikiert sah ich ihn an. „Ich kann mich nicht einfach zu einem fremden Mädchen ins Bett legen.“ Ich fühlte mich unwohl bei dem Gedanken, ihr ohne ihre Zustimmung so Nahe zu kommen. „Es ist die einfachste und schnellste Möglichkeit. Ich denke in so einem Fall ist das schon in Ordnung“ sagte er schmunzelnd. „Wenn Du meinst“ erwiderte ich Schulter zuckend. „Leg Dich zu ihr, es scheint ihr wirklich schlecht zu gehen.“ Dann verschwand er in seinem Schlafzimmer.
Ich schlug die Decke zu Seite und schob das Mädchen behutsam Richtung Wand. Irgendwie schaffte ich es auch tatsächlich noch mich zu ihr in das schmale Bett zu legen. Vorsichtig schob ich meinem Arm unter ihrem Nacken hindurch, so dass sie in meinem Arm lag und ihr Kopf an meiner Brust ruhte. Mehr Nähe erlaubte ich mir nicht. Meinen Körper hielt ich ein wenig auf Abstand. Sie schien ruhiger zu werden und das Zittern wurde weniger. Ich strich ihr eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie wirkte so zart und zerbrechlich. „Was verbindet dich und den Blutsauger nur?“ fragte ich ohne eine Antwort zu erwarten.
Obwohl es zu zweit in meinem schmalen Bett nicht unbedingt bequem war schlief ich schnell ein. Meine Träume waren wirr und es vermischte sich Vergangenes mit Gegenwärtigem. Noch bevor die Sonne auf ging schreckte ich aus meinen Träumen auf. Das Letzte, an was ich mich erinnern konnte war, dass ich geträumt hatte eine blutdurstige Bella töten zu müssen um die Fremde zu retten. Zuerst war ich etwas orientierungslos, dann erinnerte ich mich aber mein Lager nicht irgendwo im Wald aufgeschlagen zu haben, sondern wieder Zuhause zu sein. Das Mädchen hatte mir mittlerweile den Rücken zugedreht. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Ich nahm den Duft ihrer Haare war. Er erinnerte mich an den frischen Geruch, den die Erde nach einem warmen Regenschauer hat. Fast wäre ich wieder eingeschlafen, da fiel mir ein, dass es vielleicht besser wäre mein Nachtlager doch noch auf dem Sofa aufzuschlagen. Ich wollte sie nicht erschrecken indem sie, sollte sie am Morgen die Augen aufschlagen, einen fremden Mann neben sich im Bett finden würde. Ein fremdes Bett, ein fremdes Haus, fern von dem Ort wo sie das Bewusstsein verloren hatte, dass sollte eigentlich an Verwirrung reichen. Ich stand auf und legte mich auf die Couch. Die bereitgelegten Decke brauchte ich nicht, mir war immer warm, daher rollte ich sie mir unter meinem Kopf zu einem Kissen zusammen.
Als ich morgens aufwachte, fielen gerade die ersten Sonnenstrahlen durchs Fenster herein. Verschlafen stand ich auf und schlürfte in Richtung meiner Kammer um nach unserer Patientin zu sehen. Ihr Bett war leer! Schlagartig war ich hellwach. Ich sah mich im Zimmer um. Es schien alles so wie ich es vor wenigen Stunden verlassen hatte. Ihr Rucksack lugte noch genauso unter dem Bett hervor und sogar ihre Wanderschuhe standen noch in der Zimmerecke. Nur von ihr fehlte jede Spur.
Zuletzt von Aud am Di 24 Aug 2010, 11:54 bearbeitet; insgesamt 2-mal bearbeitet
Re: Indian Summer
Kapitel 3 (Nell)
Als ich erwachte, konnte ich durch das Fenster sehen, wie sich der Himmel langsam erhellte. Still lag ich da und lauschte meinem Atem. In meiner Brust spürte ich mein noch immer schlagendes Herz. Ich lebte! Kleine Freudentränen fanden den Weg aus meinen Augen und benetzten das Laken in dem ich lag. Ich streckte meine Finger vorsichtig aus und betastete das Laken. Es war sauber und warm und roch ein wenig nach Wald. Erst langsam realisierte ich, dass ich an einem fremden Ort war. Ich setzte mich auf und sah mich um. Der Raum in dem ich mich befand war sehr klein. Mehr eine Kammer als ein Zimmer. Es fanden nur das Bett in dem ich lag und eine kleine Kommode darin Platz. Immer noch leicht trunken, von der Freude am Leben zu sein, schwang ich meine Füße über den Bettrand. Der Boden war aus Holz, ebenso wie die Wände. Die Tür stand weit offen und gab den Blick in einen kleinen Flur frei, von dem zwei Türen abgingen. Beide geschlossen. Unsicher stellte ich mich auf die Füße und wagte ein paar Schritte Richtung Tür. Am Ende des Flurs konnte ich ein Sofa erkennen auf dem jemand zu schlafen schien. Ein verwuschelter brauner Schopf ragte über der Armlehne hervor. Neugierig ging ich auf das Sofa zu. Es stand in einer großen gemütlichen Wohnküche. Auf dem Sofa lag ein junger Mann indianischer Herkunft. Sein rechter Arm hing locker herunter, während der Linke auf seinem muskulösen Bauch ruhte. Er war so groß, dass er seine Beine über die andere Armlehne des Sofas baumeln lassen musste. Obwohl eine kühle Brise durch das leicht geöffnete Fenster hereinkam und mich frösteln lies, schien er nicht zu frieren. Mein Herz schlug schneller als ich in ihm meinen Retter erkannte. Im Gegensatz zu seinem sorgenvollen Gesicht bei unserer ersten Begegnung, wirkte er jetzt entspannt, was ihn sehr jung wirken lies. Ich küsste ihn ganz leicht auf die Stirn und flüsterte „Danke“. Dann schlich ich mich leise nach Draußen.
Die Morgenluft war noch kühler als die Brise im Haus es versprochen hatte. Fröstelnd schlang ich die Arme um meinen Körper. Ich trug nur ein hellblaues T-Shirt, das nicht meines war. Der Größe nach zu urteilen musste es meinem Retter gehören, denn an mir wirkte es eher wie ein Kleid. Daran mir Schuhe mitzunehmen hatte ich auch nicht gedacht, aber da ich nun schon mal draußen war, war das nun auch egal. Ich schaute mich um. In einiger Entfernung konnte ich weitere kleine Holzhäuser erkennen. Diese Art der Häuser und wie die Siedlung angelegt war, kamen mir bekannt vor. Ich musste in einem Reservat sein. Die dichten Nadelhölzer die überall standen, hätten mir fast den Blick auf einen atemberaubenden Ozean genommen, über dem sich die Sonne versuchte durch die dichte Wolkendecke zu drängen. Obwohl ich atmete und mein Herz schlug verspürte ich den Drang hinunter ans Wasser zu gehen und auf die Sonne zu warten, nur um zu sehen ob meine Haut in tausend Prismen erstrahlen würde.
Tannennadeln, kleine Steine und schließlich die gröberen Steine des Strandes bohrten sich in meine Fußsohlen während ich mir einen Weg bahnte. Ich setzte mich auf ein größeres Stück Treibgut. Es musste mal zu einem stolzen Baum gehört haben, doch jetzt war ihm nur noch ein Teil des Stammes und ein einzelner in die Höhe ragender Ast geblieben. Ich lachte bitter. Ich war selbst ein Stück Treibgut, angespült an den Strand dieser kleinen Indianersiedlung. Die Wehmut packte mich und führte mich zurück in eine Zeit in der ich noch ein Zuhause hatte.
Als ich erwachte, konnte ich durch das Fenster sehen, wie sich der Himmel langsam erhellte. Still lag ich da und lauschte meinem Atem. In meiner Brust spürte ich mein noch immer schlagendes Herz. Ich lebte! Kleine Freudentränen fanden den Weg aus meinen Augen und benetzten das Laken in dem ich lag. Ich streckte meine Finger vorsichtig aus und betastete das Laken. Es war sauber und warm und roch ein wenig nach Wald. Erst langsam realisierte ich, dass ich an einem fremden Ort war. Ich setzte mich auf und sah mich um. Der Raum in dem ich mich befand war sehr klein. Mehr eine Kammer als ein Zimmer. Es fanden nur das Bett in dem ich lag und eine kleine Kommode darin Platz. Immer noch leicht trunken, von der Freude am Leben zu sein, schwang ich meine Füße über den Bettrand. Der Boden war aus Holz, ebenso wie die Wände. Die Tür stand weit offen und gab den Blick in einen kleinen Flur frei, von dem zwei Türen abgingen. Beide geschlossen. Unsicher stellte ich mich auf die Füße und wagte ein paar Schritte Richtung Tür. Am Ende des Flurs konnte ich ein Sofa erkennen auf dem jemand zu schlafen schien. Ein verwuschelter brauner Schopf ragte über der Armlehne hervor. Neugierig ging ich auf das Sofa zu. Es stand in einer großen gemütlichen Wohnküche. Auf dem Sofa lag ein junger Mann indianischer Herkunft. Sein rechter Arm hing locker herunter, während der Linke auf seinem muskulösen Bauch ruhte. Er war so groß, dass er seine Beine über die andere Armlehne des Sofas baumeln lassen musste. Obwohl eine kühle Brise durch das leicht geöffnete Fenster hereinkam und mich frösteln lies, schien er nicht zu frieren. Mein Herz schlug schneller als ich in ihm meinen Retter erkannte. Im Gegensatz zu seinem sorgenvollen Gesicht bei unserer ersten Begegnung, wirkte er jetzt entspannt, was ihn sehr jung wirken lies. Ich küsste ihn ganz leicht auf die Stirn und flüsterte „Danke“. Dann schlich ich mich leise nach Draußen.
Die Morgenluft war noch kühler als die Brise im Haus es versprochen hatte. Fröstelnd schlang ich die Arme um meinen Körper. Ich trug nur ein hellblaues T-Shirt, das nicht meines war. Der Größe nach zu urteilen musste es meinem Retter gehören, denn an mir wirkte es eher wie ein Kleid. Daran mir Schuhe mitzunehmen hatte ich auch nicht gedacht, aber da ich nun schon mal draußen war, war das nun auch egal. Ich schaute mich um. In einiger Entfernung konnte ich weitere kleine Holzhäuser erkennen. Diese Art der Häuser und wie die Siedlung angelegt war, kamen mir bekannt vor. Ich musste in einem Reservat sein. Die dichten Nadelhölzer die überall standen, hätten mir fast den Blick auf einen atemberaubenden Ozean genommen, über dem sich die Sonne versuchte durch die dichte Wolkendecke zu drängen. Obwohl ich atmete und mein Herz schlug verspürte ich den Drang hinunter ans Wasser zu gehen und auf die Sonne zu warten, nur um zu sehen ob meine Haut in tausend Prismen erstrahlen würde.
Tannennadeln, kleine Steine und schließlich die gröberen Steine des Strandes bohrten sich in meine Fußsohlen während ich mir einen Weg bahnte. Ich setzte mich auf ein größeres Stück Treibgut. Es musste mal zu einem stolzen Baum gehört haben, doch jetzt war ihm nur noch ein Teil des Stammes und ein einzelner in die Höhe ragender Ast geblieben. Ich lachte bitter. Ich war selbst ein Stück Treibgut, angespült an den Strand dieser kleinen Indianersiedlung. Die Wehmut packte mich und führte mich zurück in eine Zeit in der ich noch ein Zuhause hatte.
Re: Indian Summer
Zuhause, das war einst unser kleines Häuschen in einem Vorort von Boston. Ich muss fünf gewesen sein, als ich mit blutenden Knien und Tränen in den Augen, auf dem Bordstein vor einem kleinen weißen Haus mit blauen Fensterläden saß. Mein Fahrrad, von dem ich soeben gestürzt war, lag im Rinnstein. Mit einem Mal hörte ich Schritte hinter mir. Als ich mich umdrehte lief mir ein etwa gleichaltriger Junge entgegen. Seine wilden braunen Locken hüpften lustig bei jedem Schritt und standen im totalen Gegensatz zu seinem besorgten Gesichtausdruck. Fürsorglich beklebte er mein Knie mit Pflaster, hob mein Rad auf und brachte mich sogar dazu wieder zaghaft in die Pedale zu treten. So lernte ich Nathan kennen.
Schon als kleiner Junge vermochte er es, mir Ruhe und Sicherheit zu geben. Leider fehlte ihm selbst beides allzu oft, besonders wenn seinem Vater mal wieder die Hand ausgerutscht war. Dann flüchtet er sich zu mir, bettete seinen Kopf in meinen Schoß und lies sich von mir trösten. Anfangs hatte ich in solchen Situationen einfach Mitleid mit ihm, doch nach und nach spürte ich, dass meine Bindung zu Nathan eine empathische Ebene erreichte. Wir machten uns nie Gedanken warum das so war. Es war einfach so. Ich fühlte was er fühlte. Mehr gab es nicht zusagen.
Als ich zwölf war nahm dieser Aspekt meines Wesens jedoch ungeahnte Ausmaße an. Es war Spätsommer. Tagsüber war die Luft warm, doch nachts konnte man schon den Herbst herannahen spüren. Die Sonne schien hell vom Himmel als ich mich auf dem Weg zu unserer Nachbarin Mrs. Holden machte. Der Postbote hatte einen Brief falsch eingeworfen, den ich ihr bringen sollte. Ich klingelte und sie öffnete kurz darauf die Tür. Als ich ihr den Brief in die Hand drückte und sich unsere Fingerspitzen berührten geschah es. Der schöne Spätsommertag und Mrs. Holdens tannengrün gestrichene Haustür verschwanden vor meinen Augen. Stattdessen sah ich nur noch sie vor mir. Der Hintergrund war eine Art nächtlicher Gewitterhimmel. Dann wurde Mrs. Holdens Körper durchsichtig und gab den Blick auf ein anderes Bild frei. Sie in den Armen eines Mannes. Ein Mann der nicht ihrer war. So wie ich sonst wusste was Nathan fühlte, so wusste ich in diesem Moment, es war der Bruder ihres Mannes und sie hatten seit geraumer Zeit eine Affaire. Sie liebte ihn. Hastig zog ich meine Hand zurück und sofort war ich wieder vor der Haustür meiner Nachbarin im warmen Sonnenlicht. Das war das erste Mal, dass ich diese Art von Offenbarung erlebte.
Zuerst dachte ich, ich würde den Verstand verlieren. Ohne jedes Muster und ohne, dass ich Kontrolle über meine Visionen hatte trafen sie mich und offenbarten mir die Dinge, die die Menschen verbergen wollten. Nathan war der Einzige der bemerkte, dass ich mich zurückzog und vor Berührungen zurückschreckte. Als er mich zur Rede stellte, konnte ich nicht anders als es ihm zu erzählen und so wie er meine andere Gabe akzeptiert hatte, so nahm er auch diese als Teil meines Wesens hin.
Zwei weiter Jahre verstrichen, in denen wir beste Freunde waren. An meinem vierzehnten Geburtstag, schenkte er mir mit hochrotem Kopf eine kleine Schatulle, die eine zarte Kette mit einem kleinen silbernen Herzanhänger enthielt. Er meinte ich wüsste schon, was er damit sagen wollte. Ich konnte nur gerührt nicken. Drauf folgte unser erster Kuss als Liebespaar. Allen Zweiflern zum Trotz hielt unsere Liebe nicht nur kurze Zeit, wie sie es vielleicht sonst in diesem Alter tut. Am Ende der Highschool waren es schon vier Jahre. Am Abend des Abschlussballs hielt Nathan schließlich um meine Hand an und ich sagte natürlich ja. Drei Wochen vor unserem Umzug in das Wohnheim der Colleges, die wir uns ausgesucht hatten und eine Wochen vor unserer Hochzeit änderte sich alles. Der Nathan aus meinen Kindertagen verabschiedete sich von mir mit einem Kuss zu seinem Junggesellabend. Ich lies ihn bedenkenlos gehen.
Es war in den frühen Morgenstunden des darauf folgenden Tages, als ein völlig fertiger Nathan nach Hause kam. Ohne ein Wort schmiss er sich aufs Bett und fiel in einen tiefen aber unruhigen Schlaf. Am späten Nachmittag versuchte ich ihn zu wecken und er geriet völlig außer sich. Mit nur einer flüssigen Bewegung war er aus dem Bett aufgesprungen hatte mich an der Kehle gepackt und drückte mich an die Wand. Ich griff nach seiner Hand, versuchte sie von meiner Kehle zu lösen, aber sein Griff war aus Stein. Die silberne Kette die ich stets um meinen Hals trug bohrte sich in meine Haut. Röchelnd rang ich nach Luft und versuchte nicht ohnmächtig zu werden. Ich versuchte ihn zu lesen, aber ich konnte nur seine Wut spüren, alles andere schien wie von einem Schleier verborgen und dann spürte ich Bedauern. Erschrocken über sich selbst ließ er mich los und ich flüchtete mich ins angrenzende Badezimmer. Im Spiegel betrachtete ich meinen Hals. Die Würgemale traten jetzt schon deutlich hervor und am schlimmsten war es dort, wo er mir die Kette „seines“ Herzens ins Fleisch gepresst hatte. Während ich fassungslos meinen Hals anstarrte hörte ich die Haustür ins Schloss fallen.
Ja, soll er nur gehen und darüber nachdenken was er getan hat, dachte ich in diesem Moment. Aber von Stunde zu Stunde, die ich auf seine Heimkehr wartete verging meine Angst, mein Ärger und meine Wut und ich sorgte mich um ihn. Was er getan hatte war schlimm für mich, aber noch schlimmer war es nicht zu wissen wo er war und keine Erklärung dafür zu bekommen, warum er so ausgerastet war. Ich telefonierte mit Familie, Freunden und Bekannten, aber niemand hatte Nathan gesehen. Als endlich vierundzwanzig Stunden vorüber waren meldete ich ihn als vermisst.
Am Abend des dritten Tages nach Nathans verschwinden, war ich gerade auf dem Heimweg von meinem Job im Café, als ich meinen Augen nicht traute. Aus einer Bar kam Nathan mit einer hübschen Blondine im Arm. Ich wollte auf ihn zustürmen und ihn anschreien, aber etwas hielt mich zurück und stattdessen folgte ich den beiden. Sie schien ganz angetan von ihm und biederte sich an, während er den coolen Überlegenen mimte. Schließ gab er ihrem Werben nach und beide verschwanden in einer dunklen Gasse. Mein Herzschlag kam mir viel zu laut vor, als dass ich sie hätte leise verfolgen können, aber irgendwie gelang es mir mich hinter einem großen Müllcontainer zu verbergen. Was ich sah gefiel mir gar nicht. Die Blondine stand mit dem Rücken an einer Hauswand, ein Knie angewinkelt mit dem Fuß an der Mauer. Er hatte eine Hand um ihre Taille gelegt mit der anderen stützte er sich neben ihrem Kopf an der Mauer ab. Die beiden küssten sich. Sein Mund löste sich von ihrem und glitt ihren Hals entlang und bedeckte ihn mit Küssen. Ich senkte den Blick. Automatisch griff ich an meinen Hals, auf dem er auch schon diese Art Küssen verteilt hatte. Es schmerzte, als ich meine Hämatome berührte.
Als ich wieder aufblickte rannte die Blondine in meine Richtung. Ich sah, dass die eine Seite ihres Halses blutverschmiert war. Das Blut floss immer noch und färbte ihre Haare und ihre Kleidung. Allerdings kam sie nicht weit, denn ohne dass ich wirklich sehen konnte wie Nathan sich bewegte, war er wieder bei ihr und zog sie in die Dunkelheit der Gasse zurück. Ich schloss die Augen. Ich wollte das nicht sehen, doch gegen die Bilder und Gefühle die mir meine Gabe bescherte war ich machtlos. Ich spürte Nathan`s übermenschliche Gier nach Blut, die mich in die Knie zwang. Ich krampfte meine Hände um meinen Magen und musste würgen. Ich konnte spüren, wie es ihn befriedigte, wie das Blut seine Kehle herunter ran und nicht eine Sekunde war da eine Spur von Mitleid für sein Opfer. Er genoss es sogar sie leiden zu sehen. Er genoss es ein Vampir zu sein.
Mein Ekel vor ihm schien mich fast zu überwältigen und dann, mit einem Mal, riss unsere Verbindung. Wie das lose Ende eines gerissenen Seils traf mich der Schmerz. Mein Kopf schien zu bersten. Nur mit großer Mühe schaffte ich es auf den Beinen zu bleiben und aus der Gasse zu verschwinden. Von Panik getrieben rannte ich durch die dunkeln Straßen zu unserer Wohnung. In Windeseile packte das Nötigste zusammen. An der Haustür warf ich noch einen letzten Blick zurück und legte meine Schlüssel in die Schale neben der Tür. Ich streifte meinen Verlobungsring mit dem kleinen Diamanten vom Ringfinger, nahm den zarten silbernen Herzanhänger ab und legte beides zu meinen Schlüsseln. Dann verließ ich unsere gemeinsame Wohnung.
Schon als kleiner Junge vermochte er es, mir Ruhe und Sicherheit zu geben. Leider fehlte ihm selbst beides allzu oft, besonders wenn seinem Vater mal wieder die Hand ausgerutscht war. Dann flüchtet er sich zu mir, bettete seinen Kopf in meinen Schoß und lies sich von mir trösten. Anfangs hatte ich in solchen Situationen einfach Mitleid mit ihm, doch nach und nach spürte ich, dass meine Bindung zu Nathan eine empathische Ebene erreichte. Wir machten uns nie Gedanken warum das so war. Es war einfach so. Ich fühlte was er fühlte. Mehr gab es nicht zusagen.
Als ich zwölf war nahm dieser Aspekt meines Wesens jedoch ungeahnte Ausmaße an. Es war Spätsommer. Tagsüber war die Luft warm, doch nachts konnte man schon den Herbst herannahen spüren. Die Sonne schien hell vom Himmel als ich mich auf dem Weg zu unserer Nachbarin Mrs. Holden machte. Der Postbote hatte einen Brief falsch eingeworfen, den ich ihr bringen sollte. Ich klingelte und sie öffnete kurz darauf die Tür. Als ich ihr den Brief in die Hand drückte und sich unsere Fingerspitzen berührten geschah es. Der schöne Spätsommertag und Mrs. Holdens tannengrün gestrichene Haustür verschwanden vor meinen Augen. Stattdessen sah ich nur noch sie vor mir. Der Hintergrund war eine Art nächtlicher Gewitterhimmel. Dann wurde Mrs. Holdens Körper durchsichtig und gab den Blick auf ein anderes Bild frei. Sie in den Armen eines Mannes. Ein Mann der nicht ihrer war. So wie ich sonst wusste was Nathan fühlte, so wusste ich in diesem Moment, es war der Bruder ihres Mannes und sie hatten seit geraumer Zeit eine Affaire. Sie liebte ihn. Hastig zog ich meine Hand zurück und sofort war ich wieder vor der Haustür meiner Nachbarin im warmen Sonnenlicht. Das war das erste Mal, dass ich diese Art von Offenbarung erlebte.
Zuerst dachte ich, ich würde den Verstand verlieren. Ohne jedes Muster und ohne, dass ich Kontrolle über meine Visionen hatte trafen sie mich und offenbarten mir die Dinge, die die Menschen verbergen wollten. Nathan war der Einzige der bemerkte, dass ich mich zurückzog und vor Berührungen zurückschreckte. Als er mich zur Rede stellte, konnte ich nicht anders als es ihm zu erzählen und so wie er meine andere Gabe akzeptiert hatte, so nahm er auch diese als Teil meines Wesens hin.
Zwei weiter Jahre verstrichen, in denen wir beste Freunde waren. An meinem vierzehnten Geburtstag, schenkte er mir mit hochrotem Kopf eine kleine Schatulle, die eine zarte Kette mit einem kleinen silbernen Herzanhänger enthielt. Er meinte ich wüsste schon, was er damit sagen wollte. Ich konnte nur gerührt nicken. Drauf folgte unser erster Kuss als Liebespaar. Allen Zweiflern zum Trotz hielt unsere Liebe nicht nur kurze Zeit, wie sie es vielleicht sonst in diesem Alter tut. Am Ende der Highschool waren es schon vier Jahre. Am Abend des Abschlussballs hielt Nathan schließlich um meine Hand an und ich sagte natürlich ja. Drei Wochen vor unserem Umzug in das Wohnheim der Colleges, die wir uns ausgesucht hatten und eine Wochen vor unserer Hochzeit änderte sich alles. Der Nathan aus meinen Kindertagen verabschiedete sich von mir mit einem Kuss zu seinem Junggesellabend. Ich lies ihn bedenkenlos gehen.
Es war in den frühen Morgenstunden des darauf folgenden Tages, als ein völlig fertiger Nathan nach Hause kam. Ohne ein Wort schmiss er sich aufs Bett und fiel in einen tiefen aber unruhigen Schlaf. Am späten Nachmittag versuchte ich ihn zu wecken und er geriet völlig außer sich. Mit nur einer flüssigen Bewegung war er aus dem Bett aufgesprungen hatte mich an der Kehle gepackt und drückte mich an die Wand. Ich griff nach seiner Hand, versuchte sie von meiner Kehle zu lösen, aber sein Griff war aus Stein. Die silberne Kette die ich stets um meinen Hals trug bohrte sich in meine Haut. Röchelnd rang ich nach Luft und versuchte nicht ohnmächtig zu werden. Ich versuchte ihn zu lesen, aber ich konnte nur seine Wut spüren, alles andere schien wie von einem Schleier verborgen und dann spürte ich Bedauern. Erschrocken über sich selbst ließ er mich los und ich flüchtete mich ins angrenzende Badezimmer. Im Spiegel betrachtete ich meinen Hals. Die Würgemale traten jetzt schon deutlich hervor und am schlimmsten war es dort, wo er mir die Kette „seines“ Herzens ins Fleisch gepresst hatte. Während ich fassungslos meinen Hals anstarrte hörte ich die Haustür ins Schloss fallen.
Ja, soll er nur gehen und darüber nachdenken was er getan hat, dachte ich in diesem Moment. Aber von Stunde zu Stunde, die ich auf seine Heimkehr wartete verging meine Angst, mein Ärger und meine Wut und ich sorgte mich um ihn. Was er getan hatte war schlimm für mich, aber noch schlimmer war es nicht zu wissen wo er war und keine Erklärung dafür zu bekommen, warum er so ausgerastet war. Ich telefonierte mit Familie, Freunden und Bekannten, aber niemand hatte Nathan gesehen. Als endlich vierundzwanzig Stunden vorüber waren meldete ich ihn als vermisst.
Am Abend des dritten Tages nach Nathans verschwinden, war ich gerade auf dem Heimweg von meinem Job im Café, als ich meinen Augen nicht traute. Aus einer Bar kam Nathan mit einer hübschen Blondine im Arm. Ich wollte auf ihn zustürmen und ihn anschreien, aber etwas hielt mich zurück und stattdessen folgte ich den beiden. Sie schien ganz angetan von ihm und biederte sich an, während er den coolen Überlegenen mimte. Schließ gab er ihrem Werben nach und beide verschwanden in einer dunklen Gasse. Mein Herzschlag kam mir viel zu laut vor, als dass ich sie hätte leise verfolgen können, aber irgendwie gelang es mir mich hinter einem großen Müllcontainer zu verbergen. Was ich sah gefiel mir gar nicht. Die Blondine stand mit dem Rücken an einer Hauswand, ein Knie angewinkelt mit dem Fuß an der Mauer. Er hatte eine Hand um ihre Taille gelegt mit der anderen stützte er sich neben ihrem Kopf an der Mauer ab. Die beiden küssten sich. Sein Mund löste sich von ihrem und glitt ihren Hals entlang und bedeckte ihn mit Küssen. Ich senkte den Blick. Automatisch griff ich an meinen Hals, auf dem er auch schon diese Art Küssen verteilt hatte. Es schmerzte, als ich meine Hämatome berührte.
Als ich wieder aufblickte rannte die Blondine in meine Richtung. Ich sah, dass die eine Seite ihres Halses blutverschmiert war. Das Blut floss immer noch und färbte ihre Haare und ihre Kleidung. Allerdings kam sie nicht weit, denn ohne dass ich wirklich sehen konnte wie Nathan sich bewegte, war er wieder bei ihr und zog sie in die Dunkelheit der Gasse zurück. Ich schloss die Augen. Ich wollte das nicht sehen, doch gegen die Bilder und Gefühle die mir meine Gabe bescherte war ich machtlos. Ich spürte Nathan`s übermenschliche Gier nach Blut, die mich in die Knie zwang. Ich krampfte meine Hände um meinen Magen und musste würgen. Ich konnte spüren, wie es ihn befriedigte, wie das Blut seine Kehle herunter ran und nicht eine Sekunde war da eine Spur von Mitleid für sein Opfer. Er genoss es sogar sie leiden zu sehen. Er genoss es ein Vampir zu sein.
Mein Ekel vor ihm schien mich fast zu überwältigen und dann, mit einem Mal, riss unsere Verbindung. Wie das lose Ende eines gerissenen Seils traf mich der Schmerz. Mein Kopf schien zu bersten. Nur mit großer Mühe schaffte ich es auf den Beinen zu bleiben und aus der Gasse zu verschwinden. Von Panik getrieben rannte ich durch die dunkeln Straßen zu unserer Wohnung. In Windeseile packte das Nötigste zusammen. An der Haustür warf ich noch einen letzten Blick zurück und legte meine Schlüssel in die Schale neben der Tür. Ich streifte meinen Verlobungsring mit dem kleinen Diamanten vom Ringfinger, nahm den zarten silbernen Herzanhänger ab und legte beides zu meinen Schlüsseln. Dann verließ ich unsere gemeinsame Wohnung.
Zuletzt von Aud am Di 24 Aug 2010, 12:09 bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
Re: Indian Summer
Kapitel 4 (Nell)
Es schienen Jahrhunderte vergangen zu sein, seit dem Tag als ich Nathan verlies, so sehr zehrte das Leben als flüchtende Vagabundin an meinen Kräften. In Wirklichkeit waren aber erst zwei Jahre vergangen. Zwei Jahre voller Angst, ohne eine Heimat und dem Wissen, dass solange Nathan existierte, ich mich nie wieder an andere Menschen binden dürfte. Das hatte er mir bereits überdeutlich vor Augen geführt. Bei dem Gedanken, an das was er getan hatte, durchlief meinen ganzen Körper ein Schauer.
Erst als ich Schritte hinter mir auf dem Steinstrand hörte, gelang es mir mich langsam wieder zu beruhigen. Mein Blick blieb an meinen Händen hängen. Ich drehte sie kurz im Schein der hellen Morgensonne, die endlich durch die Wolkendecke gebrochen war. Kein kaltes Glitzern. Nur warme, weiche Haut. „Da bist Du ja“ sagte eine männliche Stimme. Ich drehte mich um. Da stand er, mein Retter. Wie ich vermutet hatte, war er ein Hüne von einem Mann. „Hey“ sagte ich etwas eingeschüchtert. „Du hast mir einen ordentlichen Schrecken eingejagt, so einfach aus dem Haus zu laufen. Aber schön Dich wieder auf den Beinen zu sehen.“ „Entschuldige, ich hab nicht nachgedacht.“ Ich hob meine Hände und hielt sie wieder in die Sonne. „Ich musste es unbedingt sehen um sicher zu sein“ sagte ich, während ich mich nochmals am schlichten Weiß meiner Haut erfreute. „Oh, ich verstehe“ sagte er. Er näherte sich etwas, aber seine Bewegungen waren so zaghaft und vorsichtig als sei ich ein scheues Reh, welches jeden Moment flüchten könnte. „Setz Dich doch zu mir“ versuchte ich ihm die Annäherung zu erleichtern. Immer noch sehr vorsichtig kam er um den Baumstamm herum und setzte sich ein Stück von mir entfernt hin. Sein Blick glitt über mich hinweg und blieb dann an meinem Hals hängen. Reflexartig legte ich die Hand auf die Stelle, die er betrachtete und spürte eine kleine vernarbende Wunde. Sie war kälter als der Rest meiner Haut. „Glitzert sie?“ Er nickte stumm. „Aber es geht mir gut und ich habe so gar keine Lust auf Blut“ versicherte ich schnell. „Wärst Du ein Vampir würdest Du wohl auch kaum so erbärmlich zittern. Lass uns ins Haus gehen. Ich denke wir haben einiges zu bereden.“ Ich schüttelte den Kopf. „ Ich möchte noch etwas hier draußen bleiben. Wir können auch hier reden. Jetzt wo die Sonne da ist, wird mir sicher gleich warm.“ Er murmelte etwas vor sich hin was sich anhörte wie: „Warum wissen Frauen nicht was gut für sie ist?“. Dann rückte er näher an mich heran und gleich schien es wärmer zu werden. „ Ich bin übrigens Jacob Black.“ „ Nell Arden“ sagte ich noch immer leicht zitternd. Sein großer Arm legte sich um mich und zog mich an seine linke Seite. „Wenn Du erlaubst. Das kann ja keiner mit ansehen.“
„Ich danke Dir, natürlich nicht nur fürs Aufwärmen. Ohne Dich wäre ich jetzt tot oder ein Vampir. Zwei Dinge auf die ich wahrlich verzichten kann.“ Er brummelte vor sich hin, sagte aber nichts und schaute auf den Ozean. „Was hast Du mit Nathan gemacht“ fragte ich ihn. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, denn egal welche Antwort Jacob mir geben würde, es konnte nur die Falsche sein. Würde Nathan noch auf dieser Erde wandeln, so müsste ich weiter diesen erbärmlichen Schatten eines Lebens führen und wäre er endgültig von dieser Welt getilgt, so würde das kleine dumme Mädchen in mir bittere Tränen weinen, weil es, obwohl es den Vampir Nathan genauso hasste wie ich, immer noch an die Existenz von Nathans menschlicher Seite in dieser untoten Hülle glaubte. Ein wirklich dummes kleines Mädchen.
Jacobs Körper versteifte sich neben mir etwas und seine Augen blinzelten heftig als er mir antwortete: „Ein riesiger Wolf hat ihn angegriffen und in die Flucht geschlagen.“ Nathan lebte also noch! Das kleine dumme Mädchen in mir seufzte erleichtert auf, während der Rest von mir verzweifelt stöhnte. „Du bist so ein schlechter Lügner“ sagte ich. Jacob sah mich unverwandt an. „Glaub mir. Der Wolf kam aus dem Unterholz und hat sich auf den Vampir gestürzt.“ „Ich sollte Dir vielleicht ein paar Dinge über mich erzählen“ sagte ich und löste mich aus seiner Umarmung, um bei meiner Erzählung unbefangener zu sein.
Nachdem ich geendet hatte blickten mich zwei große, ungläubige, braune Augen an. Dann sprang Jacob auf und lief einige Schritte vor mir auf und ab. Er sog die kühle Morgenluft tief ein. Die linke Hand fuhr aufgeregt durch seine Haare, während er mit der Rechten an seinem Kinn entlang strich. „Ok, Du bist also kein normales Mädchen, sondern eins mit einer Gabe. Und abgesehen davon, dass Du über die Existenz von Vampiren bescheid weißt, ist der Blutsauger der Dich verfolgt, Deine ehemals seelenverwandter Ex-Verlobter. Außerdem weißt Du, Dank Deiner Gabe, dass ich ein Wolf bin.“ Er atmete heftig aus und ließ sich wieder neben mich auf dem Baumstamm fallen. Ich legte vorsichtig meine Hand auf seine. „Alles in Ordnung bei Dir?“ „Ein bisschen viel auf nüchternen Magen“ versucht er zu scherzen, aber ich sah ihm an, dass er doch ziemlich durcheinander war.
„Was glaubst Du, was Dein charmanter Blutsauger als nächstes vor hat“ fragte er nachdem er sich wieder einigermaßen gefasst hatte. Ich funkelte Jacob wütend an. „Er ist nicht mein Blutsauger.“ „Entschuldige, ich wollte nicht gemein sein.“ „Schon gut. Ich kann Dir sagen was er tun wird, er wird wiederkommen. Er kommt immer wieder.“ Missmutig kickte ich mit den nackten Füßen ein paar Steine weg. „ Soll er nur kommen. Ich werde es zu verhindern wissen, dass er Dir zu Nahe kommt.“ „Du musst nicht schon wieder Dein Leben für mich riskieren. Er ist mein Problem. Ich bin das was er haben will.“ Jacob schüttelte den Kopf. „Nein, er ist ein Vampir, also ist er mein Problem. Vampire sind der einzige Grund warum ich meine Gestalt wandeln kann. Damit ich sie jagen und töten kann.“
Meine Augen wurden groß: „Eure Legenden sind gar keine Legenden? Sie sind wahr? Das habe ich nicht zu hoffen gewagt, nicht einmal, als ich erkannte was Du bist.“ „Du kennst unsere Legenden“ fragte er misstrauisch. „Oh ja, ich habe sie gehört, als ich für einige Zeit Unterschlupf im Santa Ynez Reservat der Chumash fand. Dort gab es einen Arbeiter, dessen Mutter eine Quileute war. Wir haben gemeinsam im Casino gearbeitet. Abends hat man sich oft die alten Stammesgeschichten erzählt.“ Ich senkte meinen Blick. „Da es für mich in dieser Welt nichts mehr zu verlieren gibt, dachte ich es sei einen Versuch wert euch aufzusuchen.“ „Solange Du hier bleibst, können wir Dich beschützen und Dich vielleicht sogar für immer von ihm erlösen.“ „Erlösung“ murmelte ich vor mich hin. Ein schönes Wort.
Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander. Jeder von uns brauchte einen Moment um seine Gedanken zu sortieren. Ich konnte nicht verhindern, dass meine Gedanken in die Vergangenheit abschweiften „Manchmal tut es weh sich zu erinnern“ kam über meine Lippen. „Ich weiß.“ Über Jacobs so offenes. freundliches Gesicht huschte ein dunkler Schatten. „Es tut mir leid Jacob, ich wollte keine Wunden aufreißen.“ „Muss es nicht. Wie Du schon sagtest, erinnern tut manchmal weh und Du hast mir diese Wunden ja nicht zugefügt.“ Als er sich wieder vollständig unter Kontrolle hatte und die Schatten aus seinem Gesicht verschwunden waren sagte er: „Wie hast Du es geschafft Nathan so lange zu entkommen?“
Ich lachte bitter. „Er lies mich entkommen. Früher habe ich seine Treue geschätzt, aber heute wünschte ich mir, er wäre ein Kerl gewesen der mich belogen und betrogen hätte. Dann läge er jetzt in den Armen einer Anderen, anstatt mir wie besessen hinterher zu jagen.“ Neben mir spannte sich Jacobs Körper an. Die feinen Härchen an seinen Armen richteten sich auf. „Was hat er Dir angetan, dass Du ihn so hasst?“ Verständnislos sah ich in seine Augen, dann begriff ich was er meinte. „Jacob, er hat mich nie angefasst, er hat mich nie körperlich verletzt.“ Das schienen die Worte zu sein die er gebraucht hatte, denn leise atmete er aus, fast so als hätte er es nicht ertragen können, wenn meine Antwort eine andere gewesen wäre. „Seit ich geflohen bin, hat er mich nicht mehr berührt – bis gestern.“
Leise fügte ich hinzu: „ Er kennt allerdings Mittel und Wege mir weh zu tun, ohne mich anzufassen. Er muss dazu nicht einmal in meiner Nähe sein.“ Quälende Bilder schoben sich vor meine Augen. Abigail. Mit einem tiefen Seufzer, vergrub ich die Erinnerung wieder in den hintersten Winkeln meines Hirns, ganz weit weg von meinem Herzen. Ich konnte mich einfach noch nicht damit auseinander setzen. Dann spürte ich wie Jacobs große warme Hände meine kleinen kalten Hände umschlossen. „Nell, Du wirst nirgendwo hingehen bis wir Dich für immer von diesem Mistkerl befreit haben. Es ist mir eine Freude mein Leben für Dich riskieren zu dürfen. Du kannst solange hier bleiben wie Du möchtest.“ Ich spürte Tränen in meine Augen. „ Hab ich was Falsches gesagt“ fragte er sofort. Ich lachte unter Tränen. „Nein, genau das Richtige. Du schenkst mir Hoffnung.“
Es schienen Jahrhunderte vergangen zu sein, seit dem Tag als ich Nathan verlies, so sehr zehrte das Leben als flüchtende Vagabundin an meinen Kräften. In Wirklichkeit waren aber erst zwei Jahre vergangen. Zwei Jahre voller Angst, ohne eine Heimat und dem Wissen, dass solange Nathan existierte, ich mich nie wieder an andere Menschen binden dürfte. Das hatte er mir bereits überdeutlich vor Augen geführt. Bei dem Gedanken, an das was er getan hatte, durchlief meinen ganzen Körper ein Schauer.
Erst als ich Schritte hinter mir auf dem Steinstrand hörte, gelang es mir mich langsam wieder zu beruhigen. Mein Blick blieb an meinen Händen hängen. Ich drehte sie kurz im Schein der hellen Morgensonne, die endlich durch die Wolkendecke gebrochen war. Kein kaltes Glitzern. Nur warme, weiche Haut. „Da bist Du ja“ sagte eine männliche Stimme. Ich drehte mich um. Da stand er, mein Retter. Wie ich vermutet hatte, war er ein Hüne von einem Mann. „Hey“ sagte ich etwas eingeschüchtert. „Du hast mir einen ordentlichen Schrecken eingejagt, so einfach aus dem Haus zu laufen. Aber schön Dich wieder auf den Beinen zu sehen.“ „Entschuldige, ich hab nicht nachgedacht.“ Ich hob meine Hände und hielt sie wieder in die Sonne. „Ich musste es unbedingt sehen um sicher zu sein“ sagte ich, während ich mich nochmals am schlichten Weiß meiner Haut erfreute. „Oh, ich verstehe“ sagte er. Er näherte sich etwas, aber seine Bewegungen waren so zaghaft und vorsichtig als sei ich ein scheues Reh, welches jeden Moment flüchten könnte. „Setz Dich doch zu mir“ versuchte ich ihm die Annäherung zu erleichtern. Immer noch sehr vorsichtig kam er um den Baumstamm herum und setzte sich ein Stück von mir entfernt hin. Sein Blick glitt über mich hinweg und blieb dann an meinem Hals hängen. Reflexartig legte ich die Hand auf die Stelle, die er betrachtete und spürte eine kleine vernarbende Wunde. Sie war kälter als der Rest meiner Haut. „Glitzert sie?“ Er nickte stumm. „Aber es geht mir gut und ich habe so gar keine Lust auf Blut“ versicherte ich schnell. „Wärst Du ein Vampir würdest Du wohl auch kaum so erbärmlich zittern. Lass uns ins Haus gehen. Ich denke wir haben einiges zu bereden.“ Ich schüttelte den Kopf. „ Ich möchte noch etwas hier draußen bleiben. Wir können auch hier reden. Jetzt wo die Sonne da ist, wird mir sicher gleich warm.“ Er murmelte etwas vor sich hin was sich anhörte wie: „Warum wissen Frauen nicht was gut für sie ist?“. Dann rückte er näher an mich heran und gleich schien es wärmer zu werden. „ Ich bin übrigens Jacob Black.“ „ Nell Arden“ sagte ich noch immer leicht zitternd. Sein großer Arm legte sich um mich und zog mich an seine linke Seite. „Wenn Du erlaubst. Das kann ja keiner mit ansehen.“
„Ich danke Dir, natürlich nicht nur fürs Aufwärmen. Ohne Dich wäre ich jetzt tot oder ein Vampir. Zwei Dinge auf die ich wahrlich verzichten kann.“ Er brummelte vor sich hin, sagte aber nichts und schaute auf den Ozean. „Was hast Du mit Nathan gemacht“ fragte ich ihn. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, denn egal welche Antwort Jacob mir geben würde, es konnte nur die Falsche sein. Würde Nathan noch auf dieser Erde wandeln, so müsste ich weiter diesen erbärmlichen Schatten eines Lebens führen und wäre er endgültig von dieser Welt getilgt, so würde das kleine dumme Mädchen in mir bittere Tränen weinen, weil es, obwohl es den Vampir Nathan genauso hasste wie ich, immer noch an die Existenz von Nathans menschlicher Seite in dieser untoten Hülle glaubte. Ein wirklich dummes kleines Mädchen.
Jacobs Körper versteifte sich neben mir etwas und seine Augen blinzelten heftig als er mir antwortete: „Ein riesiger Wolf hat ihn angegriffen und in die Flucht geschlagen.“ Nathan lebte also noch! Das kleine dumme Mädchen in mir seufzte erleichtert auf, während der Rest von mir verzweifelt stöhnte. „Du bist so ein schlechter Lügner“ sagte ich. Jacob sah mich unverwandt an. „Glaub mir. Der Wolf kam aus dem Unterholz und hat sich auf den Vampir gestürzt.“ „Ich sollte Dir vielleicht ein paar Dinge über mich erzählen“ sagte ich und löste mich aus seiner Umarmung, um bei meiner Erzählung unbefangener zu sein.
Nachdem ich geendet hatte blickten mich zwei große, ungläubige, braune Augen an. Dann sprang Jacob auf und lief einige Schritte vor mir auf und ab. Er sog die kühle Morgenluft tief ein. Die linke Hand fuhr aufgeregt durch seine Haare, während er mit der Rechten an seinem Kinn entlang strich. „Ok, Du bist also kein normales Mädchen, sondern eins mit einer Gabe. Und abgesehen davon, dass Du über die Existenz von Vampiren bescheid weißt, ist der Blutsauger der Dich verfolgt, Deine ehemals seelenverwandter Ex-Verlobter. Außerdem weißt Du, Dank Deiner Gabe, dass ich ein Wolf bin.“ Er atmete heftig aus und ließ sich wieder neben mich auf dem Baumstamm fallen. Ich legte vorsichtig meine Hand auf seine. „Alles in Ordnung bei Dir?“ „Ein bisschen viel auf nüchternen Magen“ versucht er zu scherzen, aber ich sah ihm an, dass er doch ziemlich durcheinander war.
„Was glaubst Du, was Dein charmanter Blutsauger als nächstes vor hat“ fragte er nachdem er sich wieder einigermaßen gefasst hatte. Ich funkelte Jacob wütend an. „Er ist nicht mein Blutsauger.“ „Entschuldige, ich wollte nicht gemein sein.“ „Schon gut. Ich kann Dir sagen was er tun wird, er wird wiederkommen. Er kommt immer wieder.“ Missmutig kickte ich mit den nackten Füßen ein paar Steine weg. „ Soll er nur kommen. Ich werde es zu verhindern wissen, dass er Dir zu Nahe kommt.“ „Du musst nicht schon wieder Dein Leben für mich riskieren. Er ist mein Problem. Ich bin das was er haben will.“ Jacob schüttelte den Kopf. „Nein, er ist ein Vampir, also ist er mein Problem. Vampire sind der einzige Grund warum ich meine Gestalt wandeln kann. Damit ich sie jagen und töten kann.“
Meine Augen wurden groß: „Eure Legenden sind gar keine Legenden? Sie sind wahr? Das habe ich nicht zu hoffen gewagt, nicht einmal, als ich erkannte was Du bist.“ „Du kennst unsere Legenden“ fragte er misstrauisch. „Oh ja, ich habe sie gehört, als ich für einige Zeit Unterschlupf im Santa Ynez Reservat der Chumash fand. Dort gab es einen Arbeiter, dessen Mutter eine Quileute war. Wir haben gemeinsam im Casino gearbeitet. Abends hat man sich oft die alten Stammesgeschichten erzählt.“ Ich senkte meinen Blick. „Da es für mich in dieser Welt nichts mehr zu verlieren gibt, dachte ich es sei einen Versuch wert euch aufzusuchen.“ „Solange Du hier bleibst, können wir Dich beschützen und Dich vielleicht sogar für immer von ihm erlösen.“ „Erlösung“ murmelte ich vor mich hin. Ein schönes Wort.
Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander. Jeder von uns brauchte einen Moment um seine Gedanken zu sortieren. Ich konnte nicht verhindern, dass meine Gedanken in die Vergangenheit abschweiften „Manchmal tut es weh sich zu erinnern“ kam über meine Lippen. „Ich weiß.“ Über Jacobs so offenes. freundliches Gesicht huschte ein dunkler Schatten. „Es tut mir leid Jacob, ich wollte keine Wunden aufreißen.“ „Muss es nicht. Wie Du schon sagtest, erinnern tut manchmal weh und Du hast mir diese Wunden ja nicht zugefügt.“ Als er sich wieder vollständig unter Kontrolle hatte und die Schatten aus seinem Gesicht verschwunden waren sagte er: „Wie hast Du es geschafft Nathan so lange zu entkommen?“
Ich lachte bitter. „Er lies mich entkommen. Früher habe ich seine Treue geschätzt, aber heute wünschte ich mir, er wäre ein Kerl gewesen der mich belogen und betrogen hätte. Dann läge er jetzt in den Armen einer Anderen, anstatt mir wie besessen hinterher zu jagen.“ Neben mir spannte sich Jacobs Körper an. Die feinen Härchen an seinen Armen richteten sich auf. „Was hat er Dir angetan, dass Du ihn so hasst?“ Verständnislos sah ich in seine Augen, dann begriff ich was er meinte. „Jacob, er hat mich nie angefasst, er hat mich nie körperlich verletzt.“ Das schienen die Worte zu sein die er gebraucht hatte, denn leise atmete er aus, fast so als hätte er es nicht ertragen können, wenn meine Antwort eine andere gewesen wäre. „Seit ich geflohen bin, hat er mich nicht mehr berührt – bis gestern.“
Leise fügte ich hinzu: „ Er kennt allerdings Mittel und Wege mir weh zu tun, ohne mich anzufassen. Er muss dazu nicht einmal in meiner Nähe sein.“ Quälende Bilder schoben sich vor meine Augen. Abigail. Mit einem tiefen Seufzer, vergrub ich die Erinnerung wieder in den hintersten Winkeln meines Hirns, ganz weit weg von meinem Herzen. Ich konnte mich einfach noch nicht damit auseinander setzen. Dann spürte ich wie Jacobs große warme Hände meine kleinen kalten Hände umschlossen. „Nell, Du wirst nirgendwo hingehen bis wir Dich für immer von diesem Mistkerl befreit haben. Es ist mir eine Freude mein Leben für Dich riskieren zu dürfen. Du kannst solange hier bleiben wie Du möchtest.“ Ich spürte Tränen in meine Augen. „ Hab ich was Falsches gesagt“ fragte er sofort. Ich lachte unter Tränen. „Nein, genau das Richtige. Du schenkst mir Hoffnung.“
Zuletzt von Aud am Di 24 Aug 2010, 10:36 bearbeitet; insgesamt 2-mal bearbeitet
Re: Indian Summer
Kapitel 5 (Jacob)
Nell verwirrte mich. Absolut. Wenn ich ihre zarte, kleine Gestalt betrachtete, mit dem weichen blonden Haar, hatte ich das Bedürfnis sie zu beschützen. Doch nachdem sie mir mehr über sich erzählt hatte, war ich mir nicht mehr so ganz sicher, ob nicht vielleicht doch sie die Stärkere von uns beiden war. Alles was ich ihr voraus hatte war meine körperliche Stärke und die war ich bereit ganz für sie einzusetzen, damit sie endlich wieder ein normales Leben führen könnte.
Meine Versuche, sie zu überreden ins Haus zu gehen schlugen fehl. Sie wollte einfach noch ein bisschen alleine in der Sonne sitzen und ihre Gedanken sortieren und so ließ ich sie allein, um schon mal mit Dad zu reden. Ich erzählt ihm ihre Geschichte, lies aber ihre Gaben aus. Das schien mir zu persönlich, etwas über das sie lieber selbst mit ihm reden sollte.
„Junge, wenn Du mit der Couch auskommst ist es keine Problem, dass sie erstmal hier bleibt und sie durchzufüttern, sollte bei den Mengen die Du täglich verschlingst sicher auch kein Problem sein. So ein zartes Persönchen isst ja sicher nicht mehr als einen Apfel am Tag“ sagte er schmunzelnd. „Dad!“ lachte ich „Naja vielleicht sind es auch zwei Äpfel. Du verzichtest einfach auf eine Kiste pro Monat, dann kriegen wir das hin.“ Dad grinste. Es tat gut einfach ein bisschen mit meinem Vater zu scherzen.
Zaghaft klopfte es am Rahmen der offnen Tür. Nell stand im Türrahmen, immer noch im Sterntaleroutfit, die langen blonden Haare leicht zerzaust herabhängend, während sie die nackten Füße abwechselnd übereinander rieb um sie zu wärmen. „Entschuldigt bitte, ich wollte nicht stören.“ „Du störst nicht Kind, komm rein“ sagte Dad „schließlich ist es ab heute auch Dein Zuhause.“ Nell huschte herein, auf halben wegen zu meiner Kammer drehte sie um, kam zu mir legte einen Arm um meine Taille und drückte ihren Kopf kurz an meine Brust. Vielleicht wollte sie mir um den Hals fallen, aber dazu war sie nicht groß genug. Dann ging sie zu Dad und fiel ihm um den Hals. Der wusste gar nicht wie er mit dieser unerwarteten Zuneigung umgehen sollte und tätschelte ihr leicht verlegen den Rücken. „Schon gut“ sagte er dabei. Als sein Blick meinen traf, sah ich, dass seine Augen verdächtig feucht waren, ob der Herzlichkeit der Umarmung. Nell löste sich und huschte wieder Richtung Kammer. „Zweite Tür links“ rief ich ihr hinterher. „Danke“ rief sie zurück, während man aus der Kammer Reißverschlüsse und Kleiderrascheln hörte und dann die Tür zum Badezimmer.
Nachmittags kam Emily wie angekündigt noch einmal vorbei. Nell erschrak als sie Emily sah. Zuerst dachte ich die Narbe hätte sie erschreckt, doch dann sagte Nell verdutzt: „Die Frau aus meinen Traum.“ Emily reichte ihr die Hand. „ Ich bin Emily. Du hast nicht von mir geträumt, ich hab mich gestern um Dich gekümmert, als Jake Dich hierher brachte. Wie geht es Dir denn heute?“ Etwas verlegen nahm Nell die angebotene Hand „ Nell. Dankeschön, es geht mir sehr gut.“ „Wenn ich darf, würde ich mir Deine Wunde gerne noch mal ansehen?“ Nell nahm ihre Haare mit beiden Händen im Nacken zusammen und legte sie sich über die recht Schulter, so dass Emily sich die Wunde an der linken Halsseite ansehen konnte. „ Sehr schön, sieht schon gut aus.“ Sie zauberte aus ihrer Tasche einen kleinen Tiegel hervor. „Ich hab Dir eine Salbe aus Arnica, Calendula und Tollkirsche gemacht. Damit sollte Deine Wunde schnell abheilen und keine Probleme machen.“ Nell nahm den Tiegel. „Danke. Eure Fürsorge macht mich ganz verlegen. Ich weiß gar nicht wie ich das jemals wieder gut machen soll.“ Emily lachte.
„Das geht schon alles in Ordnung denke ich“ sagte sie mit einem Blick zu mir. „Ich muss jetzt weiter.“ Im Türahmen drehte sie sich noch mal um. „Jake, Sam möchte heute Nacht auf Streife gehen. Vielleicht kommst Du vorher noch zu uns. Er muss noch mit Dir reden.“ „Klar sagte ich. Kein Problem.“ Doch die Wahrheit war, dass ich mich sehr unwohl fühlte Sam wieder unter die Augen zu treten. Ich hatte ihn mit der Rolle des Leitwolfs ganz alleine gelassen, obwohl ich versprochen hatte ihn zu unterstützen, wenn er an meiner statt die Rolle des Alpha übernahm. „Ok, bis nachher Jake. Ich hab auch Muffins da“ sagte Emily im Gehen. Na wenigstens könnte ich essen, während Sam mich böse anfunkeln würde.
Nach dem Abendessen machte ich mich auf dem Weg zu Emily und Sam. Mein Bauch war voll von dem Essen das Nell gekocht hatte und sie hatte auch den Abwasch erledigt, obwohl Billy und ich ihr mehrfach versichert hatten sie müsste das nicht tun. Es schien ihr unangenehm, dass sie ohne Gegenleistung bei uns wohnen sollte. Die Gedanken an Nell streifte ich ab, als ich durch die Terrassentür von Sam’s Haus trat. Drinnen empfing mich Emily und stellte mir gleich ein Glas Milch und einen Korb mit Muffins vor die Nase. „Sam wird gleich bei Dir sein, er braucht noch einen Moment.“ Ich wollte fragen was denn los sei, als sich die Schlafzimmertür öffnete und Sam auf mich zukam. Seine Augen waren von tiefen dunklen Ringen gezeichnet und auch wenn sein Körper so kräftig schien wie immer, war sein gang schlürfend und seine Schultern hingen herab. Ich blickte ihn überrascht an, immer noch in Erwartung einer Standpauke. Er setzte sich zu mir an den Tisch und sah mir zu wie ich den letzten Bissen eines Muffins mit einem großen Schluck Milch herunterspülte.
„Sam es tut mir leid, dass…“ fing ich an zu sprechen, aber er brachte mich mit einer Handbewegung zum Schweigen. „Ich weiß, dass Du Deine Gründe hattest uns zu verlassen. Es war unmöglich Deinen Schmerz zu überhören, aber ich kann nicht länger Deine Aufgaben übernehmen.“ Ich sah ihn verwirrt an. „Aber Sam, was hat sich denn verändert? Ich überlasse Dir die Rolle des Alpha und werde Dir von nun an wieder als Beta zur Seite stehen.“ „Nein Jake, es geht nicht mehr. Die Monate ohne Dich waren hart und meine Wut auf die Cullens hat meinen Blick getrübt.“ Zärtlich fiel sein Blick auf Emily und verzerrte sich schmerzlich als er ihre vernarbte Wange streifte. „Noch immer tragen sie für mich Schuld daran an dem was ich bin und somit auch an dem was ich Emily angetan habe. Aus dieser Wut heraus hätte ich fast katastrophale Entscheidungen getroffen. Jake, wir hätten fast ein Kind getötet. Auch wenn es ein Halbwesen ist, es ist ein Kind.“ Er legte die Stirn in die Hände und starrte kopfschüttelnd auf die Tischplatte.
Emily ging zu ihm und strich im zärtlich über Haar. Er blickte zu ihr auf, lächelnd sie an und sprach dann weiter zu mir. „Emily war es, die mich aufgehalten hat. Sie hat mir klar gemacht, dass Bella freiwillig zu dem geworden ist, was sie jetzt ist und dass das Wesen was ich töten wollte ein Kind ist, das eine Mutter und einen Vater hat.“ Unfähig noch etwas zu sagen saß ich ihm gegenüber. Ich war solch ein Egoist. Weil es mir schlecht ging, ließ ich alle allein, wälzte die Last die ich zu tragen hatte auf ihre Schultern und ließ sie daran fast verzweifeln. Was hatte ich Sam angetan, der sich meiner angenommen hatte als ich nicht wusste was mit mir geschah? Schließlich fand ich meine Sprache wieder: „Entschuldige bitte Sam. Ich hab nur an mich gedacht und dabei aus den Augen verloren, dass es hier nun mal nicht nur um mich geht. Meine Blutlinie macht mich zum Anführer unseres Rudels und das kann ich nicht ändern, aber ich kann endlich anfangen meine Aufgaben wahrzunehmen“. Man konnte regelrecht sehen wie sich eine Last von Sam Brust hob. Seine Schultern strafften sich, Spannung kehrte in seinen Körper zurück und die Erschöpfung wich zaghafter Hoffnung.
„Ich werde Dich unterstützen wo ich kann, aber ich bin froh, dass Du Deine Aufgabe nun endlich annimmst“ sagte er schließlich.
Wir wurden jäh unterbrochen, als die Terrassentür geöffnet wurde und der Rest des Rudels hereinpolterte. Das übliche Geflachse erstarb schlagartig. Die Blicke gingen zwischen Sam und mir hin und her, aber es brauchte keine Wolfsgestalt und kein Gedankenlesen für sie um zu erkennen, dass ein Führungswechsel statt gefunden hatte. Sam’s Erleichterung und meine Bürde schienen sich für sie deutlich sichtbar in unserer Körpersprache zu spiegeln. Leah war die erste die Worte fand: „Gut, wenn das geklärt wäre, dann können wir ja jetzt los.“ Ich sah wie gewohnt Sam an, aber dann fiel mir wieder ein, dass es nun an mir war, das Rudel zu anzuleiten und zu führen. Der Gedanke, dass meine Entscheidungen von nun an über das Geschick, dieses, meines Rudels bestimmen würden, ja sogar über dass meines gesamten Stammes, machte mir Angst, ließ mich schier panisch werden, aber ich schluckte die Panik herunter und fokussierte mich auf unsere nächstes Ziel: Nathan´s Vernichtung.
Nell verwirrte mich. Absolut. Wenn ich ihre zarte, kleine Gestalt betrachtete, mit dem weichen blonden Haar, hatte ich das Bedürfnis sie zu beschützen. Doch nachdem sie mir mehr über sich erzählt hatte, war ich mir nicht mehr so ganz sicher, ob nicht vielleicht doch sie die Stärkere von uns beiden war. Alles was ich ihr voraus hatte war meine körperliche Stärke und die war ich bereit ganz für sie einzusetzen, damit sie endlich wieder ein normales Leben führen könnte.
Meine Versuche, sie zu überreden ins Haus zu gehen schlugen fehl. Sie wollte einfach noch ein bisschen alleine in der Sonne sitzen und ihre Gedanken sortieren und so ließ ich sie allein, um schon mal mit Dad zu reden. Ich erzählt ihm ihre Geschichte, lies aber ihre Gaben aus. Das schien mir zu persönlich, etwas über das sie lieber selbst mit ihm reden sollte.
„Junge, wenn Du mit der Couch auskommst ist es keine Problem, dass sie erstmal hier bleibt und sie durchzufüttern, sollte bei den Mengen die Du täglich verschlingst sicher auch kein Problem sein. So ein zartes Persönchen isst ja sicher nicht mehr als einen Apfel am Tag“ sagte er schmunzelnd. „Dad!“ lachte ich „Naja vielleicht sind es auch zwei Äpfel. Du verzichtest einfach auf eine Kiste pro Monat, dann kriegen wir das hin.“ Dad grinste. Es tat gut einfach ein bisschen mit meinem Vater zu scherzen.
Zaghaft klopfte es am Rahmen der offnen Tür. Nell stand im Türrahmen, immer noch im Sterntaleroutfit, die langen blonden Haare leicht zerzaust herabhängend, während sie die nackten Füße abwechselnd übereinander rieb um sie zu wärmen. „Entschuldigt bitte, ich wollte nicht stören.“ „Du störst nicht Kind, komm rein“ sagte Dad „schließlich ist es ab heute auch Dein Zuhause.“ Nell huschte herein, auf halben wegen zu meiner Kammer drehte sie um, kam zu mir legte einen Arm um meine Taille und drückte ihren Kopf kurz an meine Brust. Vielleicht wollte sie mir um den Hals fallen, aber dazu war sie nicht groß genug. Dann ging sie zu Dad und fiel ihm um den Hals. Der wusste gar nicht wie er mit dieser unerwarteten Zuneigung umgehen sollte und tätschelte ihr leicht verlegen den Rücken. „Schon gut“ sagte er dabei. Als sein Blick meinen traf, sah ich, dass seine Augen verdächtig feucht waren, ob der Herzlichkeit der Umarmung. Nell löste sich und huschte wieder Richtung Kammer. „Zweite Tür links“ rief ich ihr hinterher. „Danke“ rief sie zurück, während man aus der Kammer Reißverschlüsse und Kleiderrascheln hörte und dann die Tür zum Badezimmer.
Nachmittags kam Emily wie angekündigt noch einmal vorbei. Nell erschrak als sie Emily sah. Zuerst dachte ich die Narbe hätte sie erschreckt, doch dann sagte Nell verdutzt: „Die Frau aus meinen Traum.“ Emily reichte ihr die Hand. „ Ich bin Emily. Du hast nicht von mir geträumt, ich hab mich gestern um Dich gekümmert, als Jake Dich hierher brachte. Wie geht es Dir denn heute?“ Etwas verlegen nahm Nell die angebotene Hand „ Nell. Dankeschön, es geht mir sehr gut.“ „Wenn ich darf, würde ich mir Deine Wunde gerne noch mal ansehen?“ Nell nahm ihre Haare mit beiden Händen im Nacken zusammen und legte sie sich über die recht Schulter, so dass Emily sich die Wunde an der linken Halsseite ansehen konnte. „ Sehr schön, sieht schon gut aus.“ Sie zauberte aus ihrer Tasche einen kleinen Tiegel hervor. „Ich hab Dir eine Salbe aus Arnica, Calendula und Tollkirsche gemacht. Damit sollte Deine Wunde schnell abheilen und keine Probleme machen.“ Nell nahm den Tiegel. „Danke. Eure Fürsorge macht mich ganz verlegen. Ich weiß gar nicht wie ich das jemals wieder gut machen soll.“ Emily lachte.
„Das geht schon alles in Ordnung denke ich“ sagte sie mit einem Blick zu mir. „Ich muss jetzt weiter.“ Im Türahmen drehte sie sich noch mal um. „Jake, Sam möchte heute Nacht auf Streife gehen. Vielleicht kommst Du vorher noch zu uns. Er muss noch mit Dir reden.“ „Klar sagte ich. Kein Problem.“ Doch die Wahrheit war, dass ich mich sehr unwohl fühlte Sam wieder unter die Augen zu treten. Ich hatte ihn mit der Rolle des Leitwolfs ganz alleine gelassen, obwohl ich versprochen hatte ihn zu unterstützen, wenn er an meiner statt die Rolle des Alpha übernahm. „Ok, bis nachher Jake. Ich hab auch Muffins da“ sagte Emily im Gehen. Na wenigstens könnte ich essen, während Sam mich böse anfunkeln würde.
Nach dem Abendessen machte ich mich auf dem Weg zu Emily und Sam. Mein Bauch war voll von dem Essen das Nell gekocht hatte und sie hatte auch den Abwasch erledigt, obwohl Billy und ich ihr mehrfach versichert hatten sie müsste das nicht tun. Es schien ihr unangenehm, dass sie ohne Gegenleistung bei uns wohnen sollte. Die Gedanken an Nell streifte ich ab, als ich durch die Terrassentür von Sam’s Haus trat. Drinnen empfing mich Emily und stellte mir gleich ein Glas Milch und einen Korb mit Muffins vor die Nase. „Sam wird gleich bei Dir sein, er braucht noch einen Moment.“ Ich wollte fragen was denn los sei, als sich die Schlafzimmertür öffnete und Sam auf mich zukam. Seine Augen waren von tiefen dunklen Ringen gezeichnet und auch wenn sein Körper so kräftig schien wie immer, war sein gang schlürfend und seine Schultern hingen herab. Ich blickte ihn überrascht an, immer noch in Erwartung einer Standpauke. Er setzte sich zu mir an den Tisch und sah mir zu wie ich den letzten Bissen eines Muffins mit einem großen Schluck Milch herunterspülte.
„Sam es tut mir leid, dass…“ fing ich an zu sprechen, aber er brachte mich mit einer Handbewegung zum Schweigen. „Ich weiß, dass Du Deine Gründe hattest uns zu verlassen. Es war unmöglich Deinen Schmerz zu überhören, aber ich kann nicht länger Deine Aufgaben übernehmen.“ Ich sah ihn verwirrt an. „Aber Sam, was hat sich denn verändert? Ich überlasse Dir die Rolle des Alpha und werde Dir von nun an wieder als Beta zur Seite stehen.“ „Nein Jake, es geht nicht mehr. Die Monate ohne Dich waren hart und meine Wut auf die Cullens hat meinen Blick getrübt.“ Zärtlich fiel sein Blick auf Emily und verzerrte sich schmerzlich als er ihre vernarbte Wange streifte. „Noch immer tragen sie für mich Schuld daran an dem was ich bin und somit auch an dem was ich Emily angetan habe. Aus dieser Wut heraus hätte ich fast katastrophale Entscheidungen getroffen. Jake, wir hätten fast ein Kind getötet. Auch wenn es ein Halbwesen ist, es ist ein Kind.“ Er legte die Stirn in die Hände und starrte kopfschüttelnd auf die Tischplatte.
Emily ging zu ihm und strich im zärtlich über Haar. Er blickte zu ihr auf, lächelnd sie an und sprach dann weiter zu mir. „Emily war es, die mich aufgehalten hat. Sie hat mir klar gemacht, dass Bella freiwillig zu dem geworden ist, was sie jetzt ist und dass das Wesen was ich töten wollte ein Kind ist, das eine Mutter und einen Vater hat.“ Unfähig noch etwas zu sagen saß ich ihm gegenüber. Ich war solch ein Egoist. Weil es mir schlecht ging, ließ ich alle allein, wälzte die Last die ich zu tragen hatte auf ihre Schultern und ließ sie daran fast verzweifeln. Was hatte ich Sam angetan, der sich meiner angenommen hatte als ich nicht wusste was mit mir geschah? Schließlich fand ich meine Sprache wieder: „Entschuldige bitte Sam. Ich hab nur an mich gedacht und dabei aus den Augen verloren, dass es hier nun mal nicht nur um mich geht. Meine Blutlinie macht mich zum Anführer unseres Rudels und das kann ich nicht ändern, aber ich kann endlich anfangen meine Aufgaben wahrzunehmen“. Man konnte regelrecht sehen wie sich eine Last von Sam Brust hob. Seine Schultern strafften sich, Spannung kehrte in seinen Körper zurück und die Erschöpfung wich zaghafter Hoffnung.
„Ich werde Dich unterstützen wo ich kann, aber ich bin froh, dass Du Deine Aufgabe nun endlich annimmst“ sagte er schließlich.
Wir wurden jäh unterbrochen, als die Terrassentür geöffnet wurde und der Rest des Rudels hereinpolterte. Das übliche Geflachse erstarb schlagartig. Die Blicke gingen zwischen Sam und mir hin und her, aber es brauchte keine Wolfsgestalt und kein Gedankenlesen für sie um zu erkennen, dass ein Führungswechsel statt gefunden hatte. Sam’s Erleichterung und meine Bürde schienen sich für sie deutlich sichtbar in unserer Körpersprache zu spiegeln. Leah war die erste die Worte fand: „Gut, wenn das geklärt wäre, dann können wir ja jetzt los.“ Ich sah wie gewohnt Sam an, aber dann fiel mir wieder ein, dass es nun an mir war, das Rudel zu anzuleiten und zu führen. Der Gedanke, dass meine Entscheidungen von nun an über das Geschick, dieses, meines Rudels bestimmen würden, ja sogar über dass meines gesamten Stammes, machte mir Angst, ließ mich schier panisch werden, aber ich schluckte die Panik herunter und fokussierte mich auf unsere nächstes Ziel: Nathan´s Vernichtung.
Zuletzt von Aud am Di 24 Aug 2010, 11:55 bearbeitet; insgesamt 2-mal bearbeitet
Re: Indian Summer
Kapitel 6 (Jacob)
Erst im Morgengrauen kehrten wir von unserer Patrouille zurück. Wir hatten nichts erreicht. Unsere Suche dehnte sie nur auf das Gebiet des Reservates aus und dort war keine Spur von Nathan zu finden. Ich wäre gerne über die Grenzen hinausgegangen, doch Sam redete mir ins Gewissen, dass es nur unsere Aufgabe sei zu Verteidigen. Solange uns niemand Angriff, hatten wir nicht das Recht zu Kämpfen. Im Grunde konnten wir also nur über Nell wachen, während wir sie praktisch als Köder auf dem Silbertablett Nathan darboten. Ich konnte an den Tatsachen nichts ändern, aber es gefiel mir gar nicht handlungsunfähig zu sein. Meine erste Nacht mit dem Rudel, nach so langer Zeit hatte mich erschöpft. Es war schwierig für mich mit all ihren Gedanken in meinem Kopf klar zu kommen. In der Zeit meiner Abwesenheit hatte ich verlernt damit zu leben. Das Wissen um meine neue Verantwortung machte es mir nicht eben leichter. Nachdem wir uns für die nächste Nacht wieder verabredet hatten kehrte ich nach Hause zurück.
Da ich zu aufgewühlt war um gleich zu schlafen, wollte ich unter die Dusche steigen. Vielleicht würde das Wasser die Anspannung vertreiben. Doch als ich das Bad betreten konnte erregten Laute aus der Kammer meine Aufmerksamkeit. Nells erstickte Stimme, die immer wieder leise „Nein“ rief. Ich ging hinein und fand sie, wie sie sich heftig hin und her wälzte, ganz gefangen in ihrem Alptraum. Da sie auf meine Ansprache nicht reagierte, setzte ich mich auf die Bettkante und nahm ihre Hand. Sie schrak zusammen, kämpfte sich aber langsam an die Oberfläche ihrer Traumwelt und als ich sie noch mal ansprach öffnete sie die Augen. „Jake?“ „Ja, ich bin es.“ Sie beruhigte sich. „Ich hab geträumt“ sagte sie mehr zu sich selbst als zu mir. „Es ist alles in Ordnung. Du bist in Sicherheit bei mir. Schlaf weiter.“ Ich wollte ihr Hand loslassen und mich erheben, doch sie hielt mich fest. „Lass mich nicht allein“ sagte sie flehendlich. Stumm sahen wir uns in die Augen. Ich lehnte mich weiter zu ihr und strich ihr mit der freien Hand die wirren Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Keine Sorge. Ich werde Dich nicht allein lassen.“ Ich hob ihre Hand an meine Lippen und küsste ihre Fingerspitzen. „Schlaf! Ich werde auf die acht geben.“ Sie schenkte mir ein Lächeln und schloss die Augen. Bald darauf fand sie wieder in den Schlaf. Ich merkte es daran wie sich ihre Atmung verlangsamte und die Spannung ihres Körpers nachließ. Vorsichtig gab ich ihre Hand frei und setzte mich an die dem Bett gegenüberlegende Wand. Ich sah Nell eine Weile beim Schlafen zu und merkte wie auch meine Anspannung von mir abfiel. Trotz meiner unbequemen Haltung fand schließlich auch ich in den Schlaf.
Es war gut wieder Zuhause zu sein und weit weniger schlimm als ich gedacht hatte. Meine neue Verantwortung machte mir manchmal zu schaffen, aber mit Nell an meiner Seite war es manchmal sogar schön. Wann immer ich anfing an Bella zu denken war sie da, lenkte mich ab oder hörte mir einfach nur zu. Ich wollte das Gleiche auch für sie tun, aber oft verschloss sie sich vor mir. Dennoch fühlte ich mich ihr so nah als würde ich sie schon Jahre kennen. Wenn Dad schon im Bett war saßen wir noch oft bis spätabends draußen auf der Veranda und redeten. Ich genoss es wenn sie vor der Kälte Schutz in meinen Armen suchte und hätte ewig so mit ihr dort sitzen können. Aber jeden Abend musste ich weg, musste mit dem Rudel die Wälder nach Nathan absuchen und sie allein lassen. Jede Nacht, wenn ich wieder zurückkam, sah ich nach hier und sah ihr eine Weile beim Schlafen zu, bis ich die nötige Ruhe hatte um mich selbst hinzulegen.
Jede Nacht durchkämmten wir die Wälder des Reservats und kehrten unverrichteter Dinge zurück. Es war keine Spur von Nathan zu finden. Im Rudel spürte ich eine Unruhe, die besonders von Paul auszugehen schien. Er schien seine Gedanken vor mir zu verbergen und zu rief ich ein erneutes Treffen bei Sam ein, um die Dinge anzusprechen, die unter der Oberfläche schwelten. Außerdem bemerkte ich, dass Nell langsam unruhig wurde. Ich hatte sie erstmal gebeten das Reservat nicht zu verlassen damit sie sicher war, aber ihr gefiel es gar nicht uns auf der Tasche zu liegen, wie sie sich ausdrückte. Dabei empfanden Billy und ich sie als einen Segen. Sie machte uns den kompletten Haushalt, kochte für uns und wir brauchten uns um nichts mehr zu kümmert. Ihr schien das dennoch zu wenig. Sie wollte sich unbedingt in Forks eine Job suchen.
„Nell das geht nicht. Du darfst das Reservat nicht verlassen“ sagte ich ihr nachdem sie beim Abendessen wieder einmal danach gefragt hatte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Das geht sehr wohl Jacob.“ Sie warf mir einen wütenden Blick zu. „Wir können außerhalb des Reservats nicht für Deine Sicherheit garantieren.“ „Aber ich kann doch nicht mein ganzes Leben einfrieren. Ich leb seit zwei Jahren mit einem irren Vampir im Nacken. Hätte ich mich immer in ein Mauseloch verkrochen wäre ich jetzt mindestens genauso irre wie er.“ Sie sprang von ihrem Stuhl auf, so dass er fast umgestürzt wäre und rannte nach draußen. Ich lief ihr nach. „Nell, jetzt warte doch mal.“ Sie saß auf den Stufen der Veranda und war ganz darin vertieft böse mit mir zu sein. „Ach Nell, sei doch nicht so kratzbürstig“ sagte ich während ich mir zu ihr setzte. „Du bist ja auch nicht hier eingesperrt. Dir verbietet ja kein großer klotzköpfiger Kerl irgendwo hinzu gehen. Ich darf ja nicht mal alleine einen Spaziergang machen.“ Ihre Augen blitzten mich vorwurfsvoll an. Ich hatte so gar keine Lust auf Streit. Ich wollte einfach nur hier mit ihr sitzen bevor ich aufbrechen musste und sie ansehen. „Ich will Dich doch nur beschützen“ sagte ich kleinlaut. „Kann sein, dass ich es manchmal etwas übertreibe.“ „Das weiß ich doch, aber mir fällt die Decke auf den Kopf und ich komm mir so unnütz vor.“ Sie lies die Schultern resigniert fallen. Ich legte den Arm um sie und zog sie zu mir. „Lass uns nicht streiten. Ich muss jetzt los. Wir reden morgen weiter.“ Ich küsste sie auf die blonden Haare und versuchte mir nicht anmerken zu lassen wie widerwillig ich sie verließ. Als ich aufstand hielt sie mich an der Hand fest. „ Pass auf Dich auf Jake.“ Ich drückte ihre Hand kurz und zwinkerte ihr zu, dann machte ich mich auf den Weg.
Von einem Streit zum nächsten dachte ich mir, während ich bei Sam am Esstisch Platz nahm. Noch war es ruhig. Die Ruhe vor dem Sturm. Emily hatte wieder für uns gebacken und der Duft nach warmen Muffins erfüllte das Haus. Dennoch fühlte ich mich nicht wohl in meiner Haut. Der Rest des Rudels erschien auf einen Schlag. Die Spannung die zwischen Sam und Leah immer noch herrschte machte die Sache auch nicht besser, also sprach ich einfach geradeheraus. „Es ist etwas zwischen uns nicht in Ordnung. Ich merke, dass einige von euch ihre Gedanken vor mir verstecken. Wenn jemand von euch mir was zu sagen hat, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt dazu.“ Niemand sagte was. Ich wollte gerade weiter reden, als Paul lospolterte: „Bitte, wenn sich keiner traut was zusagen, dann mach ich das eben.“ Er sah mich herausfordernd an. „Wir schlagen uns Nacht für Nacht um die Ohren, für eine Fremde. Warum tun wir das?“ Ich wollte etwas erwidern, aber zu unser aller Überraschung ergriff Emily das Wort. Ihre Stimme war ungewohnt hart als sie zu Paul sprach: „Lern sie kennen, dann weißt Du es.“ Sie war soeben dabei gewesen Milch auszuschenken und als sie Pauls Glas jetzt wieder vor ihn stellte tat sie das mit einer solchen Wucht, dass die Milch überschwappte. Keiner von uns sagte etwas, denn keiner von uns hatte Emily je wütend erlebt. Auch Paul war plötzlich mundtot. „Danke Emily“ sagte ich schließlich „Verschieben wir das Ganze hier auf Morgen und dann werde ich Nell mitbringen. Vielleicht klärt sich die Frage nach dem Warum, wenn sie selbst mit euch redet. Heute Nacht lassen wir das mit der Streife. Wir brauchen alle mal eine Pause.“ Prima dachte ich. Ich bin ein toller Anführer. Meine Leute stellen mich in Frage und geklärt haben wir auch nichts. Es herrschte eine unangenehme Stimmung und so brachen alle schnell auf, nachdem sie ausgetrunken und aufgegessen hatten. Als Paul zur Tür herauswollte Griff ich ihn an der Schulter. Sofort spannten sich seine Muskeln an, jederzeit bereit es mit mir aufzunehmen. „Paul, sie ist zwei Jahre vor diesem Scheißkerl geflohen. Ich kann das nicht länger zulassen.“ Zwar war ich ihm eine Rechenschaft schuldig, hatte aber dennoch das Bedürfnis mich zu erklären. Er blickte nur in Richtung meiner Hand und fauchte: „Nimm Deine Hand da weg. Ich will gehen.“ „Schon gut.“ Ich hob beschwichtigend die Hände und ließ ihn gehen. „Das wird schon“ sagte Emily aufmunternd. „Wenn Du morgen Nell mitbringst, dann werden sie es verstehen.“ „Das hoffe ich. Ansonsten mach ich allein weiter. Mit einem Rudel, das nicht hinter mir steht kann ich nichts anfangen. Sam, wie hast Du es nur die ganze Zeit mit uns ausgehalten?“ Sam lächelte und zuckte mit den Schultern. Seit er nur noch Rudelmitglied war lächelte er viel öfter als früher und nun erfuhr ich am eigenen Leib den Grund für seine frühern Gram. „Gute Nacht ihr beiden.“ „Komm gut nach Hause Jacob“ sagte Emily und entließ mich in die Nacht. Auf dem Weg nach Hause dachte ich drüber nach wie viel einfacher das Leben als Wolf doch war. Nicht nur die Emotionen waren anders, nein, ich hätte auch ganz einfach meine Führungsposition deutlich machen können in dem ich Paul einfach auf den Rücken geworfen hätte und seine Unterwerfung abgewartet hätte. Aber wir waren nun mal in erster Linie Menschen, also musste ich einen anderen Weg finden um meine Stellung zu behaupten.
Erst im Morgengrauen kehrten wir von unserer Patrouille zurück. Wir hatten nichts erreicht. Unsere Suche dehnte sie nur auf das Gebiet des Reservates aus und dort war keine Spur von Nathan zu finden. Ich wäre gerne über die Grenzen hinausgegangen, doch Sam redete mir ins Gewissen, dass es nur unsere Aufgabe sei zu Verteidigen. Solange uns niemand Angriff, hatten wir nicht das Recht zu Kämpfen. Im Grunde konnten wir also nur über Nell wachen, während wir sie praktisch als Köder auf dem Silbertablett Nathan darboten. Ich konnte an den Tatsachen nichts ändern, aber es gefiel mir gar nicht handlungsunfähig zu sein. Meine erste Nacht mit dem Rudel, nach so langer Zeit hatte mich erschöpft. Es war schwierig für mich mit all ihren Gedanken in meinem Kopf klar zu kommen. In der Zeit meiner Abwesenheit hatte ich verlernt damit zu leben. Das Wissen um meine neue Verantwortung machte es mir nicht eben leichter. Nachdem wir uns für die nächste Nacht wieder verabredet hatten kehrte ich nach Hause zurück.
Da ich zu aufgewühlt war um gleich zu schlafen, wollte ich unter die Dusche steigen. Vielleicht würde das Wasser die Anspannung vertreiben. Doch als ich das Bad betreten konnte erregten Laute aus der Kammer meine Aufmerksamkeit. Nells erstickte Stimme, die immer wieder leise „Nein“ rief. Ich ging hinein und fand sie, wie sie sich heftig hin und her wälzte, ganz gefangen in ihrem Alptraum. Da sie auf meine Ansprache nicht reagierte, setzte ich mich auf die Bettkante und nahm ihre Hand. Sie schrak zusammen, kämpfte sich aber langsam an die Oberfläche ihrer Traumwelt und als ich sie noch mal ansprach öffnete sie die Augen. „Jake?“ „Ja, ich bin es.“ Sie beruhigte sich. „Ich hab geträumt“ sagte sie mehr zu sich selbst als zu mir. „Es ist alles in Ordnung. Du bist in Sicherheit bei mir. Schlaf weiter.“ Ich wollte ihr Hand loslassen und mich erheben, doch sie hielt mich fest. „Lass mich nicht allein“ sagte sie flehendlich. Stumm sahen wir uns in die Augen. Ich lehnte mich weiter zu ihr und strich ihr mit der freien Hand die wirren Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Keine Sorge. Ich werde Dich nicht allein lassen.“ Ich hob ihre Hand an meine Lippen und küsste ihre Fingerspitzen. „Schlaf! Ich werde auf die acht geben.“ Sie schenkte mir ein Lächeln und schloss die Augen. Bald darauf fand sie wieder in den Schlaf. Ich merkte es daran wie sich ihre Atmung verlangsamte und die Spannung ihres Körpers nachließ. Vorsichtig gab ich ihre Hand frei und setzte mich an die dem Bett gegenüberlegende Wand. Ich sah Nell eine Weile beim Schlafen zu und merkte wie auch meine Anspannung von mir abfiel. Trotz meiner unbequemen Haltung fand schließlich auch ich in den Schlaf.
Es war gut wieder Zuhause zu sein und weit weniger schlimm als ich gedacht hatte. Meine neue Verantwortung machte mir manchmal zu schaffen, aber mit Nell an meiner Seite war es manchmal sogar schön. Wann immer ich anfing an Bella zu denken war sie da, lenkte mich ab oder hörte mir einfach nur zu. Ich wollte das Gleiche auch für sie tun, aber oft verschloss sie sich vor mir. Dennoch fühlte ich mich ihr so nah als würde ich sie schon Jahre kennen. Wenn Dad schon im Bett war saßen wir noch oft bis spätabends draußen auf der Veranda und redeten. Ich genoss es wenn sie vor der Kälte Schutz in meinen Armen suchte und hätte ewig so mit ihr dort sitzen können. Aber jeden Abend musste ich weg, musste mit dem Rudel die Wälder nach Nathan absuchen und sie allein lassen. Jede Nacht, wenn ich wieder zurückkam, sah ich nach hier und sah ihr eine Weile beim Schlafen zu, bis ich die nötige Ruhe hatte um mich selbst hinzulegen.
Jede Nacht durchkämmten wir die Wälder des Reservats und kehrten unverrichteter Dinge zurück. Es war keine Spur von Nathan zu finden. Im Rudel spürte ich eine Unruhe, die besonders von Paul auszugehen schien. Er schien seine Gedanken vor mir zu verbergen und zu rief ich ein erneutes Treffen bei Sam ein, um die Dinge anzusprechen, die unter der Oberfläche schwelten. Außerdem bemerkte ich, dass Nell langsam unruhig wurde. Ich hatte sie erstmal gebeten das Reservat nicht zu verlassen damit sie sicher war, aber ihr gefiel es gar nicht uns auf der Tasche zu liegen, wie sie sich ausdrückte. Dabei empfanden Billy und ich sie als einen Segen. Sie machte uns den kompletten Haushalt, kochte für uns und wir brauchten uns um nichts mehr zu kümmert. Ihr schien das dennoch zu wenig. Sie wollte sich unbedingt in Forks eine Job suchen.
„Nell das geht nicht. Du darfst das Reservat nicht verlassen“ sagte ich ihr nachdem sie beim Abendessen wieder einmal danach gefragt hatte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Das geht sehr wohl Jacob.“ Sie warf mir einen wütenden Blick zu. „Wir können außerhalb des Reservats nicht für Deine Sicherheit garantieren.“ „Aber ich kann doch nicht mein ganzes Leben einfrieren. Ich leb seit zwei Jahren mit einem irren Vampir im Nacken. Hätte ich mich immer in ein Mauseloch verkrochen wäre ich jetzt mindestens genauso irre wie er.“ Sie sprang von ihrem Stuhl auf, so dass er fast umgestürzt wäre und rannte nach draußen. Ich lief ihr nach. „Nell, jetzt warte doch mal.“ Sie saß auf den Stufen der Veranda und war ganz darin vertieft böse mit mir zu sein. „Ach Nell, sei doch nicht so kratzbürstig“ sagte ich während ich mir zu ihr setzte. „Du bist ja auch nicht hier eingesperrt. Dir verbietet ja kein großer klotzköpfiger Kerl irgendwo hinzu gehen. Ich darf ja nicht mal alleine einen Spaziergang machen.“ Ihre Augen blitzten mich vorwurfsvoll an. Ich hatte so gar keine Lust auf Streit. Ich wollte einfach nur hier mit ihr sitzen bevor ich aufbrechen musste und sie ansehen. „Ich will Dich doch nur beschützen“ sagte ich kleinlaut. „Kann sein, dass ich es manchmal etwas übertreibe.“ „Das weiß ich doch, aber mir fällt die Decke auf den Kopf und ich komm mir so unnütz vor.“ Sie lies die Schultern resigniert fallen. Ich legte den Arm um sie und zog sie zu mir. „Lass uns nicht streiten. Ich muss jetzt los. Wir reden morgen weiter.“ Ich küsste sie auf die blonden Haare und versuchte mir nicht anmerken zu lassen wie widerwillig ich sie verließ. Als ich aufstand hielt sie mich an der Hand fest. „ Pass auf Dich auf Jake.“ Ich drückte ihre Hand kurz und zwinkerte ihr zu, dann machte ich mich auf den Weg.
Von einem Streit zum nächsten dachte ich mir, während ich bei Sam am Esstisch Platz nahm. Noch war es ruhig. Die Ruhe vor dem Sturm. Emily hatte wieder für uns gebacken und der Duft nach warmen Muffins erfüllte das Haus. Dennoch fühlte ich mich nicht wohl in meiner Haut. Der Rest des Rudels erschien auf einen Schlag. Die Spannung die zwischen Sam und Leah immer noch herrschte machte die Sache auch nicht besser, also sprach ich einfach geradeheraus. „Es ist etwas zwischen uns nicht in Ordnung. Ich merke, dass einige von euch ihre Gedanken vor mir verstecken. Wenn jemand von euch mir was zu sagen hat, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt dazu.“ Niemand sagte was. Ich wollte gerade weiter reden, als Paul lospolterte: „Bitte, wenn sich keiner traut was zusagen, dann mach ich das eben.“ Er sah mich herausfordernd an. „Wir schlagen uns Nacht für Nacht um die Ohren, für eine Fremde. Warum tun wir das?“ Ich wollte etwas erwidern, aber zu unser aller Überraschung ergriff Emily das Wort. Ihre Stimme war ungewohnt hart als sie zu Paul sprach: „Lern sie kennen, dann weißt Du es.“ Sie war soeben dabei gewesen Milch auszuschenken und als sie Pauls Glas jetzt wieder vor ihn stellte tat sie das mit einer solchen Wucht, dass die Milch überschwappte. Keiner von uns sagte etwas, denn keiner von uns hatte Emily je wütend erlebt. Auch Paul war plötzlich mundtot. „Danke Emily“ sagte ich schließlich „Verschieben wir das Ganze hier auf Morgen und dann werde ich Nell mitbringen. Vielleicht klärt sich die Frage nach dem Warum, wenn sie selbst mit euch redet. Heute Nacht lassen wir das mit der Streife. Wir brauchen alle mal eine Pause.“ Prima dachte ich. Ich bin ein toller Anführer. Meine Leute stellen mich in Frage und geklärt haben wir auch nichts. Es herrschte eine unangenehme Stimmung und so brachen alle schnell auf, nachdem sie ausgetrunken und aufgegessen hatten. Als Paul zur Tür herauswollte Griff ich ihn an der Schulter. Sofort spannten sich seine Muskeln an, jederzeit bereit es mit mir aufzunehmen. „Paul, sie ist zwei Jahre vor diesem Scheißkerl geflohen. Ich kann das nicht länger zulassen.“ Zwar war ich ihm eine Rechenschaft schuldig, hatte aber dennoch das Bedürfnis mich zu erklären. Er blickte nur in Richtung meiner Hand und fauchte: „Nimm Deine Hand da weg. Ich will gehen.“ „Schon gut.“ Ich hob beschwichtigend die Hände und ließ ihn gehen. „Das wird schon“ sagte Emily aufmunternd. „Wenn Du morgen Nell mitbringst, dann werden sie es verstehen.“ „Das hoffe ich. Ansonsten mach ich allein weiter. Mit einem Rudel, das nicht hinter mir steht kann ich nichts anfangen. Sam, wie hast Du es nur die ganze Zeit mit uns ausgehalten?“ Sam lächelte und zuckte mit den Schultern. Seit er nur noch Rudelmitglied war lächelte er viel öfter als früher und nun erfuhr ich am eigenen Leib den Grund für seine frühern Gram. „Gute Nacht ihr beiden.“ „Komm gut nach Hause Jacob“ sagte Emily und entließ mich in die Nacht. Auf dem Weg nach Hause dachte ich drüber nach wie viel einfacher das Leben als Wolf doch war. Nicht nur die Emotionen waren anders, nein, ich hätte auch ganz einfach meine Führungsposition deutlich machen können in dem ich Paul einfach auf den Rücken geworfen hätte und seine Unterwerfung abgewartet hätte. Aber wir waren nun mal in erster Linie Menschen, also musste ich einen anderen Weg finden um meine Stellung zu behaupten.
Zuletzt von Aud am Di 24 Aug 2010, 10:36 bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
Re: Indian Summer
Kapitel 7 (Jacob)
Am nächsten Morgen freute sich Nell sehr über die Nachricht, dass sie das Rudel kennenlernen dürfte. „Endlich hier raus“ platzte sie beim Frühstück heraus „Entschuldige Billy, ist natürlich schön bei euch, aber ich muss einfach mal raus.“ Billy lachte. „Ist schon in Ordnung.“ Am Abend verschwand sie dann im Badezimmer und kam ewig nicht heraus. „Nell, was machst Du denn da drin“ fragte ich durch die geschlossene Tür, als es Zeit war zu gehen. „Nichts“ kam als Antwort. „Nichts dauert aber ziemlich lange bei Dir. Beeil Dich, wir müssen los.“ Dir Tür öffnete sich. „Ich will doch nur hübsch aussehen, wenn ich Deine Freunde kennenlerne.“ Ich verdrehte die Augen. „Jetzt komm, sonst sind wir zu spät.“ „Gut, dann stinke ich eben“ sagte sie in gespielt zickigem Tonfall und rümpfte die Nase. Ich ging auf ihr Spielchen ein: „Und wenn es so wäre Nell, wir gehen zu einem Rudel Wölfe. Die sind einiges gewöhnt. Glaubst Du wir riechen nach ner Nacht im Wald nach Blumenwiese?“ Sie lachte fröhlich. Es war schön, sie so freudig, aufgeregt und ausgelassen zu sehen.
Natürlich kamen wir zu spät. Alle anderen waren schon da. Als Nell und ich die Hütte betraten richteten sich alle Blicke auf uns. „Da sind wir“ sagte ich. Ok, das sahen sie auch so. Sprachloses Starren. Leah war die erste die Worte fand. „Warum hast Du uns das nicht gleich gesagt?“ „Was gesagt“ fragte ich. Ich hatte keine Ahnung wovon sie redete. „Na dass Du Dich auf sie geprägt hast.“ „Bitte was“ fragte ich entgeistert. „Prägung? Du erinnerst Dich? Oder hast Du während Deiner Abwesenheit noch andere Erinnerungen verloren als die, die Du verlieren wolltest?“ „Leah lass gut sein. Ich glaub er weiß es wirklich nicht“ sagte Embry. „Was ist Prägung“ fragte mich Nell etwas ängstlich. Doch ich konnte ihr nicht Antworten. Meine Knie wurden weich, doch bevor sie unter mir nachgeben konnten hatte Quil mir einen Stuhl untergeschoben. Emily führte Nell zu einem anderen. „Alles ok Nell. Nimm Platz. Wir werden Dir gleich erzählen was es mit der Prägung auf sich hat. Erst muss Jake….naja……er ist gerade einfach etwas verwirrt.“ Etwas verwirrt war sehr milde ausgedrückt. Fassungslos nahm ich das Glas Wasser, dass Sam mir hinhielt und trank. „Wie?...Ich….Wie kann“ stammelte ich ohne einen zusammenhängen Satz zustande zu bringen. „Ich dachte ich wäre nur….wie kann das sein?“
Ich erinnerte mich an unsere erste Begegnung im Wald. Ihr Geruch der mich zu ihr geführt hatte, das in der Sonne fast weiße Haar und ihre Augen, in den wechselhaften Farben des Meeres. Plötzlich spürte ich wie sich tief in mir ein Gefühl ans Freie kämpfte, die Ketten abstreifte, in die ich es gelegt hatte und wie eine Flutwelle mein ganzes Sein überströmte. Ich hatte sie gefunden. Doch warum fühlte ich es erst jetzt? Ich schaute immer noch fassungslos und schockiert in die Runde. „Warum hab ich es nicht bemerkt?“ Allgemeine Ratlosigkeit schlug mir entgegen. „Wegen Bella.“ Alle Köpfe drehen sich in Pauls Richtung. Natürlich, Paul war sauer auf mich und spielte die Bellakarte aus. „Sie hat etwa in dir kaputt gemacht. Wie hättest Du es in dem Zustand zulassen können einem Menschen noch größere Macht über Dich zu geben, als Bella sie über dich hatte?“ Er schüttelte den Kopf. „Ich hab Dir und Nell Unrecht getan. Ich dachte Du wärst wieder genauso blöd. Hübsches Mädchen, Vampir, Wolf - die gleiche Story noch einmal. Und am Ende leidet der Wolf wieder und keiner weiß ob er das noch mal verkraftet.“ Hatte Paul sich etwa nur Sorgen um mich gemacht? „Jacob ich hätte Dir so was von in den Hintern getreten, wenn Du Dir das wieder angetan hättest. Aber das hier ist was anderes. Es ist einfach richtig.“ „Ich denke Paul hat absolut Recht. Du warst einfach zu aufgewühlt, um überhaupt ein Gefühl an Dich ran zu lassen und so ein Mächtiges schon gar nicht“ sagte Sam. Ich konnte es trotzdem nicht glauben. Dann sah ich Nell an. Obwohl meine Gefühle gerade Achterbahn fuhren, konnte ich die Prägung nun deutlich spüren. Allein, dass sie da war und dass es ihr gut ging, machte mich glücklich. Um diesen Zustand zu erhalten, würde ich meine Leben geben. Sie schaute etwas verunsichert zu mir herüber. „Erklärt mir nun auch jemand was los ist?“ „Nichts Schlimmes Nell“ beruhigte Emily sie. „Eigentlich sogar etwas sehr Schönes“ sagte sie mit einem zärtlichen Blick zu Sam „aber ich denke Jacob möchte es Dir vielleicht selbst erklären.“
Nell sah mich fragend an: „Jacob?“ „Nun“ ich räusperte mich „lass uns kurz nach draußen gehen.“ Mit immer noch zitternden Knien erhob ich mich und streckte ihr die Hand entgegen. Sie stand auf, kam zu mir und legte ihre Hand in meine. Wir gingen nach Draußen, ein Stück vom Haus weg. Mein Rudel als Publikum konnte ich gerade wirklich nicht gebrauchen. Ich kam mir vor, als würde ich ihr gleich einen Heiratsantrag machen, doch war das was ich ihr zu sagen hatte wesentlich befremdlicher. Ich suchte nach Worten, denn: Nell meine DNA denkt, dass Deine DNA die perfekte Ergänzung zu ihr wäre und sie hofft, dass indem sie mich unwiderruflich an Dich bindet, wir Nachkommen zeugen werden, wäre wohl kaum das Richtige. Würde das eine Frau zu mir sagen wäre ich wahrscheinlich über alle Berge noch bevor sie zu Ende gesprochen hätte.
Ich stand direkt vor ihr und hielt ihre Hände. Bestimmt eine Idee meiner DNA, die hoffte sie so am Weglaufen zu hindern, dachte ich grimmig. „Jake nun sag schon. Was ist Prägung“ sagte Nell ungeduldig zu mir aufschauend. „Ok. Wo fang ich an? Wen ein Wolf den einen Menschen trifft, bei dem es die besten Chancen auf geistig und körperlich gesunde Nachkommen gibt, werden der Wolf an diesen einen Menschen gebunden. Das nennt man Prägung. Nicht jedem Wolf passiert das, aber wenn, dann ist….es ist schwer zu beschreiben. Es ist als würde man sich verlieben, aber viel tiefer, mächtiger und allumfassender. Dieser eine Mensch wird dann….Alles.“ „Oh“ sagte sie leise und erstaunt. Dann wurden ihre Augen groß. „Muss ich jetzt…, müssen wir jetzt…“ stammelte sie sichtlich verlegen. „Du musst gar nichts“ sagte ich. „Nur ich bin an Dich gebunden. Ich werde für Dich da sein und sein was immer Du gerade brauchst. Nicht mehr und nicht weniger.“
Sie ließ meine Hände los und trat ein Stück von mir zurück. „Jake, das ist….das ist merkwürdig. Was wäre wenn ich nichts für Dich empfinden könnte oder Du immer nur ein Freund bleiben würdest?“ Mein Herz setzte bei ihren Worten für einen Moment aus. Nur ein Freund oder sogar weniger. „Dann müsste ich damit leben, auch wenn das nicht leicht für mich wäre.“ „Warum?“ „Weil diese Bindung an Dich geistig und körperlich so eng ist, dass es mir einfach weh tun würde wenn Du nicht bei mir wärst.“ „Dann ist es ja gut, dass ich auch etwas für Dich fühle.“ „Was?” „Du hast mich sehr wohl verstanden“ sagte sie und schenkte mir ein zaghaftes Lächeln und wurde dann aber sehr ernst. „Ich empfinde etwas für Dich, aber ich kann Dir nicht sagen wie weit diese Gefühle gehen. An meiner Seite war lange ein Mann den ich für meinen Seelenverwandten hielt und nachdem diese Verbindung zerstört würde, weiß ich nicht ob ich jemals wieder so für einen Menschen empfinden kann. Da ist eine kleine Flamme, aber ich weiß nicht ob sie erlöschen wird oder sich zu dem Feuer entwickelt, dass Du Dir erhoffst, dass Du verdienst.“ Mein Herz und mein Magen schienen mich von innen zu verbrennen und ich wusste, würde ich Nell verlieren, könnte mich auch meine Wolfsgestalt nicht vor der Verzweiflung retten. Doch ich sagte nichts der gleichen. Stattdessen griff ich wieder nach ihren Händen und zog sie an mich, küsste ihr Haar. „Alles was Du willst und brauchst Nell.“ Ich spürte Nässe an meiner Brust. Sie weinte. „Sssch, es ist alles in Ordnung.“ „Ich weiß, es ist nur ein bisschen viel für mich.“ Dann wischte sie sich die Tränen fort. „Lass uns wieder rein gehen. Schließlich bin ich hier um dein Rudel kennenzulernen“
Am nächsten Morgen freute sich Nell sehr über die Nachricht, dass sie das Rudel kennenlernen dürfte. „Endlich hier raus“ platzte sie beim Frühstück heraus „Entschuldige Billy, ist natürlich schön bei euch, aber ich muss einfach mal raus.“ Billy lachte. „Ist schon in Ordnung.“ Am Abend verschwand sie dann im Badezimmer und kam ewig nicht heraus. „Nell, was machst Du denn da drin“ fragte ich durch die geschlossene Tür, als es Zeit war zu gehen. „Nichts“ kam als Antwort. „Nichts dauert aber ziemlich lange bei Dir. Beeil Dich, wir müssen los.“ Dir Tür öffnete sich. „Ich will doch nur hübsch aussehen, wenn ich Deine Freunde kennenlerne.“ Ich verdrehte die Augen. „Jetzt komm, sonst sind wir zu spät.“ „Gut, dann stinke ich eben“ sagte sie in gespielt zickigem Tonfall und rümpfte die Nase. Ich ging auf ihr Spielchen ein: „Und wenn es so wäre Nell, wir gehen zu einem Rudel Wölfe. Die sind einiges gewöhnt. Glaubst Du wir riechen nach ner Nacht im Wald nach Blumenwiese?“ Sie lachte fröhlich. Es war schön, sie so freudig, aufgeregt und ausgelassen zu sehen.
Natürlich kamen wir zu spät. Alle anderen waren schon da. Als Nell und ich die Hütte betraten richteten sich alle Blicke auf uns. „Da sind wir“ sagte ich. Ok, das sahen sie auch so. Sprachloses Starren. Leah war die erste die Worte fand. „Warum hast Du uns das nicht gleich gesagt?“ „Was gesagt“ fragte ich. Ich hatte keine Ahnung wovon sie redete. „Na dass Du Dich auf sie geprägt hast.“ „Bitte was“ fragte ich entgeistert. „Prägung? Du erinnerst Dich? Oder hast Du während Deiner Abwesenheit noch andere Erinnerungen verloren als die, die Du verlieren wolltest?“ „Leah lass gut sein. Ich glaub er weiß es wirklich nicht“ sagte Embry. „Was ist Prägung“ fragte mich Nell etwas ängstlich. Doch ich konnte ihr nicht Antworten. Meine Knie wurden weich, doch bevor sie unter mir nachgeben konnten hatte Quil mir einen Stuhl untergeschoben. Emily führte Nell zu einem anderen. „Alles ok Nell. Nimm Platz. Wir werden Dir gleich erzählen was es mit der Prägung auf sich hat. Erst muss Jake….naja……er ist gerade einfach etwas verwirrt.“ Etwas verwirrt war sehr milde ausgedrückt. Fassungslos nahm ich das Glas Wasser, dass Sam mir hinhielt und trank. „Wie?...Ich….Wie kann“ stammelte ich ohne einen zusammenhängen Satz zustande zu bringen. „Ich dachte ich wäre nur….wie kann das sein?“
Ich erinnerte mich an unsere erste Begegnung im Wald. Ihr Geruch der mich zu ihr geführt hatte, das in der Sonne fast weiße Haar und ihre Augen, in den wechselhaften Farben des Meeres. Plötzlich spürte ich wie sich tief in mir ein Gefühl ans Freie kämpfte, die Ketten abstreifte, in die ich es gelegt hatte und wie eine Flutwelle mein ganzes Sein überströmte. Ich hatte sie gefunden. Doch warum fühlte ich es erst jetzt? Ich schaute immer noch fassungslos und schockiert in die Runde. „Warum hab ich es nicht bemerkt?“ Allgemeine Ratlosigkeit schlug mir entgegen. „Wegen Bella.“ Alle Köpfe drehen sich in Pauls Richtung. Natürlich, Paul war sauer auf mich und spielte die Bellakarte aus. „Sie hat etwa in dir kaputt gemacht. Wie hättest Du es in dem Zustand zulassen können einem Menschen noch größere Macht über Dich zu geben, als Bella sie über dich hatte?“ Er schüttelte den Kopf. „Ich hab Dir und Nell Unrecht getan. Ich dachte Du wärst wieder genauso blöd. Hübsches Mädchen, Vampir, Wolf - die gleiche Story noch einmal. Und am Ende leidet der Wolf wieder und keiner weiß ob er das noch mal verkraftet.“ Hatte Paul sich etwa nur Sorgen um mich gemacht? „Jacob ich hätte Dir so was von in den Hintern getreten, wenn Du Dir das wieder angetan hättest. Aber das hier ist was anderes. Es ist einfach richtig.“ „Ich denke Paul hat absolut Recht. Du warst einfach zu aufgewühlt, um überhaupt ein Gefühl an Dich ran zu lassen und so ein Mächtiges schon gar nicht“ sagte Sam. Ich konnte es trotzdem nicht glauben. Dann sah ich Nell an. Obwohl meine Gefühle gerade Achterbahn fuhren, konnte ich die Prägung nun deutlich spüren. Allein, dass sie da war und dass es ihr gut ging, machte mich glücklich. Um diesen Zustand zu erhalten, würde ich meine Leben geben. Sie schaute etwas verunsichert zu mir herüber. „Erklärt mir nun auch jemand was los ist?“ „Nichts Schlimmes Nell“ beruhigte Emily sie. „Eigentlich sogar etwas sehr Schönes“ sagte sie mit einem zärtlichen Blick zu Sam „aber ich denke Jacob möchte es Dir vielleicht selbst erklären.“
Nell sah mich fragend an: „Jacob?“ „Nun“ ich räusperte mich „lass uns kurz nach draußen gehen.“ Mit immer noch zitternden Knien erhob ich mich und streckte ihr die Hand entgegen. Sie stand auf, kam zu mir und legte ihre Hand in meine. Wir gingen nach Draußen, ein Stück vom Haus weg. Mein Rudel als Publikum konnte ich gerade wirklich nicht gebrauchen. Ich kam mir vor, als würde ich ihr gleich einen Heiratsantrag machen, doch war das was ich ihr zu sagen hatte wesentlich befremdlicher. Ich suchte nach Worten, denn: Nell meine DNA denkt, dass Deine DNA die perfekte Ergänzung zu ihr wäre und sie hofft, dass indem sie mich unwiderruflich an Dich bindet, wir Nachkommen zeugen werden, wäre wohl kaum das Richtige. Würde das eine Frau zu mir sagen wäre ich wahrscheinlich über alle Berge noch bevor sie zu Ende gesprochen hätte.
Ich stand direkt vor ihr und hielt ihre Hände. Bestimmt eine Idee meiner DNA, die hoffte sie so am Weglaufen zu hindern, dachte ich grimmig. „Jake nun sag schon. Was ist Prägung“ sagte Nell ungeduldig zu mir aufschauend. „Ok. Wo fang ich an? Wen ein Wolf den einen Menschen trifft, bei dem es die besten Chancen auf geistig und körperlich gesunde Nachkommen gibt, werden der Wolf an diesen einen Menschen gebunden. Das nennt man Prägung. Nicht jedem Wolf passiert das, aber wenn, dann ist….es ist schwer zu beschreiben. Es ist als würde man sich verlieben, aber viel tiefer, mächtiger und allumfassender. Dieser eine Mensch wird dann….Alles.“ „Oh“ sagte sie leise und erstaunt. Dann wurden ihre Augen groß. „Muss ich jetzt…, müssen wir jetzt…“ stammelte sie sichtlich verlegen. „Du musst gar nichts“ sagte ich. „Nur ich bin an Dich gebunden. Ich werde für Dich da sein und sein was immer Du gerade brauchst. Nicht mehr und nicht weniger.“
Sie ließ meine Hände los und trat ein Stück von mir zurück. „Jake, das ist….das ist merkwürdig. Was wäre wenn ich nichts für Dich empfinden könnte oder Du immer nur ein Freund bleiben würdest?“ Mein Herz setzte bei ihren Worten für einen Moment aus. Nur ein Freund oder sogar weniger. „Dann müsste ich damit leben, auch wenn das nicht leicht für mich wäre.“ „Warum?“ „Weil diese Bindung an Dich geistig und körperlich so eng ist, dass es mir einfach weh tun würde wenn Du nicht bei mir wärst.“ „Dann ist es ja gut, dass ich auch etwas für Dich fühle.“ „Was?” „Du hast mich sehr wohl verstanden“ sagte sie und schenkte mir ein zaghaftes Lächeln und wurde dann aber sehr ernst. „Ich empfinde etwas für Dich, aber ich kann Dir nicht sagen wie weit diese Gefühle gehen. An meiner Seite war lange ein Mann den ich für meinen Seelenverwandten hielt und nachdem diese Verbindung zerstört würde, weiß ich nicht ob ich jemals wieder so für einen Menschen empfinden kann. Da ist eine kleine Flamme, aber ich weiß nicht ob sie erlöschen wird oder sich zu dem Feuer entwickelt, dass Du Dir erhoffst, dass Du verdienst.“ Mein Herz und mein Magen schienen mich von innen zu verbrennen und ich wusste, würde ich Nell verlieren, könnte mich auch meine Wolfsgestalt nicht vor der Verzweiflung retten. Doch ich sagte nichts der gleichen. Stattdessen griff ich wieder nach ihren Händen und zog sie an mich, küsste ihr Haar. „Alles was Du willst und brauchst Nell.“ Ich spürte Nässe an meiner Brust. Sie weinte. „Sssch, es ist alles in Ordnung.“ „Ich weiß, es ist nur ein bisschen viel für mich.“ Dann wischte sie sich die Tränen fort. „Lass uns wieder rein gehen. Schließlich bin ich hier um dein Rudel kennenzulernen“
Zuletzt von Aud am Di 24 Aug 2010, 10:36 bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
Re: Indian Summer
Kapitel 8 (Jacob)
Wie ich das hasste! Kaum kündigte das leise Knarren der Tür Nells und meine Rückkehr an verstummten auch schon alle Gespräche. Erwartungsvolle Spannung erfüllte den Raum. Widerrum war es Leah, die das Schweigen brach: „Gut Blondie, Du bist noch da. Unser großer Anführer hat Dich mit seiner Rede also nicht vergrault.“ Leise hörte man „Oh Leah.“ und „Halt die Klappe Leah.“ Doch dann erwiderte Nell: „Ich bin nur geblieben, weil er mir gesagt hat wie herzig und liebenswürdig Du immer bist.“ Schweigen. Ebenso wie der Rest meiner Geschlechtsgenossen, machte ich mich drauf gefasst, gleich einen wild tobenden, silbergrauen Wolf zu bändigen. Stattdessen brach Leah in schallendes Gelächter aus und klopfte auf die Sitzfläche des freien Stuhls neben sich. „Du gefällst mir Blondie. Komm setz Dich und erzähl uns was wir wissen müssen.“ „Nur wenn Du mich nicht mehr Blondie nennst.“ Leah lachte noch einmal. „Ist gut. Komm setz Dich Nell.“ Nell nahm auf dem angebotenen Stuhl platz und der männliche Teil des Rudels, inklusive mir, entspannte sich sichtlich.
„Ja was wollte ihr denn nun wissen“ fragte Nell unschlüssig, was sie denn erzählen sollte. Das hatte zur Folge, dass ein wildes Fragengewirr auf sie einprasselte und Nell überhaupt nicht mehr zu Wort kam. Ich wollte die Meute zur Ruhe rufen, aber das erledigte Emily für mich, in dem sie eine Runde duftender, frischer Muffins auf den Tisch stellte. Wenige Sekunden später war der Raum von Kaugeräuschen erfüllt. Emily zwinkerte mir und Nell kurz zu und machte sich dann daran vorsorglich die nächste Portion zuzubereiten.
„Vielleicht lasst ihr sie einfach ein bisschen erzählen und stellt dann später noch ein paar Fragen“ kam ich endlich zu Wort. Kopfnicken und zustimmendes Gemurmel. Nell warf einen sehnsüchtigen Blick in Richtung Muffins, die schneller verschwanden als man schauen konnte, entschloss sich dann aber doch lieber die Gelegenheit zu nutzen und zu erzählen. Als die Münder des Rudels wieder leer waren, hatte sie die Meute soweit in ihre Geschichte hineingezogen, dass die üblichen Zwischenrufe und Kommentare weitestgehend ausblieben.
Als sie davon berichtete, wie sie Nathan kurz nach seiner Verwandlung in der Seitengasse wiederfand, legte Leah Nell mitfühlend die Hand auf die Schulter. Nell versteifte sich für einen Moment und schaute irritiert zu Sam hinüber. Dann wand sie sich behutsam aus Leahs Berührung. Ihre Visionen! Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Sie hatte gesagt sie hätte keine Kontrolle darüber, wann und bei wem sie etwas sehen würde. Zuhause war mir das nie aufgefallen, aber jetzt bemerkte ich wie sie Berührungen auswich und darauf achtete, dass kein Körperkontakt entstand. Jemand der nicht darum wusste, würde es gar nicht sehen und so bemerkte auch das Rudel nichts davon.
Ein wenig Sorgen machte mir, ob man sie fragen würde, warum sie nie mehr zu Nathan zurückkehren wollte. Schließlich wussten wir alle, dass es auch Mädchen gab, die sich für den Blutsauger entschieden. Bisher hatte sie auch mir diese Frage nicht beantwortet und nachdem sie sich jedes Mal, wenn ich sie danach fragte, völlig vor mir zurückzog, fragte ich sie auch nicht mehr danach. So in Gedanken versunken, fiel mein Blick auf Emily, die mit einem zufriedenen Lächeln in der Küche hantierte. Ab und zu sah sie zu uns herüber und ihr Lächeln wurde noch ein wenig breiter.
Halt Moment! Was hatte Emily noch gleich zu Paul gesagt? Lern sie kennen, dann weißt Du es? Sie musste es bereits gewusst haben! Sieh an. Die sanfte, fürsorgliche Emily hatte das Wolfsrudel bestens im Griff. Vielleicht sollte ich gleich den Job als Alpha Emily überlassen? Wäre doch nett zu Abwechslung mit Muffins belohnt zu werden, wenn man ein braver Wolf gewesen war und nicht wie unter Sam und mir bisher fürs Mist bauen einen Anschiss zu kassieren.
„Jacob?“ Nell sah mich fragend an. Ich wischte mir schnell mein, ohne Zweifel, dämliches Grinsen aus dem Gesicht, das ich aufgesetzt hatte bei dem Gedanken an Emily als Wolfsdomteurin. „Entschuldige, ich war nicht ganz bei der Sache. Was ist los?“ „Na ich hab soweit alles erzählt. Keiner hat mehr Fragen und wir wollten jetzt wissen, was Du für heute Abend noch planst.“ Ich überlegte kurz. Die Pläne die ich gemacht hatte waren mir durch die späte, unwesentlich welterschütternde Erkenntnis meiner Prägung abhanden gekommen. „Lass mich überlegen. Ich hatte vor Dich nach dem Treffen sicher nach Hause zu bringen und dann mit dem Rudel loszuziehen.“ Was nicht ganz stimmte, denn vor diesem Treffen war ich mir gar nicht so sicher gewesen, ob die Wölfe noch mal mit mir mitkommen würden. Aber die Lage war jetzt eben eine Andere. Dennoch war ich erleichtert keine Widerworte zu hören. Sicherheitshalber sah ich noch einmal zu Paul hinüber. Er nickte mir kurz zu und erhob sich dann als Erster. „Na komm Nell. Liefern wir Dich bei Billy ab und sehen dann zu, dass wir Dein Blutsaugerproblem gelöst bekommen.“
Unter lautem Gelächter und scherzhaften Neckereien, verabschiedeten wir uns von Emily. Ich lies Nell mit dem Rudel vorgehen, während ich auf der Veranda steht blieb. Als Sam mein Zögern bemerkte blieb er abwartend stehen. „Was hast Du auf dem Herzen Jacob“ fragte Emily mich. „Woher wusstest Du es?“ Sie nickte verstehend und lächelte. „Wie Du sie angesehen hast, ich kenne diesen Blick.“ Sie schaute zu Sam herüber, der noch immer auf mich wartete. „Danke Emily.“ Ich umarmte sie. „Nicht dafür. Und nun geh und führ Dein Rudel an.“
Leichter gesagt als getan, denn eigentlich bereitete mir schon meine, nun ja, was war Nell eigentlich? Freundin? Gefährtin? Seelenverwandte? Oder doch nur Mitbewohnerin? Ich wusste nicht als was ich sie bezeichnen sollte, aber sie bereitete mir schon, kaum hatten wir die Hütte erreicht, Probleme. „Jake, das war schön heute Abend“ sagte sie mit entzücktem Gesichtausdruck. „Freut mich, dass Du Dich mit ihnen gut verstehst und dass Du vor mir nicht abgehauen bist“ fügte ich leise hinzu. „Da habe ich doch auch gar keinen Grund zu“ sagte sie lächelnd „aber einen kleinen Gefallen könntest Du mir vielleicht tun.“ „Alles was Du willst.“ „Bitte, lass mich mir endlich einen Job suchen“ bettelte sie. Ich grummelte vor mich hin. Sie wusste die neu gemischten Karten wirklich gut zuspielen. „Lass uns morgen darüber reden.“ „Das hast Du auch schon gestern gesagt. Ach komm, sag schon ja.“ „Morgen Nell. Vielleicht sieht die Lage nach der heutigen Nacht ja schon ganz anders aus.“ „Und wenn nicht?“ „Dann würde ich Dich wirklich sehr ungern aus den Augen lassen. Ich will nicht, dass Dir was passiert. Jetzt erst recht nicht, seit ich weiß…“ „Aber Du willst mich doch glücklich sehen?“ „Ja“ sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen. „Das würde mich glücklich machen.“ Frauen! Da stand sie vor mir, im Vergleich zu mir ein Zwerg, und schaffte es mit ein paar geschickten Sätzen und Unschuldsblick, mich auszuspielen und niederzuringen. Was sollte ich denn jetzt noch sagen? Jedes falsche Wort würde unweigerlich zu Zickigkeit vom Feinsten oder Tränen führen. Ich hatte das oft genug bei meinen Schwestern beobachtet, wenn sie etwas wirklich wollten. „Bitte Nell, nicht hier zwischen Tür und Angel.“ Sie verzog das Gesicht, sagte aber nichts mehr. Es kamen auch keine Tränen. „Kann ich jetzt beruht los? Ist alles ok zwischen uns?“ „Ja.“ Aber ich spürte an der Starre ihres Körpers, als ich sie zum Abschied umarmte, dass es nicht so war. „Schlaf gut“ rief ich ihr, schon einige Schritte entfernt, noch zu, aber alles was ich von Nell noch sah, war die Bewegung der Haustür, die hinter ihr ins Schloss fiel.
Wie ich das hasste! Kaum kündigte das leise Knarren der Tür Nells und meine Rückkehr an verstummten auch schon alle Gespräche. Erwartungsvolle Spannung erfüllte den Raum. Widerrum war es Leah, die das Schweigen brach: „Gut Blondie, Du bist noch da. Unser großer Anführer hat Dich mit seiner Rede also nicht vergrault.“ Leise hörte man „Oh Leah.“ und „Halt die Klappe Leah.“ Doch dann erwiderte Nell: „Ich bin nur geblieben, weil er mir gesagt hat wie herzig und liebenswürdig Du immer bist.“ Schweigen. Ebenso wie der Rest meiner Geschlechtsgenossen, machte ich mich drauf gefasst, gleich einen wild tobenden, silbergrauen Wolf zu bändigen. Stattdessen brach Leah in schallendes Gelächter aus und klopfte auf die Sitzfläche des freien Stuhls neben sich. „Du gefällst mir Blondie. Komm setz Dich und erzähl uns was wir wissen müssen.“ „Nur wenn Du mich nicht mehr Blondie nennst.“ Leah lachte noch einmal. „Ist gut. Komm setz Dich Nell.“ Nell nahm auf dem angebotenen Stuhl platz und der männliche Teil des Rudels, inklusive mir, entspannte sich sichtlich.
„Ja was wollte ihr denn nun wissen“ fragte Nell unschlüssig, was sie denn erzählen sollte. Das hatte zur Folge, dass ein wildes Fragengewirr auf sie einprasselte und Nell überhaupt nicht mehr zu Wort kam. Ich wollte die Meute zur Ruhe rufen, aber das erledigte Emily für mich, in dem sie eine Runde duftender, frischer Muffins auf den Tisch stellte. Wenige Sekunden später war der Raum von Kaugeräuschen erfüllt. Emily zwinkerte mir und Nell kurz zu und machte sich dann daran vorsorglich die nächste Portion zuzubereiten.
„Vielleicht lasst ihr sie einfach ein bisschen erzählen und stellt dann später noch ein paar Fragen“ kam ich endlich zu Wort. Kopfnicken und zustimmendes Gemurmel. Nell warf einen sehnsüchtigen Blick in Richtung Muffins, die schneller verschwanden als man schauen konnte, entschloss sich dann aber doch lieber die Gelegenheit zu nutzen und zu erzählen. Als die Münder des Rudels wieder leer waren, hatte sie die Meute soweit in ihre Geschichte hineingezogen, dass die üblichen Zwischenrufe und Kommentare weitestgehend ausblieben.
Als sie davon berichtete, wie sie Nathan kurz nach seiner Verwandlung in der Seitengasse wiederfand, legte Leah Nell mitfühlend die Hand auf die Schulter. Nell versteifte sich für einen Moment und schaute irritiert zu Sam hinüber. Dann wand sie sich behutsam aus Leahs Berührung. Ihre Visionen! Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Sie hatte gesagt sie hätte keine Kontrolle darüber, wann und bei wem sie etwas sehen würde. Zuhause war mir das nie aufgefallen, aber jetzt bemerkte ich wie sie Berührungen auswich und darauf achtete, dass kein Körperkontakt entstand. Jemand der nicht darum wusste, würde es gar nicht sehen und so bemerkte auch das Rudel nichts davon.
Ein wenig Sorgen machte mir, ob man sie fragen würde, warum sie nie mehr zu Nathan zurückkehren wollte. Schließlich wussten wir alle, dass es auch Mädchen gab, die sich für den Blutsauger entschieden. Bisher hatte sie auch mir diese Frage nicht beantwortet und nachdem sie sich jedes Mal, wenn ich sie danach fragte, völlig vor mir zurückzog, fragte ich sie auch nicht mehr danach. So in Gedanken versunken, fiel mein Blick auf Emily, die mit einem zufriedenen Lächeln in der Küche hantierte. Ab und zu sah sie zu uns herüber und ihr Lächeln wurde noch ein wenig breiter.
Halt Moment! Was hatte Emily noch gleich zu Paul gesagt? Lern sie kennen, dann weißt Du es? Sie musste es bereits gewusst haben! Sieh an. Die sanfte, fürsorgliche Emily hatte das Wolfsrudel bestens im Griff. Vielleicht sollte ich gleich den Job als Alpha Emily überlassen? Wäre doch nett zu Abwechslung mit Muffins belohnt zu werden, wenn man ein braver Wolf gewesen war und nicht wie unter Sam und mir bisher fürs Mist bauen einen Anschiss zu kassieren.
„Jacob?“ Nell sah mich fragend an. Ich wischte mir schnell mein, ohne Zweifel, dämliches Grinsen aus dem Gesicht, das ich aufgesetzt hatte bei dem Gedanken an Emily als Wolfsdomteurin. „Entschuldige, ich war nicht ganz bei der Sache. Was ist los?“ „Na ich hab soweit alles erzählt. Keiner hat mehr Fragen und wir wollten jetzt wissen, was Du für heute Abend noch planst.“ Ich überlegte kurz. Die Pläne die ich gemacht hatte waren mir durch die späte, unwesentlich welterschütternde Erkenntnis meiner Prägung abhanden gekommen. „Lass mich überlegen. Ich hatte vor Dich nach dem Treffen sicher nach Hause zu bringen und dann mit dem Rudel loszuziehen.“ Was nicht ganz stimmte, denn vor diesem Treffen war ich mir gar nicht so sicher gewesen, ob die Wölfe noch mal mit mir mitkommen würden. Aber die Lage war jetzt eben eine Andere. Dennoch war ich erleichtert keine Widerworte zu hören. Sicherheitshalber sah ich noch einmal zu Paul hinüber. Er nickte mir kurz zu und erhob sich dann als Erster. „Na komm Nell. Liefern wir Dich bei Billy ab und sehen dann zu, dass wir Dein Blutsaugerproblem gelöst bekommen.“
Unter lautem Gelächter und scherzhaften Neckereien, verabschiedeten wir uns von Emily. Ich lies Nell mit dem Rudel vorgehen, während ich auf der Veranda steht blieb. Als Sam mein Zögern bemerkte blieb er abwartend stehen. „Was hast Du auf dem Herzen Jacob“ fragte Emily mich. „Woher wusstest Du es?“ Sie nickte verstehend und lächelte. „Wie Du sie angesehen hast, ich kenne diesen Blick.“ Sie schaute zu Sam herüber, der noch immer auf mich wartete. „Danke Emily.“ Ich umarmte sie. „Nicht dafür. Und nun geh und führ Dein Rudel an.“
Leichter gesagt als getan, denn eigentlich bereitete mir schon meine, nun ja, was war Nell eigentlich? Freundin? Gefährtin? Seelenverwandte? Oder doch nur Mitbewohnerin? Ich wusste nicht als was ich sie bezeichnen sollte, aber sie bereitete mir schon, kaum hatten wir die Hütte erreicht, Probleme. „Jake, das war schön heute Abend“ sagte sie mit entzücktem Gesichtausdruck. „Freut mich, dass Du Dich mit ihnen gut verstehst und dass Du vor mir nicht abgehauen bist“ fügte ich leise hinzu. „Da habe ich doch auch gar keinen Grund zu“ sagte sie lächelnd „aber einen kleinen Gefallen könntest Du mir vielleicht tun.“ „Alles was Du willst.“ „Bitte, lass mich mir endlich einen Job suchen“ bettelte sie. Ich grummelte vor mich hin. Sie wusste die neu gemischten Karten wirklich gut zuspielen. „Lass uns morgen darüber reden.“ „Das hast Du auch schon gestern gesagt. Ach komm, sag schon ja.“ „Morgen Nell. Vielleicht sieht die Lage nach der heutigen Nacht ja schon ganz anders aus.“ „Und wenn nicht?“ „Dann würde ich Dich wirklich sehr ungern aus den Augen lassen. Ich will nicht, dass Dir was passiert. Jetzt erst recht nicht, seit ich weiß…“ „Aber Du willst mich doch glücklich sehen?“ „Ja“ sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen. „Das würde mich glücklich machen.“ Frauen! Da stand sie vor mir, im Vergleich zu mir ein Zwerg, und schaffte es mit ein paar geschickten Sätzen und Unschuldsblick, mich auszuspielen und niederzuringen. Was sollte ich denn jetzt noch sagen? Jedes falsche Wort würde unweigerlich zu Zickigkeit vom Feinsten oder Tränen führen. Ich hatte das oft genug bei meinen Schwestern beobachtet, wenn sie etwas wirklich wollten. „Bitte Nell, nicht hier zwischen Tür und Angel.“ Sie verzog das Gesicht, sagte aber nichts mehr. Es kamen auch keine Tränen. „Kann ich jetzt beruht los? Ist alles ok zwischen uns?“ „Ja.“ Aber ich spürte an der Starre ihres Körpers, als ich sie zum Abschied umarmte, dass es nicht so war. „Schlaf gut“ rief ich ihr, schon einige Schritte entfernt, noch zu, aber alles was ich von Nell noch sah, war die Bewegung der Haustür, die hinter ihr ins Schloss fiel.
Re: Indian Summer
Kapitel 9 (Jacob)
Es war bereits hell, als wir an diesem Morgen nach Hause zurückkehrten. Mein Rudel war erstaunlich motiviert und gut gelaunt unterwegs gewesen. So machte es fast Spaß die Meute zu bändigen. Und so war es nicht nur ich, der nicht eher Ruhe hatte bis wir auch die letzen Grenzen des Reservats durchstöbert hatten, nach einer Spur von Nathan. Doch auch dieses Mal blieb uns der Erfolg verwehrt. Aber im Grunde tat das der guten Laune unter den Wölfen keinen Abbruch. Trotzdem kehrte ich etwas nervös und angespannt nach Hause zurück. Der Abschied von Nell war gestern, von ihrer Seite aus, nicht sonderlich freundlich ausgefallen und so fürchtete ich mich ein wenig vor dem was mich erwarten würde. Schweigen, ein weiterer Streit, vielleicht wurde ihr auch die ganze Sache zuviel und sie wollte zusätzlich zu dem Blutsauger nicht noch einen Wolf an der Backe haben. Ich war am Haus angekommen ohne eine Ahnung zu haben, wie ich auf die jeweiligen Möglichkeiten reagieren sollte. Leise, um niemanden zu wecken, ging ich hinein und gleich durch zu meiner kleinen Kammer in der Nell schlief seit sie bei uns war. Das Bett war leer.
Viel zu schnell schlug mein Herz gegen meine Brust. Ich hab sie zu sehr eingeschränkt und ihr Angst gemacht und nun ist sie fort, schoss es mir durch den Kopf. Ich konnte es nicht so recht fassen, aber mir ging es tatsächlich körperlich schlecht, weil ich nicht wusste wo Nell war. Von einer Sekunde auf die andere warf mich die Prägung erstmal völlig aus der Bahn und ich ließ mich aufs Bett fallen. Erst langsam gewann ich den Blick für die Details des Raumes zurück und musste feststellen, dass alles ihre Sachen noch an ihrem Platz waren. Erleichtert seufzte ich auf und ging mit schnellen Schritten nach draußen um sie zu suchen. Ich schirmte meine Augen gegen die Helligkeit des weißen, diesigen Himmels ab und tatsächlich konnte ich unten am Strand einen kleinen Punkt hell leuchtenden Haares erkennen. Im Wasser! Ich schüttelte mich. Selbst mir wurde kalt bei dem Gedanken bei dieser Witterung schwimmen zu gehen. Das Wasser musste eisig sein. Prima, sie war nicht abgehauen, aber dafür verrückt geworden! Schnell setzte ich mich in Richtung Strand in Bewegung.
Tatsächlich da draußen schwamm sie. Immerhin war sie so vernünftig gewesen ein Handtuch mit zunehmen, welches nun am einzigen Ast eines Stück Treibholzes hing und im der Morgenbrise leicht flatterte. Darunter achtlos hingeworfen ihre Hose und ihre Schuhe. „Nell“ rief ich sie „bist Du wahnsinnig?“ Aber sie kraulte nur weiter seelenruhig vor sich hin. Ich ging so nah hin wie mir es die Brandung erlaubte ohne mir nasse Füße zu holen. „Nell!“ Warum konnte sie nicht einfach so elfenhaft sein wie sie aussah? Sie hörte mich immer noch nicht. Also gut. Ich holte einmal tief Luft uns setzt einen Fuß ins Wasser und war froh, dass mein Körper es schaffte innerhalb weniger Sekunden die Kälte des Wassers auszugleichen. Als ich bis zur Hüfte im Wasser stand rief ich sie noch einmal. Mittlerweile kam mir der Gedanke, dass sie mich vielleicht gar nicht hören wollte.
Erst als das Wasser mir schon bis über die Brust reichte registrierte sie mich. Sie war noch einige Meter von mir entfernt und hielt, inne um auf der Stelle weiter zu schwimmen. „Morgen Jake“ begrüßte sie mich mit bläulichen Lippen. „Verdammt Nell, was machst Du hier draußen?“ „Das siehst Du doch, ich schwimme.“ Mit zugleich lächelnden und zitternden Lippen schwamm sie näher. „Aber doch nicht um die Uhrzeit und bei diesen Temperaturen. Mir macht das hier nichts aus, aber Deine Lippen, die sind schon ganz blau.“ „Ach stell Dich nicht so an“ sagte sie lachend und kam ganz zu mir herüber geschwommen. Sie legte mir ihre Hand auf die Schulter, um sich an mir festzuhalten. „Du kannst hier stehen? Du bist wirklich ein Riese.“ „Mh.“ murmelte ich abwesend. Ich versuchte gerade verzweifelt meine Augen von ihr zu lösen. Das klare Wasser gab die Sicht auf ihr Shirt frei, das sie anbehalten hatte. Doch anstatt sie zu bedecken klebte es eng und durchsicht an ihrem Körper und gab mir den Blick auf ihre kleinen, festen Brüste frei. Jacob, starr sie nicht so an rief mein Verstand mich zur Ordnung, aber längst hatten der verliebte Mann und der geprägte Wolf in mir das Ruder übernommen.
Als sie meinen Blick bemerkte errötete sie leicht, aber statt mir eine Ohrfeige zu verpassen zog sie sich näher zu mir und schlang ihre Arme und meinen Hals. Das Blau ihrer Iris wurde fast vollständig von ihren großen, dunklen Pupillen verdeckt. Ihr Blick versprach mir Dinge, die ich haben wollte, ebenso wie ihre leicht geöffneten Lippen. Ich wagte nicht zu atmen. Ihre Lippen suchten meine, fanden sie. Sie waren weich, küssten mich zart. Meine Hände umschlangen ihre Taille. Ihre zarten Konturen schmiegten sich an meine harten Muskeln. Mein Körper bebte unter ihrer Berührung und ich konnte nicht anders als ihren Kuss fordernder zu erwidern. Während sie ihren Körper fester an meinen presste durchwühlten ihre Hände mein Haar. Unser Atmen wurde schwer und keuchend. Zärtlich biss sie mir in die Unterlippe, strich mit der Hand meinen Bizeps entlang. Verlangend legte ich meine Hände auf ihre Hüften und zog sie noch dichter zu mir. Der Großteil meines Blutes war längst südlich meines Bauchnabels angelangt.
Mit dem letzen bisschen Blut was in meinem Hirn verblieben war bäumte sich mein Verstand noch einmal auf: Reiß Dich zusammen Jake und versau die Sache nicht! Es ist nichts zwischen euch geklärt, also verkompliziere es nicht noch mehr! Du willst mir ihr zusammen sein? Schön dann warte bis der richtige Zeitpunkt dafür ist, bis sie weiß was sie für Dich empfindet und bis sie endgültig in Sicherheit ist. Ich wusste das die Litanei die mein Verstand mir vorpredigte das Richtige war, aber mit so wenig Blut ihm Hirn gelang mir das Hinhören und Begreifen nur mit Mühe.
Nur langsam und während mein Körper immer noch unter Strom stand, schaffte ich es ihre Hüfte loszulassen und umfasste vorsichtig ihre Handgelenke. Langsam löste ich mich von ihren Lippen, küsste stattdessen ihre Fingerspitzen und schaffte so die Distanz zwischen uns, die es mir ermöglichte wieder klar zu denken. „Lass uns aus dem Wasser gehen, es ist hier zu kalt für Dich“ brachte ich schließlich hervor. Etwas verwirrt sah sie mich an: „Ich hatte gerade nicht den Eindruck, dass einem von uns beiden kalt wäre.“ „Bitte Nell, hör auf mich. Nur dieses eine Mal.“ Einem weiteren Annäherungsversuch hätte ich mich niemals entziehen können. Daher setzte ich mich einfach schnell in Richtung Strand in Bewegung und zog sie mit mir. Sie folgte mir nur widerstrebend.
Grübelnd saß ich am Küchentisch, nachdem ich Nell unter die heiße Dusche geschickt hatte. Billy kam schlaftrunken aus seinem Zimmer. „Was ist denn hier um diese Zeit schon los.“ „Ich hab Nell eben aus dem Meer gefischt.“ Er schmunzelte. „Sie hat eine interessante Art ihrem Frust Luft zu machen.“ „Ja, sie macht einfach etwas völlig verrücktes“ sagte ich wenig begeistert. „Da hat mir das Schicksal ja eine Aufgabe auferlegt.“ Billy seufzte erleichtert. „Es ist Dir also endlich bewusst?“ „Du wusstest es auch“ fragte ich entsetzt. „Was heißt wissen? Ich dachte mir so etwas schon.“ „Schön, dass anscheinend jeder bescheid wusste außer mir.“ „Ach Junge, was der Körper weiß und das Herz ahnt müssen die Augen noch lange nicht sehen. Hauptsache Du siehst jetzt klar.“ Ich nickte, aber so klar sah ich gar nicht. Ok, ich wusste nun um meine Prägung, aber ich hatte keine Ahnung wie es weiter gehen würde mit der Suche nach dem Blutsauger und zwischen Nell und mir. Ich machte mir Sorgen, aber das wollte ich Dad nicht sagen. Ich hatte ihm in der Zeit, in der ich weg war, genug Sorgen bereitet. Hiermit musste ich nun alleine fertig werden.
Als Nell aus dem Bad kam hatten ihre Lippen endlich wieder ihre normale Farbe und waren auch gleich wieder in der Lage über das von mir verhasste Thema Job zu reden. Während sie für uns drei das Frühstück machte, dass hieß in dem Fall mir Frühstück machen und für Billy und sie was abzweigen, sprach sie darüber sich eine kleine Stelle in Forks zu suchen. „Jacob es muss ja nichts Großes sein. In einen Geschäft aushelfen. Da passiert mir schon nichts.“ Bittend sah sie mich an. „Also gut, lass mich noch ne Runde schlafen und dann kucken wir ob wir was für Dich finden“ murrte ich. Blöde Prägung, dachte ich, sie will es unbedingt und ich will sie nur glücklich sehen. Strahlend fiel sie mir um den Hals. „Danke Jacob, danke. Du wirst es nicht bereuen. Aber jetzt iss erstmal und dann ruh Dich aus“ sagte sie und schaufelte mir Rührei auf den Teller.
Es war bereits hell, als wir an diesem Morgen nach Hause zurückkehrten. Mein Rudel war erstaunlich motiviert und gut gelaunt unterwegs gewesen. So machte es fast Spaß die Meute zu bändigen. Und so war es nicht nur ich, der nicht eher Ruhe hatte bis wir auch die letzen Grenzen des Reservats durchstöbert hatten, nach einer Spur von Nathan. Doch auch dieses Mal blieb uns der Erfolg verwehrt. Aber im Grunde tat das der guten Laune unter den Wölfen keinen Abbruch. Trotzdem kehrte ich etwas nervös und angespannt nach Hause zurück. Der Abschied von Nell war gestern, von ihrer Seite aus, nicht sonderlich freundlich ausgefallen und so fürchtete ich mich ein wenig vor dem was mich erwarten würde. Schweigen, ein weiterer Streit, vielleicht wurde ihr auch die ganze Sache zuviel und sie wollte zusätzlich zu dem Blutsauger nicht noch einen Wolf an der Backe haben. Ich war am Haus angekommen ohne eine Ahnung zu haben, wie ich auf die jeweiligen Möglichkeiten reagieren sollte. Leise, um niemanden zu wecken, ging ich hinein und gleich durch zu meiner kleinen Kammer in der Nell schlief seit sie bei uns war. Das Bett war leer.
Viel zu schnell schlug mein Herz gegen meine Brust. Ich hab sie zu sehr eingeschränkt und ihr Angst gemacht und nun ist sie fort, schoss es mir durch den Kopf. Ich konnte es nicht so recht fassen, aber mir ging es tatsächlich körperlich schlecht, weil ich nicht wusste wo Nell war. Von einer Sekunde auf die andere warf mich die Prägung erstmal völlig aus der Bahn und ich ließ mich aufs Bett fallen. Erst langsam gewann ich den Blick für die Details des Raumes zurück und musste feststellen, dass alles ihre Sachen noch an ihrem Platz waren. Erleichtert seufzte ich auf und ging mit schnellen Schritten nach draußen um sie zu suchen. Ich schirmte meine Augen gegen die Helligkeit des weißen, diesigen Himmels ab und tatsächlich konnte ich unten am Strand einen kleinen Punkt hell leuchtenden Haares erkennen. Im Wasser! Ich schüttelte mich. Selbst mir wurde kalt bei dem Gedanken bei dieser Witterung schwimmen zu gehen. Das Wasser musste eisig sein. Prima, sie war nicht abgehauen, aber dafür verrückt geworden! Schnell setzte ich mich in Richtung Strand in Bewegung.
Tatsächlich da draußen schwamm sie. Immerhin war sie so vernünftig gewesen ein Handtuch mit zunehmen, welches nun am einzigen Ast eines Stück Treibholzes hing und im der Morgenbrise leicht flatterte. Darunter achtlos hingeworfen ihre Hose und ihre Schuhe. „Nell“ rief ich sie „bist Du wahnsinnig?“ Aber sie kraulte nur weiter seelenruhig vor sich hin. Ich ging so nah hin wie mir es die Brandung erlaubte ohne mir nasse Füße zu holen. „Nell!“ Warum konnte sie nicht einfach so elfenhaft sein wie sie aussah? Sie hörte mich immer noch nicht. Also gut. Ich holte einmal tief Luft uns setzt einen Fuß ins Wasser und war froh, dass mein Körper es schaffte innerhalb weniger Sekunden die Kälte des Wassers auszugleichen. Als ich bis zur Hüfte im Wasser stand rief ich sie noch einmal. Mittlerweile kam mir der Gedanke, dass sie mich vielleicht gar nicht hören wollte.
Erst als das Wasser mir schon bis über die Brust reichte registrierte sie mich. Sie war noch einige Meter von mir entfernt und hielt, inne um auf der Stelle weiter zu schwimmen. „Morgen Jake“ begrüßte sie mich mit bläulichen Lippen. „Verdammt Nell, was machst Du hier draußen?“ „Das siehst Du doch, ich schwimme.“ Mit zugleich lächelnden und zitternden Lippen schwamm sie näher. „Aber doch nicht um die Uhrzeit und bei diesen Temperaturen. Mir macht das hier nichts aus, aber Deine Lippen, die sind schon ganz blau.“ „Ach stell Dich nicht so an“ sagte sie lachend und kam ganz zu mir herüber geschwommen. Sie legte mir ihre Hand auf die Schulter, um sich an mir festzuhalten. „Du kannst hier stehen? Du bist wirklich ein Riese.“ „Mh.“ murmelte ich abwesend. Ich versuchte gerade verzweifelt meine Augen von ihr zu lösen. Das klare Wasser gab die Sicht auf ihr Shirt frei, das sie anbehalten hatte. Doch anstatt sie zu bedecken klebte es eng und durchsicht an ihrem Körper und gab mir den Blick auf ihre kleinen, festen Brüste frei. Jacob, starr sie nicht so an rief mein Verstand mich zur Ordnung, aber längst hatten der verliebte Mann und der geprägte Wolf in mir das Ruder übernommen.
Als sie meinen Blick bemerkte errötete sie leicht, aber statt mir eine Ohrfeige zu verpassen zog sie sich näher zu mir und schlang ihre Arme und meinen Hals. Das Blau ihrer Iris wurde fast vollständig von ihren großen, dunklen Pupillen verdeckt. Ihr Blick versprach mir Dinge, die ich haben wollte, ebenso wie ihre leicht geöffneten Lippen. Ich wagte nicht zu atmen. Ihre Lippen suchten meine, fanden sie. Sie waren weich, küssten mich zart. Meine Hände umschlangen ihre Taille. Ihre zarten Konturen schmiegten sich an meine harten Muskeln. Mein Körper bebte unter ihrer Berührung und ich konnte nicht anders als ihren Kuss fordernder zu erwidern. Während sie ihren Körper fester an meinen presste durchwühlten ihre Hände mein Haar. Unser Atmen wurde schwer und keuchend. Zärtlich biss sie mir in die Unterlippe, strich mit der Hand meinen Bizeps entlang. Verlangend legte ich meine Hände auf ihre Hüften und zog sie noch dichter zu mir. Der Großteil meines Blutes war längst südlich meines Bauchnabels angelangt.
Mit dem letzen bisschen Blut was in meinem Hirn verblieben war bäumte sich mein Verstand noch einmal auf: Reiß Dich zusammen Jake und versau die Sache nicht! Es ist nichts zwischen euch geklärt, also verkompliziere es nicht noch mehr! Du willst mir ihr zusammen sein? Schön dann warte bis der richtige Zeitpunkt dafür ist, bis sie weiß was sie für Dich empfindet und bis sie endgültig in Sicherheit ist. Ich wusste das die Litanei die mein Verstand mir vorpredigte das Richtige war, aber mit so wenig Blut ihm Hirn gelang mir das Hinhören und Begreifen nur mit Mühe.
Nur langsam und während mein Körper immer noch unter Strom stand, schaffte ich es ihre Hüfte loszulassen und umfasste vorsichtig ihre Handgelenke. Langsam löste ich mich von ihren Lippen, küsste stattdessen ihre Fingerspitzen und schaffte so die Distanz zwischen uns, die es mir ermöglichte wieder klar zu denken. „Lass uns aus dem Wasser gehen, es ist hier zu kalt für Dich“ brachte ich schließlich hervor. Etwas verwirrt sah sie mich an: „Ich hatte gerade nicht den Eindruck, dass einem von uns beiden kalt wäre.“ „Bitte Nell, hör auf mich. Nur dieses eine Mal.“ Einem weiteren Annäherungsversuch hätte ich mich niemals entziehen können. Daher setzte ich mich einfach schnell in Richtung Strand in Bewegung und zog sie mit mir. Sie folgte mir nur widerstrebend.
Grübelnd saß ich am Küchentisch, nachdem ich Nell unter die heiße Dusche geschickt hatte. Billy kam schlaftrunken aus seinem Zimmer. „Was ist denn hier um diese Zeit schon los.“ „Ich hab Nell eben aus dem Meer gefischt.“ Er schmunzelte. „Sie hat eine interessante Art ihrem Frust Luft zu machen.“ „Ja, sie macht einfach etwas völlig verrücktes“ sagte ich wenig begeistert. „Da hat mir das Schicksal ja eine Aufgabe auferlegt.“ Billy seufzte erleichtert. „Es ist Dir also endlich bewusst?“ „Du wusstest es auch“ fragte ich entsetzt. „Was heißt wissen? Ich dachte mir so etwas schon.“ „Schön, dass anscheinend jeder bescheid wusste außer mir.“ „Ach Junge, was der Körper weiß und das Herz ahnt müssen die Augen noch lange nicht sehen. Hauptsache Du siehst jetzt klar.“ Ich nickte, aber so klar sah ich gar nicht. Ok, ich wusste nun um meine Prägung, aber ich hatte keine Ahnung wie es weiter gehen würde mit der Suche nach dem Blutsauger und zwischen Nell und mir. Ich machte mir Sorgen, aber das wollte ich Dad nicht sagen. Ich hatte ihm in der Zeit, in der ich weg war, genug Sorgen bereitet. Hiermit musste ich nun alleine fertig werden.
Als Nell aus dem Bad kam hatten ihre Lippen endlich wieder ihre normale Farbe und waren auch gleich wieder in der Lage über das von mir verhasste Thema Job zu reden. Während sie für uns drei das Frühstück machte, dass hieß in dem Fall mir Frühstück machen und für Billy und sie was abzweigen, sprach sie darüber sich eine kleine Stelle in Forks zu suchen. „Jacob es muss ja nichts Großes sein. In einen Geschäft aushelfen. Da passiert mir schon nichts.“ Bittend sah sie mich an. „Also gut, lass mich noch ne Runde schlafen und dann kucken wir ob wir was für Dich finden“ murrte ich. Blöde Prägung, dachte ich, sie will es unbedingt und ich will sie nur glücklich sehen. Strahlend fiel sie mir um den Hals. „Danke Jacob, danke. Du wirst es nicht bereuen. Aber jetzt iss erstmal und dann ruh Dich aus“ sagte sie und schaufelte mir Rührei auf den Teller.
Re: Indian Summer
Kapitel 10 (Jacob)
Es war kurz vor Mittag als Nell meinte ich hätte genug geschlafen und übertrieben laut anfing abzuwaschen. „Oh Jake, Du bist wach“ sagte sie unschuldig „dann können wir ja gleich fahren.“ Sie setzte ihr süßestes Lächeln auf und mir blieb nichts anders übrig als auf zu stehen. Zwanzig Minuten später waren wir mit meinem Golf auf den Weg nach Forks. Ich war wortkarg und schlecht gelaunt, während sie richtig aufblühte. Ihre Wangen glühten vor Begeisterung, endlich was anderes als das Reservat zu sehen.
Unser erstes Ziel war der Supermarkt. Gut gelaunt sprang Nell aus dem Wagen, um nur wenige Minuten etwas weniger gut gelaunt wieder heraus zu kommen. „Ist leider gerade keine Stelle frei“ seufzte sie. „Ja das ist schade“ sagte ich. Schlecht für Dich gut für mich, dachte ich. Wenn sie keine Stelle fand, dann war ich eine Sorge schon mal los. „Ich hab aber einen Aushang von einem Bed & Breakfast gefunden. Da möchte ich als nächstes hin.“ Verdammt, war das was ich dachte, allerdings sagte ich: „Klar, kein Problem. Zeig mal die Adresse her.“
Die kleine Pension zu finden war kein Problem. Nell schlüpfte schnell hinein um nachzufragen. Als sich nach zwanzig Minuten, noch nicht wieder da war, schwante mir Böses. „Na, Job bekommen“ war daher meine erste Frage als sie wiederkam. „Nein, war leider schon besetzt.“ „Und was hast Du dann so lange da drin gemacht?“ „Ach, es war nur der Sohn des Besitzers da und der wollte unbedingt noch einen Kaffee mit mir trinken.“ „Wie nett“ brummte ich und presste die Hände so fest um das Lenkrad, dass meine Knöchel weiß hervortraten. Eine weitere Gefahr in Forks, an die ich bisher nicht gedacht hatte: andere Männer!
Wir klapperten noch einige kleinere Geschäfte ab, aber dort war nicht viel zu holen. Die Besitzer war entweder bestens mit den wenigen Angestellten die sie benötigten versorgt oder es handelte sich um reine Familienbetriebe, die keine Angestellten hatten. So niederträchtig ich mir auch vorkam, meine Laune besserte sich mit jeder Absage. Es tat mir leid, dass Nells Begeisterung gegen Null sank, aber ich war mir sicher, dass es besser so war.
Ich atmete schon fast auf, als Nell das „Hilfe gesucht“-Schild im Fenster eines Cafés entdeckte. Sie sprang aus dem Wagen noch bevor ich den Motor ausgestellt hatte. Keine zehn Minuten später kam sie wieder aus dem Laden und strahlte bis über beide Ohren. „ Ich kann morgen anfangen Jake. Danke, dass Du mich das machen lässt.“ Sie wollte mir einen Kuß auf die Wange geben doch ich drehte mich mürrisch weg. Irritiert schaute sie mich an, doch dann richtete sie den Blick aus dem Fenster. Schweigend machten wir uns wieder auf den Weg zurück zum Reservat.
Auf halber Strecke sagte sie plötzlich: „Halt an Jake.“ „Was ist denn los?“ „Bitte Jake, da links in den Waldweg. Ich muss mit Dir reden.“ „ Kann das nicht warten bis wir Zuhause sind?“ „Nein Jake das kann es nicht.“ Seufzend bog ich links ab, stellte den Motor ab und wartete darauf was sie mir zu sagen hatte. Sie drehte sich auf ihrem Sitz halb zu mir. Ihre Hände spielten nervös am Saum ihrer Bluse. „Ich weiß warum Du so abweisend zu mir bist“ fing sich an „ Und Du sollst wissen es tut mir so leid, dass ich Dich verärgert habe.“ In ihren Augen schimmerte es verdächtig „Ich hätte Dich heute Morgen nicht so bedrängen dürfen. Nicht nach der Geschichte mit Bella. Ich habe keine Ahnung wie stark dieses Prägungsding ist, aber man vergisst sicher nicht was vorher war.“ Völlig überrascht und sprachlos schaute ich sie an. Das schien sie wieder rum falsch zu verstehen. „Sieh mich nicht so an. Ich weiß, dass ich gesagte habe ich wüsste nicht wie es zwischen uns weiter geht und dann mache ich so was.“ Sie schlug den Blick nieder. „Aber Du hast mich so angesehen und es schien mir in diesem Moment einfach richtig zu sein, Dich zu küssen, Dich zu berühren und das scheint es mir auch im Nachhinein noch.“ Sie suchte meinen Blick. „Ich wollte sicher nicht mit Deinen Gefühlen spielen oder Dich verletzen.“
Es rührte mich, wie sie da saß, weinte und sich um mein Wohl sorgte. Gäbe es keine Prägung wäre dies der Moment gewesen, in dem ich mich hoffnungslos in sie verliebt hätte. „Wie kommst Du nur auf solch dumme Gedanken? Hab ich so auf Dich gewirkt als hättest Du mir Gewalt angetan“ fragte ich kopfschüttelnd. „Aber Du hast mich zurückgewiesen.“ Ich konnte nicht anders und zog sie an mich. Mein Gesicht vergrub ich in ihrem Blondschopf. Für einen Moment konnte ich nicht sprechen, weil mir der Kloß in meinem Hals die Kehle zuschnürte. „Ich habe Dich nicht zurückgewiesen, sondern nur verhindert, dass wir etwas tun wofür wir beide noch nicht bereit sind. Ich will nicht, dass Du glaubst, Du wärst durch die Prägung mir gegenüber zu irgendetwas verpflichtet.“ Sie löste sich soweit aus meiner Umarmung, dass sie mir in die Augen sehen konnte. „Aber Du warst heute so mürrisch und so schweigsam.“ „Nur weil ich mir wegen Deines Jobs Sorgen mache. Glaub mir, ich hab Dich heute Morgen nur ungern losgelassen.“ „Warum hast Du es dann getan“ fragte sie während sie mein Gesicht mit Küssen bedeckte. Ich wollte Antworten, aber das Denken fiel mir erneut recht schwer. „Eben genau deswegen“ brachte ich noch hervor bevor ihre Lippen die meinen verschlossen.
Erst als ein lautes Hupen hinter uns ertönt führen wir auseinander. Erhitzt und atemlos sortierten wir unsere Kleidung. Da klopfte es auch schon an meinem Fenster. Es war Charlie Swan in voller Uniform, sein Dienstwagen stand hinter uns. Ich ließ das Fenster herunter. „Hallo Charlie.“ „So, so Jacob“ er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen „muss wohl ein interessantes Austauschjahr gewesen sein. Hat es Dir in Kanada so gut gefallen, dass Du Dir gleich eine Erinnerung mit nach Hause genommen hast?“ Ich hatte keine Ahnung was Dad im erzählt hatte wo ich abgeblieben war, also grinste ich einfach zurück und nickte. Nell rutschte etwas verlegen und mit rotem Kopf auf ihrem Sitz herum. Endlich fand ich meine Sprache wieder. „Charlie, das ist Nell Arden. Nell darf ich Dir Charlie Swan vorstellen, den Polizeizeichef von Forks.“ Nell streckte ihm artig ihre Hand an mir vorbei entgegen. „Freut mich“ sagte sie. „Woher kommen sie Nell?“ „Ich bin aus Boston.“ „ Da bleibst Du ein Jahr in Kanada um mit einem Mädchen aus Boston wieder zu kommen? Das hättest Du aber auch einfacher haben können.“ Er lachte. „Einfach kann doch jeder Charlie, ich mag es halt kompliziert“ sagte ich und zwinkerte ihm verschwörerisch zu. „Na dann ihr beiden, dann will ich mal nicht länger stören, aber macht mir keine Dummheiten. Sonst muss ich es Billy erzählen.“ Er zwinkerte zurück tippte sich kurz an die Stirn zu einem kurzen Salut und ging zurück zu seinen Wagen. Erst als er außer Sicht war atmete Nell auf. „Alles in Ordnung bei Dir“ fragte ich. Sie fing an zu lachen. „Beim Knutschen im Auto erwischt zu werden ist so ziemlich das Normalste was mir seit langem passiert ist.“ „Dass wir noch mal erwischt werden kann ich Dir nicht versprechen, aber ich denke ich könnte es einrichten, dass wir die Sache mit dem Knutschen fortsetzen“ sagte ich während ich versuchte meine Lippen wieder auf ihre zu pressen, aber sie war immer noch am lachen. „Dann musst Du eben noch warten“ sagte ich gespielt beleidigt und lies den Motor an. „Wir müssen sowieso nach Hause, es wird schon bald dunkel.“
Es war kurz vor Mittag als Nell meinte ich hätte genug geschlafen und übertrieben laut anfing abzuwaschen. „Oh Jake, Du bist wach“ sagte sie unschuldig „dann können wir ja gleich fahren.“ Sie setzte ihr süßestes Lächeln auf und mir blieb nichts anders übrig als auf zu stehen. Zwanzig Minuten später waren wir mit meinem Golf auf den Weg nach Forks. Ich war wortkarg und schlecht gelaunt, während sie richtig aufblühte. Ihre Wangen glühten vor Begeisterung, endlich was anderes als das Reservat zu sehen.
Unser erstes Ziel war der Supermarkt. Gut gelaunt sprang Nell aus dem Wagen, um nur wenige Minuten etwas weniger gut gelaunt wieder heraus zu kommen. „Ist leider gerade keine Stelle frei“ seufzte sie. „Ja das ist schade“ sagte ich. Schlecht für Dich gut für mich, dachte ich. Wenn sie keine Stelle fand, dann war ich eine Sorge schon mal los. „Ich hab aber einen Aushang von einem Bed & Breakfast gefunden. Da möchte ich als nächstes hin.“ Verdammt, war das was ich dachte, allerdings sagte ich: „Klar, kein Problem. Zeig mal die Adresse her.“
Die kleine Pension zu finden war kein Problem. Nell schlüpfte schnell hinein um nachzufragen. Als sich nach zwanzig Minuten, noch nicht wieder da war, schwante mir Böses. „Na, Job bekommen“ war daher meine erste Frage als sie wiederkam. „Nein, war leider schon besetzt.“ „Und was hast Du dann so lange da drin gemacht?“ „Ach, es war nur der Sohn des Besitzers da und der wollte unbedingt noch einen Kaffee mit mir trinken.“ „Wie nett“ brummte ich und presste die Hände so fest um das Lenkrad, dass meine Knöchel weiß hervortraten. Eine weitere Gefahr in Forks, an die ich bisher nicht gedacht hatte: andere Männer!
Wir klapperten noch einige kleinere Geschäfte ab, aber dort war nicht viel zu holen. Die Besitzer war entweder bestens mit den wenigen Angestellten die sie benötigten versorgt oder es handelte sich um reine Familienbetriebe, die keine Angestellten hatten. So niederträchtig ich mir auch vorkam, meine Laune besserte sich mit jeder Absage. Es tat mir leid, dass Nells Begeisterung gegen Null sank, aber ich war mir sicher, dass es besser so war.
Ich atmete schon fast auf, als Nell das „Hilfe gesucht“-Schild im Fenster eines Cafés entdeckte. Sie sprang aus dem Wagen noch bevor ich den Motor ausgestellt hatte. Keine zehn Minuten später kam sie wieder aus dem Laden und strahlte bis über beide Ohren. „ Ich kann morgen anfangen Jake. Danke, dass Du mich das machen lässt.“ Sie wollte mir einen Kuß auf die Wange geben doch ich drehte mich mürrisch weg. Irritiert schaute sie mich an, doch dann richtete sie den Blick aus dem Fenster. Schweigend machten wir uns wieder auf den Weg zurück zum Reservat.
Auf halber Strecke sagte sie plötzlich: „Halt an Jake.“ „Was ist denn los?“ „Bitte Jake, da links in den Waldweg. Ich muss mit Dir reden.“ „ Kann das nicht warten bis wir Zuhause sind?“ „Nein Jake das kann es nicht.“ Seufzend bog ich links ab, stellte den Motor ab und wartete darauf was sie mir zu sagen hatte. Sie drehte sich auf ihrem Sitz halb zu mir. Ihre Hände spielten nervös am Saum ihrer Bluse. „Ich weiß warum Du so abweisend zu mir bist“ fing sich an „ Und Du sollst wissen es tut mir so leid, dass ich Dich verärgert habe.“ In ihren Augen schimmerte es verdächtig „Ich hätte Dich heute Morgen nicht so bedrängen dürfen. Nicht nach der Geschichte mit Bella. Ich habe keine Ahnung wie stark dieses Prägungsding ist, aber man vergisst sicher nicht was vorher war.“ Völlig überrascht und sprachlos schaute ich sie an. Das schien sie wieder rum falsch zu verstehen. „Sieh mich nicht so an. Ich weiß, dass ich gesagte habe ich wüsste nicht wie es zwischen uns weiter geht und dann mache ich so was.“ Sie schlug den Blick nieder. „Aber Du hast mich so angesehen und es schien mir in diesem Moment einfach richtig zu sein, Dich zu küssen, Dich zu berühren und das scheint es mir auch im Nachhinein noch.“ Sie suchte meinen Blick. „Ich wollte sicher nicht mit Deinen Gefühlen spielen oder Dich verletzen.“
Es rührte mich, wie sie da saß, weinte und sich um mein Wohl sorgte. Gäbe es keine Prägung wäre dies der Moment gewesen, in dem ich mich hoffnungslos in sie verliebt hätte. „Wie kommst Du nur auf solch dumme Gedanken? Hab ich so auf Dich gewirkt als hättest Du mir Gewalt angetan“ fragte ich kopfschüttelnd. „Aber Du hast mich zurückgewiesen.“ Ich konnte nicht anders und zog sie an mich. Mein Gesicht vergrub ich in ihrem Blondschopf. Für einen Moment konnte ich nicht sprechen, weil mir der Kloß in meinem Hals die Kehle zuschnürte. „Ich habe Dich nicht zurückgewiesen, sondern nur verhindert, dass wir etwas tun wofür wir beide noch nicht bereit sind. Ich will nicht, dass Du glaubst, Du wärst durch die Prägung mir gegenüber zu irgendetwas verpflichtet.“ Sie löste sich soweit aus meiner Umarmung, dass sie mir in die Augen sehen konnte. „Aber Du warst heute so mürrisch und so schweigsam.“ „Nur weil ich mir wegen Deines Jobs Sorgen mache. Glaub mir, ich hab Dich heute Morgen nur ungern losgelassen.“ „Warum hast Du es dann getan“ fragte sie während sie mein Gesicht mit Küssen bedeckte. Ich wollte Antworten, aber das Denken fiel mir erneut recht schwer. „Eben genau deswegen“ brachte ich noch hervor bevor ihre Lippen die meinen verschlossen.
Erst als ein lautes Hupen hinter uns ertönt führen wir auseinander. Erhitzt und atemlos sortierten wir unsere Kleidung. Da klopfte es auch schon an meinem Fenster. Es war Charlie Swan in voller Uniform, sein Dienstwagen stand hinter uns. Ich ließ das Fenster herunter. „Hallo Charlie.“ „So, so Jacob“ er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen „muss wohl ein interessantes Austauschjahr gewesen sein. Hat es Dir in Kanada so gut gefallen, dass Du Dir gleich eine Erinnerung mit nach Hause genommen hast?“ Ich hatte keine Ahnung was Dad im erzählt hatte wo ich abgeblieben war, also grinste ich einfach zurück und nickte. Nell rutschte etwas verlegen und mit rotem Kopf auf ihrem Sitz herum. Endlich fand ich meine Sprache wieder. „Charlie, das ist Nell Arden. Nell darf ich Dir Charlie Swan vorstellen, den Polizeizeichef von Forks.“ Nell streckte ihm artig ihre Hand an mir vorbei entgegen. „Freut mich“ sagte sie. „Woher kommen sie Nell?“ „Ich bin aus Boston.“ „ Da bleibst Du ein Jahr in Kanada um mit einem Mädchen aus Boston wieder zu kommen? Das hättest Du aber auch einfacher haben können.“ Er lachte. „Einfach kann doch jeder Charlie, ich mag es halt kompliziert“ sagte ich und zwinkerte ihm verschwörerisch zu. „Na dann ihr beiden, dann will ich mal nicht länger stören, aber macht mir keine Dummheiten. Sonst muss ich es Billy erzählen.“ Er zwinkerte zurück tippte sich kurz an die Stirn zu einem kurzen Salut und ging zurück zu seinen Wagen. Erst als er außer Sicht war atmete Nell auf. „Alles in Ordnung bei Dir“ fragte ich. Sie fing an zu lachen. „Beim Knutschen im Auto erwischt zu werden ist so ziemlich das Normalste was mir seit langem passiert ist.“ „Dass wir noch mal erwischt werden kann ich Dir nicht versprechen, aber ich denke ich könnte es einrichten, dass wir die Sache mit dem Knutschen fortsetzen“ sagte ich während ich versuchte meine Lippen wieder auf ihre zu pressen, aber sie war immer noch am lachen. „Dann musst Du eben noch warten“ sagte ich gespielt beleidigt und lies den Motor an. „Wir müssen sowieso nach Hause, es wird schon bald dunkel.“
Re: Indian Summer
Kapitel 11 (Jacob)
Vor sich hin summend, stand Nell am Herd und bereitete das Abendessen vor. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen, während sie Nudeln abkochte und Pilze klein schnitt. „Was summst Du da“ fragte ich sie. Augenblicklich verstummte sie und sah mich mit leicht geröteten Wagen an. „Oh ich dachte Du wärst noch draußen bei Billy.“ Dann schippelte sie weiter, ohne meine Frage zu beantworten. Aber ich hatte das Lied schon längst erkannt. Wie hätte ich es auch nicht erkennen können? Es war „The Rose“, welches das Lieblingslied meiner Mutter gewesen war und eine der wenigen Erinnerungen an sie, die ich hatte. Dad hatte es nach ihrem Tod oft gehört, um sich meiner Mutter weiterhin nahe zu fühlen und nun kam es mir fast wie ein Zeichen vor, dass ausgerechnet die Frau, die meine Gefährtin sein sollte, dieses Lied auf den Lippen trug.
Gerührt schlang ich meine Arme um sie und zwar so heftig, dass sie vor Schreck fast das Küchenmesser fallen ließ. Ich küsste ihren Scheitel. „Tut mir leid. Ich wollte Dich nicht erschrecken, aber dieses Lied hat eine ganz besondere Bedeutung für mich.“ „Es war das Lieblingslied Deiner Mutter.“ „Woher weißt Du…?“ Sie zuckte mit den Schultern: „Du hast es mir gerade gezeigt. Es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass das passiert.“ „Du kannst ja nichts dafür.“ „Siehst Du jetzt auch was“ fragte ich, während ich ihr Haar von ihrer Schulter strich und mich sachte ihren Hals hinabküsste. „Hm“ hauchte sie leise „ich sehe, dass das Nudelwasser gleich überkocht und Du nichts zu essen bekommen wirst.“ „Mir egal.“ „Wir wissen beide, dass das nicht stimmt“ merkte sie lachend an und wand sich aus meiner Umarmung. „Wäre toll, wenn Du schon mal den Tisch deckst“ meinte sie, stellte sich dann aber doch noch auf die Zehenspitzen, damit ich ihr einen Kuss geben konnte.
„So, dann arbeitest Du nun also in einem Coffeeshop“ meinte Dad schließlich beim Abendessen. „Nein, das war heute schon meine erste Lektion, ich arbeite in einem Café. Wir verkaufen Croissants und deswegen sind wir laut Mr. Harper ein Café“ Nell zuckte lachend mit den Schultern. „Wie auch immer. Die Hauptsache ist, dass Du was gefunden hast und nun endlich Ruhe gibst“ erwiderte Dad ebenfalls lachend. „Ja mal sehen. Wenn ich jetzt noch selbst fahren darf und Jake nicht meint, er müsse Chauffeur und Bodyguard spielen, dann bin ich ganz zufrieden.“ Fragend sah sie in meine Richtung. „Ich werde Dich da morgen hin fahren und Dich auch abholen kommen. Keine Widerrede. Wenn Du dann mal ein paar Tage heil nach Hause gekommen bist, dann können wir darüber reden ob Du mein Auto haben kannst.“ „Dann darf ich also in ein paar Tagen Deinen Wagen fahren? Sehr schön“ sagte sie und sah mich heraufordernd an. „Vorausgesetzt natürlich Du hast einen gültigen Führerschein“ erwiderte ich mit ernstem Tonfall. Ich sah, dass sie sich das Lachen verkneifen musste, denn es war auch ihr klar, dass ich da gerade nach dem allerletzten Strohhalm griff, sie nicht aus den Augen lassen zu müssen. „Selbstverständlich“ antwortete sie schließlich, hätte aber fast losgeprustet, weil Dad angesichts meiner übertriebenen Fürsorge die Augen gegen Himmel verdrehte.
Nach dem Abendessen setzten wir uns draußen auf die Stufen der Veranda, aber ich suchte nicht wie sonst ihre Nähe. Es gab noch eine Sorge, die ich wegen ihres Jobs hatte, die ich aber nicht vor Dad besprechen wollte. Ich fand es verwunderlich, dass sie sich eine Arbeit mit Menschenkontakt gesucht hatte, wo ich doch gesehen hatte, dass sie sogar den Körperkontakt mit den Wölfen mied. Sie lachte und nickte kurz als ich sie danach fragte, bevor sie zu erklären begann: „Mit der Zeit habe ich gelernt Berührungen aus dem Weg zu gehen. Es ist ganz selten, dass ich unabsichtlich Körperkontakt habe. Natürlich lässt sich das obligatorische Händeschütteln nicht vermeiden, aber das heißt das ja nicht automatisch, dass ich auch was über den Menschen sehe. Sollte ich etwas sehen, dann versuche ich den Kontakt so schnell wie möglich abzubrechen. Ich muss wirklich nicht alles wissen.“ Ich erinnerte mich an dem Blick den Nell Sam zu geworfen hatte, als Leah sie berührte. „Bei Leah hast Du etwas gesehen.“ Nell seufzte leise und nickte. „Was?“ fragte ich. „Darüber sollte ich besser nicht reden“ sagte sie und blickte mich traurig an. „Warum nicht? Wir alle wissen, dass Leah wütend auf Sam ist, weil er sich auf Emily geprägt hat.“ „Aber ich sehe mehr als das, was ihr von Außen wahrnehmt. Es ist eine Sache die Fakten zu kennen und eine andere die Emotionen zu spüren, die ein Mensch empfindet. Es ist einfach zu persönlich. Ich selbst komme mir schon vor wie ein Eindringling, aber ich kann es ja nicht ändern.“ Sie suchte mit ernster Miene meinen Blick, nahm meine Hand und drückte sie kurz. „Glaub mir einfach, wenn ich Dir sage, dass das Leben nicht leicht für Leah ist. Hinter ihrer schroffen Art versteckt sich noch eine ganz andere Leah. Sei bitte nachsichtig mir ihr.“ Eine Träne kullerte ihre Wange runter. „Ach verdammt“ beiläufig wischte Nell sie weg. „Leah tut mir so schrecklich leid. Das Schicksal war so unfair zu ihr.“
Erst jetzt begann ich zu begreifen wie es Leah wirklich ging. Ich hatte natürlich gewusst, was zwischen Sam und Leah passiert war und dass es nicht leicht für sie war damit umzugehen, aber welches Ausmaß diese Gefühle auf ihre Persönlichkeit hatten, daran hatte ich nie gedacht. Es war mir nie in den Sinn gekommen, dass ein derart verletzter und enttäuschter Mensch, einfach nicht mehr richtig mit anderen Menschen umgehen konnte. Das ihm jegliche Empathie abhanden kommen musste, weil alles was er spürte der eigene Schmerz war. Im Grunde war Leah sogar mutiger als ich, denn sie war hier geblieben, während ich mich in die Wälder geflüchtet hatte, um mit meinem Schmerz alleine zu sein. Sie war hier geblieben und sie lebte damit. Jeden Tag. Eine Welle von Zuneigung und Respekt für die taktlose, aber mutige graue Wölfin überrollte mich. Auch wenn ihr Herz gebrochen war, so war es dennoch am rechten Fleck und ich würde zukünftig mehr Verständnis für ihre kleinen Aussetzer aufbringen.
„Sind sie und ich die Einzigen bei denen Du etwas gesehen hast“ fragte ich Nell neugierig. Wie musste es sein durch eine Berührung alles über einen Menschen erfahren zu können? Ich hatte schon genug zu tun mit den Gedanken des Rudels, die mir manchmal mehr verrieten als ich wissen wollte. Aber ihr geschah das ohne Vorwarnung bei Wildfremden. „Emily, ich habe gesehen woher sie ihre Narben hat“ sagte Nell. Ich sah den Schauer der über ihre Haut lief und der ihr die feinen Härchen am Körper zu Berge stehen ließ. „Sie liebt ihn dennoch von ganzem Herzen“ murmelte sie mehr zu sich selbst als zu mir. „Bei wem noch?“ Nell sah mich kurz verwirrt an, so sehr war sie in Gedanken gewesen. „Nur bei Dir, Leah und Emily. Ich bin kein Orakel, ich bin nur ein Mensch, der ab und an mehr sieht als er sollte.“ „Ich mache mir doch nur Sorgen, ob dass nicht zu anstrengend wird für Dich unter so vielen Menschen.“
Nell legte ihre Hände auf meine Wangen, so dass ich ihr in die Augen sehen musste: „Jacob Black, ich werde morgen in Harpers Café zur Arbeit erscheinen, ob Du willst oder nicht. Nathan wird nicht dort sein, um mir etwas anzutun. Ich werde keine Dauervision haben. Es wird alles ganz normal sein. Also hör auf Dir Sorgen zu machen.“ Ich legte meine Hände auf ihre und löste sie ein wenig von meinen Wangen, so dass ich ihre Handinnenflächen küssen konnte. „Ich kann mir nicht einfach keine Sorgen um Dich machen. Du bist das absolut Wichtigste in meinem Leben. Versteh das doch.“ „Sag nicht so etwas zu mir, das macht mir Angst“ sagte sie mit einem schiefen Lächeln. „Was macht Dir daran Angst?“ „Dass Du das einfach so weißt. Wir kennen uns im Grunde kaum und für Dich ist das völlig klar.“ „Das ist nun mal der Fluch und der Segen der Prägung.“ „Aber ich hab diese Sicherheit nicht. Es macht mir Angst, dass ich Dich vielleicht nicht genug lieben kann, dass ich Dir nicht das geben kann was Du verdienst, dass ich Dich verletze.“ „Das spielt keine Rolle Nell.“ „Doch für mich spielt es die. Du hast es nicht verdient, weniger als Alles zu bekommen“ sagte sie aufgebracht. „Nell, allein dass Du Dir darüber Gedanken machst, wie es mir geht, ist mehr, als ich überhaupt erwarten kann.“ Sie sah mich verzweifelt an. „Ich wünschte, Du würdest das anders sehen“ erwiderte sie schließlich. „Und ich wünschte Du könntest Dich mit meinen Augen sehen, dann wüsstest Du, dass ich bereits alles habe was ich brauche.“ Sie lächelte zaghaft, aber ich sah ihr an, dass sie mir nicht glaubte. Wahrscheinlich machte ich ihr gerade noch mehr Angst. Aber wie sollte sie auch verstehen, was ich nur empfinden und nicht erklären konnte?
Vor sich hin summend, stand Nell am Herd und bereitete das Abendessen vor. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen, während sie Nudeln abkochte und Pilze klein schnitt. „Was summst Du da“ fragte ich sie. Augenblicklich verstummte sie und sah mich mit leicht geröteten Wagen an. „Oh ich dachte Du wärst noch draußen bei Billy.“ Dann schippelte sie weiter, ohne meine Frage zu beantworten. Aber ich hatte das Lied schon längst erkannt. Wie hätte ich es auch nicht erkennen können? Es war „The Rose“, welches das Lieblingslied meiner Mutter gewesen war und eine der wenigen Erinnerungen an sie, die ich hatte. Dad hatte es nach ihrem Tod oft gehört, um sich meiner Mutter weiterhin nahe zu fühlen und nun kam es mir fast wie ein Zeichen vor, dass ausgerechnet die Frau, die meine Gefährtin sein sollte, dieses Lied auf den Lippen trug.
Gerührt schlang ich meine Arme um sie und zwar so heftig, dass sie vor Schreck fast das Küchenmesser fallen ließ. Ich küsste ihren Scheitel. „Tut mir leid. Ich wollte Dich nicht erschrecken, aber dieses Lied hat eine ganz besondere Bedeutung für mich.“ „Es war das Lieblingslied Deiner Mutter.“ „Woher weißt Du…?“ Sie zuckte mit den Schultern: „Du hast es mir gerade gezeigt. Es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass das passiert.“ „Du kannst ja nichts dafür.“ „Siehst Du jetzt auch was“ fragte ich, während ich ihr Haar von ihrer Schulter strich und mich sachte ihren Hals hinabküsste. „Hm“ hauchte sie leise „ich sehe, dass das Nudelwasser gleich überkocht und Du nichts zu essen bekommen wirst.“ „Mir egal.“ „Wir wissen beide, dass das nicht stimmt“ merkte sie lachend an und wand sich aus meiner Umarmung. „Wäre toll, wenn Du schon mal den Tisch deckst“ meinte sie, stellte sich dann aber doch noch auf die Zehenspitzen, damit ich ihr einen Kuss geben konnte.
„So, dann arbeitest Du nun also in einem Coffeeshop“ meinte Dad schließlich beim Abendessen. „Nein, das war heute schon meine erste Lektion, ich arbeite in einem Café. Wir verkaufen Croissants und deswegen sind wir laut Mr. Harper ein Café“ Nell zuckte lachend mit den Schultern. „Wie auch immer. Die Hauptsache ist, dass Du was gefunden hast und nun endlich Ruhe gibst“ erwiderte Dad ebenfalls lachend. „Ja mal sehen. Wenn ich jetzt noch selbst fahren darf und Jake nicht meint, er müsse Chauffeur und Bodyguard spielen, dann bin ich ganz zufrieden.“ Fragend sah sie in meine Richtung. „Ich werde Dich da morgen hin fahren und Dich auch abholen kommen. Keine Widerrede. Wenn Du dann mal ein paar Tage heil nach Hause gekommen bist, dann können wir darüber reden ob Du mein Auto haben kannst.“ „Dann darf ich also in ein paar Tagen Deinen Wagen fahren? Sehr schön“ sagte sie und sah mich heraufordernd an. „Vorausgesetzt natürlich Du hast einen gültigen Führerschein“ erwiderte ich mit ernstem Tonfall. Ich sah, dass sie sich das Lachen verkneifen musste, denn es war auch ihr klar, dass ich da gerade nach dem allerletzten Strohhalm griff, sie nicht aus den Augen lassen zu müssen. „Selbstverständlich“ antwortete sie schließlich, hätte aber fast losgeprustet, weil Dad angesichts meiner übertriebenen Fürsorge die Augen gegen Himmel verdrehte.
Nach dem Abendessen setzten wir uns draußen auf die Stufen der Veranda, aber ich suchte nicht wie sonst ihre Nähe. Es gab noch eine Sorge, die ich wegen ihres Jobs hatte, die ich aber nicht vor Dad besprechen wollte. Ich fand es verwunderlich, dass sie sich eine Arbeit mit Menschenkontakt gesucht hatte, wo ich doch gesehen hatte, dass sie sogar den Körperkontakt mit den Wölfen mied. Sie lachte und nickte kurz als ich sie danach fragte, bevor sie zu erklären begann: „Mit der Zeit habe ich gelernt Berührungen aus dem Weg zu gehen. Es ist ganz selten, dass ich unabsichtlich Körperkontakt habe. Natürlich lässt sich das obligatorische Händeschütteln nicht vermeiden, aber das heißt das ja nicht automatisch, dass ich auch was über den Menschen sehe. Sollte ich etwas sehen, dann versuche ich den Kontakt so schnell wie möglich abzubrechen. Ich muss wirklich nicht alles wissen.“ Ich erinnerte mich an dem Blick den Nell Sam zu geworfen hatte, als Leah sie berührte. „Bei Leah hast Du etwas gesehen.“ Nell seufzte leise und nickte. „Was?“ fragte ich. „Darüber sollte ich besser nicht reden“ sagte sie und blickte mich traurig an. „Warum nicht? Wir alle wissen, dass Leah wütend auf Sam ist, weil er sich auf Emily geprägt hat.“ „Aber ich sehe mehr als das, was ihr von Außen wahrnehmt. Es ist eine Sache die Fakten zu kennen und eine andere die Emotionen zu spüren, die ein Mensch empfindet. Es ist einfach zu persönlich. Ich selbst komme mir schon vor wie ein Eindringling, aber ich kann es ja nicht ändern.“ Sie suchte mit ernster Miene meinen Blick, nahm meine Hand und drückte sie kurz. „Glaub mir einfach, wenn ich Dir sage, dass das Leben nicht leicht für Leah ist. Hinter ihrer schroffen Art versteckt sich noch eine ganz andere Leah. Sei bitte nachsichtig mir ihr.“ Eine Träne kullerte ihre Wange runter. „Ach verdammt“ beiläufig wischte Nell sie weg. „Leah tut mir so schrecklich leid. Das Schicksal war so unfair zu ihr.“
Erst jetzt begann ich zu begreifen wie es Leah wirklich ging. Ich hatte natürlich gewusst, was zwischen Sam und Leah passiert war und dass es nicht leicht für sie war damit umzugehen, aber welches Ausmaß diese Gefühle auf ihre Persönlichkeit hatten, daran hatte ich nie gedacht. Es war mir nie in den Sinn gekommen, dass ein derart verletzter und enttäuschter Mensch, einfach nicht mehr richtig mit anderen Menschen umgehen konnte. Das ihm jegliche Empathie abhanden kommen musste, weil alles was er spürte der eigene Schmerz war. Im Grunde war Leah sogar mutiger als ich, denn sie war hier geblieben, während ich mich in die Wälder geflüchtet hatte, um mit meinem Schmerz alleine zu sein. Sie war hier geblieben und sie lebte damit. Jeden Tag. Eine Welle von Zuneigung und Respekt für die taktlose, aber mutige graue Wölfin überrollte mich. Auch wenn ihr Herz gebrochen war, so war es dennoch am rechten Fleck und ich würde zukünftig mehr Verständnis für ihre kleinen Aussetzer aufbringen.
„Sind sie und ich die Einzigen bei denen Du etwas gesehen hast“ fragte ich Nell neugierig. Wie musste es sein durch eine Berührung alles über einen Menschen erfahren zu können? Ich hatte schon genug zu tun mit den Gedanken des Rudels, die mir manchmal mehr verrieten als ich wissen wollte. Aber ihr geschah das ohne Vorwarnung bei Wildfremden. „Emily, ich habe gesehen woher sie ihre Narben hat“ sagte Nell. Ich sah den Schauer der über ihre Haut lief und der ihr die feinen Härchen am Körper zu Berge stehen ließ. „Sie liebt ihn dennoch von ganzem Herzen“ murmelte sie mehr zu sich selbst als zu mir. „Bei wem noch?“ Nell sah mich kurz verwirrt an, so sehr war sie in Gedanken gewesen. „Nur bei Dir, Leah und Emily. Ich bin kein Orakel, ich bin nur ein Mensch, der ab und an mehr sieht als er sollte.“ „Ich mache mir doch nur Sorgen, ob dass nicht zu anstrengend wird für Dich unter so vielen Menschen.“
Nell legte ihre Hände auf meine Wangen, so dass ich ihr in die Augen sehen musste: „Jacob Black, ich werde morgen in Harpers Café zur Arbeit erscheinen, ob Du willst oder nicht. Nathan wird nicht dort sein, um mir etwas anzutun. Ich werde keine Dauervision haben. Es wird alles ganz normal sein. Also hör auf Dir Sorgen zu machen.“ Ich legte meine Hände auf ihre und löste sie ein wenig von meinen Wangen, so dass ich ihre Handinnenflächen küssen konnte. „Ich kann mir nicht einfach keine Sorgen um Dich machen. Du bist das absolut Wichtigste in meinem Leben. Versteh das doch.“ „Sag nicht so etwas zu mir, das macht mir Angst“ sagte sie mit einem schiefen Lächeln. „Was macht Dir daran Angst?“ „Dass Du das einfach so weißt. Wir kennen uns im Grunde kaum und für Dich ist das völlig klar.“ „Das ist nun mal der Fluch und der Segen der Prägung.“ „Aber ich hab diese Sicherheit nicht. Es macht mir Angst, dass ich Dich vielleicht nicht genug lieben kann, dass ich Dir nicht das geben kann was Du verdienst, dass ich Dich verletze.“ „Das spielt keine Rolle Nell.“ „Doch für mich spielt es die. Du hast es nicht verdient, weniger als Alles zu bekommen“ sagte sie aufgebracht. „Nell, allein dass Du Dir darüber Gedanken machst, wie es mir geht, ist mehr, als ich überhaupt erwarten kann.“ Sie sah mich verzweifelt an. „Ich wünschte, Du würdest das anders sehen“ erwiderte sie schließlich. „Und ich wünschte Du könntest Dich mit meinen Augen sehen, dann wüsstest Du, dass ich bereits alles habe was ich brauche.“ Sie lächelte zaghaft, aber ich sah ihr an, dass sie mir nicht glaubte. Wahrscheinlich machte ich ihr gerade noch mehr Angst. Aber wie sollte sie auch verstehen, was ich nur empfinden und nicht erklären konnte?
Re: Indian Summer
Kapitel 12 (Nell)
Ich schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Das war ja wirklich bestens! Wir konnten einander anscheinend nicht verstehen. Nicht, dass ich es nicht versucht hätte, aber, wie so oft in meinem Leben waren meine Visionen nur sinnlose Last und kein Geschenk. Ich konnte sie einfach nicht zielgerichtet einsetzten und diese Prägungssache verbarg sich hartnäckig vor mir. Dafür war ich über ein paar Erinnerungen an seine Mutter gestolpert, was gar nicht meine Absicht gewesen war. Ich wollte solche Dinge nicht auf diese Weise über ihn erfahren, sondern sie von ihm hören, weil er mir vertraute und sie mir erzählen wollte.
So oft mir die Melodie von „The Rose“ einfiel, schwelgte ich in bittersüßen Erinnerungen. Ich liebte dieses Lied, aber es hatte einst eine Bedeutung für Nathan und mich gehabt. Damals glaubte ich, die Zeilen “I say love it is a flower and you its only seed” würden unsere Liebe beschreiben, doch mittlerweile hatte sich herausgestellt, dass andere Textzeilen viel eher zutreffend waren. “Some say love it is a razor that leaves your soul to bleed“, schien mir nicht nur wegen des Blutes heute viel treffender zu sein. Wie lange bluteten wir beide nun schon? Nathan, weil er nicht verstehen konnte, dass ich, nachdem was mit ihm geschehen war, und vor allem nach den Dingen die er getan hatte, die er tun musste, um zu überleben, nicht mehr mit ihm zusammen sein konnte. Ich, weil er das nicht einsehen wollte und weil ein kleiner Teil von mir immer noch an ihm hing. Vielleicht war es meine Schuld, dass er mir folgte, weil ich ihn trotz allem nie ganz losgelassen hatte.
Doch seit Jacob in meine Leben getreten war, hatte sich etwas verändert. Es war nicht die Tatsache, dass er mich gerettet hatte, auch nicht die großzügige Hilfe und Gastfreundschaft die er mir zu Teil werden ließ, nein, es war von Anfang an sein Lächeln gewesen, das etwas in mir zum Tauen gebracht hatte, das Gefühle freigelegt hatte, die ich vor zwei Jahren in die hinterste Ecke meines Herzens verbannt hatte, die ich für niemanden mehr zulassen wollte. „Just remember in the winter far beneath the bitter snow lies the seed that with the sun's love in the spring becomes the rose” fielen mir die letzen Zeilen des Liedtextes wieder ein. Ich wünschte mir ich könnte diesen Frühling auch zur Gänze in mein Herz einkehren lassen. Aber ich konnte es nicht.
Ich blickte zu ihm herüber, wie er still neben mir auf den Verandastufen saß. So langes Schweigen wie heute, hatte es bisher nicht zwischen uns gegeben. „Du siehst müde aus“, sagte ich, um es zu brechen und strich zärtlich über seine Wange. Im gleichen Moment schalt ich mich selber dafür, dass ich immer wieder seine Nähe suchte. Warum tat ich das nur? Ich wusste was er sich ersehnte und ich wusste, dass ich ihm das im Moment nicht geben konnte. Warum erweckte ich also falsche Hoffnungen in ihm? Er sah mich an und sah fast ein wenig verletzt aus, so als würde er meine Gedanken kennen. „Ich bin auch ein wenig müde. Ich komme dank meiner Wolfskonstitution, wenn es nötig ist, auch gut mit wenig Schlaf aus. Aber so ab und zu wäre eine ruhige Nacht nicht schlecht.“ Er legte seine Hand auf mein Knie. „Aber es ist nun mal nötig wach zu sein, um Dich beschützen zu können und dafür verzichte ich gerne auf Schlaf.“ Wieder dieser Blick, der mich ängstigte, weil er mir sagte, ich sei Jacobs ganze Welt. „Ihr seid sicher alle müde?“, fragte ich und wich seinem Blick aus. „Ja das sind wir, aber solange ich es sage, werden die anderen mitziehen. Müssen sie mitziehen. Ich bin ihr Alpha.“
Ich dachte schon seit ein paar Tagen darüber nach, Jacob einen Vorschlag zu unterbreiten, hatte aber nicht gewusst, wie er in seinem Übereifer darauf reagieren würde. Nun, wo er zugegeben hatte, dass auch seine Kräfte irgendwann zu Neige gingen, schien es mir ein guter Augenblick ihn darauf anzusprechen. „Ihr könntet euch abwechseln mit eurer Patrouille“, sagte ich und sprach schnell weiter ehe Jake mich unterbrechen konnte „Es bringt niemandem etwas, wenn sich ihr euch immer alle die Nacht um die Ohren schlagt. Vielleicht wäre es sinnvoller, wenn ihr einfach so etwas wie einen Wachposten einteilt. Ihr habt euch doch schnell zusammengerottet, sollte Natahn auftauchen.“ Gespannt wartete ich ab, was er dazu sagen würde. Fast rechnete ich mit einem Nein aber dann nickte Jake leicht mit dem Kopf. „Wenn ich jede Nacht mindestens zwei Leute einteile, dann müsste es gehen. Vielleicht kann Sam sogar öfter aussetzen. Er hat sich eine Auszeit verdient“, dachte er laut nach. Dann an mich gewandt: „Und Du bist Dir sicher, dass Du Nathan da nicht unterschätzt?“
„Ich unterschätze ihn nicht. Dafür kenne ich ihn zu gut.“ Das leichte Zittern, das meinen Körper packte und meine Stimme beben ließ, während ich an Nathan dachte, konnte ich nicht verhindern. Ja, ich hatte sein neues Ich einzuschätzen gelernt und hatte dafür einen hohen Preis gezahlt. So ein Fehler würde mir nicht noch einmal passieren. „Was glaubst Du, was er als nächstes tun wird?“ Ich überlegte kurz. Nathans Menschennatur kannte ich besser als mich selbst, aber über das Handeln, seiner Vampirnatur musste ich kurz nachdenken. Nur um sicher zu gehen. Ich dürfte das Rudel nicht gefährden, jedenfalls nicht noch mehr als ich es mit meiner Anwesenheit schon tat. Als ich den Entschluss gefasst hatte zu den Quileute zu gehen, da hatte ich nur mystische Sagengestalten vor mir, die die Kraft und die Fähigkeit hatten mein Problem zu lösen, doch jetzt, in ihrer Mitte, waren sie viel mehr als das. Sie waren Menschen, die mir mit jedem Tag mehr ans Herz wuchsen und die bei dem Versuch meine Leben zu schützen, verletzt werden oder vielleicht sogar sterben konnten.
„Nun, Nathan war nie ein kopfloser Mensch und er ist es auch als Vampir nicht.“ Es sei denn, seine Natur übermannt ihn, aber so weit würde ich es nicht noch einmal kommen lassen. Eher würde ich mit ihm gehen. Doch das sagte ich Jake nicht. „Du hast gesagt, dass Du ihn ziemlich schwer verletzt hast, und er vor Dir geflohen ist, also wird er vermutlich seine Wunden erst ausheilen lassen und dann versuchen, herauszufinden, wer oder was ihn da angegriffen hat. Wenn er es weiß, wird er nach einem Angriffspunkt suchen, nach euerer Schwäche, und sie dann zu seinem Vorteil nutzen. Auch wenn er weiß, wer ihr seid, wäre er niemals so töricht, hierher zu kommen. Er ist ein Fallensteller und Täuscher.“ Meine Gedanken schweiften ab, zu dem letzten Endspiel unserer Highschool Footballmannschaft, in dem Nathan als Quarterback sein Team, allein durch seine strategischen Fähigkeiten zum Sieg geführt hatte. Auch ich hatte ihn damals beglückwünscht und den Sieg gebührend mit ihm gefeiert, ohne zu ahnen, dass dieselbe Fähigkeit mir bald darauf das Leben schwer machen würde.
„Was meinst Du damit“, holte mich Jacob aus meinen Erinnerungen zurück. „Nun, er wird euch nicht direkt angreifen. Nachdem was Du mit ihm gemacht hast, wird er auf der Hut sein. Erst recht, wenn er herausfindet, dass er es mit einem Rudel zu tun hat.“ „Dann ist es ja schön für ihn, dass Du morgen alleine nach Forks gehen willst, um zu arbeiten. So schnell hat man mein Rudel ausgeschaltet. Wahrscheinlich kennt er Deinen Dickkopf“, brummte Jake. „Nein, so einfach wird er es sich auch nicht machen. Er ist ein Spieler und das wäre ein langweiliges Spiel. Außerdem wird er sich an Dir rächen wollen. Mich hätte er sich schon so viele Male holen können, wenn er das gewollt hätte. Aber Du hast Dich eingemischt und das wird er sich nicht so einfach gefallen lassen.“ Jake ballte grimmig die Fäuste: „Dann soll er nur kommen.“ „Mit Kraft alleine wirst Du Nathan nicht besiegen Jake.“ Doch er hörte mir gar nicht richtig zu und war schon aufgestanden, um sich mit seinem Rudel zu treffen.
„Ich werde gleich mit ihnen darüber reden. Wenn alle einverstanden sind, dann teilen wir uns auf.“ Ich nickte nur stumm. Seine plötzliche Entschlossenheit gefiel mir gar nicht. „Jacob versprichst Du mir etwas?“ „Was soll ich Dir denn versprechen?“ „Sei niemals so dumm und stürz Dich alleine in den Kampf gegen Nathan. Auch nicht um mich zu retten. Wenn es sein muss, dann musst Du ihn und mich töten.“ Schockiert sah er mich an. „Hast Du eine Ahnung, was Du da von mir verlangst?“ „Aber Du musst es tun können, wenn es nötig ist.“ Daraufhin sagte er nichts mehr. Bei unserer ersten Begegnung hatte ich ihn darum gebeten und war mir damals sicher gewesen, er würde tun, was nötig war. Aber ich sah an seiner Körperhaltung, dass sich jetzt alles in ihm gegen diesen Gedanken sträubte. „Ich kann nicht Nell.“ „Du musst es aber können. Versprich es mir.“ Er zog mich von den Stufen hoch, in seine Arme und küsste mich sanft auf den Mund, bevor er ging. Eine Antwort blieb er mir schuldig.
Ich schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Das war ja wirklich bestens! Wir konnten einander anscheinend nicht verstehen. Nicht, dass ich es nicht versucht hätte, aber, wie so oft in meinem Leben waren meine Visionen nur sinnlose Last und kein Geschenk. Ich konnte sie einfach nicht zielgerichtet einsetzten und diese Prägungssache verbarg sich hartnäckig vor mir. Dafür war ich über ein paar Erinnerungen an seine Mutter gestolpert, was gar nicht meine Absicht gewesen war. Ich wollte solche Dinge nicht auf diese Weise über ihn erfahren, sondern sie von ihm hören, weil er mir vertraute und sie mir erzählen wollte.
So oft mir die Melodie von „The Rose“ einfiel, schwelgte ich in bittersüßen Erinnerungen. Ich liebte dieses Lied, aber es hatte einst eine Bedeutung für Nathan und mich gehabt. Damals glaubte ich, die Zeilen “I say love it is a flower and you its only seed” würden unsere Liebe beschreiben, doch mittlerweile hatte sich herausgestellt, dass andere Textzeilen viel eher zutreffend waren. “Some say love it is a razor that leaves your soul to bleed“, schien mir nicht nur wegen des Blutes heute viel treffender zu sein. Wie lange bluteten wir beide nun schon? Nathan, weil er nicht verstehen konnte, dass ich, nachdem was mit ihm geschehen war, und vor allem nach den Dingen die er getan hatte, die er tun musste, um zu überleben, nicht mehr mit ihm zusammen sein konnte. Ich, weil er das nicht einsehen wollte und weil ein kleiner Teil von mir immer noch an ihm hing. Vielleicht war es meine Schuld, dass er mir folgte, weil ich ihn trotz allem nie ganz losgelassen hatte.
Doch seit Jacob in meine Leben getreten war, hatte sich etwas verändert. Es war nicht die Tatsache, dass er mich gerettet hatte, auch nicht die großzügige Hilfe und Gastfreundschaft die er mir zu Teil werden ließ, nein, es war von Anfang an sein Lächeln gewesen, das etwas in mir zum Tauen gebracht hatte, das Gefühle freigelegt hatte, die ich vor zwei Jahren in die hinterste Ecke meines Herzens verbannt hatte, die ich für niemanden mehr zulassen wollte. „Just remember in the winter far beneath the bitter snow lies the seed that with the sun's love in the spring becomes the rose” fielen mir die letzen Zeilen des Liedtextes wieder ein. Ich wünschte mir ich könnte diesen Frühling auch zur Gänze in mein Herz einkehren lassen. Aber ich konnte es nicht.
Ich blickte zu ihm herüber, wie er still neben mir auf den Verandastufen saß. So langes Schweigen wie heute, hatte es bisher nicht zwischen uns gegeben. „Du siehst müde aus“, sagte ich, um es zu brechen und strich zärtlich über seine Wange. Im gleichen Moment schalt ich mich selber dafür, dass ich immer wieder seine Nähe suchte. Warum tat ich das nur? Ich wusste was er sich ersehnte und ich wusste, dass ich ihm das im Moment nicht geben konnte. Warum erweckte ich also falsche Hoffnungen in ihm? Er sah mich an und sah fast ein wenig verletzt aus, so als würde er meine Gedanken kennen. „Ich bin auch ein wenig müde. Ich komme dank meiner Wolfskonstitution, wenn es nötig ist, auch gut mit wenig Schlaf aus. Aber so ab und zu wäre eine ruhige Nacht nicht schlecht.“ Er legte seine Hand auf mein Knie. „Aber es ist nun mal nötig wach zu sein, um Dich beschützen zu können und dafür verzichte ich gerne auf Schlaf.“ Wieder dieser Blick, der mich ängstigte, weil er mir sagte, ich sei Jacobs ganze Welt. „Ihr seid sicher alle müde?“, fragte ich und wich seinem Blick aus. „Ja das sind wir, aber solange ich es sage, werden die anderen mitziehen. Müssen sie mitziehen. Ich bin ihr Alpha.“
Ich dachte schon seit ein paar Tagen darüber nach, Jacob einen Vorschlag zu unterbreiten, hatte aber nicht gewusst, wie er in seinem Übereifer darauf reagieren würde. Nun, wo er zugegeben hatte, dass auch seine Kräfte irgendwann zu Neige gingen, schien es mir ein guter Augenblick ihn darauf anzusprechen. „Ihr könntet euch abwechseln mit eurer Patrouille“, sagte ich und sprach schnell weiter ehe Jake mich unterbrechen konnte „Es bringt niemandem etwas, wenn sich ihr euch immer alle die Nacht um die Ohren schlagt. Vielleicht wäre es sinnvoller, wenn ihr einfach so etwas wie einen Wachposten einteilt. Ihr habt euch doch schnell zusammengerottet, sollte Natahn auftauchen.“ Gespannt wartete ich ab, was er dazu sagen würde. Fast rechnete ich mit einem Nein aber dann nickte Jake leicht mit dem Kopf. „Wenn ich jede Nacht mindestens zwei Leute einteile, dann müsste es gehen. Vielleicht kann Sam sogar öfter aussetzen. Er hat sich eine Auszeit verdient“, dachte er laut nach. Dann an mich gewandt: „Und Du bist Dir sicher, dass Du Nathan da nicht unterschätzt?“
„Ich unterschätze ihn nicht. Dafür kenne ich ihn zu gut.“ Das leichte Zittern, das meinen Körper packte und meine Stimme beben ließ, während ich an Nathan dachte, konnte ich nicht verhindern. Ja, ich hatte sein neues Ich einzuschätzen gelernt und hatte dafür einen hohen Preis gezahlt. So ein Fehler würde mir nicht noch einmal passieren. „Was glaubst Du, was er als nächstes tun wird?“ Ich überlegte kurz. Nathans Menschennatur kannte ich besser als mich selbst, aber über das Handeln, seiner Vampirnatur musste ich kurz nachdenken. Nur um sicher zu gehen. Ich dürfte das Rudel nicht gefährden, jedenfalls nicht noch mehr als ich es mit meiner Anwesenheit schon tat. Als ich den Entschluss gefasst hatte zu den Quileute zu gehen, da hatte ich nur mystische Sagengestalten vor mir, die die Kraft und die Fähigkeit hatten mein Problem zu lösen, doch jetzt, in ihrer Mitte, waren sie viel mehr als das. Sie waren Menschen, die mir mit jedem Tag mehr ans Herz wuchsen und die bei dem Versuch meine Leben zu schützen, verletzt werden oder vielleicht sogar sterben konnten.
„Nun, Nathan war nie ein kopfloser Mensch und er ist es auch als Vampir nicht.“ Es sei denn, seine Natur übermannt ihn, aber so weit würde ich es nicht noch einmal kommen lassen. Eher würde ich mit ihm gehen. Doch das sagte ich Jake nicht. „Du hast gesagt, dass Du ihn ziemlich schwer verletzt hast, und er vor Dir geflohen ist, also wird er vermutlich seine Wunden erst ausheilen lassen und dann versuchen, herauszufinden, wer oder was ihn da angegriffen hat. Wenn er es weiß, wird er nach einem Angriffspunkt suchen, nach euerer Schwäche, und sie dann zu seinem Vorteil nutzen. Auch wenn er weiß, wer ihr seid, wäre er niemals so töricht, hierher zu kommen. Er ist ein Fallensteller und Täuscher.“ Meine Gedanken schweiften ab, zu dem letzten Endspiel unserer Highschool Footballmannschaft, in dem Nathan als Quarterback sein Team, allein durch seine strategischen Fähigkeiten zum Sieg geführt hatte. Auch ich hatte ihn damals beglückwünscht und den Sieg gebührend mit ihm gefeiert, ohne zu ahnen, dass dieselbe Fähigkeit mir bald darauf das Leben schwer machen würde.
„Was meinst Du damit“, holte mich Jacob aus meinen Erinnerungen zurück. „Nun, er wird euch nicht direkt angreifen. Nachdem was Du mit ihm gemacht hast, wird er auf der Hut sein. Erst recht, wenn er herausfindet, dass er es mit einem Rudel zu tun hat.“ „Dann ist es ja schön für ihn, dass Du morgen alleine nach Forks gehen willst, um zu arbeiten. So schnell hat man mein Rudel ausgeschaltet. Wahrscheinlich kennt er Deinen Dickkopf“, brummte Jake. „Nein, so einfach wird er es sich auch nicht machen. Er ist ein Spieler und das wäre ein langweiliges Spiel. Außerdem wird er sich an Dir rächen wollen. Mich hätte er sich schon so viele Male holen können, wenn er das gewollt hätte. Aber Du hast Dich eingemischt und das wird er sich nicht so einfach gefallen lassen.“ Jake ballte grimmig die Fäuste: „Dann soll er nur kommen.“ „Mit Kraft alleine wirst Du Nathan nicht besiegen Jake.“ Doch er hörte mir gar nicht richtig zu und war schon aufgestanden, um sich mit seinem Rudel zu treffen.
„Ich werde gleich mit ihnen darüber reden. Wenn alle einverstanden sind, dann teilen wir uns auf.“ Ich nickte nur stumm. Seine plötzliche Entschlossenheit gefiel mir gar nicht. „Jacob versprichst Du mir etwas?“ „Was soll ich Dir denn versprechen?“ „Sei niemals so dumm und stürz Dich alleine in den Kampf gegen Nathan. Auch nicht um mich zu retten. Wenn es sein muss, dann musst Du ihn und mich töten.“ Schockiert sah er mich an. „Hast Du eine Ahnung, was Du da von mir verlangst?“ „Aber Du musst es tun können, wenn es nötig ist.“ Daraufhin sagte er nichts mehr. Bei unserer ersten Begegnung hatte ich ihn darum gebeten und war mir damals sicher gewesen, er würde tun, was nötig war. Aber ich sah an seiner Körperhaltung, dass sich jetzt alles in ihm gegen diesen Gedanken sträubte. „Ich kann nicht Nell.“ „Du musst es aber können. Versprich es mir.“ Er zog mich von den Stufen hoch, in seine Arme und küsste mich sanft auf den Mund, bevor er ging. Eine Antwort blieb er mir schuldig.
Re: Indian Summer
Kapitel 13 (Jacob)
Das Rudel nahm Nells Vorschlag mit Begeisterung an. Nicht nur, weil wir alle müde waren, sondern weil es einen schlicht und ergreifend nervte, auf Dauer mit Leuten zusammen zu sein, die jeden einzelnen, noch so privaten Gedanken, wahrnahmen. Mit Schrecken musste ich feststellen, dass es fast schon zu einfach war, uns aufzuteilen. Immer mehr junge Männer gingen durch die schmerzhafte Phase der Verwandlung und schlossen sich unserem Rudel an. Auch wenn manche, ebenso wie ich, einen gewissen Stolz auf das Dasein als Wolf hatten, so fragte ich mich doch, ob wir wirklich begriffen, was dies für uns bedeutete. Solange wir uns wandelten, würden wir nicht altern. Wir würden leben, während alles um uns herum starb – auch die Menschen auf die wir geprägt waren. Alleine bei dem Gedanken daran, spürte ich einen Schmerz, so scharf wie ein Rasiermesser in mir. Schnell schob ich den Gedanken zu Seite. Es war die falsche Zeit, um so weit in die Zukunft zu denken und es lag sowieso nicht in meiner Macht die Geschehnisse aufzuhalten.
Entgegen meinen Befürchtungen und wie Nell es voraus gesagt hatte, geschah die nächsten Tage absolut nichts Ungewöhnliches. Nell trat ihren Job im Café ohne Zwischenfälle an. Nach zwei Tagen sah ich davon ab, sie zu fahren und überließ ihr den Golf. Ihre Laune war schon fast unerträglich gut. Wenn sie nach Hause kam plapperte sie unaufhörlich. Anscheinend machte sie ihre Sache gut, denn das leere Marmeladenglas in dem sie ihr Trinkgeld sammelte füllte sich zusehends. Trotz der Normalität die eingekehrt war, blieb ich wachsam. Nell hatte ja bereits erzählt, dass Nathan sich mit unter Zeit ließ ihr nachzustellen. Sicher verschaffte uns die Verletzung, die ich ihm zugefügt hatte, mehr Zeit, aber er wusste auch ungefähr wo sich Nell aufhielt. Wenn er erst herausfinden würde, wer ihn verletzt hatte, wäre es ein Kinderspiel uns und somit auch Nell, zu finden.
Es war ein kalter, verregneter Abend, als ich mit Seth und Paul Patrouille lief. Seth konnte es nicht lassen, uns immer wieder seine übellaunigen Gedanken vorzuführen, denn er hatte den gestrigen, trockenen Abend mit Leah getauscht und nun passte es ihm natürlich gar nicht, durch dieses Mistwetter stapfen zu müssen. Ich setzte mich unauffällig etwas von den beiden ab, irgendeinen Liedtext, den ich am Nachmittag im Radio gehört hatte in Gedanken vor mich hin singend. Erst als ich mir sicher war es würden nicht gleich wieder Seths unfreundliche Gedanken bezüglich seiner Schwester in meinem Kopf auftauchen, versuchte ich auch den Ohrwurm zu verdrängen.
Zuerst dachte ich, dass mir meine Augen einen Streich spielen würden, als ich ein flackerndes Licht in circa fünfzig Metern Entfernung wahrnahm. Vorsichtig ging ich näher, versuchte etwas zu wittern, aber der Wind kam aus der falschen Richtung. Als ich noch näher ging, erkannte ich schließlich eine kleine Lichtung, auf der ein, mit schweren Steinen gesichertes, Feuer brannte. Der Regen war gerade dabei es zu löschen und es stiegen zischend Rauchwolken auf, wenn das Wasser die Glut traf.
Keine Menschenseele war zu sehen und ich war mir ziemlich sicher, dass Vampire kein wärmendes Feuer brauchten. Vielleicht waren die Wanderer schon weiter gezogen, ohne das Feuer gänzlich zu löschen. Das war nicht unüblich und konnte in weniger feuchten Gegenden durchaus zum Problem werden. Zwischen zwei großen alten Bäumen entdeckte ich schließlich ein kleines Zelt. Auf den ersten Blick schien alles normal, doch dann sah ich einen bestiefelten Fuß aus dem Zelt ragen. Ich ahnte Böses! Vorsichtig näherte ich mich. Ich schlug behutsam mit der Pfote nach dem Fuß, in der Hoffnung der Rest des Menschen würde erschrocken auffahren, doch nichts tat sich. Da der Reißverschluss des Eingangs offen war, drückte ich mit meiner Schnauze die beiden Tuchbahnen auseinander. Der Kupfergeruch frischen Blutes drang in meine Nase. Für einen Moment rebellierte mein Magen, angesichts des Bildes, das sich mir bot. Im Zelt lagen zwei Wanderer. Ein Mann und eine Frau. Beide um die vierzig. Die Augen der Frau standen weit offen, an ihrem Hals klaffte eine Wunde die aus mehreren Rissen bestand, als hätte sie eine große, kräftige Pranke verletzt. Hätte ich nicht danach gesucht, hätte ich die kleine halbmondförmige Bisswunde übersehen. Es hatte keine Verwandlung eingesetzt. Sie war tot. Ebenso der Mann, dessen Kopf in einem grotesken Winkel zu seinem Körper stand. Den unteren Teil seines Unterarms zierte die gleiche Risswunde mit dem versteckten Bissmuster, wie den Hals der Frau. Er musste noch versucht haben sich zu wehren, doch der Jemand, der hier darauf bedacht gewesen war seine Spuren zu verwischen, war stärker gewesen. Alarmiert zog ich meinen Kopf aus dem Zelt. Entweder hatten die Cullens ihr Leben als Vegetarier aufgegeben oder ein fremder Vampir war hier gewesen.
Ich überlegte noch was nun zu tun war, als ich durch den Rauch des erlöschten Feuers eine Gestalt auf mich zukommen sah. Mein Nackenfell sträubte sich und ein unheimliches, dunkles Knurren kam aus meiner Kehle, als meine Instinkte den Feind noch vor meinem Verstand erkannten. Durch den Rauch verschwommen, sah ich das bleiche Gesicht von Nathan! Seine dunklen Locken klebten nass an seinem Kopf, die Augen schimmerten auch bei fast völliger Dunkelheit noch rötlich. Ein überhebliches Grinsen lag auf seinem Gesicht. „Nun Wolf, so sieht man sich wieder.“ Ich konnte nicht antworten, also knurrte ich noch einmal. „Hab ich das Hündchen mit meiner Anwesenheit erzürnt?“, frotzelte er von der anderen Seite des Feuers. „Sag, wo ist meine Frau abgeblieben?“, fragte er, während er mich genau taxierte. Hinter mir erhob sich ein leichter Wind und trieb in Nathans Richtung. Seine Nasenflügel bebten, als er etwas in dem Luftstrom witterte. Entsetzen weitete seine Augen und er sah mich sprachlos an, als er zweifelsohne Nells Geruch an mir wahrnahm. Seine Augen verengten sich zu rubinrot funkelnden Schlitzen. „Wo ist sie?“, fragte er mit einer Stimme so kalt wie Eis. Mein Körper spannte sich an, ich senkte den Kopf und stellte mich auf einen Angriff ein. Nun erhob Nathan die Stimme, schrie fast: „Wo ist sie Wolf? Ich kann sie an Dir riechen!“ Er trat einige Schritte nach links um das Feuer herum und ich wich ihm nach rechts aus. „Warum riechst Du nach ihr?“, fragte er mich abermals, hin und her gerissen zwischen Wut und Erschütterung. Ich hätte ihm gerne die passende Antwort gegeben. Ich wollte ihm sagen, dass sie jetzt meine Frau war und nur noch an ihn dachte, weil sie Angst vor ihm hatte. Aber so sehr ich ihm das auch sagen wollte, das war es nicht wert den Schutz meines sicheren Wolfskörpers zu verlassen. Zudem ich mir nicht ganz sicher war, ob nicht vielleicht meine Erfahrungen der Vergangenheit mich dazu veranlassten, über einen Blutsauger triumphieren zu wollen. Die Prägung eröffnete einem vielleicht eine neue Zukunft, aber die Vergangenheit zu löschen, vermochte auch sie nicht.
Das laute Knacken von Unterholz, durch das sich etwas Großes zwängte, unterbrach unseren Tanz um das Feuer. Aus kurzer Entfernung hörte man das Grollen zweier Wölfe. „Wir sind noch nicht fertig miteinander Wolf. Du wirst dafür büßen, dass Du sie angefasst hast und mich anflehen Dir endlich Dein kleines, jämmerliches Hundeleben zu nehmen“, zischte Nathan und schon verschmolz seine Kontur mit dem immer dichter werdenden Regen. Ich sprang über die Feuerstelle um ihm zu folgen, doch ich konnte ihn nicht mehr sehen. Um seine Spur aufzunehmen, setzte ich meine Nase auf den Boden. Mit bebenden Flügeln sog ich die Gerüche ein, doch am Boden roch es nicht nach Vampir. Das laute Knarren der Baumkronen ließ mich den Kopf heben. Trotz des Regens und des Windes, war das Knarren viel zu laut. Geradezu unnatürlich laut. Das war also sein Fluchtweg! Wütend darüber, dass er versuchte mich auszutricksen folgte ich dem Geräusch. Paul und Seth hatten noch nicht zu mir aufgeschlossen und ich war mir nicht sicher ob es ihnen gelingen würde, wenn ich weiter ging, denn der Regen vernichtete schnell alle Spuren und Gerüche. Ich hob den Blick nach oben, um Nathans Gestalt in den Bäumen ausmachen zu können, doch der Regen war mittlerweile so stark, dass ich gar nichts mehr erkennen konnte. Ich blinzelte, als die Tropfen in meine Augen fielen und mir die Sicht verschleierten.
Während mir die Sicht auf die Welt genommen wurde, erschien vor meinem geistigen Auge Nell, wie sie mit mir auf der Veranda saß und mich mit flehendem Blick darum bat , nicht alleine gegen Nathan zu kämpfen. Auch wenn sich mein Instinkt gegen den Gedanken sträubte, die Verfolgung jetzt abzubrechen, so konnte mein geprägtes Herz ihre Bitte nicht ignorieren. Also wog ich ab: Die Aussichten Nathan noch zu erwischen standen schlecht und Nell war nicht unmittelbar in Gefahr, aber er war noch angeschlagen und somit leichter zu erledigen. Während ich noch unschlüssig im Regen stand und mit mir selbst haderte, drangen Pauls Gedanken in meinen Kopf. Er und Seth suchten nach mir. Bin hier, antwortete ich knapp, schüttelte mich und setzte mich in die Richtung in Bewegung, aus der ich gekommen war.
Das Rudel nahm Nells Vorschlag mit Begeisterung an. Nicht nur, weil wir alle müde waren, sondern weil es einen schlicht und ergreifend nervte, auf Dauer mit Leuten zusammen zu sein, die jeden einzelnen, noch so privaten Gedanken, wahrnahmen. Mit Schrecken musste ich feststellen, dass es fast schon zu einfach war, uns aufzuteilen. Immer mehr junge Männer gingen durch die schmerzhafte Phase der Verwandlung und schlossen sich unserem Rudel an. Auch wenn manche, ebenso wie ich, einen gewissen Stolz auf das Dasein als Wolf hatten, so fragte ich mich doch, ob wir wirklich begriffen, was dies für uns bedeutete. Solange wir uns wandelten, würden wir nicht altern. Wir würden leben, während alles um uns herum starb – auch die Menschen auf die wir geprägt waren. Alleine bei dem Gedanken daran, spürte ich einen Schmerz, so scharf wie ein Rasiermesser in mir. Schnell schob ich den Gedanken zu Seite. Es war die falsche Zeit, um so weit in die Zukunft zu denken und es lag sowieso nicht in meiner Macht die Geschehnisse aufzuhalten.
Entgegen meinen Befürchtungen und wie Nell es voraus gesagt hatte, geschah die nächsten Tage absolut nichts Ungewöhnliches. Nell trat ihren Job im Café ohne Zwischenfälle an. Nach zwei Tagen sah ich davon ab, sie zu fahren und überließ ihr den Golf. Ihre Laune war schon fast unerträglich gut. Wenn sie nach Hause kam plapperte sie unaufhörlich. Anscheinend machte sie ihre Sache gut, denn das leere Marmeladenglas in dem sie ihr Trinkgeld sammelte füllte sich zusehends. Trotz der Normalität die eingekehrt war, blieb ich wachsam. Nell hatte ja bereits erzählt, dass Nathan sich mit unter Zeit ließ ihr nachzustellen. Sicher verschaffte uns die Verletzung, die ich ihm zugefügt hatte, mehr Zeit, aber er wusste auch ungefähr wo sich Nell aufhielt. Wenn er erst herausfinden würde, wer ihn verletzt hatte, wäre es ein Kinderspiel uns und somit auch Nell, zu finden.
Es war ein kalter, verregneter Abend, als ich mit Seth und Paul Patrouille lief. Seth konnte es nicht lassen, uns immer wieder seine übellaunigen Gedanken vorzuführen, denn er hatte den gestrigen, trockenen Abend mit Leah getauscht und nun passte es ihm natürlich gar nicht, durch dieses Mistwetter stapfen zu müssen. Ich setzte mich unauffällig etwas von den beiden ab, irgendeinen Liedtext, den ich am Nachmittag im Radio gehört hatte in Gedanken vor mich hin singend. Erst als ich mir sicher war es würden nicht gleich wieder Seths unfreundliche Gedanken bezüglich seiner Schwester in meinem Kopf auftauchen, versuchte ich auch den Ohrwurm zu verdrängen.
Zuerst dachte ich, dass mir meine Augen einen Streich spielen würden, als ich ein flackerndes Licht in circa fünfzig Metern Entfernung wahrnahm. Vorsichtig ging ich näher, versuchte etwas zu wittern, aber der Wind kam aus der falschen Richtung. Als ich noch näher ging, erkannte ich schließlich eine kleine Lichtung, auf der ein, mit schweren Steinen gesichertes, Feuer brannte. Der Regen war gerade dabei es zu löschen und es stiegen zischend Rauchwolken auf, wenn das Wasser die Glut traf.
Keine Menschenseele war zu sehen und ich war mir ziemlich sicher, dass Vampire kein wärmendes Feuer brauchten. Vielleicht waren die Wanderer schon weiter gezogen, ohne das Feuer gänzlich zu löschen. Das war nicht unüblich und konnte in weniger feuchten Gegenden durchaus zum Problem werden. Zwischen zwei großen alten Bäumen entdeckte ich schließlich ein kleines Zelt. Auf den ersten Blick schien alles normal, doch dann sah ich einen bestiefelten Fuß aus dem Zelt ragen. Ich ahnte Böses! Vorsichtig näherte ich mich. Ich schlug behutsam mit der Pfote nach dem Fuß, in der Hoffnung der Rest des Menschen würde erschrocken auffahren, doch nichts tat sich. Da der Reißverschluss des Eingangs offen war, drückte ich mit meiner Schnauze die beiden Tuchbahnen auseinander. Der Kupfergeruch frischen Blutes drang in meine Nase. Für einen Moment rebellierte mein Magen, angesichts des Bildes, das sich mir bot. Im Zelt lagen zwei Wanderer. Ein Mann und eine Frau. Beide um die vierzig. Die Augen der Frau standen weit offen, an ihrem Hals klaffte eine Wunde die aus mehreren Rissen bestand, als hätte sie eine große, kräftige Pranke verletzt. Hätte ich nicht danach gesucht, hätte ich die kleine halbmondförmige Bisswunde übersehen. Es hatte keine Verwandlung eingesetzt. Sie war tot. Ebenso der Mann, dessen Kopf in einem grotesken Winkel zu seinem Körper stand. Den unteren Teil seines Unterarms zierte die gleiche Risswunde mit dem versteckten Bissmuster, wie den Hals der Frau. Er musste noch versucht haben sich zu wehren, doch der Jemand, der hier darauf bedacht gewesen war seine Spuren zu verwischen, war stärker gewesen. Alarmiert zog ich meinen Kopf aus dem Zelt. Entweder hatten die Cullens ihr Leben als Vegetarier aufgegeben oder ein fremder Vampir war hier gewesen.
Ich überlegte noch was nun zu tun war, als ich durch den Rauch des erlöschten Feuers eine Gestalt auf mich zukommen sah. Mein Nackenfell sträubte sich und ein unheimliches, dunkles Knurren kam aus meiner Kehle, als meine Instinkte den Feind noch vor meinem Verstand erkannten. Durch den Rauch verschwommen, sah ich das bleiche Gesicht von Nathan! Seine dunklen Locken klebten nass an seinem Kopf, die Augen schimmerten auch bei fast völliger Dunkelheit noch rötlich. Ein überhebliches Grinsen lag auf seinem Gesicht. „Nun Wolf, so sieht man sich wieder.“ Ich konnte nicht antworten, also knurrte ich noch einmal. „Hab ich das Hündchen mit meiner Anwesenheit erzürnt?“, frotzelte er von der anderen Seite des Feuers. „Sag, wo ist meine Frau abgeblieben?“, fragte er, während er mich genau taxierte. Hinter mir erhob sich ein leichter Wind und trieb in Nathans Richtung. Seine Nasenflügel bebten, als er etwas in dem Luftstrom witterte. Entsetzen weitete seine Augen und er sah mich sprachlos an, als er zweifelsohne Nells Geruch an mir wahrnahm. Seine Augen verengten sich zu rubinrot funkelnden Schlitzen. „Wo ist sie?“, fragte er mit einer Stimme so kalt wie Eis. Mein Körper spannte sich an, ich senkte den Kopf und stellte mich auf einen Angriff ein. Nun erhob Nathan die Stimme, schrie fast: „Wo ist sie Wolf? Ich kann sie an Dir riechen!“ Er trat einige Schritte nach links um das Feuer herum und ich wich ihm nach rechts aus. „Warum riechst Du nach ihr?“, fragte er mich abermals, hin und her gerissen zwischen Wut und Erschütterung. Ich hätte ihm gerne die passende Antwort gegeben. Ich wollte ihm sagen, dass sie jetzt meine Frau war und nur noch an ihn dachte, weil sie Angst vor ihm hatte. Aber so sehr ich ihm das auch sagen wollte, das war es nicht wert den Schutz meines sicheren Wolfskörpers zu verlassen. Zudem ich mir nicht ganz sicher war, ob nicht vielleicht meine Erfahrungen der Vergangenheit mich dazu veranlassten, über einen Blutsauger triumphieren zu wollen. Die Prägung eröffnete einem vielleicht eine neue Zukunft, aber die Vergangenheit zu löschen, vermochte auch sie nicht.
Das laute Knacken von Unterholz, durch das sich etwas Großes zwängte, unterbrach unseren Tanz um das Feuer. Aus kurzer Entfernung hörte man das Grollen zweier Wölfe. „Wir sind noch nicht fertig miteinander Wolf. Du wirst dafür büßen, dass Du sie angefasst hast und mich anflehen Dir endlich Dein kleines, jämmerliches Hundeleben zu nehmen“, zischte Nathan und schon verschmolz seine Kontur mit dem immer dichter werdenden Regen. Ich sprang über die Feuerstelle um ihm zu folgen, doch ich konnte ihn nicht mehr sehen. Um seine Spur aufzunehmen, setzte ich meine Nase auf den Boden. Mit bebenden Flügeln sog ich die Gerüche ein, doch am Boden roch es nicht nach Vampir. Das laute Knarren der Baumkronen ließ mich den Kopf heben. Trotz des Regens und des Windes, war das Knarren viel zu laut. Geradezu unnatürlich laut. Das war also sein Fluchtweg! Wütend darüber, dass er versuchte mich auszutricksen folgte ich dem Geräusch. Paul und Seth hatten noch nicht zu mir aufgeschlossen und ich war mir nicht sicher ob es ihnen gelingen würde, wenn ich weiter ging, denn der Regen vernichtete schnell alle Spuren und Gerüche. Ich hob den Blick nach oben, um Nathans Gestalt in den Bäumen ausmachen zu können, doch der Regen war mittlerweile so stark, dass ich gar nichts mehr erkennen konnte. Ich blinzelte, als die Tropfen in meine Augen fielen und mir die Sicht verschleierten.
Während mir die Sicht auf die Welt genommen wurde, erschien vor meinem geistigen Auge Nell, wie sie mit mir auf der Veranda saß und mich mit flehendem Blick darum bat , nicht alleine gegen Nathan zu kämpfen. Auch wenn sich mein Instinkt gegen den Gedanken sträubte, die Verfolgung jetzt abzubrechen, so konnte mein geprägtes Herz ihre Bitte nicht ignorieren. Also wog ich ab: Die Aussichten Nathan noch zu erwischen standen schlecht und Nell war nicht unmittelbar in Gefahr, aber er war noch angeschlagen und somit leichter zu erledigen. Während ich noch unschlüssig im Regen stand und mit mir selbst haderte, drangen Pauls Gedanken in meinen Kopf. Er und Seth suchten nach mir. Bin hier, antwortete ich knapp, schüttelte mich und setzte mich in die Richtung in Bewegung, aus der ich gekommen war.
Re: Indian Summer
Kapitel 14 (Jacob)
Paul empfing mich mit gefletschten Zähnen und gesträubten Fell, jederzeit bereit, an meiner Seite zu kämpfen, während Seth abwesend vor dem Zelteingang hockte, als würde er dort Wache halten. Zu viele Tote, die er in seinem jungen Leben schon gesehen hatte und auch wenn ich nicht so viele Jahre älter war als er, wünschte ich mir in diesem Moment, ich hätte ihm all das ersparen können. Ich wusste, dass er stolz darauf war ein Wolf zu sein, stolz darauf, Seite an Seite mit Bellas Blutsauger die rothaarige Vampirin erledigt zu haben, aber manchmal schlich sich ganz leise der Zweifel in seine Gedanken, ob sein Vater nicht noch am Leben wäre, hätten die Vampire niemals den Weg in unsere Gegend gefunden. Als Seth meine Gedanken registrierte, schaute er fast verärgert zu mir herüber, straffte seine Haltung und verdrängte den kleinen Jungen, der seinen Vater vermisste, an einen Platz tief in seiner Seele, an den weder ich, noch ein anderer seiner Wolfsbrüder ihm folgen konnte.
Als ich spürte, wie Seth sich vor mir verschloss, wandte ich mich erst einmal Paul zu, um ihn zu beruhigen. Nathan war längst fort und Pauls körperliche Kräfte waren nicht mehr von Nöten. Vielmehr brauchte ich seinen wachen Verstand, denn wir konnten die beiden Wanderer dort unmöglich liegen lassen. Sie hatten sicherlich Familie und Freunde, die sich um sie sorgten und nach ihnen suchen würden. Doch die Wälder waren so groß und weitläufig, dass es gut sein konnte, dass man sie hier niemals finden würde. Da es nicht in Frage kam, die Leichen selbst zur Polizei zu bringen, gab es nur eine Lösung. Wir mussten die Polizei an diesen Ort bringen und unsere Geschichte musste glaubhaft und plausibel klingen, so dass wir so wenig wie möglich in die Ermittlungen hineingezogen werden würden, die sicherlich bei einem gewaltsamen Tod erfolgen würden.
Ich brauchte Rat und war erleichtert, als ich den Namen Sam in den Gedanken meiner Begleiter lesen konnte, noch bevor er in meinen eigenen Gedanken auftauchte. Auch wenn ich nun die Rolle des Rudelführers übernommen hatte, so war er einfach besser als ich darin, unser Geheimnis zu wahren, denn er hatte damit alleine zurechtkommen müssen, lange bevor ich geahnt hatte, dass unsere Legenden, keine Legenden, sondern die Realität waren. Ich hatte die wage Idee, dass die Verletzungen der Wanderer und unsere Pfotenabdrücke, die Polizei mal wieder auf die Spur eines Bären führen würden, aber wie wir die Gesetzeshüter am unauffälligsten hierher lenken sollten, war mir schleierhaft. Sam würde sicher alles andere als begeistert sein, uns nachts mit solchen Hiobsbotschaften vor seiner Tür vorzufinden. Schließlich hatte er seine Position nur zu gerne an mich abgegeben, aber er war nun einmal der Älteste und Erfahrenste von uns.
Wir waren noch nicht richtig bei Sam angekommen, da öffnete er uns auch schon die Tür „Was ist los?“ rief er uns ungeduldig, durch den Regen, entgegen. Doch ich wartete bis wir eingetreten waren. „Hallo Jungs“, begrüßte uns Emily im Morgenmantel und stellte für jeden ein Glas Milch auf den Tisch. „Wir haben schon auf euch gewartet.“ Zärtlich strich sie Sam übers Haar. „Sam war schon den ganzen Abend etwas unruhig. Wir dachten es läge vielleicht am Wetter, aber es scheint andere Gründe zu geben.“ „ Er ist hier“, war alles was ich herausbrachte, denn mir versagte die Stimme. Sams Stimme hingegen war ruhig als er sprach und nur seine rechte Hand, die sich zur Faust ballte, verriet seinen Gemütszustand. „Was ist passiert? Ist alles in Ordnung bei euch?“ Paul leerte mit einem Schluck sein Glas, als hätte er an Stelle der Milch ein Glas Whiskey vor sich und begann dann zu erzählen. „Wir haben zwei Wanderer gefunden. Beide tot. Der Vampir ist abgehauen.“
Ich brauchte einige Minuten, um das meine Stimme wieder unter Kontrolle zu bringen. Jetzt, da wir aus der ärgsten Gefahr heraus waren, wurde mir bewusst, dass ich es Nell sagen musste. Wieder einmal würde das kleine Bisschen normales Leben, das sie sich geschaffen hatte, zerstört werden und dieses Mal würde ich es sein, der ihr das mitteilen musste. Ich fürchtete mich vor ihrer Reaktion, denn ich hatte in den letzten Tagen zu begreifen begonnen, was Normalität für Nell bedeutete. Als ich Bella an Edward verloren hatte, da waren meine Familie und meine Freunde da gewesen, die mich aufgefangen und mir Halt gegeben hatten, doch als Nell Nathan verloren hatte, da hatte sie ihr ganzes Leben hinter sich lassen müssen. Sie hatte niemandem die Wahrheit darüber sagen können, was passiert war und warum sie alles was ihr lieb und teuer war zurückließ. Während es für mich immer einen Ort gegeben hatte, an den ich hätte zurückehren können, so hatte es für Nell die beiden letzten Jahre weder ein Zuhause, noch Menschen denen sie vertrauen konnte gegeben. Ebenso wie meine Instinkte danach schrieen sie zu schützen und vor allem Schmerz zu bewahren, so sagten sie mir auch, dass Nell wissen wollen würde, was heute Nacht geschehen war. Denn auch wenn es so schien, als würde sie mir vertrauen, was ich all zu gerne glauben wollte, so spürte ich, dass da noch etwas zwischen uns stand und dass die einzige Person, der sich wirklich vertraute, sie selbst war.
„Jacob?“ riss mich Sam aus meinen Gedanken. Irritiert sah ich ihn an. „Entschuldige, ich war in Gedanken.“ „Es wird nicht leicht sein, ihr das zu sagen“, erwiderte er, so als könne er auch in Menschengestalt meine Gedanken hören. Ich nickte verdrossen. „Was genau ist denn nun im Wald gesehen?“ fragte er. Ich sammelte mich einen Moment und als ich sicher war, dass meine Stimme mir gehorchen würde, berichtete ich. Viel zu schnell hatte ich alles erzählt und der Zeitpunkt, an dem ich mit Nell reden musste, rückte unaufhaltsam näher.
Noch gab es das Problem mit den Wanderern zu lösen, aber dafür hatte Sam sehr schnell einen Plan. „Ich denke morgen früh sollten Paul und Seth eine kleine Wanderung unternehmen, dann „zufällig“ die beiden Toten finden und sie melden.“ Seth und Paul nickten. „Nein“, sagte ich bestimmt. Fragend sahen mich die Anderen an. „Ich will nicht, dass Seth mitgeht. Das kann jemand anders machen.“ Seth runzelte die Stirn: „Warum soll ich nicht mit Paul gehen?“ Weil Du für mich wie mein kleiner Bruder bist und ich Dich beschützen will, dachte ich, doch das sagte ich ihm nicht. Stattdessen sagte ich: „Weil es besser wäre wenn Paul jemandem mitnimmt, mit dem er sonst auch rumhängt“, und zu Paul gewandt, „also nimm Quil oder Embry mit.“ Mit dieser Antwort schienen sich alle, auch Seth, zufrieden zu geben, auch wenn die Falten auf seiner Stirn nicht ganz verschwinden wollten.
Einige Minuten sagte niemand etwas, bis Paul sich erhob. „Wenn wir dann hier fertig wären, ich muss nach Hause etwas schlafen, schließlich gehe ich morgen wandern.“ „Einen Moment noch“, sagte Sam und deutete Paul an, sich wieder zu setzen. Dieser ließ sich mit theatralisch verdrehten Augen wieder auf seinen Stuhl sinken. „Jacob, was gedenkst Du jetzt wegen Nathan zu tun? Gehen wieder nachts wieder im kompletten Rudel raus?“ Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht, aber da Nathan wieder vor mir, oder zumindest vor Paul, Seth und mir, geflohen war, sah ich keinen Grund die Gruppen zu vergrößern oder gar das ganze Rudel rauszuschicken. Außerdem wollte ich warten, was Nell zu der ganzen Sache sagen würde. „Ich denke wir sollten alles beim Alten lassen“, sagte ich deshalb, „ich möchte erst mit Nell sprechen. Sollte sie es für nötig halten, können wir immer noch etwas ändern.“ „Ok“, Paul erhob sich erneut, „jetzt darf ich aber gehen?“ „Ja, komm verschwinde“, sagte Seth lachend, was ihm eine leichten Schlag an den Hinterkopf von Paul einbrachte. „Ich glaube es wird Zeit, dass ihr eine Mütze voll Schlaf bekommt Jungs. Ihr werdet langsam übermütig“ mischte sich Emily in das Geplänkel ein. Für das am heutigen Abend erlebte erstaunlich gut gelaunt, zogen die beiden ab.
„Ich sollte auch gehen“, sagte ich, blieb aber am Tisch sitzen. Im Gegensatz zu sonst, hatte ich es überhaupt nicht eilig nach Hause zu kommen. Emily berührte mich sanft an der Schulter. „Irgendwann musst Du nach Hause gehen und es ihr sagen.“ „Ich weiß“, erwiderte ich resigniert. „Dann solltest Du jetzt vielleicht gehen. Es regnet gerade nicht.“ „Und ihr wollt sicherlich auch schlafen gehen“, fiel mir bei einem Blick auf die Küchenuhr ein. Emily lächelte: „Ich will Dich wirklich nicht rauswerfen Jacob, aber ja wir würden gerne schlafen gehen.“ „Kein Problem. Du hast ja Recht. Irgendwann muss ich es ihr sagen.“ Ich stand auf und ging zur Tür. „Gute Nacht ihr beiden“, verabschiedete ich mich. „Gute Nacht Jacob“, sagten die beiden fast gleichzeitig, die Arme eng umeinander geschlungen. Dieses letzte Bild, das ich von Ihnen sah, prägte sich mir ein, denn der Anblick der beiden, wie sie äußerlich und innerlich einander nahe waren, stimmte mich gleichermaßen glücklich und traurig. Er war Sinnbild für all das, was ich mir für Nell und mich wünschte, aber ebenso auch Sinnbild für all das was wir wahrscheinlich niemals haben würden. Ich fühlte mich ziemlich einsam, als ich mich auf den Weg nach Hause machte.
Paul empfing mich mit gefletschten Zähnen und gesträubten Fell, jederzeit bereit, an meiner Seite zu kämpfen, während Seth abwesend vor dem Zelteingang hockte, als würde er dort Wache halten. Zu viele Tote, die er in seinem jungen Leben schon gesehen hatte und auch wenn ich nicht so viele Jahre älter war als er, wünschte ich mir in diesem Moment, ich hätte ihm all das ersparen können. Ich wusste, dass er stolz darauf war ein Wolf zu sein, stolz darauf, Seite an Seite mit Bellas Blutsauger die rothaarige Vampirin erledigt zu haben, aber manchmal schlich sich ganz leise der Zweifel in seine Gedanken, ob sein Vater nicht noch am Leben wäre, hätten die Vampire niemals den Weg in unsere Gegend gefunden. Als Seth meine Gedanken registrierte, schaute er fast verärgert zu mir herüber, straffte seine Haltung und verdrängte den kleinen Jungen, der seinen Vater vermisste, an einen Platz tief in seiner Seele, an den weder ich, noch ein anderer seiner Wolfsbrüder ihm folgen konnte.
Als ich spürte, wie Seth sich vor mir verschloss, wandte ich mich erst einmal Paul zu, um ihn zu beruhigen. Nathan war längst fort und Pauls körperliche Kräfte waren nicht mehr von Nöten. Vielmehr brauchte ich seinen wachen Verstand, denn wir konnten die beiden Wanderer dort unmöglich liegen lassen. Sie hatten sicherlich Familie und Freunde, die sich um sie sorgten und nach ihnen suchen würden. Doch die Wälder waren so groß und weitläufig, dass es gut sein konnte, dass man sie hier niemals finden würde. Da es nicht in Frage kam, die Leichen selbst zur Polizei zu bringen, gab es nur eine Lösung. Wir mussten die Polizei an diesen Ort bringen und unsere Geschichte musste glaubhaft und plausibel klingen, so dass wir so wenig wie möglich in die Ermittlungen hineingezogen werden würden, die sicherlich bei einem gewaltsamen Tod erfolgen würden.
Ich brauchte Rat und war erleichtert, als ich den Namen Sam in den Gedanken meiner Begleiter lesen konnte, noch bevor er in meinen eigenen Gedanken auftauchte. Auch wenn ich nun die Rolle des Rudelführers übernommen hatte, so war er einfach besser als ich darin, unser Geheimnis zu wahren, denn er hatte damit alleine zurechtkommen müssen, lange bevor ich geahnt hatte, dass unsere Legenden, keine Legenden, sondern die Realität waren. Ich hatte die wage Idee, dass die Verletzungen der Wanderer und unsere Pfotenabdrücke, die Polizei mal wieder auf die Spur eines Bären führen würden, aber wie wir die Gesetzeshüter am unauffälligsten hierher lenken sollten, war mir schleierhaft. Sam würde sicher alles andere als begeistert sein, uns nachts mit solchen Hiobsbotschaften vor seiner Tür vorzufinden. Schließlich hatte er seine Position nur zu gerne an mich abgegeben, aber er war nun einmal der Älteste und Erfahrenste von uns.
Wir waren noch nicht richtig bei Sam angekommen, da öffnete er uns auch schon die Tür „Was ist los?“ rief er uns ungeduldig, durch den Regen, entgegen. Doch ich wartete bis wir eingetreten waren. „Hallo Jungs“, begrüßte uns Emily im Morgenmantel und stellte für jeden ein Glas Milch auf den Tisch. „Wir haben schon auf euch gewartet.“ Zärtlich strich sie Sam übers Haar. „Sam war schon den ganzen Abend etwas unruhig. Wir dachten es läge vielleicht am Wetter, aber es scheint andere Gründe zu geben.“ „ Er ist hier“, war alles was ich herausbrachte, denn mir versagte die Stimme. Sams Stimme hingegen war ruhig als er sprach und nur seine rechte Hand, die sich zur Faust ballte, verriet seinen Gemütszustand. „Was ist passiert? Ist alles in Ordnung bei euch?“ Paul leerte mit einem Schluck sein Glas, als hätte er an Stelle der Milch ein Glas Whiskey vor sich und begann dann zu erzählen. „Wir haben zwei Wanderer gefunden. Beide tot. Der Vampir ist abgehauen.“
Ich brauchte einige Minuten, um das meine Stimme wieder unter Kontrolle zu bringen. Jetzt, da wir aus der ärgsten Gefahr heraus waren, wurde mir bewusst, dass ich es Nell sagen musste. Wieder einmal würde das kleine Bisschen normales Leben, das sie sich geschaffen hatte, zerstört werden und dieses Mal würde ich es sein, der ihr das mitteilen musste. Ich fürchtete mich vor ihrer Reaktion, denn ich hatte in den letzten Tagen zu begreifen begonnen, was Normalität für Nell bedeutete. Als ich Bella an Edward verloren hatte, da waren meine Familie und meine Freunde da gewesen, die mich aufgefangen und mir Halt gegeben hatten, doch als Nell Nathan verloren hatte, da hatte sie ihr ganzes Leben hinter sich lassen müssen. Sie hatte niemandem die Wahrheit darüber sagen können, was passiert war und warum sie alles was ihr lieb und teuer war zurückließ. Während es für mich immer einen Ort gegeben hatte, an den ich hätte zurückehren können, so hatte es für Nell die beiden letzten Jahre weder ein Zuhause, noch Menschen denen sie vertrauen konnte gegeben. Ebenso wie meine Instinkte danach schrieen sie zu schützen und vor allem Schmerz zu bewahren, so sagten sie mir auch, dass Nell wissen wollen würde, was heute Nacht geschehen war. Denn auch wenn es so schien, als würde sie mir vertrauen, was ich all zu gerne glauben wollte, so spürte ich, dass da noch etwas zwischen uns stand und dass die einzige Person, der sich wirklich vertraute, sie selbst war.
„Jacob?“ riss mich Sam aus meinen Gedanken. Irritiert sah ich ihn an. „Entschuldige, ich war in Gedanken.“ „Es wird nicht leicht sein, ihr das zu sagen“, erwiderte er, so als könne er auch in Menschengestalt meine Gedanken hören. Ich nickte verdrossen. „Was genau ist denn nun im Wald gesehen?“ fragte er. Ich sammelte mich einen Moment und als ich sicher war, dass meine Stimme mir gehorchen würde, berichtete ich. Viel zu schnell hatte ich alles erzählt und der Zeitpunkt, an dem ich mit Nell reden musste, rückte unaufhaltsam näher.
Noch gab es das Problem mit den Wanderern zu lösen, aber dafür hatte Sam sehr schnell einen Plan. „Ich denke morgen früh sollten Paul und Seth eine kleine Wanderung unternehmen, dann „zufällig“ die beiden Toten finden und sie melden.“ Seth und Paul nickten. „Nein“, sagte ich bestimmt. Fragend sahen mich die Anderen an. „Ich will nicht, dass Seth mitgeht. Das kann jemand anders machen.“ Seth runzelte die Stirn: „Warum soll ich nicht mit Paul gehen?“ Weil Du für mich wie mein kleiner Bruder bist und ich Dich beschützen will, dachte ich, doch das sagte ich ihm nicht. Stattdessen sagte ich: „Weil es besser wäre wenn Paul jemandem mitnimmt, mit dem er sonst auch rumhängt“, und zu Paul gewandt, „also nimm Quil oder Embry mit.“ Mit dieser Antwort schienen sich alle, auch Seth, zufrieden zu geben, auch wenn die Falten auf seiner Stirn nicht ganz verschwinden wollten.
Einige Minuten sagte niemand etwas, bis Paul sich erhob. „Wenn wir dann hier fertig wären, ich muss nach Hause etwas schlafen, schließlich gehe ich morgen wandern.“ „Einen Moment noch“, sagte Sam und deutete Paul an, sich wieder zu setzen. Dieser ließ sich mit theatralisch verdrehten Augen wieder auf seinen Stuhl sinken. „Jacob, was gedenkst Du jetzt wegen Nathan zu tun? Gehen wieder nachts wieder im kompletten Rudel raus?“ Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht, aber da Nathan wieder vor mir, oder zumindest vor Paul, Seth und mir, geflohen war, sah ich keinen Grund die Gruppen zu vergrößern oder gar das ganze Rudel rauszuschicken. Außerdem wollte ich warten, was Nell zu der ganzen Sache sagen würde. „Ich denke wir sollten alles beim Alten lassen“, sagte ich deshalb, „ich möchte erst mit Nell sprechen. Sollte sie es für nötig halten, können wir immer noch etwas ändern.“ „Ok“, Paul erhob sich erneut, „jetzt darf ich aber gehen?“ „Ja, komm verschwinde“, sagte Seth lachend, was ihm eine leichten Schlag an den Hinterkopf von Paul einbrachte. „Ich glaube es wird Zeit, dass ihr eine Mütze voll Schlaf bekommt Jungs. Ihr werdet langsam übermütig“ mischte sich Emily in das Geplänkel ein. Für das am heutigen Abend erlebte erstaunlich gut gelaunt, zogen die beiden ab.
„Ich sollte auch gehen“, sagte ich, blieb aber am Tisch sitzen. Im Gegensatz zu sonst, hatte ich es überhaupt nicht eilig nach Hause zu kommen. Emily berührte mich sanft an der Schulter. „Irgendwann musst Du nach Hause gehen und es ihr sagen.“ „Ich weiß“, erwiderte ich resigniert. „Dann solltest Du jetzt vielleicht gehen. Es regnet gerade nicht.“ „Und ihr wollt sicherlich auch schlafen gehen“, fiel mir bei einem Blick auf die Küchenuhr ein. Emily lächelte: „Ich will Dich wirklich nicht rauswerfen Jacob, aber ja wir würden gerne schlafen gehen.“ „Kein Problem. Du hast ja Recht. Irgendwann muss ich es ihr sagen.“ Ich stand auf und ging zur Tür. „Gute Nacht ihr beiden“, verabschiedete ich mich. „Gute Nacht Jacob“, sagten die beiden fast gleichzeitig, die Arme eng umeinander geschlungen. Dieses letzte Bild, das ich von Ihnen sah, prägte sich mir ein, denn der Anblick der beiden, wie sie äußerlich und innerlich einander nahe waren, stimmte mich gleichermaßen glücklich und traurig. Er war Sinnbild für all das, was ich mir für Nell und mich wünschte, aber ebenso auch Sinnbild für all das was wir wahrscheinlich niemals haben würden. Ich fühlte mich ziemlich einsam, als ich mich auf den Weg nach Hause machte.
Re: Indian Summer
Kapitel 15 (Jacob)
Wahrscheinlich, hatte ich noch niemals so lange von Sams Haus zu meinem gebraucht. Die kurze Regenpause, die eigentlich gereicht hätte, um trockenen Fußes nach Hause zu gehen, verstrich, und ich war immer noch irgendwo auf dem Weg zwischen den beiden Häusern. Lieber ließ ich mich vom kalten Regen durchweichen, als Nell in die Augen zu sehen und ihr zu sagen, dass die Normalität, die sie die letzten Tage hatte aufblühen lassen, schon wieder zu Ende war. Nathan war uns dicht auf den Fersen und es war nur eine Frage der Zeit, wann er zuschlagen würde.
Obwohl ich den Weg geradezu entlang schlich, erreichte ich schließlich doch unser kleines Häuschen. Dort stand es, friedlich in der Dunkelheit, alle Lichter erloschen und beherbergte die beiden Menschen, die mir das Wichtigste in meinem Leben waren. Auch wenn die Prägung ein sehr mächtiges Gefühl war, so hatte mich auch der frühe Tod meiner Mutter auf eine gewisse Weise geprägt und mich eng an meinen Vater gebunden. Er hatte alles getan, uns Kindern die Mutter so gut es ging zu ersetzen und auch wenn ihm das natürlich nie ganz gelungen war, so wussten Rachel, Rebecca und ich sehr genau was für einen großartigen Vater wir hatten. Es war ein weiterer, harter Schlag für uns alle gewesen, als ihn sein Diabetes in den Rollstuhl zwang, doch er hatte sich nicht aufgegeben und trotzdem es ihm vielleicht an körperlicher Stärke mangelte, so war er nicht nur das Oberhaupt unserer kleinen Familie geblieben, sondern auch das unseres ganzen Stammes. In diesem Moment hätte ich gerne einen Teil meiner körperlichen Kräfte gegeben, um etwas mehr von der inneren Stärke meines Vaters zu besitzen. Dad würde nicht feige in der Dunkelheit vor dem Haus darauf warten, dass sich die Situation änderte. Er würde hineingehen, Nell sagen was geschehen war und das Beste daraus machen.
Schließlich schaffte ich es doch, die wenigen Stufen zur Veranda hinauf zu gehen, legte zaghaft meine Hand auf den Türknauf und rang mich sogar dazu durch ihn zu drehen. Mit einem leisen Knarren schwang die Tür in den Raum und schien mich willkommen zu heißen. Dennoch fühlten sich meine Füße schwer wie Blei an, als ich über die Schwelle trat. Die Versuchung war groß, mich einfach auf das Sofa zu werfen und mich schlafen zu legen, aber ich wusste, dass Nell mir Vorwürfe machen würde, wenn ich ihr die Geschehnisse des heutigen Abends so lange verschweigen würde. Es waren nur noch wenige Stunden bis zum Morgengrauen, es hätte also eigentlich keine Rolle spielen sollen, aber ein Teil von Nell lebte nach wie vor in einer Welt, in der im Zweifelsfall, Stunden über Leben und Tod entschieden, je nach dem wie viele Meilen sie in dieser Zeit zwischen sich und Nathan bringen konnte. Auch wenn sie die letzten beiden Jahre den Umständen entsprechend gut überstanden hatte, so schlichen sich ab und an kleine Seltsamkeiten in ihr Verhalten ein, die sie wahrscheinlich selbst nicht einmal bemerkte, die mir aber immer wieder zeigten, dass diese beiden Jahre tiefe Spuren hinterlassen hatten.
Ich entschloss mich, ein wenig Zeit zu gewinnen, in dem ich erst einmal duschen ging. Während das warme Wasser nasse Erde und Tannennadeln von meinem Körper wusch, versuchte ich mir die richtigen Worte zurecht zu legen und kam, nachdem ich mich abgetrocknet und angezogen hatte zu dem Schluss, dass es für diese Situation keine richtigen Worte gab. Schließlich gab es außer meiner Feigheit keinen Grund mehr, nicht zu Nell zu gehen. Ich ließ mich an der Wand gegenüber dem Bett zu Boden sinken und dachte daran, sie vielleicht doch nicht zu wecken, wenn sie nicht von alleine wach werden würde. Was machte es denn schon, noch ein paar Stunden zu warten? Sie wäre mir vielleicht böse, aber doch sicher nicht für lange.
Mein Herz schlug schneller als ich bemerkte, dass Nells Atmung unruhiger wurde. An jedem anderen Abend wäre ich zu ihr gegangen und hätte gehofft, dass sie aufwachte. Hätte mich danach gesehnt mit ihr zu reden, doch heute blieb ich mucksmäuschenstill auf meinem Platz sitzen und wünschte mir, Nell würde weiterschlafen.
„Jacob?“, fragte Nell verschlafen. Als sich unsere Blicke trafen, schien die Müdigkeit mit einem Schlag von ihr zu weichen und sie richtete sich kerzengerade im Bett auf. Mit zitternder Stimme fragte sie: „ Jacob was ist los?“ Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen und so starrte ich die Wand hinter ihrem Bett an während ich sprach: „ Nathan. Ich bin heute auf Nathan gestoßen. Er weiß wer ich bin und er weiß, dass du bei mir bist.“ Ich hatte erwartet, dass sie weinend zusammenbrechen würde, doch stattdessen sprang auf und begann hektisch ihre Sachen zusammen zu suchen. „Nell was tust du da?“ fragte ich nervös. „Ich werde gehen“, murmelte sie vor sich hin, ohne mich anzusehen. „Ich werde hier verschwinden, dann passiert euch nichts.“ Achtlos stopfte sie alle ihre Habseligkeiten in ihren Rucksack. „Hör auf damit“, sagte ich fassungslos, aber sie schien mir gar nicht zuzuhören. „Nell?“ Ich sprang auf die Beine und hielt sie an den Handgelenken fest. „Nell, hör auf damit. Du wirst hier nicht weggehen.“ Erst jetzt hob sie den Blick, um mich direkt anzusehen und ich konnte sehen, dass sie doch weinte. „Ich muss gehen Jacob. Es war nicht richtig euch da mit rein zu ziehen“, kam es leise über ihre bebenden Lippen. „Du hättest nichts richtiger machen können. Wie hätte ich dich sonst finden sollen?“, flüsterte ich, während ich ihr die Tränen von den Wangen wischte. „Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn du mich nicht gefunden hättest“, sagte sie schließlich, jedoch ohne weiter zu packen. „Wie könnte es besser sein, die Frau die für einen bestimmt ist, nicht zu finden?“, war alles was ich sagen konnte. Jetzt endlich ließ Nells Anspannung nach. Sie setzte sich aufs Bett und stellte ihren Rucksack am Boden ab. Dann schüttelte sie den Kopf. „Jake ich weiß nicht, wie es besser sein könnte, aber es wäre für dich sicherer gewesen. Es wäre für euch alle sicherer gewesen.“ Ich sagte nichts weiter, sondern begann ihre Sachen aus dem Rucksack in die Schubladen der alten Kommode zurück zu räumen. Nell saß auf dem Bett und starrte ins Leere, aber sie machte wenigstens keine weiteren Anstalten mich verlassen zu wollen. Dies hier war mein Zuhause. Meine Familie und Freunde lebten hier, aber so sehr ich all das auch liebte, ich wäre ohne zu zögern mit Nell gegangen. Egal, ob sie das gewollt hätte und egal ob sie mir jemals das hätte geben können was ich mir erhoffte, ich war stärker als an alles andere an sie gebunden und so konnte ich nur dort wirklich Zuhause sein, wo auch sie war.
Als Nells Tränen getrockneten waren und sie ihre Sprache wieder gefunden hatte, musste ich ihr alles von den Geschehnissen des Abends erzählen. Nachdem ich geendet hatte, setzte ich mich zu ihr aufs Bett. „Du solltest dich noch etwas hinlegen“, durchbrach ich das Schweigen. Sie blinzelte kurz, so als sei sie mit ihren Gedanken ganz woanders gewesen, dann nickte sie. Ich erhob mich und schlug die Bettdecke zurück, so dass sie darunter schlüpfen konnte. Als ich sie zudecken wollte, hielt sie meinen Arm fest. „Lass mich heute Nacht nicht alleine“, sagte sie fast flehend. „Ich werde mir eine Decke holen und mich auf dem Boden schlafen legen“, erwiderte ich, doch sie schüttelte den Kopf. „Bleib“, sagte sie, und schlug die Bettdecke ein Stück weiter zurück, „bleib hier, bei mir.“ Ich suchte Nells Blick, um mich zu vergewissern, dass ich sie richtig verstanden hatte. Sie erwiderte meinen Blick und streckte die Arme nach mir aus: „Komm zu mir.“
Mein Herz flatterte in meiner Brust wie ein aufgeregter Vogel, als ich mich zu ihr ins Bett legte. Sie schmiegte sich in meine Arme und legte den Kopf auf meine Brust. Ich roch den Duft ihrer Haare, spürte ihre warme Haut auf meiner und wäre auch so vollkommen zufrieden eingeschlafen, als ich ihre Lippen auf meiner Brust spürte, die sich langsam, meinen Hals empor, einen Weg zu meinen Lippen bahnten. Für einen Augenblick dachte ich daran, dass es falsch wäre die Situation auszunutzen. Sie war schwach und verletzlich. Doch als sie sich für einen Moment von mir löste und ich ihr das Haar aus dem Gesicht strich, konnte ich in ihren Augen keinerlei Zweifel erkennen. Jetzt und in diesem Moment schien es für sie richtig zu sein. Und als Nells Hände begannen, über meine Brust, bis hinab zu meinem Bauch zu streichen, gab es plötzlich kein Richtig oder Falsch mehr, sondern nur noch uns beide.
Wahrscheinlich, hatte ich noch niemals so lange von Sams Haus zu meinem gebraucht. Die kurze Regenpause, die eigentlich gereicht hätte, um trockenen Fußes nach Hause zu gehen, verstrich, und ich war immer noch irgendwo auf dem Weg zwischen den beiden Häusern. Lieber ließ ich mich vom kalten Regen durchweichen, als Nell in die Augen zu sehen und ihr zu sagen, dass die Normalität, die sie die letzten Tage hatte aufblühen lassen, schon wieder zu Ende war. Nathan war uns dicht auf den Fersen und es war nur eine Frage der Zeit, wann er zuschlagen würde.
Obwohl ich den Weg geradezu entlang schlich, erreichte ich schließlich doch unser kleines Häuschen. Dort stand es, friedlich in der Dunkelheit, alle Lichter erloschen und beherbergte die beiden Menschen, die mir das Wichtigste in meinem Leben waren. Auch wenn die Prägung ein sehr mächtiges Gefühl war, so hatte mich auch der frühe Tod meiner Mutter auf eine gewisse Weise geprägt und mich eng an meinen Vater gebunden. Er hatte alles getan, uns Kindern die Mutter so gut es ging zu ersetzen und auch wenn ihm das natürlich nie ganz gelungen war, so wussten Rachel, Rebecca und ich sehr genau was für einen großartigen Vater wir hatten. Es war ein weiterer, harter Schlag für uns alle gewesen, als ihn sein Diabetes in den Rollstuhl zwang, doch er hatte sich nicht aufgegeben und trotzdem es ihm vielleicht an körperlicher Stärke mangelte, so war er nicht nur das Oberhaupt unserer kleinen Familie geblieben, sondern auch das unseres ganzen Stammes. In diesem Moment hätte ich gerne einen Teil meiner körperlichen Kräfte gegeben, um etwas mehr von der inneren Stärke meines Vaters zu besitzen. Dad würde nicht feige in der Dunkelheit vor dem Haus darauf warten, dass sich die Situation änderte. Er würde hineingehen, Nell sagen was geschehen war und das Beste daraus machen.
Schließlich schaffte ich es doch, die wenigen Stufen zur Veranda hinauf zu gehen, legte zaghaft meine Hand auf den Türknauf und rang mich sogar dazu durch ihn zu drehen. Mit einem leisen Knarren schwang die Tür in den Raum und schien mich willkommen zu heißen. Dennoch fühlten sich meine Füße schwer wie Blei an, als ich über die Schwelle trat. Die Versuchung war groß, mich einfach auf das Sofa zu werfen und mich schlafen zu legen, aber ich wusste, dass Nell mir Vorwürfe machen würde, wenn ich ihr die Geschehnisse des heutigen Abends so lange verschweigen würde. Es waren nur noch wenige Stunden bis zum Morgengrauen, es hätte also eigentlich keine Rolle spielen sollen, aber ein Teil von Nell lebte nach wie vor in einer Welt, in der im Zweifelsfall, Stunden über Leben und Tod entschieden, je nach dem wie viele Meilen sie in dieser Zeit zwischen sich und Nathan bringen konnte. Auch wenn sie die letzten beiden Jahre den Umständen entsprechend gut überstanden hatte, so schlichen sich ab und an kleine Seltsamkeiten in ihr Verhalten ein, die sie wahrscheinlich selbst nicht einmal bemerkte, die mir aber immer wieder zeigten, dass diese beiden Jahre tiefe Spuren hinterlassen hatten.
Ich entschloss mich, ein wenig Zeit zu gewinnen, in dem ich erst einmal duschen ging. Während das warme Wasser nasse Erde und Tannennadeln von meinem Körper wusch, versuchte ich mir die richtigen Worte zurecht zu legen und kam, nachdem ich mich abgetrocknet und angezogen hatte zu dem Schluss, dass es für diese Situation keine richtigen Worte gab. Schließlich gab es außer meiner Feigheit keinen Grund mehr, nicht zu Nell zu gehen. Ich ließ mich an der Wand gegenüber dem Bett zu Boden sinken und dachte daran, sie vielleicht doch nicht zu wecken, wenn sie nicht von alleine wach werden würde. Was machte es denn schon, noch ein paar Stunden zu warten? Sie wäre mir vielleicht böse, aber doch sicher nicht für lange.
Mein Herz schlug schneller als ich bemerkte, dass Nells Atmung unruhiger wurde. An jedem anderen Abend wäre ich zu ihr gegangen und hätte gehofft, dass sie aufwachte. Hätte mich danach gesehnt mit ihr zu reden, doch heute blieb ich mucksmäuschenstill auf meinem Platz sitzen und wünschte mir, Nell würde weiterschlafen.
„Jacob?“, fragte Nell verschlafen. Als sich unsere Blicke trafen, schien die Müdigkeit mit einem Schlag von ihr zu weichen und sie richtete sich kerzengerade im Bett auf. Mit zitternder Stimme fragte sie: „ Jacob was ist los?“ Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen und so starrte ich die Wand hinter ihrem Bett an während ich sprach: „ Nathan. Ich bin heute auf Nathan gestoßen. Er weiß wer ich bin und er weiß, dass du bei mir bist.“ Ich hatte erwartet, dass sie weinend zusammenbrechen würde, doch stattdessen sprang auf und begann hektisch ihre Sachen zusammen zu suchen. „Nell was tust du da?“ fragte ich nervös. „Ich werde gehen“, murmelte sie vor sich hin, ohne mich anzusehen. „Ich werde hier verschwinden, dann passiert euch nichts.“ Achtlos stopfte sie alle ihre Habseligkeiten in ihren Rucksack. „Hör auf damit“, sagte ich fassungslos, aber sie schien mir gar nicht zuzuhören. „Nell?“ Ich sprang auf die Beine und hielt sie an den Handgelenken fest. „Nell, hör auf damit. Du wirst hier nicht weggehen.“ Erst jetzt hob sie den Blick, um mich direkt anzusehen und ich konnte sehen, dass sie doch weinte. „Ich muss gehen Jacob. Es war nicht richtig euch da mit rein zu ziehen“, kam es leise über ihre bebenden Lippen. „Du hättest nichts richtiger machen können. Wie hätte ich dich sonst finden sollen?“, flüsterte ich, während ich ihr die Tränen von den Wangen wischte. „Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn du mich nicht gefunden hättest“, sagte sie schließlich, jedoch ohne weiter zu packen. „Wie könnte es besser sein, die Frau die für einen bestimmt ist, nicht zu finden?“, war alles was ich sagen konnte. Jetzt endlich ließ Nells Anspannung nach. Sie setzte sich aufs Bett und stellte ihren Rucksack am Boden ab. Dann schüttelte sie den Kopf. „Jake ich weiß nicht, wie es besser sein könnte, aber es wäre für dich sicherer gewesen. Es wäre für euch alle sicherer gewesen.“ Ich sagte nichts weiter, sondern begann ihre Sachen aus dem Rucksack in die Schubladen der alten Kommode zurück zu räumen. Nell saß auf dem Bett und starrte ins Leere, aber sie machte wenigstens keine weiteren Anstalten mich verlassen zu wollen. Dies hier war mein Zuhause. Meine Familie und Freunde lebten hier, aber so sehr ich all das auch liebte, ich wäre ohne zu zögern mit Nell gegangen. Egal, ob sie das gewollt hätte und egal ob sie mir jemals das hätte geben können was ich mir erhoffte, ich war stärker als an alles andere an sie gebunden und so konnte ich nur dort wirklich Zuhause sein, wo auch sie war.
Als Nells Tränen getrockneten waren und sie ihre Sprache wieder gefunden hatte, musste ich ihr alles von den Geschehnissen des Abends erzählen. Nachdem ich geendet hatte, setzte ich mich zu ihr aufs Bett. „Du solltest dich noch etwas hinlegen“, durchbrach ich das Schweigen. Sie blinzelte kurz, so als sei sie mit ihren Gedanken ganz woanders gewesen, dann nickte sie. Ich erhob mich und schlug die Bettdecke zurück, so dass sie darunter schlüpfen konnte. Als ich sie zudecken wollte, hielt sie meinen Arm fest. „Lass mich heute Nacht nicht alleine“, sagte sie fast flehend. „Ich werde mir eine Decke holen und mich auf dem Boden schlafen legen“, erwiderte ich, doch sie schüttelte den Kopf. „Bleib“, sagte sie, und schlug die Bettdecke ein Stück weiter zurück, „bleib hier, bei mir.“ Ich suchte Nells Blick, um mich zu vergewissern, dass ich sie richtig verstanden hatte. Sie erwiderte meinen Blick und streckte die Arme nach mir aus: „Komm zu mir.“
Mein Herz flatterte in meiner Brust wie ein aufgeregter Vogel, als ich mich zu ihr ins Bett legte. Sie schmiegte sich in meine Arme und legte den Kopf auf meine Brust. Ich roch den Duft ihrer Haare, spürte ihre warme Haut auf meiner und wäre auch so vollkommen zufrieden eingeschlafen, als ich ihre Lippen auf meiner Brust spürte, die sich langsam, meinen Hals empor, einen Weg zu meinen Lippen bahnten. Für einen Augenblick dachte ich daran, dass es falsch wäre die Situation auszunutzen. Sie war schwach und verletzlich. Doch als sie sich für einen Moment von mir löste und ich ihr das Haar aus dem Gesicht strich, konnte ich in ihren Augen keinerlei Zweifel erkennen. Jetzt und in diesem Moment schien es für sie richtig zu sein. Und als Nells Hände begannen, über meine Brust, bis hinab zu meinem Bauch zu streichen, gab es plötzlich kein Richtig oder Falsch mehr, sondern nur noch uns beide.
Re: Indian Summer
Kapitel 16 (Nell)
Das Schrillen des Weckers riss mich aus dem Schlaf. Der schwere Männerkörper neben mir, ließ mich für einen Moment glauben, in meiner alten Wohnung in Boston zu sein. Als ich jedoch zu meiner Linken nur die Wand ertasten konnte begriff ich, dass ich schon lange nicht mehr dort war. Der Ort war ein anderer, ein anderes Haus, ein anderer Mann. Ich langte vorsichtig über Jacob hinweg, nach dem Wecker und schaltete ihn aus. Einen Moment Zeit hatte ich noch, bevor ich aufstehen musste und so rollte ich mich auf die Seite, stütze den Kopf auf den Arm und betrachtete mir Jacob.
Er lag flach auf dem Rücken, einen Arm hinter dem Kopf verschränkt, der andere ruhte auf seinem Bauch. Er präsentierte seinen Körper im Schlaf ganz offen und ungeschützt, so als glaubte er, nichts könne ihn verletzten. Doch ich wusste, dass ich es konnte. Die Zufriedenheit auf seinen Gesichtszügen brannte in meinem Herzen, denn ich wusste die letzte Nacht würde ihn glauben lassen, dass ich ihn so liebte, wie er es sich wünschte. Aber ich hatte ihn nur benutzt. Benutzt damit ich mich besser fühlte. Ich war in Panik geraten und in dem ich mit Jake schlief, hatte ich versucht mich für Nathan für immer zu verderben, denn bis dahin war er mein einziger Mann gewesen. Es war leicht für mich gewesen, denn ich empfand viel für Jake, aber nun einmal nicht genug. Nach unserer gemeinsamen Nacht würde er das aber sicherlich glauben. Ich legte meine Hand auf seine Brust, strich sachte die Linie seines Brustbeins entlang und wünschte mich ein paar Stunden zurück, zu dem Zeitpunkt an dem mir das alles noch richtig erschienen war. Hatte ich geglaubt ich würde ihn plötzlich so lieben, wie er mich? Hatte ich gedacht, er würde dem genauso wenig Bedeutung beimessen wie ich? Ich wusste nicht mehr was ich gedacht hatte. Ich hatte ihn gebraucht und er war da gewesen und nun würde ich ihm wehtun müssen.
Tränen stiegen mir in die Augen, denn das war da Letzte was ich wollte. Schnell wischte ich sie fort und kletterte vorsichtig am Fußende des Bettes über Jacob hinweg, um mich für die Arbeit fertig zu machen. Unter der Dusche wusch ich die Berührungen und Gerüche der letzten Nacht von meinem Körper, stellte mir vor, wie die ganze Nacht mit dem Strudel des klaren Wassers in die Tiefe gezogen wurde, so als sei sie nie geschehen. Doch sie war geschehen. Nicht nur, dass mein vermaledeiter Exverlobter mich wieder gefunden hatte, ich hatte auch einen dummen Fehler begangen, der den einzigen Menschen verletzen würde, der mich vor ihm retten konnte. Und den einzigen Menschen seit langem, der mir überhaupt etwas bedeutete. Nach dem Duschen flocht ich mein Haar vor dem Spiegel zu einem Zopf. Meine Augen und die Haut darunter waren leicht gerötet vom Weinen, aber nicht so stark, dass ich es nicht der frühen Stunde und dem heißen Wasser hätte zu schreiben können. Leise, um Jacob nicht zu wecken, schlich ich zurück in die Kammer, nahm meine Arbeitskleidung vom Kleiderbügel, der auf der Innenseite der Tür hing, zog mich an und griff mir aus der Kommode eine Weste. Ich sah mich noch mal kurz in dem kleinen Raum um, während ich rückwärts zur Tür ging und zuckte zusammen als ich plötzlich an ein Hindernis stieß. Wie angewurzelt blieb ich stehen, als nun Jake der einfach seinen Arm aus dem Bett gestreckt hatte, um mich auf sich aufmerksam zu machen, zart über meine Kniekehle strich. Ich schluckte einmal, zweimal bis der Kloß in meinem Hals soweit verschwunden war, dass ich mich zu ihm umdrehen konnte. „Guten Morgen“, sagte er zärtlich und zupfte am Saum meines Rockes, damit ich mich zu ihm auf die Bettkante setzte. „Guten Morgen“, erwiderte ich rau und setzte mich an seine Seite. „Wie geht es Dir?“, fragte er mich liebevoll, während seine Hand sanft an meinem Oberschenkel entlang strich. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, aber ich konnte nicht sagen, ob es wegen seiner Hand war, die mich so vertraut berührte, oder wegen meines schlechten Gewissens, weil ich ihn Glauben ließ, dass ich ihn liebte.
Als ich nicht antwortete, griff er nach meinem Zopf, der mir über die Schulter hing und zog mich sachte zu sich hinunter. Sein Kuss war nur ein Hauch, doch er reichte aus, damit mir wieder die Tränen in die Augen stiegen. Es war so offensichtlich wie viel er für mich empfand, dass es mich schmerzte. „Ich muss los“, sagte ich fast tonlos und brachte ein kleines Lächeln zu Stande. „Pass auf Dich auf“, verabschiedete er mich und küsste mich noch einmal. „Mach ich“, flüsterte ich und beeilte mich hinaus zu kommen.
Ich schaffte es gerade so, außer Sichtweite des Hauses zu kommen, bevor ich rechts ran fahren musste, weil mir ein Tränenschleier die Sicht nahm. Was war ich für ein Mensch geworden, so mit den Gefühlen eines anderen zu spielen? Was war mit mir passiert, dass ich nicht mehr fähig war Liebe zu empfinden? Als würde meine Seele mir antworten wollen, erschienen Bilder vor meinen Augen. Schreckliche Bilder, die ich die meiste Zeit nicht an die Oberfläche gelangen ließ und so verdrängte ich sie auch dieses Mal schnell wieder. Mit dem Handrücken wischte ich meine Tränen fort und betrachtete mich im Rückspiegel, ob ich mich so im Café blicken lassen konnte. Plötzlich erschienen mir die blauen Augen, die mich aus dem Spiegel heraus anstarrten, eiskalt und ich drehte den Spiegel schnell so, dass ich mich selbst nicht mehr betrachten musste. Der Motor des alten Golfs heulte empört auf, als ich ihn mit zu viel Gas starten ließ, doch schließlich brachte mich der Wagen, trotzdem er den in mir tobenden Emotionen ausgesetzt war, sicher nach Forks.
Schnell parkte ich den Wagen und nahm den hinteren Eingang zu Harpers Café. Ich war spät dran, weshalb ich im kleinen Personalraum nur schnell meine Weste ablegte, meine Uniform zurechtzupfte und meinen Zopf mit ein paar Haarnadeln hochsteckte. Wieder blickten mich im Spiegel diese kalten blauen Augen an. Fast wäre ich mit meiner Kollegin Becci zusammenstoßen, als ich vor meinen eigenen Spiegelbild flüchtete und nach Vorne eilte. Arbeit würde mich ablenken und so begann ich die Theke für die neue Auslage zu säubern und vorzubereiten.
„Alles in Ordnung Kind?“ Ich fuhr erschrocken zusammen. Mrs. Harper stand mit besorgtem Gesichtausdruck vor mir. „Ja, alles okay“, stammelte ich. „Warum weinst du, wenn alles in Ordnung ist?“, fragte sie fürsorglich und streichelte mit einer Hand über meinen Oberarm. Erst jetzt registriere ich meine laufende Nase, die brennenden Augen und als ich mit der Hand darüberfuhr, auch die feuchten Wangen. Beschämt durchsuchte ich meine Kleidung nach einem Taschentuch, fand aber keines. Mrs. Harper zog mit immer noch besorgtem Gesichtsausdruck ein Päckchen hervor und reichte es mir. „Was ist denn passiert? Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte sie mich. Ehe ich mich versah, schluchzte ich wieder und erzählte meiner Chefin, die mich mit ihren sanften, grauen Augen an meine Großmutter erinnerte, von meiner Misere. Dass ich jemandem sehr weh tun werden müsse, weil ich ihn nicht liebte und mir das so unsagbar leid tat. Sie hörte mir eine Weile zu und sprach erst als ich mich langsam beruhigte: „Wie kannst du sagen, dass du ihn nicht liebst, wenn du wegen ihm solches Leid empfindest?“ Schniefend blickte ich sie an. Kleine Lachfältchen lagen um ihre Augen, als sie mir ein paar verirrte Haarsträhnen aus dem Gesicht strich. „Man weint nicht so um jemanden, den man nicht liebt.“ „Aber es ist nicht genug“, brachte ich vom Weinen heiser hervor. Mrs. Harper lächelte immer noch. „Ich nehme an, wir sprechen von dem netten jungen Mann, dem der Wagen gehört, mit dem du hier her kommst.“ Ich nickte. „Den liebst du mehr als genug“, sagte sie so sicher, dass ich es fast selbst glaubte. Mein Blick schien sie zu amüsieren, denn sie kicherte wie ein junges Mädchen. „Ich bin eine alte Frau, ich habe schon viele Paare gesehen und bei euch wusste ich es sofort, als der Wagen vor die Tür fuhr, dass ihr füreinander bestimmt seid.“
Das Glöckchen an der Tür klingelte, als unser erster Gast den Laden betrat. „Ich mach das schon, mach dich schnell etwas frisch“, flüsterte sie mir zu und ich verschwand im hinteren Bereich des Ladens. Warum konnten anscheinend alle außer mir sehen, dass Jacob und ich zusammengehörten? Selbst eine fast Fremde, die nichts von der Wölfen und Prägung wusste, versicherte mir glaubhaft, dass wir zusammengehören würden. Was stimmte nur nicht mit mir, dass ich das nicht erkennen konnte?
Das Schrillen des Weckers riss mich aus dem Schlaf. Der schwere Männerkörper neben mir, ließ mich für einen Moment glauben, in meiner alten Wohnung in Boston zu sein. Als ich jedoch zu meiner Linken nur die Wand ertasten konnte begriff ich, dass ich schon lange nicht mehr dort war. Der Ort war ein anderer, ein anderes Haus, ein anderer Mann. Ich langte vorsichtig über Jacob hinweg, nach dem Wecker und schaltete ihn aus. Einen Moment Zeit hatte ich noch, bevor ich aufstehen musste und so rollte ich mich auf die Seite, stütze den Kopf auf den Arm und betrachtete mir Jacob.
Er lag flach auf dem Rücken, einen Arm hinter dem Kopf verschränkt, der andere ruhte auf seinem Bauch. Er präsentierte seinen Körper im Schlaf ganz offen und ungeschützt, so als glaubte er, nichts könne ihn verletzten. Doch ich wusste, dass ich es konnte. Die Zufriedenheit auf seinen Gesichtszügen brannte in meinem Herzen, denn ich wusste die letzte Nacht würde ihn glauben lassen, dass ich ihn so liebte, wie er es sich wünschte. Aber ich hatte ihn nur benutzt. Benutzt damit ich mich besser fühlte. Ich war in Panik geraten und in dem ich mit Jake schlief, hatte ich versucht mich für Nathan für immer zu verderben, denn bis dahin war er mein einziger Mann gewesen. Es war leicht für mich gewesen, denn ich empfand viel für Jake, aber nun einmal nicht genug. Nach unserer gemeinsamen Nacht würde er das aber sicherlich glauben. Ich legte meine Hand auf seine Brust, strich sachte die Linie seines Brustbeins entlang und wünschte mich ein paar Stunden zurück, zu dem Zeitpunkt an dem mir das alles noch richtig erschienen war. Hatte ich geglaubt ich würde ihn plötzlich so lieben, wie er mich? Hatte ich gedacht, er würde dem genauso wenig Bedeutung beimessen wie ich? Ich wusste nicht mehr was ich gedacht hatte. Ich hatte ihn gebraucht und er war da gewesen und nun würde ich ihm wehtun müssen.
Tränen stiegen mir in die Augen, denn das war da Letzte was ich wollte. Schnell wischte ich sie fort und kletterte vorsichtig am Fußende des Bettes über Jacob hinweg, um mich für die Arbeit fertig zu machen. Unter der Dusche wusch ich die Berührungen und Gerüche der letzten Nacht von meinem Körper, stellte mir vor, wie die ganze Nacht mit dem Strudel des klaren Wassers in die Tiefe gezogen wurde, so als sei sie nie geschehen. Doch sie war geschehen. Nicht nur, dass mein vermaledeiter Exverlobter mich wieder gefunden hatte, ich hatte auch einen dummen Fehler begangen, der den einzigen Menschen verletzen würde, der mich vor ihm retten konnte. Und den einzigen Menschen seit langem, der mir überhaupt etwas bedeutete. Nach dem Duschen flocht ich mein Haar vor dem Spiegel zu einem Zopf. Meine Augen und die Haut darunter waren leicht gerötet vom Weinen, aber nicht so stark, dass ich es nicht der frühen Stunde und dem heißen Wasser hätte zu schreiben können. Leise, um Jacob nicht zu wecken, schlich ich zurück in die Kammer, nahm meine Arbeitskleidung vom Kleiderbügel, der auf der Innenseite der Tür hing, zog mich an und griff mir aus der Kommode eine Weste. Ich sah mich noch mal kurz in dem kleinen Raum um, während ich rückwärts zur Tür ging und zuckte zusammen als ich plötzlich an ein Hindernis stieß. Wie angewurzelt blieb ich stehen, als nun Jake der einfach seinen Arm aus dem Bett gestreckt hatte, um mich auf sich aufmerksam zu machen, zart über meine Kniekehle strich. Ich schluckte einmal, zweimal bis der Kloß in meinem Hals soweit verschwunden war, dass ich mich zu ihm umdrehen konnte. „Guten Morgen“, sagte er zärtlich und zupfte am Saum meines Rockes, damit ich mich zu ihm auf die Bettkante setzte. „Guten Morgen“, erwiderte ich rau und setzte mich an seine Seite. „Wie geht es Dir?“, fragte er mich liebevoll, während seine Hand sanft an meinem Oberschenkel entlang strich. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, aber ich konnte nicht sagen, ob es wegen seiner Hand war, die mich so vertraut berührte, oder wegen meines schlechten Gewissens, weil ich ihn Glauben ließ, dass ich ihn liebte.
Als ich nicht antwortete, griff er nach meinem Zopf, der mir über die Schulter hing und zog mich sachte zu sich hinunter. Sein Kuss war nur ein Hauch, doch er reichte aus, damit mir wieder die Tränen in die Augen stiegen. Es war so offensichtlich wie viel er für mich empfand, dass es mich schmerzte. „Ich muss los“, sagte ich fast tonlos und brachte ein kleines Lächeln zu Stande. „Pass auf Dich auf“, verabschiedete er mich und küsste mich noch einmal. „Mach ich“, flüsterte ich und beeilte mich hinaus zu kommen.
Ich schaffte es gerade so, außer Sichtweite des Hauses zu kommen, bevor ich rechts ran fahren musste, weil mir ein Tränenschleier die Sicht nahm. Was war ich für ein Mensch geworden, so mit den Gefühlen eines anderen zu spielen? Was war mit mir passiert, dass ich nicht mehr fähig war Liebe zu empfinden? Als würde meine Seele mir antworten wollen, erschienen Bilder vor meinen Augen. Schreckliche Bilder, die ich die meiste Zeit nicht an die Oberfläche gelangen ließ und so verdrängte ich sie auch dieses Mal schnell wieder. Mit dem Handrücken wischte ich meine Tränen fort und betrachtete mich im Rückspiegel, ob ich mich so im Café blicken lassen konnte. Plötzlich erschienen mir die blauen Augen, die mich aus dem Spiegel heraus anstarrten, eiskalt und ich drehte den Spiegel schnell so, dass ich mich selbst nicht mehr betrachten musste. Der Motor des alten Golfs heulte empört auf, als ich ihn mit zu viel Gas starten ließ, doch schließlich brachte mich der Wagen, trotzdem er den in mir tobenden Emotionen ausgesetzt war, sicher nach Forks.
Schnell parkte ich den Wagen und nahm den hinteren Eingang zu Harpers Café. Ich war spät dran, weshalb ich im kleinen Personalraum nur schnell meine Weste ablegte, meine Uniform zurechtzupfte und meinen Zopf mit ein paar Haarnadeln hochsteckte. Wieder blickten mich im Spiegel diese kalten blauen Augen an. Fast wäre ich mit meiner Kollegin Becci zusammenstoßen, als ich vor meinen eigenen Spiegelbild flüchtete und nach Vorne eilte. Arbeit würde mich ablenken und so begann ich die Theke für die neue Auslage zu säubern und vorzubereiten.
„Alles in Ordnung Kind?“ Ich fuhr erschrocken zusammen. Mrs. Harper stand mit besorgtem Gesichtausdruck vor mir. „Ja, alles okay“, stammelte ich. „Warum weinst du, wenn alles in Ordnung ist?“, fragte sie fürsorglich und streichelte mit einer Hand über meinen Oberarm. Erst jetzt registriere ich meine laufende Nase, die brennenden Augen und als ich mit der Hand darüberfuhr, auch die feuchten Wangen. Beschämt durchsuchte ich meine Kleidung nach einem Taschentuch, fand aber keines. Mrs. Harper zog mit immer noch besorgtem Gesichtsausdruck ein Päckchen hervor und reichte es mir. „Was ist denn passiert? Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte sie mich. Ehe ich mich versah, schluchzte ich wieder und erzählte meiner Chefin, die mich mit ihren sanften, grauen Augen an meine Großmutter erinnerte, von meiner Misere. Dass ich jemandem sehr weh tun werden müsse, weil ich ihn nicht liebte und mir das so unsagbar leid tat. Sie hörte mir eine Weile zu und sprach erst als ich mich langsam beruhigte: „Wie kannst du sagen, dass du ihn nicht liebst, wenn du wegen ihm solches Leid empfindest?“ Schniefend blickte ich sie an. Kleine Lachfältchen lagen um ihre Augen, als sie mir ein paar verirrte Haarsträhnen aus dem Gesicht strich. „Man weint nicht so um jemanden, den man nicht liebt.“ „Aber es ist nicht genug“, brachte ich vom Weinen heiser hervor. Mrs. Harper lächelte immer noch. „Ich nehme an, wir sprechen von dem netten jungen Mann, dem der Wagen gehört, mit dem du hier her kommst.“ Ich nickte. „Den liebst du mehr als genug“, sagte sie so sicher, dass ich es fast selbst glaubte. Mein Blick schien sie zu amüsieren, denn sie kicherte wie ein junges Mädchen. „Ich bin eine alte Frau, ich habe schon viele Paare gesehen und bei euch wusste ich es sofort, als der Wagen vor die Tür fuhr, dass ihr füreinander bestimmt seid.“
Das Glöckchen an der Tür klingelte, als unser erster Gast den Laden betrat. „Ich mach das schon, mach dich schnell etwas frisch“, flüsterte sie mir zu und ich verschwand im hinteren Bereich des Ladens. Warum konnten anscheinend alle außer mir sehen, dass Jacob und ich zusammengehörten? Selbst eine fast Fremde, die nichts von der Wölfen und Prägung wusste, versicherte mir glaubhaft, dass wir zusammengehören würden. Was stimmte nur nicht mit mir, dass ich das nicht erkennen konnte?
Re: Indian Summer
Kapitel 17 (Jacob)
Ich trollte mich erst gegen Mittag aus dem Bett. Irgendwie war ich ein wenig erschöpft und bei dem Gedanken, weshalb das so war, spürte ich, wie sich meine Mundwinkel zu einem breiten Grinsen nach oben verzogen. Die Nacht, die so schlecht begonnen hatte, hatte eine unerwartete Wendung genommen. Als ich im Bad vor dem Spiegel ankam, schien dieses Grinsen nahezu in Stein gemeißelt. Ich stieg unter die Dusche und wusch widerwillig Nells Duft von mir ab. Wehmütig sah ich dem Wasser zu, wie es einen Teil der letzten Nacht mit sich davon trug. Am liebsten hätte ich sie heute Morgen wieder zu mir ins Bett gezogen, hätte sie gerne noch einmal gespürt, aber aufgeschoben war ja nicht aufgehoben. Wir würden sicherlich die Zeit für eine Wiederholung finden. Bei dem Gedanken daran spürte ich das Rauschen meines Blutes im Körper und ich stellte das Wasser schnell auf eiskalt, bevor neben dem dämlichen Grinsen, das mir im Gesicht stand, noch andere Dinge standen.
Die Abkühlung tat gut und so langsam bekam ich auch mein Gesicht wieder unter Kontrolle. Als ich in die Wohnküche trat, saß Dad mit dem Rücken zu mir am Küchentisch und aß zu Mittag. Er drehte sich halb zu mir herum, wies auf den zweiten Teller, der bereit stand und blickte dann mit einer hochgezogenen Augenbraue zwischen dem verwaisten Sofa und mir hin und her, sagte aber nichts. Das Grinsen wollte sich wieder auf meinem Gesicht zeigen und so öffnete ich schnell den Kühlschrank, um sehr geschäftig nach etwas Trinkbarem zu suchen. Dem Orangensaft würde mein dämlicher Gesichtsausdruck wohl kaum etwas ausmachen, während Dad das leere Sofa und mein Grinsen sicher schnell kombinieren würde. Wahrscheinlich ahnte er sowieso, was unter seinem Dach geschehen war.
Nachdem ich den halben Karton mit Saft geleert hatte, fühlte ich mich gestärkt genug, um mich zu meinem Vater an den Tisch zu setzen. Ich sah ihm aber nicht in die Augen, sondern griff gleich zu der Pfanne, in der das Essen noch vor sich hin brutzelte.
„Du hast heute nicht auf dem Sofa geschlafen“, stellte er lapidar fest. Ich war so überrascht, dass er mich darauf ansprach, dass ich mich verschluckte und zu husten begann. Die Tränen liefen mir die Wangen hinab, während ich versuchte das Husten unter Kontrolle zu bringen und gleichzeitig eine sinnvolle Antwort zu stammeln. Als ich aufblickte, konnte sich Dad nicht mehr halten und fing laut an zu lachen. „Was hast du geglaubt, was ich sagen würde? Selbst wenn du nicht auf sie geprägt wärst, wärst du alt genug, für was auch immer ihr da zusammen tut.“
„Dad“, rief ich entsetzt. Sex zu haben war das Eine, aber mit seinem Dad darüber zu reden war etwas völlig anderes. Ich hatte das dringende Bedürfnis diese beiden Aspekte meines Lebens so weit wie möglich zu trennen. „Wirst du etwa rot?“, zog er mich immer noch lachend auf. „Wer will auch schon mit seinen Eltern über so etwas reden“, grummelte ich vor mich hin.
Mein Vater konnte einen sehr schnell wieder auf den Boden holen. „Ach komm, jetzt sei nicht beleidigt! Ich freue mich doch für dich, dass sich alles so entwickelt, wie es sein soll.“ Aus seinem lauten Lachen wurde ein warmes Lächeln. „Ich wünschte deine Mutter könnte sehen, was für ein guter Mann aus dir geworden ist“, sagte er mit belegter Stimme. „Sie würde Nell sicherlich auch mögen.“ Für einen Moment saßen wir beide still da. Es war klar an wen wir beide dachten.
Ein lautes Klopfen an der Tür, riss uns aus unseren Erinnerungen und noch ehe Dad oder ich etwas sagen konnte, polterten Embry und Paul zur Tür herein.
„Boah Jacob, man war das ein Menschenauflauf“, sagte Embry ohne Begrüßung. Dad sah mich fragend an. Vor lauter Glück, hatte ich das eigentliche Geschehen der letzten Nacht vollkommen vergessen. Plötzlich verspürte ich den Drang nach Forks zu eilen und auf Nell acht zu geben. „Jacob, was ist passiert?“, fragte mich Dad. „Wir haben gestern zwei tote Wanderer im Wald gefunden. Als wir uns umsahen, ist Nathan aufgetaucht.“
„Und das sagst du mir erst jetzt?“, rief er aufgebracht. „Wo ist er? Konntet ihr die Wanderer nicht retten?“
„Er ist weg“, übernahm Paul das Wort, „und um den Wanderern zu helfen, kamen wir viel zu spät. Embry und ich kommen gerade von der Polizeiwache. Wir haben sie zu den Wanderern geführt, damit sie ihren Familien übergeben werden können.“
„Was habt ihr ihnen erzählt?“, fragte Dad neugierig, denn Sheriff Swan war einer seiner besten Freunde und sicherlich würde er ihn nach den Jungs aus dem Reservat fragen.
„Wir haben ihnen von einer kleinen Wandertour erzählt. Auf den Wegen der Ahnen, eben das, was die Weißen gerne so von uns glauben“, sprach nun Embry weiter, „und die Spuren sprachen für sich. Die Bären sind wohl wieder los.“ Dabei zwinkernde er lächelnd. Dann würde sein Gesicht wieder ernst. „Wir müssen was unternehmen. Der Kerl hatte die Leute ganz schön übel zugerichtet.“
Dad wollte gerade etwas erwidern, als das Klingeln des Telefons uns unterbrach. Noch ehe ich vom Stuhl aufgestanden war, hatte er schon seinen Rollstuhl geschickt zu dem kleinen Tisch koordiniert, auf dem das Telefon stand. „Black“, meldete er sich etwas ungeduldig.
Ich redete weiter mit Embry und Paul, doch aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie Dad die Farbe aus dem Gesicht wich. Seine Gesichtszüge wurden hart und seine Stimme rau. Unser Gespräch am Esstisch kam völlig zum erliegen. In meinen Eingeweiden breitete sich ein ungutes Gefühl aus. Ich hätte sie niemals nach der Sichtung von Nathan zur Arbeit gehen lassen dürfen, doch ich war so im Liebestaumel gewesen, dass ich einfach nicht daran gedacht hatte. Mit Nell in den Armen, hatte ich mich so zuversichtlich und hoffnungsvoll gefühlt, dass ich für einige Momente einfach alles vergessen hatte. Ich war einfach nur glücklich gewesen.
Ich schüttelte den Kopf, um nicht weiter in Gedanken zu versinken und versuchte dem Telefonat zu folgen, doch in diesem Moment legte Dad auch schon auf und kam mit ernster Miene zum Tisch zurück. „Jake, es ist es etwas passiert“, begann er, „Nell musste ins Krankenhaus gebracht werden.“
Plötzlich konnte ich mich nicht mehr auf seine Worte konzentrieren. Ich sprang auf, so dass mein Stuhl polternd zu Boden fiel. So deutlich wie nie spürte ich den Wolf in mir, wie er versuchte sich an die Oberfläche zu kämpfen. Wie er mich zwingen wollte, in mein stärkeres und schnelleres Ich zu schlüpfen, um so schnell wie möglich zu Nell zu kommen. Der Wolf war bereit mit Zähnen und Klauen für sie zu kämpfen und ich wusste nicht, wie lange ich ihn noch zurückhalten konnte. Wusste nicht, ob ich es überhaupt wollte.
„Jake, beruhige dich“, drang schwach die Stimme meines Vaters zu mir hindurch. Mein Vater. Ich dürfte ihm keinen Schaden zufügen. Ich konzentrierte mich auf meine Atmung und dachte an Emily. Dachte an Emilys Narben, die für immer ihr hübsches Gesicht entstellen würden. Die Narben, die Sam ihr beigebracht hatte, weil er sich einmal in ihrer Gegenwart nicht unter Kontrolle gehabt hatte. Langsam wurde ich ruhiger. „Was ist passiert?“, brachte ich leise hervor.
„Sie hatte einen kleinen Unfall, aber es geht ihr gut, das ist nicht das Problem.“
„Was ist dann das Problem?“, fuhr ich ihn viel zu heftig an, so dass Embry sich zwischen mich und meinen Vater schob und mich mit vorwurfsvollem Blick ansah. Ich atmete noch einmal tief ein und versucht meine Frage ruhiger zu wiederholen. Nun war es fast ein leises Knurren als ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorpresste: „Was ist das Problem?“
Dad antwortete mir mit einem fragenden Blick in den Augen. „Jacob, sie ist weggelaufen. Das war Dr. Cullen am Telefon. Er sagt, er habe ihr nur die Hand geschüttelt und dann sei sie panisch geworden und vor ihm davon gelaufen. Was hast du ihr über die Cullens erzählt, Jacob?“
Ich sah ihn entsetzt an. Fahrig strich ich mit den Fingern durch mein Haar. Ja, was hatte ich Nell über die Cullens erzählt? Ich hatte ihr erzählt, dass ich Bella an einen von ihnen verloren hatte. Ich hatte ihr erzählt, dass sie Vampire waren. Ich hatte ihr viel erzählt, aber die entscheidende Frage war, was ich ihr nicht erzählt hatte. „Jacob?“, fragte nun Paul, „was hast du ihr erzählt?“
Unsere Blicke trafen sich und er riss die Augen weit auf. „Du hast ihr nicht erzählt, dass sie kein Menschenblut trinken?“
Ich konnte ihn nur entsetzt ansehen und nicken. „Aber woher weiß sie so genau, dass Dr.Cullen kein Mensch ist?“, fragte nun mein Dad.
„Ich habe euch auch etwas nicht erzählt“, erwiderte ich kleinlaut.
„Was Jacob, was hast du uns nicht erzählt?“, bedrängte mein Vater mich verärgert und besorgt zugleich.
„Sie hat eine Gabe“, wisperte ich. „Was?“, fragten Paul und mein Vater.
Embry, der immer noch zwischen meinem Vater und mir stand, und somit mir am nächsten war, hatte mich gehört und wiederholte ungläubig was ich gesagt hatte. Dass ein anderer es aussprach, schien den Bann zu brechen und nun sprudelten die Worte nur so aus mir heraus und ich erzählte ihnen eilig alles, was ich über Nells Besonderheiten wusste.
Ich trollte mich erst gegen Mittag aus dem Bett. Irgendwie war ich ein wenig erschöpft und bei dem Gedanken, weshalb das so war, spürte ich, wie sich meine Mundwinkel zu einem breiten Grinsen nach oben verzogen. Die Nacht, die so schlecht begonnen hatte, hatte eine unerwartete Wendung genommen. Als ich im Bad vor dem Spiegel ankam, schien dieses Grinsen nahezu in Stein gemeißelt. Ich stieg unter die Dusche und wusch widerwillig Nells Duft von mir ab. Wehmütig sah ich dem Wasser zu, wie es einen Teil der letzten Nacht mit sich davon trug. Am liebsten hätte ich sie heute Morgen wieder zu mir ins Bett gezogen, hätte sie gerne noch einmal gespürt, aber aufgeschoben war ja nicht aufgehoben. Wir würden sicherlich die Zeit für eine Wiederholung finden. Bei dem Gedanken daran spürte ich das Rauschen meines Blutes im Körper und ich stellte das Wasser schnell auf eiskalt, bevor neben dem dämlichen Grinsen, das mir im Gesicht stand, noch andere Dinge standen.
Die Abkühlung tat gut und so langsam bekam ich auch mein Gesicht wieder unter Kontrolle. Als ich in die Wohnküche trat, saß Dad mit dem Rücken zu mir am Küchentisch und aß zu Mittag. Er drehte sich halb zu mir herum, wies auf den zweiten Teller, der bereit stand und blickte dann mit einer hochgezogenen Augenbraue zwischen dem verwaisten Sofa und mir hin und her, sagte aber nichts. Das Grinsen wollte sich wieder auf meinem Gesicht zeigen und so öffnete ich schnell den Kühlschrank, um sehr geschäftig nach etwas Trinkbarem zu suchen. Dem Orangensaft würde mein dämlicher Gesichtsausdruck wohl kaum etwas ausmachen, während Dad das leere Sofa und mein Grinsen sicher schnell kombinieren würde. Wahrscheinlich ahnte er sowieso, was unter seinem Dach geschehen war.
Nachdem ich den halben Karton mit Saft geleert hatte, fühlte ich mich gestärkt genug, um mich zu meinem Vater an den Tisch zu setzen. Ich sah ihm aber nicht in die Augen, sondern griff gleich zu der Pfanne, in der das Essen noch vor sich hin brutzelte.
„Du hast heute nicht auf dem Sofa geschlafen“, stellte er lapidar fest. Ich war so überrascht, dass er mich darauf ansprach, dass ich mich verschluckte und zu husten begann. Die Tränen liefen mir die Wangen hinab, während ich versuchte das Husten unter Kontrolle zu bringen und gleichzeitig eine sinnvolle Antwort zu stammeln. Als ich aufblickte, konnte sich Dad nicht mehr halten und fing laut an zu lachen. „Was hast du geglaubt, was ich sagen würde? Selbst wenn du nicht auf sie geprägt wärst, wärst du alt genug, für was auch immer ihr da zusammen tut.“
„Dad“, rief ich entsetzt. Sex zu haben war das Eine, aber mit seinem Dad darüber zu reden war etwas völlig anderes. Ich hatte das dringende Bedürfnis diese beiden Aspekte meines Lebens so weit wie möglich zu trennen. „Wirst du etwa rot?“, zog er mich immer noch lachend auf. „Wer will auch schon mit seinen Eltern über so etwas reden“, grummelte ich vor mich hin.
Mein Vater konnte einen sehr schnell wieder auf den Boden holen. „Ach komm, jetzt sei nicht beleidigt! Ich freue mich doch für dich, dass sich alles so entwickelt, wie es sein soll.“ Aus seinem lauten Lachen wurde ein warmes Lächeln. „Ich wünschte deine Mutter könnte sehen, was für ein guter Mann aus dir geworden ist“, sagte er mit belegter Stimme. „Sie würde Nell sicherlich auch mögen.“ Für einen Moment saßen wir beide still da. Es war klar an wen wir beide dachten.
Ein lautes Klopfen an der Tür, riss uns aus unseren Erinnerungen und noch ehe Dad oder ich etwas sagen konnte, polterten Embry und Paul zur Tür herein.
„Boah Jacob, man war das ein Menschenauflauf“, sagte Embry ohne Begrüßung. Dad sah mich fragend an. Vor lauter Glück, hatte ich das eigentliche Geschehen der letzten Nacht vollkommen vergessen. Plötzlich verspürte ich den Drang nach Forks zu eilen und auf Nell acht zu geben. „Jacob, was ist passiert?“, fragte mich Dad. „Wir haben gestern zwei tote Wanderer im Wald gefunden. Als wir uns umsahen, ist Nathan aufgetaucht.“
„Und das sagst du mir erst jetzt?“, rief er aufgebracht. „Wo ist er? Konntet ihr die Wanderer nicht retten?“
„Er ist weg“, übernahm Paul das Wort, „und um den Wanderern zu helfen, kamen wir viel zu spät. Embry und ich kommen gerade von der Polizeiwache. Wir haben sie zu den Wanderern geführt, damit sie ihren Familien übergeben werden können.“
„Was habt ihr ihnen erzählt?“, fragte Dad neugierig, denn Sheriff Swan war einer seiner besten Freunde und sicherlich würde er ihn nach den Jungs aus dem Reservat fragen.
„Wir haben ihnen von einer kleinen Wandertour erzählt. Auf den Wegen der Ahnen, eben das, was die Weißen gerne so von uns glauben“, sprach nun Embry weiter, „und die Spuren sprachen für sich. Die Bären sind wohl wieder los.“ Dabei zwinkernde er lächelnd. Dann würde sein Gesicht wieder ernst. „Wir müssen was unternehmen. Der Kerl hatte die Leute ganz schön übel zugerichtet.“
Dad wollte gerade etwas erwidern, als das Klingeln des Telefons uns unterbrach. Noch ehe ich vom Stuhl aufgestanden war, hatte er schon seinen Rollstuhl geschickt zu dem kleinen Tisch koordiniert, auf dem das Telefon stand. „Black“, meldete er sich etwas ungeduldig.
Ich redete weiter mit Embry und Paul, doch aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie Dad die Farbe aus dem Gesicht wich. Seine Gesichtszüge wurden hart und seine Stimme rau. Unser Gespräch am Esstisch kam völlig zum erliegen. In meinen Eingeweiden breitete sich ein ungutes Gefühl aus. Ich hätte sie niemals nach der Sichtung von Nathan zur Arbeit gehen lassen dürfen, doch ich war so im Liebestaumel gewesen, dass ich einfach nicht daran gedacht hatte. Mit Nell in den Armen, hatte ich mich so zuversichtlich und hoffnungsvoll gefühlt, dass ich für einige Momente einfach alles vergessen hatte. Ich war einfach nur glücklich gewesen.
Ich schüttelte den Kopf, um nicht weiter in Gedanken zu versinken und versuchte dem Telefonat zu folgen, doch in diesem Moment legte Dad auch schon auf und kam mit ernster Miene zum Tisch zurück. „Jake, es ist es etwas passiert“, begann er, „Nell musste ins Krankenhaus gebracht werden.“
Plötzlich konnte ich mich nicht mehr auf seine Worte konzentrieren. Ich sprang auf, so dass mein Stuhl polternd zu Boden fiel. So deutlich wie nie spürte ich den Wolf in mir, wie er versuchte sich an die Oberfläche zu kämpfen. Wie er mich zwingen wollte, in mein stärkeres und schnelleres Ich zu schlüpfen, um so schnell wie möglich zu Nell zu kommen. Der Wolf war bereit mit Zähnen und Klauen für sie zu kämpfen und ich wusste nicht, wie lange ich ihn noch zurückhalten konnte. Wusste nicht, ob ich es überhaupt wollte.
„Jake, beruhige dich“, drang schwach die Stimme meines Vaters zu mir hindurch. Mein Vater. Ich dürfte ihm keinen Schaden zufügen. Ich konzentrierte mich auf meine Atmung und dachte an Emily. Dachte an Emilys Narben, die für immer ihr hübsches Gesicht entstellen würden. Die Narben, die Sam ihr beigebracht hatte, weil er sich einmal in ihrer Gegenwart nicht unter Kontrolle gehabt hatte. Langsam wurde ich ruhiger. „Was ist passiert?“, brachte ich leise hervor.
„Sie hatte einen kleinen Unfall, aber es geht ihr gut, das ist nicht das Problem.“
„Was ist dann das Problem?“, fuhr ich ihn viel zu heftig an, so dass Embry sich zwischen mich und meinen Vater schob und mich mit vorwurfsvollem Blick ansah. Ich atmete noch einmal tief ein und versucht meine Frage ruhiger zu wiederholen. Nun war es fast ein leises Knurren als ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorpresste: „Was ist das Problem?“
Dad antwortete mir mit einem fragenden Blick in den Augen. „Jacob, sie ist weggelaufen. Das war Dr. Cullen am Telefon. Er sagt, er habe ihr nur die Hand geschüttelt und dann sei sie panisch geworden und vor ihm davon gelaufen. Was hast du ihr über die Cullens erzählt, Jacob?“
Ich sah ihn entsetzt an. Fahrig strich ich mit den Fingern durch mein Haar. Ja, was hatte ich Nell über die Cullens erzählt? Ich hatte ihr erzählt, dass ich Bella an einen von ihnen verloren hatte. Ich hatte ihr erzählt, dass sie Vampire waren. Ich hatte ihr viel erzählt, aber die entscheidende Frage war, was ich ihr nicht erzählt hatte. „Jacob?“, fragte nun Paul, „was hast du ihr erzählt?“
Unsere Blicke trafen sich und er riss die Augen weit auf. „Du hast ihr nicht erzählt, dass sie kein Menschenblut trinken?“
Ich konnte ihn nur entsetzt ansehen und nicken. „Aber woher weiß sie so genau, dass Dr.Cullen kein Mensch ist?“, fragte nun mein Dad.
„Ich habe euch auch etwas nicht erzählt“, erwiderte ich kleinlaut.
„Was Jacob, was hast du uns nicht erzählt?“, bedrängte mein Vater mich verärgert und besorgt zugleich.
„Sie hat eine Gabe“, wisperte ich. „Was?“, fragten Paul und mein Vater.
Embry, der immer noch zwischen meinem Vater und mir stand, und somit mir am nächsten war, hatte mich gehört und wiederholte ungläubig was ich gesagt hatte. Dass ein anderer es aussprach, schien den Bann zu brechen und nun sprudelten die Worte nur so aus mir heraus und ich erzählte ihnen eilig alles, was ich über Nells Besonderheiten wusste.
Re: Indian Summer
Kapitel 18 (Nell)
Nach dem Gespräch mit Mrs. Harper hatte ich keine Zeit mehr über Jake und mich nachzudenken. Das Café füllte sich Zusehens mit Gästen und die übliche Laufkundschaft sah vorbei. Becci, Mrs. Harper und ich hatten alle Hände voll zu tun. Mr. Harper zog es vor, wie meistens, wenn es allzu hektisch wurde, sich in sein Büro zurückzuziehen und sich hinter Papierkram zu verstecken. Uns Dreien war dies nur Recht, denn er war zwar ein wirklich netter Mann, mit dem sich auch die Kundschaft, in weniger hektischen Zeiten gerne unterhielt, aber was das praktische Arbeiten anging, hatte er zwei linke Hände und das Talent, denen die diese nicht hatten, dauernd im Weg zu stehen. Mrs. Harper hatte ihn wohl irgendwann einmal von ihrer Theke verbannt, wenn viel zu tun war und er hielt sich dankbar daran.
Nach dem Mittagsgeschäft flachte der Strom der Kunden langsam ab und meine Gedanken kehrten zu Jake zurück. Das Arbeitsende rückte immer näher und ich hatte noch immer keine Ahnung wie ich ihm begegnen sollte. Vor meinem geistigen Auge erschien sein breites, ehrliches Lächeln, das jeden Raum erhellte und verwandelte sich jäh in eine Maske des Zorns, wenn ich ihm sagte, dass unsere gemeinsame Nacht nichts zu bedeuten hatte. Und das war noch die bessere Variante, die mein Hirn mir vorspann. In der anderen Version erlosch sein Lächeln, sein Gesicht wurde leblos und nur seine Augen, die mich voller Enttäuschung und Schmerz ansahen, sagten mir, dass ich ihm gerade sein Herz gebrochen hatte, ohne dass es jemals eine Chance auf Heilung geben würde.
Beide Aussichten ließen mich fahrig werden und ich musste mich zusammenreißen nicht dauernd etwas zu verschütten oder fallen zu lassen. Je näher das Arbeitsende rückte, umso schlimmer wurde es. Als sich wieder einmal ein Kaffeelöffel selbstständig gemacht hatte, ging ich seufzend in die Hocke, um ihn aufzuheben. Immerhin war es mir dieses Mal hinter der Theke passiert und nicht vor den Kunden, so dass ich den Löffel unauffällig gegen einen neuen austauschen können würde. Das fiese, kleine Ding war fast ganz unter den Tresen gerutscht. Ich erwischte ihn gerade noch so, mit Daumen und Zeigefinger. Triumphierend wollte ich mich aufrichten, doch ein stechender Schmerz zwang mich in die Knie. Von meiner Schädeldecke ausgehend, breitete er sich rasend schnell in meinem Körper aus und schien mir jeden einzelnen Knochen zu verschieben. Ich biss die Zähne aufeinander, um nicht aufzuschreien. Tränen verschleierten meinen Blick. Ich versuchte ruhig zu Atmen und langsam zog sich der Schmerz an seinen Ausgangspunkt zurück, wo er sich zwischen Stirn und Schläfe als heftiges Pochen niederließ. Hämmernd hallte es im Rest meines Kopfes wider. Erst jetzt vernahm ich Beccis aufgeregte Stimme: „Oh mein Gotte Nell! Es tut mir so leid!“ Aus ihren Zügen war jegliche Farbe gewichen.
Ich wollte ihr sagen, dass alles okay sei, aber als ich mir das Haar aus dem Gesicht strich, verharrten meine Finger in einer klebrigen Flüssigkeit. Kupfergeruch stieg mir in die Nase. Ich ließ die Hand in meinen Schoß sinken und starrte das Blut an meinen Fingern an. Mrs. Harper riss mich aus meiner Lethargie, in dem sie mit einem Handtuch, das sie zuvor in warmem Wasser getränkt hatte, meine Finger säuberte und dann vorsichtig mein Gesicht und meine Stirn abtupfte. Mit einem neuen Handtuch, wagte sie sich vorsichtig an die Wunde. Zischend stieß ich die Luft durch die Zähne aus, als sie die Platzwunde berührte. Hinter ihr stammelte die nun mehr völlig aufgelöste Becci: „Ich wollte doch nur schnell Brötchen aufbacken, ich dachte Nell würde die Ofentür sehen.“
„Schon gut Becci, das wird wieder“, beruhigte Mrs. Harper sie.
Die Ofentür also. Ich hob vorsichtig meinen Kopf und schaute auf das große, metallene Ungetüm, das kaum einen Meter von mir entfernt stand. Er war in Arbeitshöhe angebracht, so dass man bequem die Bleche auswechseln konnte. Die Tür war nun geschlossen worden, aber an der äußeren Kante konnte ich noch ein wenig Blut sehen. Mein Blut. Das Dröhnen im meinem Kopf nahm wieder zu und ich musste den Blick abwenden.
„Kannst du aufstehen Nell?“, drang Mrs. Harper Stimme zu mir durch.
„Ich glaube schon“, antwortete ich leise. Jedes Wort schien mir zu laut und jeder Herzschlag machte sich pochend in meinem Schädel bemerkbar. Als ich mich mit Hilfe meiner Chefin langsam aufrichtete, wurde mir schwindelig und ich musste mich auf sie stützen.
Ein Stammgast, die alte Mrs. Winston, war dicht an die Theke getreten und runzelte besorgt die gut neunzigjährige Stirn. „Kindchen, was machst du denn für Sachen? Madlin,“, sprach sie Mrs. Harper beim Vornamen an, „du musst das Mädchen ins Krankhaus bringen. Mein Urenkel ist vor ein paar Wochen von der Schaukel gefallen und hat sich den Kopf aufgeschlagen und es war gut, dass seine Eltern mit ihm zum Arzt sind, denn er hatte eine Gehirnerschütterung.“ „Danke Martha“, erwiderte Mrs. Harper und wand sich an Becci, „Holst du bitte meinen Mann aus seinem Büro? Er soll Nell ins Krankenhaus fahren.“
Becci, die anscheinend froh war irgendetwas für mich tun zu können, eilte davon. Mr. Spooner, ebenfalls Stammgast im Café Harper kam mit einem Stuhl herbei, so dass ich nicht länger Mrs. Harper in Beschlag nehmen musste.
Im Flur hinter dem Ladenlokal hörte man Mr. Harper, wie er widerwillig seiner aufgelösten Angestellten folgte. „Was ist denn so schlimm, dass ich die Buchhaltung sein lassen muss?“, beschwerte er sich gerade in dem Moment, als er mich erblickte. Sein Mund blieb offen stehen und ich fragte mich, ob meine Verletzung vielleicht doch schlimmer war, als sie sich anfühlte.
„Ich gehe den Wagen holen“, war alles was er sagte und schon wollte er wieder nach hinten eilen. Mit krächzender Stimme hielt ich ihn davon ab. Meine Kehle war so trocken, als hätte ich Jahre nichts getrunken. „Ich kann nicht ins Krankenhaus. Ich bin nicht versichert und habe kein Geld, um eine Behandlung zu bezahlen.“
„Ich bezahle die die Behandlung, es war ja meine Schuld“, ereiferte sich Becci.
Mr. Harper erhob das Wort: „ Nichts da Rebecca Ashton. Du brauchst dein Geld für dich und den kleinen Ben. Wir werden das übernehmen“, sagte er, den Blick seiner Frau suchend. „Natürlich werden wir das übernehmen Andrew. Ihr Mädchen müsst euch keine Sorgen machen.“ Ich sah an Beccis Blick, dass sie, ebenso wie ich protestieren wollte, aber ich wusste auch, dass ich mir keine Behandlung leisten konnte und meine junge Kollegin ebenso wenig. Sie war erst siebzehn und hatte einen einjährigen Sohn, Benjamin, für den sie alleine sorgte.
Gleich das Erste, was sie mir erzählt hatte, als ich im Café anfing zu arbeiten, war, wie gut die Harpers zu ihr waren. Sie würden sie nicht verurteilen, weil sie so dumm gewesen war, auf den falschen Typen hereinzufallen und sich von ihm hatte schwängern lassen. Dabei war ihr Blick ganz traurig geworden und ich wusste, dass man ihr sicherlich keinen Vorwurf machen konnte. Sie hatte diesen Kerl wirklich gern gehabt. Wenn man sich das erste Mal verliebte, dann tat man eben auch manchmal dumme Dinge.
„Ok“, sagte ich schließlich nur und erhob mich auf meine wackligen Beine. „Komm Liebes, ich begleite dich“, bot mir Mrs. Harper mit einem fürsorglichen Lächeln an. Nur zu gerne nahm ich das Angebot an und schwankte an ihrem Arm, immer noch von starken Kopfschmerzen gepeinigt, zur Hintertür hinaus.
Ich war froh, als ich neben meinem Chef im Wagen saß, denn jede Anstrengung, bedeutete beschleunigten Puls und somit stärkere Schmerzen. Andrew Harper chauffierte den Wagen schnell und sicher zum Krankenhaus. Er half mir beim Aussteigen, brachte mich zum Empfang und bestand darauf meinen Anmeldebogen auszufüllen. Ich sollte ja nichts tun, was meinen lädierten Schädel zusätzlich anstrengte. So diktierte ich ihm meine Daten, er gab den Bogen ab und bald darauf holte mich eine Schwester ab. Sie war um die vierzig und trug das dunkelblonde Haar zu einem Knoten geschlungen. Trotz ihres sicherlich anstrengenden Berufes, waren die einzigen Falten in ihrem Gesicht kleine Lachfältchen um die Augen und um den Mund herum. Sie nahm mir ein wenig das mulmige Gefühl, dass mich schon seit Kindertagen in Krankenhäusern überkam. Schon immer war ich mir dort vorgekommen, wie in einem Versuchslabor. Die sterile Atmosphäre, die blinkenden metallenen Instrumente und nicht zuletzt auch der Geruch nach Desinfektionsmitteln wirkten auf mich wenig Vertrauen erweckend. Vielleicht lag es auch dran, dass ich immer einen Teil von mir vor der Welt verstecken musste und mir das besonders schwer fiel, wenn ich krank und angeschlagen war.
Die Krankenschwester führte mich zu einer freien Behandlungsliege und fragte, ob sie mich so lange alleine lassen könnte bis der Arzt käme. Ich erklomm unbeholfen die Liege, zwang mir ein Lächeln auf und versicherte ihr, dass ich, wenn ich ohnmächtig werden sollte, artig auf die Liege fallen würde. Sie erwiderte mein Lächeln und ließ mich allein. So ganz ohne freundliche Menschen um mich herum, fühlte ich mich in dieser sterilen Umgebung plötzlich sehr, sehr einsam. Und obwohl ich mir sicher war, dass ich mir in Bezug auf Jake absolut nicht sicher war, war er es, den ich mir an meiner Seite wünschte. Vermutlich würde er mich vorerst nicht mehr aus dem Haus lassen, wenn er meine Verletzung sehen würde, aber das war mir in diesem Moment egal. Ich sehnte mich nach seinem sonnigen Lächeln und seinen starken Armen. Nach der Wärme seine Körpers und der Wärme seine Wesens. Doch er war nun einmal nicht hier.
Wenigstens musste ich nicht lange warten, denn bevor ich noch weiter in meinen trübsinnigen Gedanken versinken konnte, kam schon ein junger Arzt auf mich zugeeilt, seinen Blick konzentriert auf das Klemmbrett in seiner Hand gerichtet. Sein hellblondes Haar trug er zurückgekämmt und als er von meinem Krankenblatt aufsah, sah ich, dass er hübsche, bernsteinfarbene Augen hatte, die mich für einen Moment leicht irritiert anzusehen schienen. „Guten Tag Miss Arden,“ begrüßte er mich freundlich und strecke mir seine Hand entgegen. Wieder zwang ich mir ein Lächeln ab, was jäh erstarb, als sich ein Bild in meinem Kopf manifestierte. Der blonde Arzt über eine Frau gebeugt und ich wusste, dass er von ihr trank, denn es war seine Natur. Er war ein Vampir. Vampir! Schrill hallte das Wort in meinem schmerzenden Schädel nach. Erschrocken entriss ich ihm meine Hand, konnte ihn nur anstarren. „Alles in Ordnung Miss Arden?“, fragte er und beugte sich zu mir. Ich wich zurück, aber mein Blick blieb an dem Namensschild hängen, das eben noch unter dem Stethoskop verborgen gewesen war, welches er um den Hals trug. Cullen stand da. Doktor Carlisle Cullen. Er war einer der Vampire, die sich hier niedergelassen hatten, einer der Gründe, warum Leah und die jungen Männer aus Jacobs Stamm zu Wölfen wurden. Er war der Vater des Mannes, der dafür gesorgt hatte, dass Jacob das Herz gebrochen worden war.
Wut breite sich in mir aus und vertrieb die Angst. „Wie können sie nur? In einem Krankenhaus! Dort, wo die Menschen hinkommen, um Hilfe zu finden. Dort wo sie schwach und verletzlich sind“, fuhr ich ihn an.
Sein Blick zeigte zunächst Verständnislosigkeit, dann Entrüstung, aber ich glaubte ihm keine Sekunde. Ich hatte gesehen, wie Nathan harmlos in die Kamera gelächelt hatte, Minuten bevor er sich auf Abigail gestürzt hatte.
„Ich glaube sie tun mir Unrecht, Miss Arden“, sagte er ruhig und leise. Er trat einen Schritt an mich heran und meine Angst gewann wieder die Oberhand.
„Lassen sie mich in Ruhe!“, zischte ich ihn an und ich drehte mich so, dass es mir gelang, meine Beine auf der anderen Seite der Liege, auf den Boden zu bringen. Mein angeschlagener Kreislauf versuchte mir einen Strich durch die Rechnung zu machen und hätte mich beinahe zu Fall gebracht, doch der Rollwagen mit den Instrumenten bot mir Halt. „Miss Arden, ich glaube wirklich, wir sollten in Ruhe miteinander sprechen“, redete Dr. Cullen auf mich ein. Beschwichtigend hatte er die Hände gehoben und bewegte sich langsam auf mich zu, als sei ich ein scheues Tier, das es zu zähmen galt.
„Kommen Sie nicht näher“, fauchte ich.
Er blieb stehen.
„Nell, ich werde Ihnen nichts tun, aber ich muss mit Ihnen reden.“ Langsam kam er näher. Panisch stieß ich den Instrumentenwagen um, der mit einem lauten Scheppern zu Boden ging. Ich wollte mir damit Zeit verschaffen, denn ich wusste, dass es dem Vampir ein Leichtes gewesen, wäre mich einzuholen. Aber ich hoffte darauf, dass er sich in aller Öffentlichkeit nicht zu erkennen geben würde.
Ich rannte los. Meine Beine fühlten sich an, als würden sie zu gleichen Teilen aus Blei und Gummi bestehen, während ich durch die Korridore des Krankenhauses lief. Mein, durch die Anstrengung, beschleunigter Herzschlag, pumpte das Blut in rasender Geschwindigkeit durch meinen Körper und fachte so meine Kopfschmerzen wieder an. Deren Heftigkeit ließ bereits meinen Magen rebellieren. Mr. Harper erhob sich, als ich auf ihn zugelaufen kam, doch ich rannte einfach an ihm vorbei. Alles was ich wollte, war weg von dem Vampir!
Eile war angeraten, denn ich spürte, dass mich der Zusammenstoß mir der Ofentür mehr mitgenommen hatte, als ich gedacht hatte. Meine Kräfte schwanden schnell. Keuchend öffnete ich eine große, zweiflügelige Tür und stand auf dem Parkplatz des Krankenhauses. Die frische Luft vertrieb den Schmerz und die Übelkeit ein wenig, so dass ich weiter rennen konnte. Wohin wusste ich nicht. Ich kannte mich in dieser Gegend von Forks nicht aus.
Keine zwei Straßen weiter, in einer ruhigen Wohngegend, verließen mich dann endgültig meine Kräfte. Ich musste stehen bleiben, um die drohende Ohnmacht abzuwenden. Geräusche drangen bereits nur noch wie aus weiter Ferne zu mir durch. Mein Blickfeld verengte sich zusehends. Bald würde mir schwarz vor Augen werden.
Tief in meinem Inneren regte sich etwas, was ich vor langer Zeit dorthin verbannt hatte. Langsam kroch die Panik aus ihrem Gefängnis hervor. Als Nathan zum Vampir wurde, war sie auch da gewesen, doch ich hatte sie zurückgedrängt, um klar denken zu können, um überleben zu können. Angestrengt suchte ich nach einer Lösung, doch alles, was ich mit meinem eingeschränkten Blickfeld wahrnehmen konnte, war das Haus zu meiner Linken. Ein Mehrfamilienhaus, die Front aus blauen Holzpanelen. An der Außenseite führte eine verzinkte Edelstahltreppe hinauf in den zweiten Stock und unter dem Treppenaufgang glaubte ich meine Rettung zu erkennen. Mülltonnen. Gewöhnliche blecherne Mülltonnen. Mindestens vier Stück, die mich verbergen würden und deren Gestank den meines Blutes hoffentlich verdecken würde. Ich stolperte über den Rasen zu der Zuflucht, die ich mir ausersehen hatte. Kauerte mich hinter den Tonnen zusammen. Das Geräusch meines Blutes toste in meinen Ohren. Die klammen Finger der Panik legten sich um meine Kehle, nahmen mir den Atmen. Ohne, dass ich etwas hätte dagegen tun können, zog ich die Beine dicht an meinen Körper, umschlang sie mit den Armen und begann mich zu wiegen. Hin und her. Mein Verstand schrie, dass sich so nur eine Irre aufführen würde, aber ich konnte nicht anders. Ich hatte Angst, musste mich irgendwo festhalten. Doch wie immer in den vergangenen zwei Jahren, war ich allein.
Nach dem Gespräch mit Mrs. Harper hatte ich keine Zeit mehr über Jake und mich nachzudenken. Das Café füllte sich Zusehens mit Gästen und die übliche Laufkundschaft sah vorbei. Becci, Mrs. Harper und ich hatten alle Hände voll zu tun. Mr. Harper zog es vor, wie meistens, wenn es allzu hektisch wurde, sich in sein Büro zurückzuziehen und sich hinter Papierkram zu verstecken. Uns Dreien war dies nur Recht, denn er war zwar ein wirklich netter Mann, mit dem sich auch die Kundschaft, in weniger hektischen Zeiten gerne unterhielt, aber was das praktische Arbeiten anging, hatte er zwei linke Hände und das Talent, denen die diese nicht hatten, dauernd im Weg zu stehen. Mrs. Harper hatte ihn wohl irgendwann einmal von ihrer Theke verbannt, wenn viel zu tun war und er hielt sich dankbar daran.
Nach dem Mittagsgeschäft flachte der Strom der Kunden langsam ab und meine Gedanken kehrten zu Jake zurück. Das Arbeitsende rückte immer näher und ich hatte noch immer keine Ahnung wie ich ihm begegnen sollte. Vor meinem geistigen Auge erschien sein breites, ehrliches Lächeln, das jeden Raum erhellte und verwandelte sich jäh in eine Maske des Zorns, wenn ich ihm sagte, dass unsere gemeinsame Nacht nichts zu bedeuten hatte. Und das war noch die bessere Variante, die mein Hirn mir vorspann. In der anderen Version erlosch sein Lächeln, sein Gesicht wurde leblos und nur seine Augen, die mich voller Enttäuschung und Schmerz ansahen, sagten mir, dass ich ihm gerade sein Herz gebrochen hatte, ohne dass es jemals eine Chance auf Heilung geben würde.
Beide Aussichten ließen mich fahrig werden und ich musste mich zusammenreißen nicht dauernd etwas zu verschütten oder fallen zu lassen. Je näher das Arbeitsende rückte, umso schlimmer wurde es. Als sich wieder einmal ein Kaffeelöffel selbstständig gemacht hatte, ging ich seufzend in die Hocke, um ihn aufzuheben. Immerhin war es mir dieses Mal hinter der Theke passiert und nicht vor den Kunden, so dass ich den Löffel unauffällig gegen einen neuen austauschen können würde. Das fiese, kleine Ding war fast ganz unter den Tresen gerutscht. Ich erwischte ihn gerade noch so, mit Daumen und Zeigefinger. Triumphierend wollte ich mich aufrichten, doch ein stechender Schmerz zwang mich in die Knie. Von meiner Schädeldecke ausgehend, breitete er sich rasend schnell in meinem Körper aus und schien mir jeden einzelnen Knochen zu verschieben. Ich biss die Zähne aufeinander, um nicht aufzuschreien. Tränen verschleierten meinen Blick. Ich versuchte ruhig zu Atmen und langsam zog sich der Schmerz an seinen Ausgangspunkt zurück, wo er sich zwischen Stirn und Schläfe als heftiges Pochen niederließ. Hämmernd hallte es im Rest meines Kopfes wider. Erst jetzt vernahm ich Beccis aufgeregte Stimme: „Oh mein Gotte Nell! Es tut mir so leid!“ Aus ihren Zügen war jegliche Farbe gewichen.
Ich wollte ihr sagen, dass alles okay sei, aber als ich mir das Haar aus dem Gesicht strich, verharrten meine Finger in einer klebrigen Flüssigkeit. Kupfergeruch stieg mir in die Nase. Ich ließ die Hand in meinen Schoß sinken und starrte das Blut an meinen Fingern an. Mrs. Harper riss mich aus meiner Lethargie, in dem sie mit einem Handtuch, das sie zuvor in warmem Wasser getränkt hatte, meine Finger säuberte und dann vorsichtig mein Gesicht und meine Stirn abtupfte. Mit einem neuen Handtuch, wagte sie sich vorsichtig an die Wunde. Zischend stieß ich die Luft durch die Zähne aus, als sie die Platzwunde berührte. Hinter ihr stammelte die nun mehr völlig aufgelöste Becci: „Ich wollte doch nur schnell Brötchen aufbacken, ich dachte Nell würde die Ofentür sehen.“
„Schon gut Becci, das wird wieder“, beruhigte Mrs. Harper sie.
Die Ofentür also. Ich hob vorsichtig meinen Kopf und schaute auf das große, metallene Ungetüm, das kaum einen Meter von mir entfernt stand. Er war in Arbeitshöhe angebracht, so dass man bequem die Bleche auswechseln konnte. Die Tür war nun geschlossen worden, aber an der äußeren Kante konnte ich noch ein wenig Blut sehen. Mein Blut. Das Dröhnen im meinem Kopf nahm wieder zu und ich musste den Blick abwenden.
„Kannst du aufstehen Nell?“, drang Mrs. Harper Stimme zu mir durch.
„Ich glaube schon“, antwortete ich leise. Jedes Wort schien mir zu laut und jeder Herzschlag machte sich pochend in meinem Schädel bemerkbar. Als ich mich mit Hilfe meiner Chefin langsam aufrichtete, wurde mir schwindelig und ich musste mich auf sie stützen.
Ein Stammgast, die alte Mrs. Winston, war dicht an die Theke getreten und runzelte besorgt die gut neunzigjährige Stirn. „Kindchen, was machst du denn für Sachen? Madlin,“, sprach sie Mrs. Harper beim Vornamen an, „du musst das Mädchen ins Krankhaus bringen. Mein Urenkel ist vor ein paar Wochen von der Schaukel gefallen und hat sich den Kopf aufgeschlagen und es war gut, dass seine Eltern mit ihm zum Arzt sind, denn er hatte eine Gehirnerschütterung.“ „Danke Martha“, erwiderte Mrs. Harper und wand sich an Becci, „Holst du bitte meinen Mann aus seinem Büro? Er soll Nell ins Krankenhaus fahren.“
Becci, die anscheinend froh war irgendetwas für mich tun zu können, eilte davon. Mr. Spooner, ebenfalls Stammgast im Café Harper kam mit einem Stuhl herbei, so dass ich nicht länger Mrs. Harper in Beschlag nehmen musste.
Im Flur hinter dem Ladenlokal hörte man Mr. Harper, wie er widerwillig seiner aufgelösten Angestellten folgte. „Was ist denn so schlimm, dass ich die Buchhaltung sein lassen muss?“, beschwerte er sich gerade in dem Moment, als er mich erblickte. Sein Mund blieb offen stehen und ich fragte mich, ob meine Verletzung vielleicht doch schlimmer war, als sie sich anfühlte.
„Ich gehe den Wagen holen“, war alles was er sagte und schon wollte er wieder nach hinten eilen. Mit krächzender Stimme hielt ich ihn davon ab. Meine Kehle war so trocken, als hätte ich Jahre nichts getrunken. „Ich kann nicht ins Krankenhaus. Ich bin nicht versichert und habe kein Geld, um eine Behandlung zu bezahlen.“
„Ich bezahle die die Behandlung, es war ja meine Schuld“, ereiferte sich Becci.
Mr. Harper erhob das Wort: „ Nichts da Rebecca Ashton. Du brauchst dein Geld für dich und den kleinen Ben. Wir werden das übernehmen“, sagte er, den Blick seiner Frau suchend. „Natürlich werden wir das übernehmen Andrew. Ihr Mädchen müsst euch keine Sorgen machen.“ Ich sah an Beccis Blick, dass sie, ebenso wie ich protestieren wollte, aber ich wusste auch, dass ich mir keine Behandlung leisten konnte und meine junge Kollegin ebenso wenig. Sie war erst siebzehn und hatte einen einjährigen Sohn, Benjamin, für den sie alleine sorgte.
Gleich das Erste, was sie mir erzählt hatte, als ich im Café anfing zu arbeiten, war, wie gut die Harpers zu ihr waren. Sie würden sie nicht verurteilen, weil sie so dumm gewesen war, auf den falschen Typen hereinzufallen und sich von ihm hatte schwängern lassen. Dabei war ihr Blick ganz traurig geworden und ich wusste, dass man ihr sicherlich keinen Vorwurf machen konnte. Sie hatte diesen Kerl wirklich gern gehabt. Wenn man sich das erste Mal verliebte, dann tat man eben auch manchmal dumme Dinge.
„Ok“, sagte ich schließlich nur und erhob mich auf meine wackligen Beine. „Komm Liebes, ich begleite dich“, bot mir Mrs. Harper mit einem fürsorglichen Lächeln an. Nur zu gerne nahm ich das Angebot an und schwankte an ihrem Arm, immer noch von starken Kopfschmerzen gepeinigt, zur Hintertür hinaus.
Ich war froh, als ich neben meinem Chef im Wagen saß, denn jede Anstrengung, bedeutete beschleunigten Puls und somit stärkere Schmerzen. Andrew Harper chauffierte den Wagen schnell und sicher zum Krankenhaus. Er half mir beim Aussteigen, brachte mich zum Empfang und bestand darauf meinen Anmeldebogen auszufüllen. Ich sollte ja nichts tun, was meinen lädierten Schädel zusätzlich anstrengte. So diktierte ich ihm meine Daten, er gab den Bogen ab und bald darauf holte mich eine Schwester ab. Sie war um die vierzig und trug das dunkelblonde Haar zu einem Knoten geschlungen. Trotz ihres sicherlich anstrengenden Berufes, waren die einzigen Falten in ihrem Gesicht kleine Lachfältchen um die Augen und um den Mund herum. Sie nahm mir ein wenig das mulmige Gefühl, dass mich schon seit Kindertagen in Krankenhäusern überkam. Schon immer war ich mir dort vorgekommen, wie in einem Versuchslabor. Die sterile Atmosphäre, die blinkenden metallenen Instrumente und nicht zuletzt auch der Geruch nach Desinfektionsmitteln wirkten auf mich wenig Vertrauen erweckend. Vielleicht lag es auch dran, dass ich immer einen Teil von mir vor der Welt verstecken musste und mir das besonders schwer fiel, wenn ich krank und angeschlagen war.
Die Krankenschwester führte mich zu einer freien Behandlungsliege und fragte, ob sie mich so lange alleine lassen könnte bis der Arzt käme. Ich erklomm unbeholfen die Liege, zwang mir ein Lächeln auf und versicherte ihr, dass ich, wenn ich ohnmächtig werden sollte, artig auf die Liege fallen würde. Sie erwiderte mein Lächeln und ließ mich allein. So ganz ohne freundliche Menschen um mich herum, fühlte ich mich in dieser sterilen Umgebung plötzlich sehr, sehr einsam. Und obwohl ich mir sicher war, dass ich mir in Bezug auf Jake absolut nicht sicher war, war er es, den ich mir an meiner Seite wünschte. Vermutlich würde er mich vorerst nicht mehr aus dem Haus lassen, wenn er meine Verletzung sehen würde, aber das war mir in diesem Moment egal. Ich sehnte mich nach seinem sonnigen Lächeln und seinen starken Armen. Nach der Wärme seine Körpers und der Wärme seine Wesens. Doch er war nun einmal nicht hier.
Wenigstens musste ich nicht lange warten, denn bevor ich noch weiter in meinen trübsinnigen Gedanken versinken konnte, kam schon ein junger Arzt auf mich zugeeilt, seinen Blick konzentriert auf das Klemmbrett in seiner Hand gerichtet. Sein hellblondes Haar trug er zurückgekämmt und als er von meinem Krankenblatt aufsah, sah ich, dass er hübsche, bernsteinfarbene Augen hatte, die mich für einen Moment leicht irritiert anzusehen schienen. „Guten Tag Miss Arden,“ begrüßte er mich freundlich und strecke mir seine Hand entgegen. Wieder zwang ich mir ein Lächeln ab, was jäh erstarb, als sich ein Bild in meinem Kopf manifestierte. Der blonde Arzt über eine Frau gebeugt und ich wusste, dass er von ihr trank, denn es war seine Natur. Er war ein Vampir. Vampir! Schrill hallte das Wort in meinem schmerzenden Schädel nach. Erschrocken entriss ich ihm meine Hand, konnte ihn nur anstarren. „Alles in Ordnung Miss Arden?“, fragte er und beugte sich zu mir. Ich wich zurück, aber mein Blick blieb an dem Namensschild hängen, das eben noch unter dem Stethoskop verborgen gewesen war, welches er um den Hals trug. Cullen stand da. Doktor Carlisle Cullen. Er war einer der Vampire, die sich hier niedergelassen hatten, einer der Gründe, warum Leah und die jungen Männer aus Jacobs Stamm zu Wölfen wurden. Er war der Vater des Mannes, der dafür gesorgt hatte, dass Jacob das Herz gebrochen worden war.
Wut breite sich in mir aus und vertrieb die Angst. „Wie können sie nur? In einem Krankenhaus! Dort, wo die Menschen hinkommen, um Hilfe zu finden. Dort wo sie schwach und verletzlich sind“, fuhr ich ihn an.
Sein Blick zeigte zunächst Verständnislosigkeit, dann Entrüstung, aber ich glaubte ihm keine Sekunde. Ich hatte gesehen, wie Nathan harmlos in die Kamera gelächelt hatte, Minuten bevor er sich auf Abigail gestürzt hatte.
„Ich glaube sie tun mir Unrecht, Miss Arden“, sagte er ruhig und leise. Er trat einen Schritt an mich heran und meine Angst gewann wieder die Oberhand.
„Lassen sie mich in Ruhe!“, zischte ich ihn an und ich drehte mich so, dass es mir gelang, meine Beine auf der anderen Seite der Liege, auf den Boden zu bringen. Mein angeschlagener Kreislauf versuchte mir einen Strich durch die Rechnung zu machen und hätte mich beinahe zu Fall gebracht, doch der Rollwagen mit den Instrumenten bot mir Halt. „Miss Arden, ich glaube wirklich, wir sollten in Ruhe miteinander sprechen“, redete Dr. Cullen auf mich ein. Beschwichtigend hatte er die Hände gehoben und bewegte sich langsam auf mich zu, als sei ich ein scheues Tier, das es zu zähmen galt.
„Kommen Sie nicht näher“, fauchte ich.
Er blieb stehen.
„Nell, ich werde Ihnen nichts tun, aber ich muss mit Ihnen reden.“ Langsam kam er näher. Panisch stieß ich den Instrumentenwagen um, der mit einem lauten Scheppern zu Boden ging. Ich wollte mir damit Zeit verschaffen, denn ich wusste, dass es dem Vampir ein Leichtes gewesen, wäre mich einzuholen. Aber ich hoffte darauf, dass er sich in aller Öffentlichkeit nicht zu erkennen geben würde.
Ich rannte los. Meine Beine fühlten sich an, als würden sie zu gleichen Teilen aus Blei und Gummi bestehen, während ich durch die Korridore des Krankenhauses lief. Mein, durch die Anstrengung, beschleunigter Herzschlag, pumpte das Blut in rasender Geschwindigkeit durch meinen Körper und fachte so meine Kopfschmerzen wieder an. Deren Heftigkeit ließ bereits meinen Magen rebellieren. Mr. Harper erhob sich, als ich auf ihn zugelaufen kam, doch ich rannte einfach an ihm vorbei. Alles was ich wollte, war weg von dem Vampir!
Eile war angeraten, denn ich spürte, dass mich der Zusammenstoß mir der Ofentür mehr mitgenommen hatte, als ich gedacht hatte. Meine Kräfte schwanden schnell. Keuchend öffnete ich eine große, zweiflügelige Tür und stand auf dem Parkplatz des Krankenhauses. Die frische Luft vertrieb den Schmerz und die Übelkeit ein wenig, so dass ich weiter rennen konnte. Wohin wusste ich nicht. Ich kannte mich in dieser Gegend von Forks nicht aus.
Keine zwei Straßen weiter, in einer ruhigen Wohngegend, verließen mich dann endgültig meine Kräfte. Ich musste stehen bleiben, um die drohende Ohnmacht abzuwenden. Geräusche drangen bereits nur noch wie aus weiter Ferne zu mir durch. Mein Blickfeld verengte sich zusehends. Bald würde mir schwarz vor Augen werden.
Tief in meinem Inneren regte sich etwas, was ich vor langer Zeit dorthin verbannt hatte. Langsam kroch die Panik aus ihrem Gefängnis hervor. Als Nathan zum Vampir wurde, war sie auch da gewesen, doch ich hatte sie zurückgedrängt, um klar denken zu können, um überleben zu können. Angestrengt suchte ich nach einer Lösung, doch alles, was ich mit meinem eingeschränkten Blickfeld wahrnehmen konnte, war das Haus zu meiner Linken. Ein Mehrfamilienhaus, die Front aus blauen Holzpanelen. An der Außenseite führte eine verzinkte Edelstahltreppe hinauf in den zweiten Stock und unter dem Treppenaufgang glaubte ich meine Rettung zu erkennen. Mülltonnen. Gewöhnliche blecherne Mülltonnen. Mindestens vier Stück, die mich verbergen würden und deren Gestank den meines Blutes hoffentlich verdecken würde. Ich stolperte über den Rasen zu der Zuflucht, die ich mir ausersehen hatte. Kauerte mich hinter den Tonnen zusammen. Das Geräusch meines Blutes toste in meinen Ohren. Die klammen Finger der Panik legten sich um meine Kehle, nahmen mir den Atmen. Ohne, dass ich etwas hätte dagegen tun können, zog ich die Beine dicht an meinen Körper, umschlang sie mit den Armen und begann mich zu wiegen. Hin und her. Mein Verstand schrie, dass sich so nur eine Irre aufführen würde, aber ich konnte nicht anders. Ich hatte Angst, musste mich irgendwo festhalten. Doch wie immer in den vergangenen zwei Jahren, war ich allein.
Re: Indian Summer
Kapitel 19 (Jacob)
Ich starrte aus der Windschutzscheibe von Pauls Pick-up. Abermals schüttelte ich den Kopf, als könnte das irgendetwas an der Situation ändern. Während ich versucht hatte meinem Vater, Paul und Embry die Situation zu erklären, war mir immer klarer geworden, welche Auswirkungen mein Schweigen gegenüber Nell hatte. Ich hatte ihr nichts mit Absicht verschwiegen oder sie gar angelogen, aber ich hatte auch mit keinem Wort versucht, dass Bild, das sie von Vampiren hatte, ins rechte Licht zu rücken. Sie kannte nur Nathan, der sich als Vampir komplett von seiner menschlichen Seite abgewandt hatte. Für sie konnten die Cullens gar nichts anderes, als blutrünstige Mörder sein. Als sie auf Dr. Cullen getroffen war, musste sie geglaubt haben, der Teufel persönlich sei hinter ihr her.
„Ich bin so ein Idiot!“, platzte es aus mir heraus.
„Wissen wir“, antwortet Paul ohne den Blick von der Straße zu nehmen.
„Aber du kannst jetzt nichts mehr an dem ändern was geschehen ist. Wenn wir sie finden, kannst du ihr alles erklären. Dann kommt sicher alles in Ordnung“, meinte Embry zuversichtlich.
„Wenn sie dann noch mit dir redet“, ergänzte Paul mit einem grimmigen Lächeln um die Lippen
„Ja, danke auch“, raunzte ich die beiden an und fragte mich, ob ich mich an ihnen vorbei, aus dem Wagen zwängen konnte.
„Vergiss es, Jake. Du kommst weder an ihm, noch an mir vorbei“, erriet Paul meine Gedanken. Es hatte einiges an Überredungskunst von Seiten meiner Freunde und meines Vaters gebraucht mich in den Pick-Up zu bekommen. Am liebsten wäre ich augenblicklich als Wolf losgestürmt, als ich von Nells Verschwinden erfahren hatte.
Doch sie hatten es geschafft, mich davon abzubringen, kopflos zu agieren. Ich musste das Geheimnis der Quileute bewahren und dürfte mich keinesfalls ganz Forks als Wolf präsentieren. Ein Teil von mir verstand, warum ich nicht einfach losrennen konnte, doch dem geprägten Wolf waren alle Erklärungen egal. Er wollte Nell in Sicherheit wissen. Jetzt. Sofort.
Schier endlos schlängelte sich der Asphalt durch die riesigen Wälder. Der Wald war meine zweite Heimat, meine Zuflucht und doch verfluchte ich ihn in diesen Minuten. Erst als die Bäume niedriger wurden und die ersten Ausläufer von Forks in Sichtweite kamen beruhigte ich mich ein wenig. Sobald ich jedoch Dr. Cullen sah, der auf dem Parkplatz des Krankenhauses auf uns wartete, begann es erneut in mir zu brodeln. Vampire. Sie schienen Ursache für jeden Schmerz und jede Verletzung die ich je erlitten hatte. Ehe Paul, Embry oder ich selbst, mich bremsen konnten, stürzte ich auf den Vampir zu und packte ihn am Kragen seines weißen Kittels.
„Was haben sie mit ihr gemacht?“, zischte ich Dr. Cullen an. Seine kühlen Hände legten sich beruhigend auf meine. Er reagierte nicht auf meinen Zorn. Stattdessen sah er mir fest in die Augen.
„Beruhige dich Jacob. Du weißt, dass ich ihr nichts getan habe.“
Ja, ich wusste es. Meine wölfische Seite jedoch, machte ihren Todfeind Vampir für alles verantwortlich. Sprachlos löste ich meinen Griff und begann frustriert meinen Unterkiefer zu massieren. Meine Zähne schmerzten, so sehr hatte ich sie vor Anspannung aufeinander gepresst. Der Gedanke, dass es niemanden außer mir gab, dem ich die Schuld für Nells Verschwinden geben konnte, machte mich fast wahnsinnig. Ich sollte für sie da sein, sie beschützen und sie nicht zu Tode ängstigen. Die Sorge schien mir ins Gesicht geschrieben, denn Dr. Cullen wartete nicht erst, bis ich wieder etwas sagte, sondern erstattete mir gleich Bericht über Nells Verletzungen.
„Sie hat eine Platzwunde am Kopf. Diese Art von Verletzung blutet stark, ist aber meistens harmlos. Eventuell hat sie eine leichte Gehirnerschütterung, doch das konnte ich mir noch nicht näher ansehen. Für schwerere Verletzungen erschien sie mir allerdings zu stabil.“ Seine ehrliche und sachliche Art tat gut. Ich wusste, er würde mir nichts verschweigen. Es beruhigte mich, dass wenigstens ihre Verletzungen nicht so schwer waren. Ehe ich Fragen stellten konnte fuhr er fort: „Mr. Harper meinte, sie hätte sich an einer Ofentür den Kopf angeschlagen. Ich habe ihm erzählt, dass die Verletzung sie durchaus etwas verwirrt haben könnte, denn er hat sie wegrennen sehen, er aber ruhig nach Hause fahren kann. Das tat er aber erst, nachdem ich ihm mehrmals versichert hatte, dass ich Nells Familie verständige und die sich um sie kümmern wird.“ Familie. Mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. Ich war ihr eine schöne Familie. Eine die sie im Stich ließ. Ich war ihr nicht mal ein Freund, geschweige denn eine Familie.
„Haben sie irgendeine Ahnung, wo ich sie finden kann?“, fragte ich leise. Meine Stimme klang seltsam fremd. Tonlos. Leer. So wie ich mich fühlte.
„Ich glaube nicht, dass sie weit laufen konnte. Auch wenn sie nur eine leichte Gehirnerschütterung haben sollte, so tut die körperliche Anstrengung doch ihr Übriges. Ihr müsst sie auf jeden Fall wieder hier her bringen. Ich muss die Wunde nähen und sie richtig untersuchen.“ Für einen Moment vergaß ich vollkommen, dass er kein Mensch war, soviel Fürsorge und Wärme für seine verschwundene Patienten lagen in seiner Stimme. Niemals würde jemand hinter dieser Menschlichkeit einen Vampir vermuten.
„Jacob?“
Seine Stimme klang ernst. Fragend sah ich ihn an.
„Was hast du dem armen Mädchen nur über uns erzählt?“
„Ich…keine Ahnung…nichts.“ Die Verletzung die in seinen Worten mitschwang verwirrte mich.
„Du weißt, dass meine Familie und ich alles tun, um keine Menschenseele zu gefährden. Warum lässt du sie das von uns glauben?“
Ich starrte ihn unverwandt an. Hatte mein Schweigen es tatsächlich geschafft, die stoische Ruhe des Mannes aus Marmor zu zerbrechen? Ganz ohne böse Worte und Kampf? Einfach nur, in dem ich nichts getan hatte?
Paul antwortete für mich: „Weil er ein Idiot ist.“
Dr. Cullen sagte nichts, aber ich sah die Zustimmung in seinem Gesicht. Vermutlich hatte er in seinem Sprachgebrauch nur vornehmere Worte dafür.
Wir standen noch unschlüssig auf dem Parkplatz herum, nicht wissend, wo wir Nell suchen sollten, als das Mobiltelefon des Arztes Alarm schlug.
„Ja? Hallo Alice, konntest du etwas sehen?“
Natürlich! Seine hellsichtige Tochter. Während ich noch damit beschäftigt war, meine Emotionen zu bändigen, hatte Dr. Cullen bereits alles in die Wege geleitet, um Nell zu finden.
„Vielen Dank, Alice. Ja, ich sag es ihm. Ich melde mich, sobald wir sie gefunden haben.“
„Was sagt sie?“ fragte ich hoffnungsvoll.
„Nell muss noch hier in der Nähe sein. Alice sagte, dass sie sie wahrgenommen hat, bis vor wenigen Minuten, also vermutlich bis zu eurer Ankunft. Sie hat eine Wohngegend gesehen. Einfamilienhäuser und Mehrfamilienhäuser, ein blaues Haus mit Metalltreppe, Mülltonnen und dann Dunkelheit.“
„Dunkelheit?“, fragte ich ängstlich.
„Alice sagt, du sollst dir keine Sorgen machen. Nell scheint wirklich im Dunkeln zu sein. Nicht, dass Alice sie nicht mehr hätte sehen können, weil…“ Er sprach nicht zu Ende als er meinen Gesichtausdruck sah.
„Geht sie einfach suchen und bringt sie her, damit ich sie versorgen kann und ihr zeigen kann, dass nicht alle Vampire Monster sind.“
„Ich habe keine Ahnung, wo hier solche Häuser stehen“, wendete ich mich an meine Wölfe, um der Verletzung im Blick des Vampirs auszuweichen.
„Aber ich“, erwiderte Embry. „Meine Tante Maria, die, die den Lehrer geheiratet hat, wohnt in so einer Gegend. Nicht weit von hier. Höchstens ein paar Straßen, in östlicher Richtung.“
Ich lief los.
„Jacob, lass uns den Wagen nehmen“, rief mir Paul hinterher, doch ich konnte nicht stehen bleiben. Das Bedürfnis, sie zu finden, wurde immer dringender. Sowie man nicht ewig den Atem anhalten kann, so konnte ich nicht ewig ohne sie sein.
„Verdammt“, hörte ich ihn hinter mir fluchen. Ich musste mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Embry und Paul mir zu Fuß folgten.
Erstaunlich schnell fand ich besagte Straße. Vielleicht lag noch ein wenig von Nells Geruch in der Luft, den mein menschliches Ich nicht bewusst wahrnahm, der Wolf aber schon. Meine Erleichterung verflüchtigte sich, als ich die schier endlose Reihe gelber und blauer Häuser zu meiner Linken ansah. Die Straße war lang und die Zahl der blauen Häuser hoch. Etliche davon auch mit Treppen aus Metall.
Mal wieder hatte Nieselregen eingesetzt und kein Mensch war zu sehen. Es würde uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als jedes Hause einzeln abzuklappern.
„Nur die Blauen?“, fragte Embry. Ich nickte. Wortlos teilten wir uns auf und jeder pirschte sich, so unauffällig wie möglich, an die zweistöckigen, blauen Bauten heran. So unauffällig wie das eben zwei Meter große, amerikanische Ureinwohner konnten. Aus den Augenwinkeln nahm ich einige argwöhnisch zurückgeschobene Gardinen wahr, die sich schnell wieder schlossen, sobald ich hinsah.
Wir hatten bereits die halbe Straße durch, als Paul mich rief: „Jacob, komm schnell!“
Er zeigte mit der Hand auf den Rasen eines blauen Hauses mit Metalltreppe. Die feuchte Erde war aufgewühlt. Verschliffene Fußspuren, so als hätte jemand nicht mehr die Kraft gehabt die Füße richtig anzuheben, führten zu einer Ansammlung blecherner Mülltonnen.
„Bleibt“, befahl ich und setzte mich langsam in Richtung des Hauses in Bewegung. Da war ihr Geruch - ich hatte ihn mir nicht nur eingebildet - und der Geruch nach Kupfer. Blut. Ich zwang mich zur Ruhe. Das Letzte, was ich wollte war, sie nun auch noch durch überstürztes Handeln zu erschrecken.
„Nell?“, rief ich leise. Keine Antwort.
„Nell, ich bin es. Jacob. Sprich mit mir, wenn du kannst.“ Mein Herz schlug so hart, dass ich glaubte, es wolle mir den Brustkorb zertrümmern.
Ich erreichte die Tonnen und behutsam stellte ich eine nach der anderen zur Seite. Zuerst sah ich nur die weißen Spitzen ihrer Turnschuhe. Die Blutspritzer darauf ließen mein Herz stolpern. Die nächste entfernte Tonne offenbarte mir das ganze Ausmaß meiner Dummheit.
„Nell?“, fragte ich erneut, doch sie kauerte weiterhin da, die Arme um die angezogenen Knie geschlungen. Ihre Augen waren rot vom Weinen, aber die Tränen schienen längst versiegt. Blut klebte auf ihrer Kleidung und in ihren Haaren. Ich wusste nicht, was mich mehr schmerzte. Sie so zu sehen oder zu wissen, dass ich dafür verantwortlich war.
Behutsam löste ich ihre steifen Finger und Arme von ihren Knien. Kleine halbmondförmige Wunden zeigten sich da, wo sie ihre Nägel vor Anspannung tief ins Fleisch gegraben hatte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Vorsichtig strich ich ihr die blutverklebten Haarsträhnen aus dem Gesicht.
„Ich bin bei dir mein Schatz. Ich bin da. Du musst keine Angst mehr haben“, flüsterte ich dicht an ihrem Ohr und küsste sanft ihre zitternden Hände.
„Jake?“
Sie sprach so leise, dass ich sie fast nicht gehört hätte.
„Ja, ich bin hier.“
Ein Seufzen kam über ihre Lippen, so tief aus ihrem Inneren, dass allein der Klang dieses Lautes, mir erzählte, wie sehr sie gelitten hatte.
„Leg deine Arme um meinen Hals, damit ich dich hier wegbringen kann.“
Kraftlos legten sich ihre Arme um meinen Nacken und kaum stand ich aufrecht, sank ihr Kopf erschöpft gegen meine Oberkörper.
Als ich das Gewicht ihres Kopfes an meiner Brust spürte, wagte auch ich es, das erste Mal seit dem Anruf von Dr. Cullen, aufzuatmen. Sie war bei mir und sie lebte.
Embry und Paul gingen auf uns zu, blieben aber einige Meter vor uns stehen, als mein Blick sie traf.
„Geht es ihr gut?“, fragte Embry sorgenvoll.
„Ich weiß es nicht“, antwortete ich. Ich hatte keine Ahnung, was ich angerichtet hatte. Teilnahmslos lag Nell in meinen Armen. Ihre Augen waren geschlossen, aber wenigstens war die Anspannung aus ihrem Körper gewichen.
„Komm, ich helfe dir“, sagte Paul und kam einen Schritt näher. Ein merkwürdiges Geräusch erklang. Paul trat langsam einen Schritt zurück. Hatte ich ihn gerade angeknurrt?
„Immer mit der Ruhe, Jacob. Ich tue ihr ja nichts.“ Seine Augen funkelten voll unterdrückter Wut. Dann drehte er sich um und ging.
„Paul!“, rief ich ihm nach, doch er winkte nur ab und stapfte weiter Richtung Krankenhaus.
„Paul beruhigt sich schon wieder“, wandte Embry ein, „Es ist ja klar, dass du etwas unentspannt bist.“
„Ich bin einfach ein Idiot, da hat Paul schon ganz recht“, erwiderte ich kopfschüttelnd. „Lass uns einfach zum Krankenhaus zurückgehen, bevor ich noch mehr Schaden anrichte.“
Während unseres Fußmarsches spürte ich erleichtert, dass die Teilnahmslosigkeit langsam von Nell abfiel. Sie presste sich eng an mich. Ihre Hände, die lose um meinen Nacken gelegen hatten, suchten Halt an meinem Shirt. Wie gerne hätte ich sie noch näher bei mir gespürt.
Schließlich hob sie langsam den Kopf und versuchte sich zu orientieren. Als ob sie vom Blitz getroffen worden wäre, kehrte mit einem mal die Anspannung in ihren Körper zurück. Sie krallte sich an mir fest und schüttelte mit weit aufgerissenen Augen den Kopf.
„Nein Jacob! Nein. Wir dürfen nicht zum Krankenhaus gehen. Die Vampire, sie sind dort.“ Ihr geschwächter Körper konnte die Spannung nicht halten und so begann sie unkontrolliert zu zittern.
„Sssch, Nell, beruhige dich. Es ist alles in Ordnung.“
Völlige Verständnislosigkeit sprach aus ihrem Blick.
„Die Cullens sind nicht wie andere Vampire. Sie sind … gut.“
„Nein Jacob, sie sind Vampire, sie trinken Menschenblut. Bring mich weg von hier. Bitte bring mich nach Hause“, flehte sie fast.
Es fiel mir unendlich schwer weiter zu sprechen. Ihr jetzt all das zu sagen, was ich ihr schon längst hätte sagen sollen. Jetzt wo sie verletzt, geschwächt, verängstigt war.
„Nell, sie ernähren sich nicht von Menschenblut. Sie trinken Tierblut. Sie versuchen alles, um ihre Vampirnatur zurückzuhalten, um keine Menschen zu gefährden.“ Verwundert hörte ich mir selbst zu. Hatte die alte Feindschaft zwischen Wölfen und Vampiren wirklich solch tiefe Wurzeln, dass ich erst, während ich versuchte, Nell alles zu erklären, begriff, was ich schon die ganze Zeit hätte sehen müssen?
„Als Nathan dich angegriffen hat, war es Dr.Cullen, der sich um dich gekümmert hat.“
„Was?“
„Ich hab Leah losgeschickt, ihn zu holen. Ich wusste doch nicht, ob ich alles richtig gemacht hatte.“
„Warum hast du mir das alles nicht früher gesagt?“, fragte sie fast tonlos.
„Ich weiß es nicht. Ich habe einfach nicht daran gedacht.“
Stille. Doch es war keine gute Stille. Es war diese absolute Lautlosigkeit in der die Welt vor dem Ausbruch eines Sturmes versank. Und dann brach der Sturm los.
„Du hast nicht daran gedacht?“, schrie Nell mich an, „Lass mich runter. Lass mich sofort runter.“
„Es tut mir leid, ich war nur so verwirrt, von meiner Heimkehr, von dir – es war einfach nicht wichtig für mich.“
„Aber für mich wäre es wichtig gewesen!“ Ihre Stimme überschlug sich fast.
Sie versuchte sie von mir wegzudrücken. Vorsichtig stellte ich sie auf die Beine, hielt sie aber noch, damit sie nicht stürzte.
„Lass mich. Ich brauche keinen Beschützer. Ich komme allein klar.“ Erst leicht schwankend, dann immer sicherer setzte sie sich Richtung Krankenhaus in Bewegung.
„Nell, was hast du vor?“ Keine Antwort.
Als sie Dr. Cullen auf dem Parkplatz er blickte blieb sie stehen. Sie atmete tief ein und aus, schien ihre Angst damit vertreiben zu wollen. Dann hielt sie direkt auf Dr. Cullen zu.
„Geben sie mir ihre Hand“, herrschte sie ihn an, noch bevor sie ihn erreicht hatte. Dr.Cullen schaute mich fragend an.
„Sehen sie nicht ihn an, sehen sie mich an!“, rief sie ungehalten.
Ich nickte Dr. Cullen leicht zu und er hob seine Hand. Nell ergriff sie und da verstand ich was sie bezwecken wollte.
„Nell, du weißt, du kannst deine Visionen nicht kontrollieren.“
Sie drehte den Kopf zu mir um, ihre blauen Augen blitzten zornig. Sie wollte etwas sagen, doch plötzlich weiteten sich ihr Pupillen. Ihre Augen wurden dunkel. Dann schlossen sich ihre Lider und sie hielt still die Hand des Vampirs. Es waren nur Sekunden, aber es erschien mir wie eine Ewigkeit, bis sie mit einem tiefen Atemzug aus ihrer Trance zurückkehrte.
„Es tut mir leid“, erklang ihre Stimme heißer und brüchig. Sie hob den Blick, um Dr. Cullen anzusehen. „Sie haben sich dagegen gewehrt. Sie wollten nie ein Vampir sein. Und ihre Familie. Sie haben jeden einzelnen gerettet. Ich…ich wusste das alles nicht.“
Behutsam legte ich meine Hand auf ihre Schulter und sah Dr. Cullen an. „Es ist nicht Nells Schuld, dass sie schlecht von ihnen gedacht hat. Es ist ganz allein meine.“
Mit einem Mal fuhr Nell herum. „Natürlich ist es deine Schuld. Wessen Schuld sollte es sonst sein?“
Obwohl sie soviel kleiner und leichter war als ich, ließ mich etwas an der Art wie sie nun auf mich zukam vor ihr zurückweichen. Jedes ihrer Worte, war so scharf gesprochen, als wollte sie mir Klingen in den Leib treiben.
„Und weißt du was das Schlimmste ist? Du hast mich glauben lassen, wir hätten beide jemanden an einen Vampir verloren, doch man kann nur etwas verlieren was einem einmal gehört hat. Bella hat dir nie gehört. Du warst ihr nie genug!“
Ich starrte aus der Windschutzscheibe von Pauls Pick-up. Abermals schüttelte ich den Kopf, als könnte das irgendetwas an der Situation ändern. Während ich versucht hatte meinem Vater, Paul und Embry die Situation zu erklären, war mir immer klarer geworden, welche Auswirkungen mein Schweigen gegenüber Nell hatte. Ich hatte ihr nichts mit Absicht verschwiegen oder sie gar angelogen, aber ich hatte auch mit keinem Wort versucht, dass Bild, das sie von Vampiren hatte, ins rechte Licht zu rücken. Sie kannte nur Nathan, der sich als Vampir komplett von seiner menschlichen Seite abgewandt hatte. Für sie konnten die Cullens gar nichts anderes, als blutrünstige Mörder sein. Als sie auf Dr. Cullen getroffen war, musste sie geglaubt haben, der Teufel persönlich sei hinter ihr her.
„Ich bin so ein Idiot!“, platzte es aus mir heraus.
„Wissen wir“, antwortet Paul ohne den Blick von der Straße zu nehmen.
„Aber du kannst jetzt nichts mehr an dem ändern was geschehen ist. Wenn wir sie finden, kannst du ihr alles erklären. Dann kommt sicher alles in Ordnung“, meinte Embry zuversichtlich.
„Wenn sie dann noch mit dir redet“, ergänzte Paul mit einem grimmigen Lächeln um die Lippen
„Ja, danke auch“, raunzte ich die beiden an und fragte mich, ob ich mich an ihnen vorbei, aus dem Wagen zwängen konnte.
„Vergiss es, Jake. Du kommst weder an ihm, noch an mir vorbei“, erriet Paul meine Gedanken. Es hatte einiges an Überredungskunst von Seiten meiner Freunde und meines Vaters gebraucht mich in den Pick-Up zu bekommen. Am liebsten wäre ich augenblicklich als Wolf losgestürmt, als ich von Nells Verschwinden erfahren hatte.
Doch sie hatten es geschafft, mich davon abzubringen, kopflos zu agieren. Ich musste das Geheimnis der Quileute bewahren und dürfte mich keinesfalls ganz Forks als Wolf präsentieren. Ein Teil von mir verstand, warum ich nicht einfach losrennen konnte, doch dem geprägten Wolf waren alle Erklärungen egal. Er wollte Nell in Sicherheit wissen. Jetzt. Sofort.
Schier endlos schlängelte sich der Asphalt durch die riesigen Wälder. Der Wald war meine zweite Heimat, meine Zuflucht und doch verfluchte ich ihn in diesen Minuten. Erst als die Bäume niedriger wurden und die ersten Ausläufer von Forks in Sichtweite kamen beruhigte ich mich ein wenig. Sobald ich jedoch Dr. Cullen sah, der auf dem Parkplatz des Krankenhauses auf uns wartete, begann es erneut in mir zu brodeln. Vampire. Sie schienen Ursache für jeden Schmerz und jede Verletzung die ich je erlitten hatte. Ehe Paul, Embry oder ich selbst, mich bremsen konnten, stürzte ich auf den Vampir zu und packte ihn am Kragen seines weißen Kittels.
„Was haben sie mit ihr gemacht?“, zischte ich Dr. Cullen an. Seine kühlen Hände legten sich beruhigend auf meine. Er reagierte nicht auf meinen Zorn. Stattdessen sah er mir fest in die Augen.
„Beruhige dich Jacob. Du weißt, dass ich ihr nichts getan habe.“
Ja, ich wusste es. Meine wölfische Seite jedoch, machte ihren Todfeind Vampir für alles verantwortlich. Sprachlos löste ich meinen Griff und begann frustriert meinen Unterkiefer zu massieren. Meine Zähne schmerzten, so sehr hatte ich sie vor Anspannung aufeinander gepresst. Der Gedanke, dass es niemanden außer mir gab, dem ich die Schuld für Nells Verschwinden geben konnte, machte mich fast wahnsinnig. Ich sollte für sie da sein, sie beschützen und sie nicht zu Tode ängstigen. Die Sorge schien mir ins Gesicht geschrieben, denn Dr. Cullen wartete nicht erst, bis ich wieder etwas sagte, sondern erstattete mir gleich Bericht über Nells Verletzungen.
„Sie hat eine Platzwunde am Kopf. Diese Art von Verletzung blutet stark, ist aber meistens harmlos. Eventuell hat sie eine leichte Gehirnerschütterung, doch das konnte ich mir noch nicht näher ansehen. Für schwerere Verletzungen erschien sie mir allerdings zu stabil.“ Seine ehrliche und sachliche Art tat gut. Ich wusste, er würde mir nichts verschweigen. Es beruhigte mich, dass wenigstens ihre Verletzungen nicht so schwer waren. Ehe ich Fragen stellten konnte fuhr er fort: „Mr. Harper meinte, sie hätte sich an einer Ofentür den Kopf angeschlagen. Ich habe ihm erzählt, dass die Verletzung sie durchaus etwas verwirrt haben könnte, denn er hat sie wegrennen sehen, er aber ruhig nach Hause fahren kann. Das tat er aber erst, nachdem ich ihm mehrmals versichert hatte, dass ich Nells Familie verständige und die sich um sie kümmern wird.“ Familie. Mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. Ich war ihr eine schöne Familie. Eine die sie im Stich ließ. Ich war ihr nicht mal ein Freund, geschweige denn eine Familie.
„Haben sie irgendeine Ahnung, wo ich sie finden kann?“, fragte ich leise. Meine Stimme klang seltsam fremd. Tonlos. Leer. So wie ich mich fühlte.
„Ich glaube nicht, dass sie weit laufen konnte. Auch wenn sie nur eine leichte Gehirnerschütterung haben sollte, so tut die körperliche Anstrengung doch ihr Übriges. Ihr müsst sie auf jeden Fall wieder hier her bringen. Ich muss die Wunde nähen und sie richtig untersuchen.“ Für einen Moment vergaß ich vollkommen, dass er kein Mensch war, soviel Fürsorge und Wärme für seine verschwundene Patienten lagen in seiner Stimme. Niemals würde jemand hinter dieser Menschlichkeit einen Vampir vermuten.
„Jacob?“
Seine Stimme klang ernst. Fragend sah ich ihn an.
„Was hast du dem armen Mädchen nur über uns erzählt?“
„Ich…keine Ahnung…nichts.“ Die Verletzung die in seinen Worten mitschwang verwirrte mich.
„Du weißt, dass meine Familie und ich alles tun, um keine Menschenseele zu gefährden. Warum lässt du sie das von uns glauben?“
Ich starrte ihn unverwandt an. Hatte mein Schweigen es tatsächlich geschafft, die stoische Ruhe des Mannes aus Marmor zu zerbrechen? Ganz ohne böse Worte und Kampf? Einfach nur, in dem ich nichts getan hatte?
Paul antwortete für mich: „Weil er ein Idiot ist.“
Dr. Cullen sagte nichts, aber ich sah die Zustimmung in seinem Gesicht. Vermutlich hatte er in seinem Sprachgebrauch nur vornehmere Worte dafür.
Wir standen noch unschlüssig auf dem Parkplatz herum, nicht wissend, wo wir Nell suchen sollten, als das Mobiltelefon des Arztes Alarm schlug.
„Ja? Hallo Alice, konntest du etwas sehen?“
Natürlich! Seine hellsichtige Tochter. Während ich noch damit beschäftigt war, meine Emotionen zu bändigen, hatte Dr. Cullen bereits alles in die Wege geleitet, um Nell zu finden.
„Vielen Dank, Alice. Ja, ich sag es ihm. Ich melde mich, sobald wir sie gefunden haben.“
„Was sagt sie?“ fragte ich hoffnungsvoll.
„Nell muss noch hier in der Nähe sein. Alice sagte, dass sie sie wahrgenommen hat, bis vor wenigen Minuten, also vermutlich bis zu eurer Ankunft. Sie hat eine Wohngegend gesehen. Einfamilienhäuser und Mehrfamilienhäuser, ein blaues Haus mit Metalltreppe, Mülltonnen und dann Dunkelheit.“
„Dunkelheit?“, fragte ich ängstlich.
„Alice sagt, du sollst dir keine Sorgen machen. Nell scheint wirklich im Dunkeln zu sein. Nicht, dass Alice sie nicht mehr hätte sehen können, weil…“ Er sprach nicht zu Ende als er meinen Gesichtausdruck sah.
„Geht sie einfach suchen und bringt sie her, damit ich sie versorgen kann und ihr zeigen kann, dass nicht alle Vampire Monster sind.“
„Ich habe keine Ahnung, wo hier solche Häuser stehen“, wendete ich mich an meine Wölfe, um der Verletzung im Blick des Vampirs auszuweichen.
„Aber ich“, erwiderte Embry. „Meine Tante Maria, die, die den Lehrer geheiratet hat, wohnt in so einer Gegend. Nicht weit von hier. Höchstens ein paar Straßen, in östlicher Richtung.“
Ich lief los.
„Jacob, lass uns den Wagen nehmen“, rief mir Paul hinterher, doch ich konnte nicht stehen bleiben. Das Bedürfnis, sie zu finden, wurde immer dringender. Sowie man nicht ewig den Atem anhalten kann, so konnte ich nicht ewig ohne sie sein.
„Verdammt“, hörte ich ihn hinter mir fluchen. Ich musste mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Embry und Paul mir zu Fuß folgten.
Erstaunlich schnell fand ich besagte Straße. Vielleicht lag noch ein wenig von Nells Geruch in der Luft, den mein menschliches Ich nicht bewusst wahrnahm, der Wolf aber schon. Meine Erleichterung verflüchtigte sich, als ich die schier endlose Reihe gelber und blauer Häuser zu meiner Linken ansah. Die Straße war lang und die Zahl der blauen Häuser hoch. Etliche davon auch mit Treppen aus Metall.
Mal wieder hatte Nieselregen eingesetzt und kein Mensch war zu sehen. Es würde uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als jedes Hause einzeln abzuklappern.
„Nur die Blauen?“, fragte Embry. Ich nickte. Wortlos teilten wir uns auf und jeder pirschte sich, so unauffällig wie möglich, an die zweistöckigen, blauen Bauten heran. So unauffällig wie das eben zwei Meter große, amerikanische Ureinwohner konnten. Aus den Augenwinkeln nahm ich einige argwöhnisch zurückgeschobene Gardinen wahr, die sich schnell wieder schlossen, sobald ich hinsah.
Wir hatten bereits die halbe Straße durch, als Paul mich rief: „Jacob, komm schnell!“
Er zeigte mit der Hand auf den Rasen eines blauen Hauses mit Metalltreppe. Die feuchte Erde war aufgewühlt. Verschliffene Fußspuren, so als hätte jemand nicht mehr die Kraft gehabt die Füße richtig anzuheben, führten zu einer Ansammlung blecherner Mülltonnen.
„Bleibt“, befahl ich und setzte mich langsam in Richtung des Hauses in Bewegung. Da war ihr Geruch - ich hatte ihn mir nicht nur eingebildet - und der Geruch nach Kupfer. Blut. Ich zwang mich zur Ruhe. Das Letzte, was ich wollte war, sie nun auch noch durch überstürztes Handeln zu erschrecken.
„Nell?“, rief ich leise. Keine Antwort.
„Nell, ich bin es. Jacob. Sprich mit mir, wenn du kannst.“ Mein Herz schlug so hart, dass ich glaubte, es wolle mir den Brustkorb zertrümmern.
Ich erreichte die Tonnen und behutsam stellte ich eine nach der anderen zur Seite. Zuerst sah ich nur die weißen Spitzen ihrer Turnschuhe. Die Blutspritzer darauf ließen mein Herz stolpern. Die nächste entfernte Tonne offenbarte mir das ganze Ausmaß meiner Dummheit.
„Nell?“, fragte ich erneut, doch sie kauerte weiterhin da, die Arme um die angezogenen Knie geschlungen. Ihre Augen waren rot vom Weinen, aber die Tränen schienen längst versiegt. Blut klebte auf ihrer Kleidung und in ihren Haaren. Ich wusste nicht, was mich mehr schmerzte. Sie so zu sehen oder zu wissen, dass ich dafür verantwortlich war.
Behutsam löste ich ihre steifen Finger und Arme von ihren Knien. Kleine halbmondförmige Wunden zeigten sich da, wo sie ihre Nägel vor Anspannung tief ins Fleisch gegraben hatte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Vorsichtig strich ich ihr die blutverklebten Haarsträhnen aus dem Gesicht.
„Ich bin bei dir mein Schatz. Ich bin da. Du musst keine Angst mehr haben“, flüsterte ich dicht an ihrem Ohr und küsste sanft ihre zitternden Hände.
„Jake?“
Sie sprach so leise, dass ich sie fast nicht gehört hätte.
„Ja, ich bin hier.“
Ein Seufzen kam über ihre Lippen, so tief aus ihrem Inneren, dass allein der Klang dieses Lautes, mir erzählte, wie sehr sie gelitten hatte.
„Leg deine Arme um meinen Hals, damit ich dich hier wegbringen kann.“
Kraftlos legten sich ihre Arme um meinen Nacken und kaum stand ich aufrecht, sank ihr Kopf erschöpft gegen meine Oberkörper.
Als ich das Gewicht ihres Kopfes an meiner Brust spürte, wagte auch ich es, das erste Mal seit dem Anruf von Dr. Cullen, aufzuatmen. Sie war bei mir und sie lebte.
Embry und Paul gingen auf uns zu, blieben aber einige Meter vor uns stehen, als mein Blick sie traf.
„Geht es ihr gut?“, fragte Embry sorgenvoll.
„Ich weiß es nicht“, antwortete ich. Ich hatte keine Ahnung, was ich angerichtet hatte. Teilnahmslos lag Nell in meinen Armen. Ihre Augen waren geschlossen, aber wenigstens war die Anspannung aus ihrem Körper gewichen.
„Komm, ich helfe dir“, sagte Paul und kam einen Schritt näher. Ein merkwürdiges Geräusch erklang. Paul trat langsam einen Schritt zurück. Hatte ich ihn gerade angeknurrt?
„Immer mit der Ruhe, Jacob. Ich tue ihr ja nichts.“ Seine Augen funkelten voll unterdrückter Wut. Dann drehte er sich um und ging.
„Paul!“, rief ich ihm nach, doch er winkte nur ab und stapfte weiter Richtung Krankenhaus.
„Paul beruhigt sich schon wieder“, wandte Embry ein, „Es ist ja klar, dass du etwas unentspannt bist.“
„Ich bin einfach ein Idiot, da hat Paul schon ganz recht“, erwiderte ich kopfschüttelnd. „Lass uns einfach zum Krankenhaus zurückgehen, bevor ich noch mehr Schaden anrichte.“
Während unseres Fußmarsches spürte ich erleichtert, dass die Teilnahmslosigkeit langsam von Nell abfiel. Sie presste sich eng an mich. Ihre Hände, die lose um meinen Nacken gelegen hatten, suchten Halt an meinem Shirt. Wie gerne hätte ich sie noch näher bei mir gespürt.
Schließlich hob sie langsam den Kopf und versuchte sich zu orientieren. Als ob sie vom Blitz getroffen worden wäre, kehrte mit einem mal die Anspannung in ihren Körper zurück. Sie krallte sich an mir fest und schüttelte mit weit aufgerissenen Augen den Kopf.
„Nein Jacob! Nein. Wir dürfen nicht zum Krankenhaus gehen. Die Vampire, sie sind dort.“ Ihr geschwächter Körper konnte die Spannung nicht halten und so begann sie unkontrolliert zu zittern.
„Sssch, Nell, beruhige dich. Es ist alles in Ordnung.“
Völlige Verständnislosigkeit sprach aus ihrem Blick.
„Die Cullens sind nicht wie andere Vampire. Sie sind … gut.“
„Nein Jacob, sie sind Vampire, sie trinken Menschenblut. Bring mich weg von hier. Bitte bring mich nach Hause“, flehte sie fast.
Es fiel mir unendlich schwer weiter zu sprechen. Ihr jetzt all das zu sagen, was ich ihr schon längst hätte sagen sollen. Jetzt wo sie verletzt, geschwächt, verängstigt war.
„Nell, sie ernähren sich nicht von Menschenblut. Sie trinken Tierblut. Sie versuchen alles, um ihre Vampirnatur zurückzuhalten, um keine Menschen zu gefährden.“ Verwundert hörte ich mir selbst zu. Hatte die alte Feindschaft zwischen Wölfen und Vampiren wirklich solch tiefe Wurzeln, dass ich erst, während ich versuchte, Nell alles zu erklären, begriff, was ich schon die ganze Zeit hätte sehen müssen?
„Als Nathan dich angegriffen hat, war es Dr.Cullen, der sich um dich gekümmert hat.“
„Was?“
„Ich hab Leah losgeschickt, ihn zu holen. Ich wusste doch nicht, ob ich alles richtig gemacht hatte.“
„Warum hast du mir das alles nicht früher gesagt?“, fragte sie fast tonlos.
„Ich weiß es nicht. Ich habe einfach nicht daran gedacht.“
Stille. Doch es war keine gute Stille. Es war diese absolute Lautlosigkeit in der die Welt vor dem Ausbruch eines Sturmes versank. Und dann brach der Sturm los.
„Du hast nicht daran gedacht?“, schrie Nell mich an, „Lass mich runter. Lass mich sofort runter.“
„Es tut mir leid, ich war nur so verwirrt, von meiner Heimkehr, von dir – es war einfach nicht wichtig für mich.“
„Aber für mich wäre es wichtig gewesen!“ Ihre Stimme überschlug sich fast.
Sie versuchte sie von mir wegzudrücken. Vorsichtig stellte ich sie auf die Beine, hielt sie aber noch, damit sie nicht stürzte.
„Lass mich. Ich brauche keinen Beschützer. Ich komme allein klar.“ Erst leicht schwankend, dann immer sicherer setzte sie sich Richtung Krankenhaus in Bewegung.
„Nell, was hast du vor?“ Keine Antwort.
Als sie Dr. Cullen auf dem Parkplatz er blickte blieb sie stehen. Sie atmete tief ein und aus, schien ihre Angst damit vertreiben zu wollen. Dann hielt sie direkt auf Dr. Cullen zu.
„Geben sie mir ihre Hand“, herrschte sie ihn an, noch bevor sie ihn erreicht hatte. Dr.Cullen schaute mich fragend an.
„Sehen sie nicht ihn an, sehen sie mich an!“, rief sie ungehalten.
Ich nickte Dr. Cullen leicht zu und er hob seine Hand. Nell ergriff sie und da verstand ich was sie bezwecken wollte.
„Nell, du weißt, du kannst deine Visionen nicht kontrollieren.“
Sie drehte den Kopf zu mir um, ihre blauen Augen blitzten zornig. Sie wollte etwas sagen, doch plötzlich weiteten sich ihr Pupillen. Ihre Augen wurden dunkel. Dann schlossen sich ihre Lider und sie hielt still die Hand des Vampirs. Es waren nur Sekunden, aber es erschien mir wie eine Ewigkeit, bis sie mit einem tiefen Atemzug aus ihrer Trance zurückkehrte.
„Es tut mir leid“, erklang ihre Stimme heißer und brüchig. Sie hob den Blick, um Dr. Cullen anzusehen. „Sie haben sich dagegen gewehrt. Sie wollten nie ein Vampir sein. Und ihre Familie. Sie haben jeden einzelnen gerettet. Ich…ich wusste das alles nicht.“
Behutsam legte ich meine Hand auf ihre Schulter und sah Dr. Cullen an. „Es ist nicht Nells Schuld, dass sie schlecht von ihnen gedacht hat. Es ist ganz allein meine.“
Mit einem Mal fuhr Nell herum. „Natürlich ist es deine Schuld. Wessen Schuld sollte es sonst sein?“
Obwohl sie soviel kleiner und leichter war als ich, ließ mich etwas an der Art wie sie nun auf mich zukam vor ihr zurückweichen. Jedes ihrer Worte, war so scharf gesprochen, als wollte sie mir Klingen in den Leib treiben.
„Und weißt du was das Schlimmste ist? Du hast mich glauben lassen, wir hätten beide jemanden an einen Vampir verloren, doch man kann nur etwas verlieren was einem einmal gehört hat. Bella hat dir nie gehört. Du warst ihr nie genug!“
Re: Indian Summer
Kapitel 20 (Nell)
Ich sah, wie Jacob vor mir zurückwich und ein Teil von mir wollte, dass er litt. Dass er die gleiche Angst und Einsamkeit spürte, die ich erfahren hatte, denn dann, hätten wir tatsächlich etwas gemein. Doch der Sturm in meinem Inneren legte sich, fast so schnell wie er gekommen war. Die dunkle Wut ebbte ab und an Stelle des Zorns, waren da noch nur Leere und das Wissen, einen schrecklich Fehler begangen zu haben. Sprachlos und von mir selbst entsetzt, stand ich da. Viel zu spät hoben sich meine Hände, um mir die Lippen zu verschließen. Gesagt war gesagt. Es gab kein Zurück. Ich streckte einen Arm nach Jacob aus, aber er war unerreichbar für mich. Paul und Embry hatten ihre Körper schützend vor ihn geschoben. Sie waren jetzt mehr Wölfe als Männer. Nur ihre Gestalt war noch menschlich. Ich holte Atem, um etwas zu sagen, doch es gab nichts zu sagen. Jacob stand hinter den beiden, den Blick von mir abgewandt, den Kopf leicht gesenkt. Sein Gesichtsausdruck erinnerte mich schmerzlich an den, den ich vor wenigen Stunden in meiner Vorstellung gesehen hatte. Doch jetzt war er real.
Ich ließ den nutzlos ausgestreckten Arm sinken. Eine fremde Hand legte sich kühl, aber auf gewisse Weise tröstlich, auf meine Schulter.
„Kommen Sie Nell. Ich werde Sie verarzten.“
Die Stimme des Doktors. Der Mann, den ich bis vor wenigen Minuten für einen Mörder gehalten hatte, drehte mich behutsam um, legte seinen Arm, um mich und führte mich sanft, aber bestimmt in Richtung Krankenhaus. Ich wehrte mich nicht. Von diesem Mann ging keine Gefahr aus, das wusste ich nun.
Mein Blick fiel zurück. Die Wölfe standen noch immer da, nur hatten Paul und Embry sich zu Jacob gedreht und redeten auf ihn ein. Dieser war immer noch reglos, die Augen auf den Boden gerichtet. Gleichzeitig wünschte ich mir und fürchte mich davor, dass er den Blick heben würde, um mich anzusehen. Doch er tat nichts dergleichen. Er stand einfach nur da. Ich hatte ihn gebrochen.
Das Zittern, das durch die Wut verdrängt worden war, setzte wieder ein. Als sich die schweren Krankenhaustüren zwischen mir und der Außenwelt schlossen, zuckte ich zusammen. Ich spürte Dr. Cullens besorgten Blick auf mir. „Geht es Ihnen gut, Nell?“
Ich nickte, obwohl das nicht stimmte.
Es ging mir überhaupt nicht gut. Mein Körper, besonders mein Kopf schmerzte, aber viel schlimmer war das Ziehen in meiner Brust, das keine körperlichen Ursachen hatte. Ich presste meine bebenden Hände auf die Stelle, aber weder das Zittern, noch das Ziehen hörten auf.
Es war unmöglich, dass Dr. Cullen mir Glauben schenkte, aber er quälte mich auch nicht weiter mit Fragen. Stattdessen führte er mich zum Empfang, wo er eine stattlich gebaute Schwester mit kaffeebrauner Haut ansprach.
„Trudi? Könnten Sie bitte einen Instrumentenwagen mit Verbandszeug in mein Büro bringen lassen? Und suchen Sie bitte Dr. Brown.“
„Radiologie oder Orthopädie?“, fragte Schwester Trudi, ohne von ihren Unterlagen aufzusehen.
„Entschuldigen Sie. Rufen Sie Amanda. Dan brauchen wir nicht.“ Er drehte sich zu mir um. „Brauchen wir doch nicht? Sie haben sich doch nichts getan auf Ihrem kleinen … Ausflug?“
Ich schüttelte den Kopf, der mir mit erneut aufflammenden Schmerzen auch sofort mitteilte, dass es hier um ihn ging. Das Adrenalin, das vor Aufregung und Wut in meinem Körper zirkuliert hatte, hatte die Schmerzen für einige Zeit verdrängt, aber nun waren sie wieder da. Doch sie machten mir nicht wirklich etwas aus. Sie lenkten mich wenigstens ein wenig von den anderen Schmerzen hab, die kein Pflaster oder eine noch so saubere Naht wieder richten konnten.
„Danke Trudi.“
Nun hob die Schwester doch den Blick und schenkte Dr. Cullen ein Lächeln.
„Gerne doch.“ Als ihr Blick mich traf, zog sie die Stirn kraus. „Geht’s Ihnen gut Kindchen?“
Es kostete mich alle Mühe, sie nicht anzuschreien oder losweinen, aber ich hatte gelernt möglichst wenig von mir preiszugeben. Erst bei Jacob hatte ich mich wieder sicher gefühlt. Doch das hatte ich verspielt.
„Sie wird schon wieder. Folgen Sie mir bitte, Nell?“, rettete mich mein Begleiter davor, antworten zu müssen.
Ich nickte ganz leicht und folgte ihm wortlos.
Erst einige graue Krankenhausflure weiter, brachte ich ein leises Danke heraus.
Ein kurzes Lächeln überflog sein Gesicht, aber wieder sagte er nicht mehr, so als wüsste er, dass ich das nicht aushalten würde.
„Ich werde noch kurz meine Tochter informieren, dass es Ihnen gut geht“, meinte er schließlich und zückte sein Telefon.
Ich nickte abermals, auch wenn ich nicht wusste, was seine Tochter mit mir zu schaffen hatte.
„Alice? Ja. Es geht ihr gut. Alles in Ordnung.“ Er schwieg einen Moment.
„Jacob geht es auch gut. Bella soll sich keine Sorgen machen.“
Als er die beiden Namen nannte, erstarrte ich innerlich. Sie sorgte sich auch jetzt noch um ihn. Auch wenn ihr der Vampir mehr bedeutet hatte, bedeutete Jacob ihr so viel, dass sie sich um ihn sorgte. Egal wie sie sich letzten Endes entschieden hatte, sie liebte Jacob auf irgendeine Art und Weise und das machte meine Worte nur noch unverzeihlicher.
Plötzlich fror ich. Ich schlang die Arme fest um meinen Körper, aber ich wusste, außer Jacobs Wärme würde nichts diese Kälte vertreiben können.
Dr. Cullen betrachtete mich besorgt, währen er noch einige Worte mit seiner Tochter wechselte und schließlich auflegte.
„Sie wissen vermutlich auch nichts über meine Tochter Alice?“
Ich schüttelte den Kopf und wartete darauf wieder wütend zu werden, doch ich fühlte mich nur noch leer und erschöpft.
„Lassen Sie uns in meinem Büro gehen. Da können wir ungestört reden.“
Er öffnete eine der vielen, gleich aussehenden Türen und bat mich, mit einer einladenden Armbewegung, einzutreten. Mein erster Blick fiel auf einen wuchtigen, alten Schreibtisch aus dunklem Holz, der gar nichts in der kühlen Tristesse des Krankenhauses verloren zu haben schien. Der Bürostuhl dahinter war mit dunklem Stoff bezogen, aber deutlich moderner im Design. Vor dem Schreibtisch standen zwei, ebenfalls dunkel bezogene, Besucherstühle mit Chromgestell. Hinter dem Schreibtisch, auf einem Sideboard, standen verschiedene Bilder. Das eine zeigte eine schöne Frau mit braunem Haar und Bernsteinaugen, ebenso wie seine. Sie lächelte freundlich in die Kamera. Hatte ich sie nicht gesehen irgendwo in seiner Erinnerung? Die Bilder waren so schnell und stark gewesen, anders als bei Menschen oder Gestaltwandlern, ich hatte sie nicht richtig fassen können. Und dennoch hatte es gereicht, um mir zu zeigen, dass dieser Vampir und seine Familie gänzlich anders waren als Nathan.
„Kommen Sie. Setzen Sie sich“, riss mich der Arzt aus meinen Gedanken. Ich drehte mich in die Richtung, in die er wies. Mein Blick fiel auf eine dieser grauenhaften Krankenhausliegen. Wieder fühlte ich mich unwohl und zögerte.
„Wissen Sie, meine Tochter Alice ist Ihnen nicht unähnlich. Ich kenne dieses Zögern. Auch sie ist nicht gerne in Krankenhäusern. Es erinnert sie zu sehr an früher.“
Ich überwand mich und nahm auf der Liege platz.
„Was ist mit Ihrer Tochter?“
„Alice hat - wie Sie auch - eine außergewöhnliche Gabe. Sie kann in die Zukunft sehen. Das konnte sie schon als Mensch. Doch man hielt sie für verrückt und sperrte sie ein.“
Ich stieß die Luft heftig aus. Genau so, hatten meine Albträume ausgesehen, bevor mein ganzes Leben zu einem geworden war.
Ehe wir weitersprechen konnten, klopfte es sachte an der Tür.
„Herein“, bat Dr. Cullen.
Die dunkelblonde Schwester, die mich bei meinem ersten Besuch im Krankenhaus zu Liege geführt hatte, öffnete die Tür und schob einen Instrumentenwagen herein.
„Dr. Brown, wartet im Röntgenraum auf Sie. Wohin soll ich den Wagen stellen?“
„Vielen Dank, Helen“, antwortete er ihr. „Stellen Sie ihn bitte vor die Liege. Wir gehen zuerst zu Dr. Brown.“
„Gerne“, erwiderte Schwester Helen und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln.
„Kommen Sie, Nell. Wir wollen Amanda nicht warten lassen.“
Ich folgte Dr. Cullen erneut durch die Krankenhausflure, immer darauf bedacht, an seiner Seite zu bleiben, denn dort fühlte ich mich sicher. Auch wenn ich vor kurzer Zeit niemals geglaubt hatte, dass dies möglich sei. Schließlich öffnete er eine Tür, die genauso aussah, wie all die anderen, hinter der sich aber laut dem Schild rechts neben der Tür, die Radiologie befand.
„Carlisle!“
Eine atemberaubend schöne Blondine erhob sich gleichermaßen erfreut und elegant von einem kleinen Hocker.
„Amanda.“ Dr. Cullen nickte ihr freundlich lächelnd zu.
„Ist das dein Notfall?“, fragte die Schönheit, die mir viel zu hübsch erschien, um auch noch intelligent zu sein. Manchmal war die Natur wirklich ungerecht und verlegen strich ich meine zerknitterte und verschmutzte Arbeitskleidung glatt.
„Ja. Das ist Nell Arden. Sie hatte leider einen kleinen Unfall und ich wäre dir sehr dankbar, wenn du ein Röntgenbild anfertigen könntest. Ihr Freund bringt mich um, wenn ich etwas übersehe.“
Er sah mich mit einem verschmitzten Lächeln an und zwinkert mir zu, so dass auch ich lächeln musste. Es war einfach zu grotesk, dass er vermutlich gerade die Wahrheit gesagt hatte, Dr. Supermodel, aber sicherlich glaubte, er würde scherzen.
„Na dann. Wir wollen ja nicht, dass dir was passiert, Carlisle“, ging sie lachend auf seinen Scherz ein.
„Kommen Sie bitte mit, Nell.“
Ich sah unsicher zu Dr. Cullen, aber er nickte mir aufmunternd zu. Dr. Brown führte mich in eine kleine Kammer.
„Legen Sie bitte alles ab, was aus Metall ist, Nell.“
Gehorsam zog ich meine Ohrringe aus, dann griffen meine Finger in meinen Nacken, um den Verschluss meiner Kette zu öffnen. Schnell ließ ich die Hände unverrichteter Dinge sinken. Meine Kette hatte ich vor zwei Jahren in unserer alten Wohnung in der Schale neben der Tür abgelegt. Manchmal vergaß ich das.
„Fertig“, sagte ich schnell.
„Sind Sie schwanger?
Ich spürte eine Hitze in mir aufsteigen, die mir sicherlich die Wangen rot färbte.
„Nein. Nicht das ich wüsste“, sagte ich verlegen und wich Dr. Browns Blick aus. Warum machte mich diese Frage verlegen? Sie war nur Routine. Außer Jacob und mir wusste niemand, was letzte Nacht zwischen uns geschehen war. Nicht, als ob es noch eine Rolle spielen würde. Ich konnte froh sein, wenn er mich jemals wieder ansah, vielleicht mit mir redete.
„Schauen Sie nicht so traurig, Nell. Es dauert nicht lange. Strecken Sie die Arme aus.“
Das Gewicht der bleiernen Schürze, die Dr. Brown mir anlegte zwang mich ein wenig in Knie.
„So, nun stellen Sie sich so hin. Ein wenig mehr nach links. Ja so ist es gut.“
Die Position, in die sie mich bugsiert hatte, war unbequem, aber ich bleib stehen und bewegte mich nicht, wie geheißen. Dr. Brown verließ mich kurz und ratternd begann der Röntgenapparat mit seiner Arbeit.
Kaum eine Minute später kam sie wieder herein, nahm mir die Schürze ab und wir gingen wieder zu Dr. Cullen. Sie klemmte die Röntgenbilder, an die dafür bestimmte Vorrichtung und schaltete das Licht ein. Es zuckte kurz und dann war mein hell erleuchteter Schädel zu erkennen. Für mich sahen die Bilder auf den ersten Blick okay aus, aber je länger die beiden Ärzte die Bilder betrachteten, umso nervöser wurde ich.
„Da schau an“, brach Dr. Brown das Schweigen. „Soweit ist alles in Ordnung. Hast du dir schon ihre Pupillen angesehen?“
„Nein, ich wollte erst größere Schäden ausschließen.“
Die schöne Ärztin verdrehte die Augen.
„Du bist wirklich überkorrekt, Carlisle.“
Er lachte.
„Du hast den Ruf der Schönen. Wir haben alle unser Kreuz zu tragen.“
„Und Dan ist dann wohl das Biest?“
„Das hast du gesagt Amanda.“
Das Geplänkel brach ab und beide drehten sich zu mir um.
„Nell, kommen Sie mal zu mir? Ich überprüfe für Dr. Überkorrekt schnell noch ihre Augenreaktion.“
Ich trat zu Dr. Brown und sie hob vorsichtig meinen Kopf an. Dann fischte sie aus der Brusttasche ihres weißen Kittels eine kleine Lampe und leuchtete mir damit in die Augen.
Die Falten auf ihrer vorher so glatten Stirn beunruhigten mich.
„Was ist los?“, fragte ich nervös.
„Ganz spurlos scheint der Unfall wohl doch nicht gewesen zu sein.“
Dr. Cullen trat nun näher und sie übergab ihm die Lampe.
„Verlangsamte Pupillenreaktion“, murmelte der Doktor vor sich hin.
„Was bedeutet das?“, wollte ich ängstlich wissen.
„Nichts Schlimmes, nur viel Freizeit“, meinte Dr. Brown.
Ich sah zu Dr. Cullen.
„Die verlangsamte Pupillenreaktion, ist ein Anzeichen für eine leichte Gehirnerschütterung. Sie sollten sich die nächsten Tage sehr viel ausruhen. Wenn möglich, viel schlafen und viel trinken. Fernsehen, Lesen und körperliche Anstrengungen müssen Sie vermeiden.“
Ich wollte ihm sagen, dass ich mir diesen Platz zum Ausruhen, eben, vor seinen Augen, verspielt hatte, aber ich schwieg. Wenn ich mich erst wieder daran gewöhnt hätte, alleine zu sein, dann würde ich schon zurecht kommen.
„Danke für deine Hilfe Amanda“, verabschiedete Dr. Cullen sich von seiner Kollegin.
„Kein Problem, Carlisle. Jederzeit gerne. Gute Besserung, Nell.“
„Danke“, antwortete ich und folgte schnell dem Vampir, um nicht im Labyrinth des Krankenhauses verloren zu gehen.
„Verzeihen Sie, ich bin zu schnell“, bemerkte er nach einigen Biegungen. „Auch eine Angewohnheit meiner Art.“
„Auch etwas, was ich nicht wusste“, erwiderte ich entschuldigend.
„Gleich haben wir ein wenig Ruhe. Dann können Sie mich alles fragen, was Ihnen auf dem Herzen liegt.“
Für mich sah im Krankenhaus alles gleich aus, aber der Vampir führte mich schnell und sicher zurück zu seinem Büro. Wieder sträubte sich ein Teil von mir, als ich die Liege sah, aber ich nahm darauf Platz. Dr. Cullen wusch sich an einem winzigen Becken, an der Wand gegenüber dem Fußende der Liege, die Hände und zog sich Handschuhe über. Dann setzte er sich auf einen kleinen Drehhocker und begann den Instrumentenwagen nach geeigneten Utensilien zu durchsuchen. All die Scheren, Spritzen und Nadeln machten mir Angst und ich versuchte sie auszublenden. Wenn Jacob doch nur hier wäre!
Der Gedanke trieb mir die Tränen in die Augen. Nein, ich würde nicht wieder alleine klar kommen. Ich würde meine Gefühle nicht wieder verbannen können, um einfach weiterzumachen wie bisher. Das war unmöglich!
„Nicht doch. Weinen Sie doch nicht“, redet Dr. Cullen sanft auf mich ein und reichte mir ein Taschentuch.
„Ich habe ihm wehgetan.“
„Er wird Ihnen verzeihen, Nell.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Nell, sehen Sie mich an.“
Als ich es nicht tat, hob er sachte mein Kinn an. Die bernsteinfarbenen Augen sahen mich eindringlich an.
„Ein Mann, der eine Frau so ansieht, wie Jacob Sie, der muss ihr verzeihen.“
„Aber … „
„Kein aber. Er braucht vielleicht etwas Zeit, doch er wird Ihnen verzeihen, denn alles andere würde bedeuten, Sie gehen zu lassen. Und das kann er nicht.“
Ich wollte ihm sagen, dass Jacob mich nicht gehen lassen konnte, weil er auf mich geprägt war, aber ich wusste nicht, wie viel die Vampire wirklich über die Wölfe wussten. Also schwieg ich. Der Gedanke, Jake würde mir nur vergeben, weil diese unsägliche Prägung ihn dazu zwang, war grausam und dennoch schöpfte ich daraus Hoffnung. Meine Tränen versiegten.
„Gut so. Jake weiß, dass er sich dumm verhalten hat und wenn Sie ihm das vergeben, dann wird er den Teufel tun und weiterhin wütend auf Sie sein.“
Weitere Einwände schwirrten in meinem Kopf herum, aber ich war zu erschöpft, um sie geltend zu machen. Ich wollte nach Hause.
„Darf ich Sie etwas fragen, Nell?“
„Bitte. Fragen Sie.“
Ich sah gespannt zu, wie er den Faden durch das Nadelöhr fädelte. Bei dem Gedanken, dass er damit gleich durch meine Haut stechen würde, wurde mir ein wenig flau im Magen und ich war für jede Ablenkung dankbar.
„Was sehen Sie, wenn Sie eine Vision haben?“
Ich überlegte. Eine verständliche Definition für unerklärbare Dinge, war nicht leicht zu finden.
Dr. Cullen tat etwas Desinfektionsspray auf eine Stück Mull und tupfte damit meine Kopfwunde ab. Ein wenig brannte es, aber es war auszuhalten. Dann nahm er Nadel und Faden.
„Ich nähe ohne lokale Betäubung. Wenn Sie mir meine Frage beantwortet haben, sind wir sicher schon fertig“, meinte er mit einem kleinen Lächeln.
Es piekste leicht, als er meine Haut durchstach, aber ich konzentrierte mich auf meine Antwort.
„Ich würde sagen, ich sehe das Wesentliche einer Person. Die Momente, die sie ausmachen. Ihre Geheimnisse. Ich sehe Bilder, spüre Emotionen.“
„Aber es funktioniert nur, wenn Sie jemanden berühren?“
„Ja, aber auch nicht immer. Ich habe keine Kontrolle darüber. Als ich Sie berührt habe, war das meine erste bewusste Vision.“
„Was haben Sie denn gesehen? Es muss Sie ja überzeugt haben, dass von mir keine Gefahr ausgeht.“
Verlegen wich ich seinem Blick aus. „Vieles. Es war anders als bei einem Menschen. Die Bilder haben mich regelrecht überrannt. Die Frau dort auf dem Bild hinter Ihren Schreibtisch. Sie lag im Sterben. Ich hab Ihre Sorge um sie gespürt.“
Er nickte leicht. Eine Trauer spiegelte sich in seinen Zügen, die ich auch in meiner Vision gespürt hatte.
„Und dann habe ich sie noch einmal gesehen. Mit ihnen. Glücklich.“
Er nickte wieder, nun aber mit einem Lächeln.
„Ich glaube, ich habe alles gesehen. Ich weiß nicht, ob es alles ist, aber es schien mir so.“
Eigentlich wollte ich nicht drauf los plappern, aber mein Mund wollte nicht still stehen. Sein Schweigen animierte mich, viel mehr zu erzählen, als ich eigentlich wollte. Es war befreiend, mit jemandem zu reden, für den Visionen etwas Normales waren.
„Fertig.“ Dr. Cullen ließ seinen Stuhl zurückrollen und betrachtete sein Werk.
„Schon?“, fragte ich erstaunt.
„Es waren nur wenige Stiche. Wenn es ordentlich abheilt, bleibt höchstens eine kleine Narbe.“ Behutsam verdeckte er die frische Naht mit einem Pflaster.
„Nur die ersten Tage, bis die Haut wieder geschlossen ist. Dann können Sie es weglassen. Die Fäden lösen sich von alleine auf. Ich nehme an, es ist Ihnen lieber sobald nicht wieder in ein Krankenhaus zu müssen.“
Ich nickte.
„Wenn etwas sein sollte, dann rufen Sie mich an.“
Er nahm vom Schreibtisch eine Visitenkarte, zog einen Stift aus der Brusttasche seines Kittels und schrieb etwas auf die Karte.
„Meine Privatnummer. Nur für alle Fälle.“
„Danke“, sagte ich leise während ich die Karte in Empfang nahm.
Eigentlich war ich fertig und hätte gehen können, aber erstens wusste ich nicht wohin und zweitens hatte ich noch so viele Fragen an diesen allzu menschlichen Vampir.
„Kommen Sie. Ich bringe Sie nach draußen. Nicht, dass Sie noch im Krankenhaus verloren gehen.“
Ich nahm den dargebotenen Arm und stand vorsichtig von der Liege auf.
„Nell, wenn es Ihnen besser geht und Sie das möchten, dann kommen Sie uns doch besuchen. Ich glaube, es gibt noch eine Menge offener Fragen bei Ihnen.
„Das würde ich gerne tun“, antwortete ich, ohne lange darüber nachzudenken. Ich konnte einfach nicht verstehen, warum Nathan so anders war, als diese Vampire. Vielleicht hätten wir eine Chance gehabt, wäre er so wie sie geworden.
„Aber warten Sie bitte, bis die Wunde verheilt ist. Es ist nicht für alle von uns leicht.“
„Aber es ist zu schaffen?“
„Wenn der Wille da ist.“
Meine Finger strichen über die kleine Narbe an meiner linken Halsseite. Dr. Cullens Augen folgten meiner Bewegung.
„Ich kann Ihnen nichts versprechen, Nell. Kommen Sie. Jake wartet sicher schon auf Sie.“
„Da bin ich mir nicht so sicher“, erwiderte ich, folgte aber Dr. Cullen erneut durch die ewig gleichen Flure. Schließlich standen wir vor dem Ausgang.
„Gute Besserung, Nell.“
„Vielen Dank, dass Sie mir geholfen haben – trotz der Meinung, die ich über Sie hatte.“
„Wir irren uns alle mal. Kommen Sie gut nach Hause.“
Er hielt mir die Tür auf und ich trat hinaus. Es regnete gerade nicht, aber es war kühl geworden und die Dämmerung hatte bereits eingesetzt. Die Tür schloss sich hinter mir. Ich hob den Blick und suchte den Parkplatz ab. Doch nirgendwo konnte ich ein vertrautes Gesicht entdecken.
Ich sah, wie Jacob vor mir zurückwich und ein Teil von mir wollte, dass er litt. Dass er die gleiche Angst und Einsamkeit spürte, die ich erfahren hatte, denn dann, hätten wir tatsächlich etwas gemein. Doch der Sturm in meinem Inneren legte sich, fast so schnell wie er gekommen war. Die dunkle Wut ebbte ab und an Stelle des Zorns, waren da noch nur Leere und das Wissen, einen schrecklich Fehler begangen zu haben. Sprachlos und von mir selbst entsetzt, stand ich da. Viel zu spät hoben sich meine Hände, um mir die Lippen zu verschließen. Gesagt war gesagt. Es gab kein Zurück. Ich streckte einen Arm nach Jacob aus, aber er war unerreichbar für mich. Paul und Embry hatten ihre Körper schützend vor ihn geschoben. Sie waren jetzt mehr Wölfe als Männer. Nur ihre Gestalt war noch menschlich. Ich holte Atem, um etwas zu sagen, doch es gab nichts zu sagen. Jacob stand hinter den beiden, den Blick von mir abgewandt, den Kopf leicht gesenkt. Sein Gesichtsausdruck erinnerte mich schmerzlich an den, den ich vor wenigen Stunden in meiner Vorstellung gesehen hatte. Doch jetzt war er real.
Ich ließ den nutzlos ausgestreckten Arm sinken. Eine fremde Hand legte sich kühl, aber auf gewisse Weise tröstlich, auf meine Schulter.
„Kommen Sie Nell. Ich werde Sie verarzten.“
Die Stimme des Doktors. Der Mann, den ich bis vor wenigen Minuten für einen Mörder gehalten hatte, drehte mich behutsam um, legte seinen Arm, um mich und führte mich sanft, aber bestimmt in Richtung Krankenhaus. Ich wehrte mich nicht. Von diesem Mann ging keine Gefahr aus, das wusste ich nun.
Mein Blick fiel zurück. Die Wölfe standen noch immer da, nur hatten Paul und Embry sich zu Jacob gedreht und redeten auf ihn ein. Dieser war immer noch reglos, die Augen auf den Boden gerichtet. Gleichzeitig wünschte ich mir und fürchte mich davor, dass er den Blick heben würde, um mich anzusehen. Doch er tat nichts dergleichen. Er stand einfach nur da. Ich hatte ihn gebrochen.
Das Zittern, das durch die Wut verdrängt worden war, setzte wieder ein. Als sich die schweren Krankenhaustüren zwischen mir und der Außenwelt schlossen, zuckte ich zusammen. Ich spürte Dr. Cullens besorgten Blick auf mir. „Geht es Ihnen gut, Nell?“
Ich nickte, obwohl das nicht stimmte.
Es ging mir überhaupt nicht gut. Mein Körper, besonders mein Kopf schmerzte, aber viel schlimmer war das Ziehen in meiner Brust, das keine körperlichen Ursachen hatte. Ich presste meine bebenden Hände auf die Stelle, aber weder das Zittern, noch das Ziehen hörten auf.
Es war unmöglich, dass Dr. Cullen mir Glauben schenkte, aber er quälte mich auch nicht weiter mit Fragen. Stattdessen führte er mich zum Empfang, wo er eine stattlich gebaute Schwester mit kaffeebrauner Haut ansprach.
„Trudi? Könnten Sie bitte einen Instrumentenwagen mit Verbandszeug in mein Büro bringen lassen? Und suchen Sie bitte Dr. Brown.“
„Radiologie oder Orthopädie?“, fragte Schwester Trudi, ohne von ihren Unterlagen aufzusehen.
„Entschuldigen Sie. Rufen Sie Amanda. Dan brauchen wir nicht.“ Er drehte sich zu mir um. „Brauchen wir doch nicht? Sie haben sich doch nichts getan auf Ihrem kleinen … Ausflug?“
Ich schüttelte den Kopf, der mir mit erneut aufflammenden Schmerzen auch sofort mitteilte, dass es hier um ihn ging. Das Adrenalin, das vor Aufregung und Wut in meinem Körper zirkuliert hatte, hatte die Schmerzen für einige Zeit verdrängt, aber nun waren sie wieder da. Doch sie machten mir nicht wirklich etwas aus. Sie lenkten mich wenigstens ein wenig von den anderen Schmerzen hab, die kein Pflaster oder eine noch so saubere Naht wieder richten konnten.
„Danke Trudi.“
Nun hob die Schwester doch den Blick und schenkte Dr. Cullen ein Lächeln.
„Gerne doch.“ Als ihr Blick mich traf, zog sie die Stirn kraus. „Geht’s Ihnen gut Kindchen?“
Es kostete mich alle Mühe, sie nicht anzuschreien oder losweinen, aber ich hatte gelernt möglichst wenig von mir preiszugeben. Erst bei Jacob hatte ich mich wieder sicher gefühlt. Doch das hatte ich verspielt.
„Sie wird schon wieder. Folgen Sie mir bitte, Nell?“, rettete mich mein Begleiter davor, antworten zu müssen.
Ich nickte ganz leicht und folgte ihm wortlos.
Erst einige graue Krankenhausflure weiter, brachte ich ein leises Danke heraus.
Ein kurzes Lächeln überflog sein Gesicht, aber wieder sagte er nicht mehr, so als wüsste er, dass ich das nicht aushalten würde.
„Ich werde noch kurz meine Tochter informieren, dass es Ihnen gut geht“, meinte er schließlich und zückte sein Telefon.
Ich nickte abermals, auch wenn ich nicht wusste, was seine Tochter mit mir zu schaffen hatte.
„Alice? Ja. Es geht ihr gut. Alles in Ordnung.“ Er schwieg einen Moment.
„Jacob geht es auch gut. Bella soll sich keine Sorgen machen.“
Als er die beiden Namen nannte, erstarrte ich innerlich. Sie sorgte sich auch jetzt noch um ihn. Auch wenn ihr der Vampir mehr bedeutet hatte, bedeutete Jacob ihr so viel, dass sie sich um ihn sorgte. Egal wie sie sich letzten Endes entschieden hatte, sie liebte Jacob auf irgendeine Art und Weise und das machte meine Worte nur noch unverzeihlicher.
Plötzlich fror ich. Ich schlang die Arme fest um meinen Körper, aber ich wusste, außer Jacobs Wärme würde nichts diese Kälte vertreiben können.
Dr. Cullen betrachtete mich besorgt, währen er noch einige Worte mit seiner Tochter wechselte und schließlich auflegte.
„Sie wissen vermutlich auch nichts über meine Tochter Alice?“
Ich schüttelte den Kopf und wartete darauf wieder wütend zu werden, doch ich fühlte mich nur noch leer und erschöpft.
„Lassen Sie uns in meinem Büro gehen. Da können wir ungestört reden.“
Er öffnete eine der vielen, gleich aussehenden Türen und bat mich, mit einer einladenden Armbewegung, einzutreten. Mein erster Blick fiel auf einen wuchtigen, alten Schreibtisch aus dunklem Holz, der gar nichts in der kühlen Tristesse des Krankenhauses verloren zu haben schien. Der Bürostuhl dahinter war mit dunklem Stoff bezogen, aber deutlich moderner im Design. Vor dem Schreibtisch standen zwei, ebenfalls dunkel bezogene, Besucherstühle mit Chromgestell. Hinter dem Schreibtisch, auf einem Sideboard, standen verschiedene Bilder. Das eine zeigte eine schöne Frau mit braunem Haar und Bernsteinaugen, ebenso wie seine. Sie lächelte freundlich in die Kamera. Hatte ich sie nicht gesehen irgendwo in seiner Erinnerung? Die Bilder waren so schnell und stark gewesen, anders als bei Menschen oder Gestaltwandlern, ich hatte sie nicht richtig fassen können. Und dennoch hatte es gereicht, um mir zu zeigen, dass dieser Vampir und seine Familie gänzlich anders waren als Nathan.
„Kommen Sie. Setzen Sie sich“, riss mich der Arzt aus meinen Gedanken. Ich drehte mich in die Richtung, in die er wies. Mein Blick fiel auf eine dieser grauenhaften Krankenhausliegen. Wieder fühlte ich mich unwohl und zögerte.
„Wissen Sie, meine Tochter Alice ist Ihnen nicht unähnlich. Ich kenne dieses Zögern. Auch sie ist nicht gerne in Krankenhäusern. Es erinnert sie zu sehr an früher.“
Ich überwand mich und nahm auf der Liege platz.
„Was ist mit Ihrer Tochter?“
„Alice hat - wie Sie auch - eine außergewöhnliche Gabe. Sie kann in die Zukunft sehen. Das konnte sie schon als Mensch. Doch man hielt sie für verrückt und sperrte sie ein.“
Ich stieß die Luft heftig aus. Genau so, hatten meine Albträume ausgesehen, bevor mein ganzes Leben zu einem geworden war.
Ehe wir weitersprechen konnten, klopfte es sachte an der Tür.
„Herein“, bat Dr. Cullen.
Die dunkelblonde Schwester, die mich bei meinem ersten Besuch im Krankenhaus zu Liege geführt hatte, öffnete die Tür und schob einen Instrumentenwagen herein.
„Dr. Brown, wartet im Röntgenraum auf Sie. Wohin soll ich den Wagen stellen?“
„Vielen Dank, Helen“, antwortete er ihr. „Stellen Sie ihn bitte vor die Liege. Wir gehen zuerst zu Dr. Brown.“
„Gerne“, erwiderte Schwester Helen und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln.
„Kommen Sie, Nell. Wir wollen Amanda nicht warten lassen.“
Ich folgte Dr. Cullen erneut durch die Krankenhausflure, immer darauf bedacht, an seiner Seite zu bleiben, denn dort fühlte ich mich sicher. Auch wenn ich vor kurzer Zeit niemals geglaubt hatte, dass dies möglich sei. Schließlich öffnete er eine Tür, die genauso aussah, wie all die anderen, hinter der sich aber laut dem Schild rechts neben der Tür, die Radiologie befand.
„Carlisle!“
Eine atemberaubend schöne Blondine erhob sich gleichermaßen erfreut und elegant von einem kleinen Hocker.
„Amanda.“ Dr. Cullen nickte ihr freundlich lächelnd zu.
„Ist das dein Notfall?“, fragte die Schönheit, die mir viel zu hübsch erschien, um auch noch intelligent zu sein. Manchmal war die Natur wirklich ungerecht und verlegen strich ich meine zerknitterte und verschmutzte Arbeitskleidung glatt.
„Ja. Das ist Nell Arden. Sie hatte leider einen kleinen Unfall und ich wäre dir sehr dankbar, wenn du ein Röntgenbild anfertigen könntest. Ihr Freund bringt mich um, wenn ich etwas übersehe.“
Er sah mich mit einem verschmitzten Lächeln an und zwinkert mir zu, so dass auch ich lächeln musste. Es war einfach zu grotesk, dass er vermutlich gerade die Wahrheit gesagt hatte, Dr. Supermodel, aber sicherlich glaubte, er würde scherzen.
„Na dann. Wir wollen ja nicht, dass dir was passiert, Carlisle“, ging sie lachend auf seinen Scherz ein.
„Kommen Sie bitte mit, Nell.“
Ich sah unsicher zu Dr. Cullen, aber er nickte mir aufmunternd zu. Dr. Brown führte mich in eine kleine Kammer.
„Legen Sie bitte alles ab, was aus Metall ist, Nell.“
Gehorsam zog ich meine Ohrringe aus, dann griffen meine Finger in meinen Nacken, um den Verschluss meiner Kette zu öffnen. Schnell ließ ich die Hände unverrichteter Dinge sinken. Meine Kette hatte ich vor zwei Jahren in unserer alten Wohnung in der Schale neben der Tür abgelegt. Manchmal vergaß ich das.
„Fertig“, sagte ich schnell.
„Sind Sie schwanger?
Ich spürte eine Hitze in mir aufsteigen, die mir sicherlich die Wangen rot färbte.
„Nein. Nicht das ich wüsste“, sagte ich verlegen und wich Dr. Browns Blick aus. Warum machte mich diese Frage verlegen? Sie war nur Routine. Außer Jacob und mir wusste niemand, was letzte Nacht zwischen uns geschehen war. Nicht, als ob es noch eine Rolle spielen würde. Ich konnte froh sein, wenn er mich jemals wieder ansah, vielleicht mit mir redete.
„Schauen Sie nicht so traurig, Nell. Es dauert nicht lange. Strecken Sie die Arme aus.“
Das Gewicht der bleiernen Schürze, die Dr. Brown mir anlegte zwang mich ein wenig in Knie.
„So, nun stellen Sie sich so hin. Ein wenig mehr nach links. Ja so ist es gut.“
Die Position, in die sie mich bugsiert hatte, war unbequem, aber ich bleib stehen und bewegte mich nicht, wie geheißen. Dr. Brown verließ mich kurz und ratternd begann der Röntgenapparat mit seiner Arbeit.
Kaum eine Minute später kam sie wieder herein, nahm mir die Schürze ab und wir gingen wieder zu Dr. Cullen. Sie klemmte die Röntgenbilder, an die dafür bestimmte Vorrichtung und schaltete das Licht ein. Es zuckte kurz und dann war mein hell erleuchteter Schädel zu erkennen. Für mich sahen die Bilder auf den ersten Blick okay aus, aber je länger die beiden Ärzte die Bilder betrachteten, umso nervöser wurde ich.
„Da schau an“, brach Dr. Brown das Schweigen. „Soweit ist alles in Ordnung. Hast du dir schon ihre Pupillen angesehen?“
„Nein, ich wollte erst größere Schäden ausschließen.“
Die schöne Ärztin verdrehte die Augen.
„Du bist wirklich überkorrekt, Carlisle.“
Er lachte.
„Du hast den Ruf der Schönen. Wir haben alle unser Kreuz zu tragen.“
„Und Dan ist dann wohl das Biest?“
„Das hast du gesagt Amanda.“
Das Geplänkel brach ab und beide drehten sich zu mir um.
„Nell, kommen Sie mal zu mir? Ich überprüfe für Dr. Überkorrekt schnell noch ihre Augenreaktion.“
Ich trat zu Dr. Brown und sie hob vorsichtig meinen Kopf an. Dann fischte sie aus der Brusttasche ihres weißen Kittels eine kleine Lampe und leuchtete mir damit in die Augen.
Die Falten auf ihrer vorher so glatten Stirn beunruhigten mich.
„Was ist los?“, fragte ich nervös.
„Ganz spurlos scheint der Unfall wohl doch nicht gewesen zu sein.“
Dr. Cullen trat nun näher und sie übergab ihm die Lampe.
„Verlangsamte Pupillenreaktion“, murmelte der Doktor vor sich hin.
„Was bedeutet das?“, wollte ich ängstlich wissen.
„Nichts Schlimmes, nur viel Freizeit“, meinte Dr. Brown.
Ich sah zu Dr. Cullen.
„Die verlangsamte Pupillenreaktion, ist ein Anzeichen für eine leichte Gehirnerschütterung. Sie sollten sich die nächsten Tage sehr viel ausruhen. Wenn möglich, viel schlafen und viel trinken. Fernsehen, Lesen und körperliche Anstrengungen müssen Sie vermeiden.“
Ich wollte ihm sagen, dass ich mir diesen Platz zum Ausruhen, eben, vor seinen Augen, verspielt hatte, aber ich schwieg. Wenn ich mich erst wieder daran gewöhnt hätte, alleine zu sein, dann würde ich schon zurecht kommen.
„Danke für deine Hilfe Amanda“, verabschiedete Dr. Cullen sich von seiner Kollegin.
„Kein Problem, Carlisle. Jederzeit gerne. Gute Besserung, Nell.“
„Danke“, antwortete ich und folgte schnell dem Vampir, um nicht im Labyrinth des Krankenhauses verloren zu gehen.
„Verzeihen Sie, ich bin zu schnell“, bemerkte er nach einigen Biegungen. „Auch eine Angewohnheit meiner Art.“
„Auch etwas, was ich nicht wusste“, erwiderte ich entschuldigend.
„Gleich haben wir ein wenig Ruhe. Dann können Sie mich alles fragen, was Ihnen auf dem Herzen liegt.“
Für mich sah im Krankenhaus alles gleich aus, aber der Vampir führte mich schnell und sicher zurück zu seinem Büro. Wieder sträubte sich ein Teil von mir, als ich die Liege sah, aber ich nahm darauf Platz. Dr. Cullen wusch sich an einem winzigen Becken, an der Wand gegenüber dem Fußende der Liege, die Hände und zog sich Handschuhe über. Dann setzte er sich auf einen kleinen Drehhocker und begann den Instrumentenwagen nach geeigneten Utensilien zu durchsuchen. All die Scheren, Spritzen und Nadeln machten mir Angst und ich versuchte sie auszublenden. Wenn Jacob doch nur hier wäre!
Der Gedanke trieb mir die Tränen in die Augen. Nein, ich würde nicht wieder alleine klar kommen. Ich würde meine Gefühle nicht wieder verbannen können, um einfach weiterzumachen wie bisher. Das war unmöglich!
„Nicht doch. Weinen Sie doch nicht“, redet Dr. Cullen sanft auf mich ein und reichte mir ein Taschentuch.
„Ich habe ihm wehgetan.“
„Er wird Ihnen verzeihen, Nell.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Nell, sehen Sie mich an.“
Als ich es nicht tat, hob er sachte mein Kinn an. Die bernsteinfarbenen Augen sahen mich eindringlich an.
„Ein Mann, der eine Frau so ansieht, wie Jacob Sie, der muss ihr verzeihen.“
„Aber … „
„Kein aber. Er braucht vielleicht etwas Zeit, doch er wird Ihnen verzeihen, denn alles andere würde bedeuten, Sie gehen zu lassen. Und das kann er nicht.“
Ich wollte ihm sagen, dass Jacob mich nicht gehen lassen konnte, weil er auf mich geprägt war, aber ich wusste nicht, wie viel die Vampire wirklich über die Wölfe wussten. Also schwieg ich. Der Gedanke, Jake würde mir nur vergeben, weil diese unsägliche Prägung ihn dazu zwang, war grausam und dennoch schöpfte ich daraus Hoffnung. Meine Tränen versiegten.
„Gut so. Jake weiß, dass er sich dumm verhalten hat und wenn Sie ihm das vergeben, dann wird er den Teufel tun und weiterhin wütend auf Sie sein.“
Weitere Einwände schwirrten in meinem Kopf herum, aber ich war zu erschöpft, um sie geltend zu machen. Ich wollte nach Hause.
„Darf ich Sie etwas fragen, Nell?“
„Bitte. Fragen Sie.“
Ich sah gespannt zu, wie er den Faden durch das Nadelöhr fädelte. Bei dem Gedanken, dass er damit gleich durch meine Haut stechen würde, wurde mir ein wenig flau im Magen und ich war für jede Ablenkung dankbar.
„Was sehen Sie, wenn Sie eine Vision haben?“
Ich überlegte. Eine verständliche Definition für unerklärbare Dinge, war nicht leicht zu finden.
Dr. Cullen tat etwas Desinfektionsspray auf eine Stück Mull und tupfte damit meine Kopfwunde ab. Ein wenig brannte es, aber es war auszuhalten. Dann nahm er Nadel und Faden.
„Ich nähe ohne lokale Betäubung. Wenn Sie mir meine Frage beantwortet haben, sind wir sicher schon fertig“, meinte er mit einem kleinen Lächeln.
Es piekste leicht, als er meine Haut durchstach, aber ich konzentrierte mich auf meine Antwort.
„Ich würde sagen, ich sehe das Wesentliche einer Person. Die Momente, die sie ausmachen. Ihre Geheimnisse. Ich sehe Bilder, spüre Emotionen.“
„Aber es funktioniert nur, wenn Sie jemanden berühren?“
„Ja, aber auch nicht immer. Ich habe keine Kontrolle darüber. Als ich Sie berührt habe, war das meine erste bewusste Vision.“
„Was haben Sie denn gesehen? Es muss Sie ja überzeugt haben, dass von mir keine Gefahr ausgeht.“
Verlegen wich ich seinem Blick aus. „Vieles. Es war anders als bei einem Menschen. Die Bilder haben mich regelrecht überrannt. Die Frau dort auf dem Bild hinter Ihren Schreibtisch. Sie lag im Sterben. Ich hab Ihre Sorge um sie gespürt.“
Er nickte leicht. Eine Trauer spiegelte sich in seinen Zügen, die ich auch in meiner Vision gespürt hatte.
„Und dann habe ich sie noch einmal gesehen. Mit ihnen. Glücklich.“
Er nickte wieder, nun aber mit einem Lächeln.
„Ich glaube, ich habe alles gesehen. Ich weiß nicht, ob es alles ist, aber es schien mir so.“
Eigentlich wollte ich nicht drauf los plappern, aber mein Mund wollte nicht still stehen. Sein Schweigen animierte mich, viel mehr zu erzählen, als ich eigentlich wollte. Es war befreiend, mit jemandem zu reden, für den Visionen etwas Normales waren.
„Fertig.“ Dr. Cullen ließ seinen Stuhl zurückrollen und betrachtete sein Werk.
„Schon?“, fragte ich erstaunt.
„Es waren nur wenige Stiche. Wenn es ordentlich abheilt, bleibt höchstens eine kleine Narbe.“ Behutsam verdeckte er die frische Naht mit einem Pflaster.
„Nur die ersten Tage, bis die Haut wieder geschlossen ist. Dann können Sie es weglassen. Die Fäden lösen sich von alleine auf. Ich nehme an, es ist Ihnen lieber sobald nicht wieder in ein Krankenhaus zu müssen.“
Ich nickte.
„Wenn etwas sein sollte, dann rufen Sie mich an.“
Er nahm vom Schreibtisch eine Visitenkarte, zog einen Stift aus der Brusttasche seines Kittels und schrieb etwas auf die Karte.
„Meine Privatnummer. Nur für alle Fälle.“
„Danke“, sagte ich leise während ich die Karte in Empfang nahm.
Eigentlich war ich fertig und hätte gehen können, aber erstens wusste ich nicht wohin und zweitens hatte ich noch so viele Fragen an diesen allzu menschlichen Vampir.
„Kommen Sie. Ich bringe Sie nach draußen. Nicht, dass Sie noch im Krankenhaus verloren gehen.“
Ich nahm den dargebotenen Arm und stand vorsichtig von der Liege auf.
„Nell, wenn es Ihnen besser geht und Sie das möchten, dann kommen Sie uns doch besuchen. Ich glaube, es gibt noch eine Menge offener Fragen bei Ihnen.
„Das würde ich gerne tun“, antwortete ich, ohne lange darüber nachzudenken. Ich konnte einfach nicht verstehen, warum Nathan so anders war, als diese Vampire. Vielleicht hätten wir eine Chance gehabt, wäre er so wie sie geworden.
„Aber warten Sie bitte, bis die Wunde verheilt ist. Es ist nicht für alle von uns leicht.“
„Aber es ist zu schaffen?“
„Wenn der Wille da ist.“
Meine Finger strichen über die kleine Narbe an meiner linken Halsseite. Dr. Cullens Augen folgten meiner Bewegung.
„Ich kann Ihnen nichts versprechen, Nell. Kommen Sie. Jake wartet sicher schon auf Sie.“
„Da bin ich mir nicht so sicher“, erwiderte ich, folgte aber Dr. Cullen erneut durch die ewig gleichen Flure. Schließlich standen wir vor dem Ausgang.
„Gute Besserung, Nell.“
„Vielen Dank, dass Sie mir geholfen haben – trotz der Meinung, die ich über Sie hatte.“
„Wir irren uns alle mal. Kommen Sie gut nach Hause.“
Er hielt mir die Tür auf und ich trat hinaus. Es regnete gerade nicht, aber es war kühl geworden und die Dämmerung hatte bereits eingesetzt. Die Tür schloss sich hinter mir. Ich hob den Blick und suchte den Parkplatz ab. Doch nirgendwo konnte ich ein vertrautes Gesicht entdecken.
Re: Indian Summer
Kapitel 21 (Nell)
Mein Blick schweifte unruhig zwischen den immer länger werdenden Schatten umher. Meine Hände ballten sich nervös zu Fäusten, nur um sich gleich darauf wieder zu öffnen. Konnte es wirklich sein? Hatte Jacob mich wirklich zurückgelassen? Ein Teil von mir, weigerte sich, das zu glauben, aber mit jeder Sekunde, die ich alleine vor dem Krankenhaus stand, wuchs meine Angst, dass es doch so war. Hatte ich Jacob verloren?
Die Ungewissheit was nun aus mir - was aus uns- werden sollte, zerrte an meinen Nerven. Ich hielt die Anspannung nicht mehr aus. Zögerlich tat ich ein paar ziellose Schritte über den geschotterten Parkplatz. In der Dämmerung versuchte ich ein bekanntes Gesicht oder ein bekanntes Fahrzeug zu entdecken, doch da war niemand. Und obwohl ich Jake verstehen konnte, breitete sich eine tiefe Enttäuschung in mir aus.
Irgendwo hinter mir knallte eine Autotür und erschrocken fuhr ich herum. Der Mann, dem der Wagen offensichtlich gehörte, hob einen riesigen Blumenstrauß von der Rückbank. Als ich das glückliche Lächeln in seinem Gesicht sah, zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen.
„Guten Abend, Miss“, grüßte er mich freundlich.
Unfähig zu antworten, starrte ich ihn nur an.
„Ich bin heute Vater geworden. Es ist ein Junge“, erklärte er mir strahlend.
Erst jetzt fielen mir die blauen Bändchen und die kleinen blauen Schühchen auf, die als Schmuck in den Strauß eingearbeitet waren.
Ich rang mir ein Lächeln ab, während mir in meinem Inneren eher nach Weinen zu Mute war. „Meinen herzlichen Glückwunsch.“
„Danke! Ich könnte mein Glück wirklich hinausschreien, aber ich glaube, meine Frau würde sich beschweren, wenn ich auf dem Parkplatz anfange rumzuschreien.“ Er lachte und schlug die hintere Tür seines Wagens zu.
„Es wird schon dunkel. Kommen Sie gut nach Hause, Miss.“
Meine Augen folgten ihm, wie er mit schnellen, leichten Schritten zum Eingang ging und im Inneren des Gebäudes verschwand.
Ich stellte mir das Gesicht seiner Frau vor, wie sie, erschöpft aber glücklich, in ihrem Bett lag, vielleicht den kleinen Jungen im Arm. Wie ihre Augen leuchten würden, wenn er ins Zimmer kam und ihr die Blumen überreichte und dann – ganz stolzer Vater – das kleine Geschöpf in die Arme nehmen würde, dass ein wenig er war, aber auch ein wenig sie. Ich gönnte der kleinen Familie ihr Glück, aber der Gedanke daran, führte mir überdeutlich vor Augen, wie meilenweit ich gerade davon entfernt war.
Ich schluckte die aufsteigenden Tränen herunter, atmete tief durch und setzte mich wieder in Bewegung. Es ist doch nicht das erste Mal, dass du auf dich allein gestellt bist, dachte ich. Doch dieses Mal empfand in bei dem Gedanken keinen Trost. Ich war es so leid zu kämpfen und stark sein zu müssen.
Auch mein lädierter Körper machte mir zu schaffen und so beschloss ich, obwohl es sonst nicht meine Art war, die Harpers um Hilfe zu bitten. Nur für ein paar Tage, bis du wieder auf den Beinen bist, versicherte ich mir selbst. Dann würde ich meine Sachen aus dem Reservat holen und weiterziehen. Nathan würde mir folgen, wenn ich ging und die Menschen hier könnten wieder in Frieden leben.
Als sich, keine fünf Schritte vor mir, eine Gestalt aus dem Schatten löste, schrak ich zurück. Erleichtert und enttäuscht zugleich, stellte ich fest, dass es weder Nathan noch Jacob waren, die mir den Weg versperrten.
Es war Pauls massiger Körper, der wie eine Wand vor mir stand.
„Hey“, war das Einzige, was ich herausbrachte.
„Hey“, erwiderte er.
Einen Augenblick standen wir uns stumm gegenüber, dann setzte sich Paul in Bewegung. Er ging zur Beifahrerseite seines Pick-up’s und öffnete die Tür.
Ich wartete darauf, dass er mir meine Habseligkeiten vor die Füße warf.
„Willst du da Wurzeln schlagen?“, fragte er stattdessen.
Überrascht sah ich ihn an. Mein Herz schlug schneller.
„N-nein, natürlich nicht“, antwortete ich und schlüpfte rasch an ihm vorbei ins Auto.
Er schloss die Tür hinter mir, ging um den Wagen herum, setzte sich auf den Fahrersitz und startete den Motor. Plötzlich jedoch, hielt er inne und sah skeptisch zu mir herüber. Verunsichert, ob er mich nun doch wieder an die Luft setzen würde, wagte ich es nicht, mich zu rühren.
„Schnall dich besser an. Wenn dir was passiert, bekomme ich Ärger“, meinte er schließlich und ein vager Hoffnungsschimmer keimte in mir auf, dass doch nicht alles verloren war. Mit zitternden Händen, fingerte ich am Gurt herum. Paul fuhr erst los, als er das leise Klicken des Gurtes hörte.
Wir verließen den Krankenhausparkplatz und fuhren Richtung Innenstadt, durch die wir hindurch mussten, wenn wir zum Reservat wollten.
„Ist dir kalt?“, brach Paul schließlich das Schweigen, als wir die Stadt fast hinter uns gelassen hatten.
„Ein wenig“, gab ich zu und zog verlegen meine Hände unter meinen Oberschenkeln hervor, wo ich sie hingetan hatte, um sie zu wärmen.
„Entschuldige, ich vergesse immer, dass normale Menschen die Kälte anders empfinden.“
Ich zuckte zurück, als er einen Arm in meine Richtung ausstreckte. Paul sah mich irritiert an.
„Ich werde dir schon nicht den Kopf abreißen.“
Verlegen entspannte ich mich wieder ein wenig.
Er griff hinter meinen Sitz und beförderte eine dunkle Wolljacke zu Tage. „Hier.“
„Danke.“
Fröstelnd nahm ich die Jacke entgegen und benutzte sie als Decke. Ich fror am ganzen Körper und ich war mir nicht so sicher, ob das nur an den kühlen Temperaturen lag.
Während ich mich in die Jacke kuschelte, versuchte Paul fluchend die Heizung zum laufen zu bringen.
„Keine Ahnung, ob sie funktioniert. Hab sie noch nie benutzt“, meinte er entschuldigend.
Mittlerweile hatten wir die letzten Lichter von Forks hinter uns gelassen und befanden uns in den Wäldern.
„Das war nicht in Ordnung“, sagte Paul fast beiläufig.
„Ich weiß.“ Schuldbewusst starrte ich auf meinen Schoß.
„Du hast ihn sehr verletzt.“
„Ich weiß.“
Die Frage nach Jake brannte auf meiner Seele, aber ich wagte nicht sie zu stellen.
Es erschreckte mich, dass Paul nicht einmal wütend klang. Sein Ton erschien viel zu sachlich, eine Art, die ich von ihm, der immer ein wenig aufbrausend war, gar nicht kannte.
„Aber er wird dir verzeihen. Er kann ja nicht anders. Und das ist das Schlimmste daran.“
Auch das schien nur eine nüchterne Feststellung.
„Es tut mir leid“, brachte ich mühsam heraus und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.
„Sag das nicht mir. Sag es ihm. Und hör auf zu weinen.“ Sein Ton wurde weicher. „Bitte.“
Er hantierte an der Verkleidung der Fahrertür herum, zauberte eine Packung Papiertaschentücher hervor und reichte sie mir.
Mit mittlerweile etwas wärmeren Fingern – die Heizung funktionierte tadellos – öffnete ich die Packung, nahm mir ein Taschentuch, wischte mir die Tränen weg und putze mir die Nase.
„Besser?“
Ich nickte.
Den Rest der Fahrt verbrachten wir schweigend.
Während Paul sich auf die Straße konzentrierte, schweifte mein Blick aus dem Fenster. Ich fragte mich, ob Jake irgendwo da draußen herumirrte, doch je dunkler es wurde, desto weniger konnte ich erkennen. Letzten Endes sah ich nur noch die Spiegelung meines eigenen Gesichtes im Fenster. Schnell wandte ich mich ab und senkte die Lider. Ich ertrug es nicht, mir in die Augen zu sehen.
Erst als der Wagen stoppte, öffnete ich die Augen wieder. Wir standen vor dem kleinen Haus der Blacks. Paul hatten den Motor noch nicht ausgeschaltet, als ich schon versuchte die Tür zu öffnen.
„Warte, ich komm rüber. Die klemmt manchmal“, sagte er und hatte mir die Tür bereits geöffnet, bevor ich ihm wiedersprechen könnte. Vorsichtig stieg ich aus. Ich fühlte mich mit einem Mal sehr schwach. Der anstrengende Tag schien nun doch seinen Tribut zu fordern. Dennoch versuchte ich in der Dunkelheit zu erkennen, ob vielleicht Jakes Wagen irgendwo stand.
„Jake ist nicht hier. Er ist gleich zu Sam gefahren.“
Unfähig meinen Blick von der Umgebung zu nehmen, bis ich mich mit eigenen Augen davon überzeugt hatte, dass Jake nicht hier war, murmelte ich: „Aber er hat doch heute gar keinen Dienst.“
Ich drehte mich zu meinem Begleiter um und wollte fragen, warum Jake, denn nicht hier sei, aber bei dem Blick, den Paul mir zuwarf, blieben mir die Worte im Hals stecken.
„Oh.“ Es war mehr ein Hauchen als ein Wort.
„Ist vielleicht ganz gut so.“
„Paul, ich wollte…“
Das Knarren der Verandatür ließ mich verstummen. Die kleine Lampe neben der Tür flammte auf und Billy rollte geschickt die Rampe hinab. Er stoppte direkt vor meinen Füßen.
„Nell! Zum Glück geht es dir gut! Es geht dir doch gut?“
Sorge und Erleichterung zugleich, standen ihm gleichermaßen ins Gesicht geschrieben. Er ergriff meine klammen Hände und ich musste mir abermals Mühe geben, nicht in Tränen auszubrechen. Während Billy sich um mich sorgte und mir Wärme und Herzlichkeit entgegenbrachte, hatte ich nichts Besseres zu tun, als seinen Sohn zu beleidigen und zu verletzten.
„Mein Kopf hat was abbekommen, aber sonst bin ich okay“, murmelte ich leise und versuchte krampfhaft meine Mundwinkel nach oben zu ziehen.
„Dr. Cullen hat bereits angerufen und mir Instruktionen gegeben, du brauchst also nichts zu beschönigen“, meinte er ein wenig tadelnd, aber mit einem verschmitzten Lächeln.
Ich fühlte mich ertappt und senkte verlegen den Blick.
„Es geht schon.“
„Du siehst nicht so aus, als ob es ginge. Paul, kannst du sie bitte ins Haus bringen?“
Etwas zu schroff, schlug ich Pauls Arm weg, der gleich der Bitte von Billy hatte Folge leisten wollen.
„Entschuldige“, wisperte ich, als ich meinen Fehler bemerkte. „Danke fürs … bringen.“ Die Worte „nach Hause“ kamen mir nicht über die Lippen. Ich spürte, dass ich meine Tränen nicht länger zurückhalten konnte und stürmte, an Billy vorbei, ins Haus und schloss mich im Bad ein.
Schwer atmend ließ ich mich auf den Wannenrand nieder. Dieses Mal dauerte es eine ganze Weile, bis ich mich wieder unter Kontrolle hatte. Schließlich wusch mein Gesicht mit kühlem Wasser, ehe ich endlich meine schmutzige Arbeitskleidung auszog und in eine Jogginghose und ein Shirt schlüpfte. Zum Duschen war ich zu erschöpft. Erst dann wagte ich mich wieder in Billy’s Gesellschaft.
„Besser?“, fragte Billy ernst, als ich die Wohnküche betrat.
„Ein wenig“, antwortete ich einsilbig.
„Carlisle, hat mir nicht nur Instruktionen wegen deiner Kopfverletzung gegeben. Er hat mir auch erzählt was zwischen dir und Jake passiert ist.“
Die Schamesröte stieg mir ins Gesicht.
„Ich wollte das wirklich nicht. Ihr hab mich bei euch aufgenommen und ich … ich…“
Mir fehlten die Worte. Ich sah Billy an, in der Hoffnung er würde erkennen, sehr mir das Leid tat, was ich zu seinem Sohn gesagt hatte.
Er nickte und zog einen Stuhl ein wenig unter dem Tisch hervor.
„Komm, setz dich. Ich mach dir einen Tee.“
„Billy…“, versuchte ich mich erneut zu entschuldigen während ich Platz nahm.
„Es ist in Ordnung, Nell. Ihr habt beide einen Fehler gemacht. Du hast Jake verziehen und er wird dir verzeihen.“
„Ich hoffe es.“
Billy, der gerade Wasser aufgesetzt hatte, drehte sich zu mir um. Sein Lächeln war dem von Jake so ähnlich.
„Glaub mir. Er wird.“
Und ich glaubte ihm. Ich konnte gar nicht anders.
Billy versorgte mich mit Tee und einem Käsesandwich. Dabei beobachtete er mich mit Argusaugen. Er nahm die Anweisung von Dr. Cullen ziemlich ernst, denn kaum war ich fertig mit meiner kleinen Kräftigung, da komplementierte er mich freundlich, aber bestimmt ins Bett.
Mein Kopf pochte und mir war ein wenig schwindelig, als ich irgendwann aufwachte. Am meisten wunderte mich jedoch, dass ich überhaupt eingeschlafen war. Zuerst hatten sich meine Gedanken noch im Kreis gedreht, aber schließlich war ich doch in einen unruhigen Schlaf geglitten, der immer wieder von wirren Träumen unterbrochen worden war. Doch eines war in allen gleich gewesen: der verletzte Gesichtsausdruck von Jake. Und egal was in meinem Träumen sonst geschah, sie endeten immer wieder in diesem Moment.
Um die Leuchtziffern auf dem Wecker zu erkennen, musste ich mich konzentrieren. Die Zahlen verschwammen immer wieder vor meinen Augen. Es war früher Morgen. Bald würde Jake nach Hause kommen. An Schlaf war nun nicht mehr zu denken. Ich wollte unbedingt wach bleiben und auf ihn warten. Mit offenen Augen starrte ich in die Dunkelheit und versuchte mir die richtigen Worte zu Recht zu legen, um mich zu entschuldigen. Aber irgendwie klang es immer falsch. Mit jeder Minute die verstrich, wuchs meine Angst, dass er vielleicht gar nicht nach Hause kommen würde. Erleichtert atmete ich auf, als ich die Außentür zufallen hörte.
Schritte nährten sich meinem Zimmer. Gleich würde Jake zu mir kommen und dann würde endlich alles gut werden. Ich hielt vor Anspannung den Atem an. Die Schritte stoppten. Ich wartete.
Vergeblich. Die Tür öffnete sich nicht. Mit weit geöffneten Augen, starrte ich in die Nacht. Der angehaltene Atem löste sich aus meinen Lungen und endete in einem Schluchzen. All die Tränen, die ich unterdrückt hatte, bahnten sich einen Weg aus meinen Augen. Zuerst langsam. Einzelne feuchte Tropfen auf meinen Wagen. Dann brachen alle Dämme.
Mein Blick schweifte unruhig zwischen den immer länger werdenden Schatten umher. Meine Hände ballten sich nervös zu Fäusten, nur um sich gleich darauf wieder zu öffnen. Konnte es wirklich sein? Hatte Jacob mich wirklich zurückgelassen? Ein Teil von mir, weigerte sich, das zu glauben, aber mit jeder Sekunde, die ich alleine vor dem Krankenhaus stand, wuchs meine Angst, dass es doch so war. Hatte ich Jacob verloren?
Die Ungewissheit was nun aus mir - was aus uns- werden sollte, zerrte an meinen Nerven. Ich hielt die Anspannung nicht mehr aus. Zögerlich tat ich ein paar ziellose Schritte über den geschotterten Parkplatz. In der Dämmerung versuchte ich ein bekanntes Gesicht oder ein bekanntes Fahrzeug zu entdecken, doch da war niemand. Und obwohl ich Jake verstehen konnte, breitete sich eine tiefe Enttäuschung in mir aus.
Irgendwo hinter mir knallte eine Autotür und erschrocken fuhr ich herum. Der Mann, dem der Wagen offensichtlich gehörte, hob einen riesigen Blumenstrauß von der Rückbank. Als ich das glückliche Lächeln in seinem Gesicht sah, zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen.
„Guten Abend, Miss“, grüßte er mich freundlich.
Unfähig zu antworten, starrte ich ihn nur an.
„Ich bin heute Vater geworden. Es ist ein Junge“, erklärte er mir strahlend.
Erst jetzt fielen mir die blauen Bändchen und die kleinen blauen Schühchen auf, die als Schmuck in den Strauß eingearbeitet waren.
Ich rang mir ein Lächeln ab, während mir in meinem Inneren eher nach Weinen zu Mute war. „Meinen herzlichen Glückwunsch.“
„Danke! Ich könnte mein Glück wirklich hinausschreien, aber ich glaube, meine Frau würde sich beschweren, wenn ich auf dem Parkplatz anfange rumzuschreien.“ Er lachte und schlug die hintere Tür seines Wagens zu.
„Es wird schon dunkel. Kommen Sie gut nach Hause, Miss.“
Meine Augen folgten ihm, wie er mit schnellen, leichten Schritten zum Eingang ging und im Inneren des Gebäudes verschwand.
Ich stellte mir das Gesicht seiner Frau vor, wie sie, erschöpft aber glücklich, in ihrem Bett lag, vielleicht den kleinen Jungen im Arm. Wie ihre Augen leuchten würden, wenn er ins Zimmer kam und ihr die Blumen überreichte und dann – ganz stolzer Vater – das kleine Geschöpf in die Arme nehmen würde, dass ein wenig er war, aber auch ein wenig sie. Ich gönnte der kleinen Familie ihr Glück, aber der Gedanke daran, führte mir überdeutlich vor Augen, wie meilenweit ich gerade davon entfernt war.
Ich schluckte die aufsteigenden Tränen herunter, atmete tief durch und setzte mich wieder in Bewegung. Es ist doch nicht das erste Mal, dass du auf dich allein gestellt bist, dachte ich. Doch dieses Mal empfand in bei dem Gedanken keinen Trost. Ich war es so leid zu kämpfen und stark sein zu müssen.
Auch mein lädierter Körper machte mir zu schaffen und so beschloss ich, obwohl es sonst nicht meine Art war, die Harpers um Hilfe zu bitten. Nur für ein paar Tage, bis du wieder auf den Beinen bist, versicherte ich mir selbst. Dann würde ich meine Sachen aus dem Reservat holen und weiterziehen. Nathan würde mir folgen, wenn ich ging und die Menschen hier könnten wieder in Frieden leben.
Als sich, keine fünf Schritte vor mir, eine Gestalt aus dem Schatten löste, schrak ich zurück. Erleichtert und enttäuscht zugleich, stellte ich fest, dass es weder Nathan noch Jacob waren, die mir den Weg versperrten.
Es war Pauls massiger Körper, der wie eine Wand vor mir stand.
„Hey“, war das Einzige, was ich herausbrachte.
„Hey“, erwiderte er.
Einen Augenblick standen wir uns stumm gegenüber, dann setzte sich Paul in Bewegung. Er ging zur Beifahrerseite seines Pick-up’s und öffnete die Tür.
Ich wartete darauf, dass er mir meine Habseligkeiten vor die Füße warf.
„Willst du da Wurzeln schlagen?“, fragte er stattdessen.
Überrascht sah ich ihn an. Mein Herz schlug schneller.
„N-nein, natürlich nicht“, antwortete ich und schlüpfte rasch an ihm vorbei ins Auto.
Er schloss die Tür hinter mir, ging um den Wagen herum, setzte sich auf den Fahrersitz und startete den Motor. Plötzlich jedoch, hielt er inne und sah skeptisch zu mir herüber. Verunsichert, ob er mich nun doch wieder an die Luft setzen würde, wagte ich es nicht, mich zu rühren.
„Schnall dich besser an. Wenn dir was passiert, bekomme ich Ärger“, meinte er schließlich und ein vager Hoffnungsschimmer keimte in mir auf, dass doch nicht alles verloren war. Mit zitternden Händen, fingerte ich am Gurt herum. Paul fuhr erst los, als er das leise Klicken des Gurtes hörte.
Wir verließen den Krankenhausparkplatz und fuhren Richtung Innenstadt, durch die wir hindurch mussten, wenn wir zum Reservat wollten.
„Ist dir kalt?“, brach Paul schließlich das Schweigen, als wir die Stadt fast hinter uns gelassen hatten.
„Ein wenig“, gab ich zu und zog verlegen meine Hände unter meinen Oberschenkeln hervor, wo ich sie hingetan hatte, um sie zu wärmen.
„Entschuldige, ich vergesse immer, dass normale Menschen die Kälte anders empfinden.“
Ich zuckte zurück, als er einen Arm in meine Richtung ausstreckte. Paul sah mich irritiert an.
„Ich werde dir schon nicht den Kopf abreißen.“
Verlegen entspannte ich mich wieder ein wenig.
Er griff hinter meinen Sitz und beförderte eine dunkle Wolljacke zu Tage. „Hier.“
„Danke.“
Fröstelnd nahm ich die Jacke entgegen und benutzte sie als Decke. Ich fror am ganzen Körper und ich war mir nicht so sicher, ob das nur an den kühlen Temperaturen lag.
Während ich mich in die Jacke kuschelte, versuchte Paul fluchend die Heizung zum laufen zu bringen.
„Keine Ahnung, ob sie funktioniert. Hab sie noch nie benutzt“, meinte er entschuldigend.
Mittlerweile hatten wir die letzten Lichter von Forks hinter uns gelassen und befanden uns in den Wäldern.
„Das war nicht in Ordnung“, sagte Paul fast beiläufig.
„Ich weiß.“ Schuldbewusst starrte ich auf meinen Schoß.
„Du hast ihn sehr verletzt.“
„Ich weiß.“
Die Frage nach Jake brannte auf meiner Seele, aber ich wagte nicht sie zu stellen.
Es erschreckte mich, dass Paul nicht einmal wütend klang. Sein Ton erschien viel zu sachlich, eine Art, die ich von ihm, der immer ein wenig aufbrausend war, gar nicht kannte.
„Aber er wird dir verzeihen. Er kann ja nicht anders. Und das ist das Schlimmste daran.“
Auch das schien nur eine nüchterne Feststellung.
„Es tut mir leid“, brachte ich mühsam heraus und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.
„Sag das nicht mir. Sag es ihm. Und hör auf zu weinen.“ Sein Ton wurde weicher. „Bitte.“
Er hantierte an der Verkleidung der Fahrertür herum, zauberte eine Packung Papiertaschentücher hervor und reichte sie mir.
Mit mittlerweile etwas wärmeren Fingern – die Heizung funktionierte tadellos – öffnete ich die Packung, nahm mir ein Taschentuch, wischte mir die Tränen weg und putze mir die Nase.
„Besser?“
Ich nickte.
Den Rest der Fahrt verbrachten wir schweigend.
Während Paul sich auf die Straße konzentrierte, schweifte mein Blick aus dem Fenster. Ich fragte mich, ob Jake irgendwo da draußen herumirrte, doch je dunkler es wurde, desto weniger konnte ich erkennen. Letzten Endes sah ich nur noch die Spiegelung meines eigenen Gesichtes im Fenster. Schnell wandte ich mich ab und senkte die Lider. Ich ertrug es nicht, mir in die Augen zu sehen.
Erst als der Wagen stoppte, öffnete ich die Augen wieder. Wir standen vor dem kleinen Haus der Blacks. Paul hatten den Motor noch nicht ausgeschaltet, als ich schon versuchte die Tür zu öffnen.
„Warte, ich komm rüber. Die klemmt manchmal“, sagte er und hatte mir die Tür bereits geöffnet, bevor ich ihm wiedersprechen könnte. Vorsichtig stieg ich aus. Ich fühlte mich mit einem Mal sehr schwach. Der anstrengende Tag schien nun doch seinen Tribut zu fordern. Dennoch versuchte ich in der Dunkelheit zu erkennen, ob vielleicht Jakes Wagen irgendwo stand.
„Jake ist nicht hier. Er ist gleich zu Sam gefahren.“
Unfähig meinen Blick von der Umgebung zu nehmen, bis ich mich mit eigenen Augen davon überzeugt hatte, dass Jake nicht hier war, murmelte ich: „Aber er hat doch heute gar keinen Dienst.“
Ich drehte mich zu meinem Begleiter um und wollte fragen, warum Jake, denn nicht hier sei, aber bei dem Blick, den Paul mir zuwarf, blieben mir die Worte im Hals stecken.
„Oh.“ Es war mehr ein Hauchen als ein Wort.
„Ist vielleicht ganz gut so.“
„Paul, ich wollte…“
Das Knarren der Verandatür ließ mich verstummen. Die kleine Lampe neben der Tür flammte auf und Billy rollte geschickt die Rampe hinab. Er stoppte direkt vor meinen Füßen.
„Nell! Zum Glück geht es dir gut! Es geht dir doch gut?“
Sorge und Erleichterung zugleich, standen ihm gleichermaßen ins Gesicht geschrieben. Er ergriff meine klammen Hände und ich musste mir abermals Mühe geben, nicht in Tränen auszubrechen. Während Billy sich um mich sorgte und mir Wärme und Herzlichkeit entgegenbrachte, hatte ich nichts Besseres zu tun, als seinen Sohn zu beleidigen und zu verletzten.
„Mein Kopf hat was abbekommen, aber sonst bin ich okay“, murmelte ich leise und versuchte krampfhaft meine Mundwinkel nach oben zu ziehen.
„Dr. Cullen hat bereits angerufen und mir Instruktionen gegeben, du brauchst also nichts zu beschönigen“, meinte er ein wenig tadelnd, aber mit einem verschmitzten Lächeln.
Ich fühlte mich ertappt und senkte verlegen den Blick.
„Es geht schon.“
„Du siehst nicht so aus, als ob es ginge. Paul, kannst du sie bitte ins Haus bringen?“
Etwas zu schroff, schlug ich Pauls Arm weg, der gleich der Bitte von Billy hatte Folge leisten wollen.
„Entschuldige“, wisperte ich, als ich meinen Fehler bemerkte. „Danke fürs … bringen.“ Die Worte „nach Hause“ kamen mir nicht über die Lippen. Ich spürte, dass ich meine Tränen nicht länger zurückhalten konnte und stürmte, an Billy vorbei, ins Haus und schloss mich im Bad ein.
Schwer atmend ließ ich mich auf den Wannenrand nieder. Dieses Mal dauerte es eine ganze Weile, bis ich mich wieder unter Kontrolle hatte. Schließlich wusch mein Gesicht mit kühlem Wasser, ehe ich endlich meine schmutzige Arbeitskleidung auszog und in eine Jogginghose und ein Shirt schlüpfte. Zum Duschen war ich zu erschöpft. Erst dann wagte ich mich wieder in Billy’s Gesellschaft.
„Besser?“, fragte Billy ernst, als ich die Wohnküche betrat.
„Ein wenig“, antwortete ich einsilbig.
„Carlisle, hat mir nicht nur Instruktionen wegen deiner Kopfverletzung gegeben. Er hat mir auch erzählt was zwischen dir und Jake passiert ist.“
Die Schamesröte stieg mir ins Gesicht.
„Ich wollte das wirklich nicht. Ihr hab mich bei euch aufgenommen und ich … ich…“
Mir fehlten die Worte. Ich sah Billy an, in der Hoffnung er würde erkennen, sehr mir das Leid tat, was ich zu seinem Sohn gesagt hatte.
Er nickte und zog einen Stuhl ein wenig unter dem Tisch hervor.
„Komm, setz dich. Ich mach dir einen Tee.“
„Billy…“, versuchte ich mich erneut zu entschuldigen während ich Platz nahm.
„Es ist in Ordnung, Nell. Ihr habt beide einen Fehler gemacht. Du hast Jake verziehen und er wird dir verzeihen.“
„Ich hoffe es.“
Billy, der gerade Wasser aufgesetzt hatte, drehte sich zu mir um. Sein Lächeln war dem von Jake so ähnlich.
„Glaub mir. Er wird.“
Und ich glaubte ihm. Ich konnte gar nicht anders.
Billy versorgte mich mit Tee und einem Käsesandwich. Dabei beobachtete er mich mit Argusaugen. Er nahm die Anweisung von Dr. Cullen ziemlich ernst, denn kaum war ich fertig mit meiner kleinen Kräftigung, da komplementierte er mich freundlich, aber bestimmt ins Bett.
Mein Kopf pochte und mir war ein wenig schwindelig, als ich irgendwann aufwachte. Am meisten wunderte mich jedoch, dass ich überhaupt eingeschlafen war. Zuerst hatten sich meine Gedanken noch im Kreis gedreht, aber schließlich war ich doch in einen unruhigen Schlaf geglitten, der immer wieder von wirren Träumen unterbrochen worden war. Doch eines war in allen gleich gewesen: der verletzte Gesichtsausdruck von Jake. Und egal was in meinem Träumen sonst geschah, sie endeten immer wieder in diesem Moment.
Um die Leuchtziffern auf dem Wecker zu erkennen, musste ich mich konzentrieren. Die Zahlen verschwammen immer wieder vor meinen Augen. Es war früher Morgen. Bald würde Jake nach Hause kommen. An Schlaf war nun nicht mehr zu denken. Ich wollte unbedingt wach bleiben und auf ihn warten. Mit offenen Augen starrte ich in die Dunkelheit und versuchte mir die richtigen Worte zu Recht zu legen, um mich zu entschuldigen. Aber irgendwie klang es immer falsch. Mit jeder Minute die verstrich, wuchs meine Angst, dass er vielleicht gar nicht nach Hause kommen würde. Erleichtert atmete ich auf, als ich die Außentür zufallen hörte.
Schritte nährten sich meinem Zimmer. Gleich würde Jake zu mir kommen und dann würde endlich alles gut werden. Ich hielt vor Anspannung den Atem an. Die Schritte stoppten. Ich wartete.
Vergeblich. Die Tür öffnete sich nicht. Mit weit geöffneten Augen, starrte ich in die Nacht. Der angehaltene Atem löste sich aus meinen Lungen und endete in einem Schluchzen. All die Tränen, die ich unterdrückt hatte, bahnten sich einen Weg aus meinen Augen. Zuerst langsam. Einzelne feuchte Tropfen auf meinen Wagen. Dann brachen alle Dämme.
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