Forks Bloodbank
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Pokerface // 2 Kapitel sind on

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Pokerface // 2 Kapitel sind on Empty Pokerface // 2 Kapitel sind on

Beitrag  Gast So 02 Nov 2008, 14:30

Pokerface // 2 Kapitel sind on Pokerf10

Für Rolli
und
Ruthi, Ursula W. und die anderen Kinder und für die Erwachsenen (verstorben im zweiten Weltkrieg; Deportation)



Hier geht's zum Commentboard für meine story
.Hoffe auf feedback.



Und als Carmen den Kopf hob und zur Decke empor schaute, jedes einzelne Geräusch wahrnahm, das Atmen der Leute, die sie und die Leiche ihres Vaters umringten, das verzweifelte Schluchzen ihrer armen Mutter, das unruhige Wiehern Trouts, das Tapsen winziger Mäusefühße unter den Dielen, die Balken, wie sie sich ächzend unter dem Dach aufgrund des Sturms bogen, fasste sie einen Entschluss. Den Entschluss, Rache an denen zu nehmen, die für den Tod ihres Vaters verantwortlich waren. Für den Tag, an dem ihr Leben zerbrach, für ihren Vater.


Prolog



Mrs. Walker füllte gerade einen Schoppen Bier während ihre Tochter, Carmen Walker den Tresen wischte. Das Geschäft der Bar brummte und die Geräuschkulisse hatte durch das Stimmengewirr ein Ausmaß wie noch nie.
Es war ein düsterer Tag und dunkle Wolken brauten sich zusammen, als wollten sie etwas ankündigen, etwas, das das Leben aller verändern sollte. Carmen ging nur kurz hinaus um ihre Stute Trout zu beruhigen, die sehr unruhig zu sein schien. Kaum hatte Carmen einen Fuß auf die Straße gesetzt, spürte sie, dass etwas in der Luft lag. Am liebsten wollte sie wieder in den Saloon gehen und mit den anderen lachen, die von dem herannahenden Sturm nichts ahnten, doch sie musste zuerst Trout in ihren Stall bringen.
Vorsichtig band sie das Pferd los und führte es in seine Box. Sie tätschelte Trouts Hals und redete beruhigend auf sie ein.
„Schsch. Es ist ja alles gut! Du brauchst keine Angst zu haben“, flüstere Carmen in Trouts Ohr. Langsam schien die Stute zu begreifen, dass ihr hier keine Gefahr drohte.
Jetzt war das Prasseln von Regen auf dem Dach des Stalls zu hören. Carmen rannte so schnell es ging wieder in den warmen Saloon, wo sie Billy, den fetten, alten Taugenichts schon von Weitem lachen hörte: „Hahaha, drei Asse! Das nenne ich ein gutes Blatt, ein verdammt gutes!“
„Ts, dieser alte Schummler“, murmelte Mrs. Walker kopfschüttelnd als ihre Tochter wieder hinter der Theke stand.
Die Tür schwang auf und Carmens Verlobter kam herein.
„Gregory, mein Liebster, du bist ja völlig durchnässt!“, rief sie und eilte zu ihm. Sie nahm ihm den Mantel ab und hängte ihn an die Garderobe.
„Hier, mein Lieber“, sagte Carmen und stellte eine Flasche Whiskey vor Gregory Loveguard auf den Tisch. Er nahm sofort einen großen Schluck von dem Alkohol. Carmen zerzauste ihm liebevoll das schwarze Haar. Er grinste und gab ihr einen Kuss auf die Stirn, welcher bewirkte, dass ihr Herz einen Tick schneller schlug.
Gregory sah sie an und wie so oft verzauberte ihn ihr unschuldiges, naives Grinsen, dass ihm gleich wohlig warm ums Herz wurde und ihn schnell vergessen ließ, dass er vor einer Minute noch im nassen kalten Regen gestanden hatte.
Seit fünfzehn Jahren lebte Carmen nun hier und seit sie denken konnte, seit fünfzehn Jahren, war der Saloon im Besitz ihrer Familie gewesen. Vor fünfzehn Jahren, als sie geboren wurde, war alles schon genau so, wie es auch heute noch war.
„Tja, ich muss jetzt wieder meinen Eltern helfen“, seufzte sie.
„Kein Problem, Carmen.“
Carmen ging zurück zu ihrer Mutter und spülte die benutzten Gläser.
Mr. Walker kam die Treppe herunter und legte seiner Tochter beide Hände auf die Schultern.
„Ich sehe, dein Zukünftiger ist da. Hm, so schnell kann's gehen. Bald ist meine Kleine aus dem Haus.“
Carmen lachte.
„Ach, Vater. Ich bin immer noch deine Tochter!“
„Das weiß ich doch, mein Goldstück.“
Mr. Walker zog seine Tochter zu sich. Carmen schlang ihre Arme ganz fest um ihren Vater und drückte ihr Gesicht in sein nach frischem Stroh riechendes Hemd.
Plötzlich war lautes Geschrei von hinten zu vernehmen. Zwei Männer waren aufgestanden und alles deutete auf eine bevorstehende Prügelei hin.
„Hey, wenn, dann regelt das draußen auf der Straße, aber nicht in meinem Saloon!“, wies Mr. Walker die beiden zurecht.
„Gut“, sagte der größere Mann der beiden Streithähne gefährlich ruhig.
„Gut“,erwiderte der andere. Man merkte ihm sofort an, dass er ordentlich getrunken hatte.
Sie beide waren sich des Sieges gewiss, doch einer irrte sich. Oder auch nicht.
Die Männer stürmten nach draußen. Um sie herum tummelten sich schon die Menschenmassen um die Schießerei mit ansehen zu können.
Carmen hatte so etwas erst zwei Mal mit bekommen und sie wollte kein drittes Mal zuschauen. Ihre Eltern und einige der Gäste im Saloon blieben auch lieber drin wegen dem Unwetter, das draußen wütete.
Einige Zeit später kam der größere Mann zurück in die Bar und setzte sich mit ernstem Gesicht an den Tresen, wo er sofort ein Bier ausgeschenkt bekam.
„Hat gezappelt wie ein Fisch, als er da am Boden lag.“
Alle lachten, Carmen mit ihnen.
„Aber er war es nicht wert“, sagte der Kerl mit seiner rauen Stimme.
Kurz darauf kam sein noch lebendiger Gegner wieder in den Saloon. Sein Rivale drehte sich langsam auf seinem Hocker zu ihm um und fragte: „Was suchst du noch hier, Seth?“
Seth lachte beschwipst und torkelte ein paar Schritte vorwärts und zog seine Pistole. Sein Gegner tat es ihm gleich. Der Betrunkene kicherte wieder und hob die Waffe. Er drückte ab.
Carmen schrie auf als Mr. Walker zu Boden ging und sich eine Blutlache um seinen Kopf bildete.
Sie beugte sich über ihn und hielt weinend seinen Kopf in den Händen.
„Vater, Vater!“, schrie sie, so laut sie konnte, dass er sie auch ja hörte.
Sie stand auf und blickte sich suchend um, doch der Mörder ihres Vaters hatte sich schon aus dem Staub gemacht.
„Warum haben sie ihn nicht erschossen?“, schrie sie den Mann an, der an der Stelle ihres Vaters hätte sein sollen. Dieser zuckte nur die Schultern.
„Ich wusste, dass er nicht trifft. Der Kerl war so besoffen.“
„Warum haben sie ihn entkommen lassen?“ Er lachte verächtlich.
Schluchzend kniete Carmen sich wieder neben Mr. Walker. Gerade hatte sie ihn noch umarmt und jetzt war er tot. Was hatte er getan, dass er so etwas verdiente. Und was hatte sie getan, dass man ihr so etwas antat?
Und als Carmen den Kopf hob und zur Decke empor schaute, jedes einzelne Geräusch wahrnahm, das Atmen der Leute, die sie und die Leiche ihres Vaters umringten, das verzweifelte Schluchzen ihrer armen Mutter, das unruhige Wiehern Trouts, das Tapsen winziger Mäusefühße unter den Dielen, die Balken, wie sie sich ächzend unter dem Dach aufgrund des Sturms bogen, fasste sie einen Entschluss. Den Entschluss, Rache an denen zu nehmen, die für den Tod ihres Vaters verantwortlich waren. Für den Tag, an dem ihr Leben zerbrach, für ihren Vater.


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Pokerface // 2 Kapitel sind on Empty Carmen // 1 Kapitel ist on

Beitrag  Gast Fr 09 Jan 2009, 21:22

Pokerface // 2 Kapitel sind on Zeiten11

Zeiten ändern sich


Carmen packte ihre neuen Schulbücher in ihre Tasche und machte sich auf den Weg zur Sheldon High School. Seit fast einem Jahr besuchte sie nun diese Schule und war Klassenbeste, was jedoch keine große Kunst war, wenn man über ein extrem viel höheres Konzentrationsvermögen verfügte als die ganze Schule.
Alle Aufgaben und Tests waren einfach und Carmen gab ihr Blatt meistens schon nach zehn Minuten oder einer Viertelstunde ab. Manchmal auch schon nach fünf Minuten. Zunächst waren ihre Lehrer sehr überrascht von der neuen Schülerin, doch inzwischen wunderten ihre guten Noten niemanden mehr.
Keiner nannte sie je einen Streber und Carmen war froh darüber, doch insgeheim wusste sie, dass es das war, was sie alle über sie dachten. Noch hatte sie die Chance, diesen Ruf loszuwerden, bevor er unwiderruflich an ihr haftete, bis sie die High School überstanden hatte. Und sie hatte fest vor, sich ein gutes Image aufzubauen.
Während sie die Straßen entlangfuhr und darüber nachdachte, wie gern sie wieder in Texas, ihrer geliebten Heimat, wäre, hörte wie von weit her das Wiehern eines Pferdes. Es war noch zu weit weg, als dass es gewöhnliche Menschen hätten hören können, doch sie war sich sicher, dass es Trout war. Trout war ihr der bester Freund gewesen, den sie je gehabt hatte. Die Stute hatte ihr immer beigestanden, egal, wie schlimm die Dinge standen. Ihrer Meinung nach war das Pferd der beste Freund des Menschen und nicht der Hund. Während sie so darüber nachdachte, hörte sie wieder dieses vertraute Wiehern und das Geklapper von Hufen auf der gepflasterten Straße.
Sie musste nur weiterfahren und abwarten, bis sich ihr und Trouts Weg kreuzten. Dann wären sie endlich wieder zusammen. Carmen hatte doch nichts mehr außer eine Taschenuhr von früher, und selbst die war schon kaputt.
Aber das konnte unmöglich Trout sein. Trout war tot, so wie alle, die sie einmal geliebt hatte. Nur sie war dazu verdammt, mit ansehen zu müssen, wie alle Menschen um sie herum starben. Sie war dazu verdammt, ihnen ihr Blut abzuzapfen während sie wehrlos waren. Immerhin war sie nicht gezwungen, zu töten, wie es lange vor ihrer Zeit üblich war. Man hatte sich damals keine Gedanken über die Opfer gemacht und handelte schlicht nach dem Motto „Des einen Leid ist des anderen Freud“.
Carmen hasste es, wenn die Leute so dachten. Es war undankbar. Aber was konnte sie schon tun. Die Welt war ein einziges Chaos wofür sich keine Menschenseele interessierte. Durch ihr Streben nach Luxus war die Menschheit nur noch eine leere Hülle ihrer selbst. Und das machte Carmen traurig und wütend zugleich.
Normalerweise war sie sehr sanftmütig, doch wenn es um solche Dinge ging, war sie nicht mehr zu bremsen, außer ihre Traurigkeit überwältigte sie.
Oft saß sie weinend in ihrem kleinen Appartement und bereute es, so töricht gewesen zu sein und sich auf Mayu eingelassen zu haben. Was hatte sie sich dabei gedacht? Garnichts, das hatte sie sich dabei gedacht. Wer in einer Notsituation würde nicht direkt jedem vertrauen, der einem auch nur die kleinste Hilfe anbot?
Carmens Gedankengänge wurden durch das Schrillen der Schulglocke unterbrochen. Sie hielt nun auf dem Parkplatz und musste sich beeilen, um noch rechtzeitig zum Unterricht zu kommen.
In der ersten Stunde hatte sie Englisch bei Mr. Barker. Sie eilte ins Schulhaus und erklomm die vielen Treppen zum obersten Geschoss der Sheldon High. Sie lief den Gang entlang und konnte leises Geraschel von Blättern in den einzelnen Klassenzimmern, in denen der Unterricht schon begonnen hatte. Schnell fand sie sich vor Saal 311 wieder. Mit der kurz gemurmelten Entschuldigung, ihr Wecker hätte sie nicht geweckt, quetschte sie sich zwischen den engstehenden Bänken hindurch und steuerte auf einen leeren Platz in der letzten Reihe zu. Als Carmen dabei an Joanna und dem unbesetzten Stuhl ganz vorne – der ihrer Meinung nach hätte besetzt sein sollen – vorbeikam, musste sie unwillkürlich an ihren ersten Schultag denken. Die Vorstellung erheiterte sie ein wenig.

„Wir haben eine neue Schülerin. Würden Sie sich bitte vorstellen?“, hatte Mr. Barker verkündet.
„Hallo, ich bin Carmen Loveguard und bin gerade von Victoria, Texas hierher nach Sheldon gezogen.“ Carmen ging ans hintere Ende des Raums und setzte sich an den einzigen freien Platz. Im Vorbeigehen spürte sie die neugierigen Blicke ihrer zukünftigen Mitschüler im Rücken. Damit hatte sie gerechnet, dass sie gleich von ihnen in die Schublade der Anderen gesteckt werden würde.
Das blonde Mädchen vor ihr drehte sich um und starrte sie einen Moment lang an. Sie hatte ein recht hübsches, herzförmiges Gesicht.
Bei bestimmten Menschen konnte Carmen spüren, was sie gerade dachten. Diese Leute waren meist schwach oder sehr offen. Das blonde Mädchen hatte jedenfalls sofort gemerkt, dass etwas an Carmen anders war. Ihr starkes Auftreten, ihr Selbstbewusstsein und ihre Schönheit hatten sie schwer beeindruckt. Sie hatte gesagt: „Ich bin Carmen Loveguard“ und nicht: „Ich heiße Carmen Loveguard“, was ein Zeichen von Stärke war. Vielleicht hatte Carmen ja doch eine Chance, dazuzugehören.

In der Cafeteria gab es nur Fastfood. Carmen nahm sich einen Pudding und setzte sich damit an einen unbesetzten Tisch. Sie hatte nicht viel Hunger; in der letzten Nacht war sie jagen gewesen. Außerdem hätte normales Essen sowieso nicht ausgereicht, um sie satt zu machen. Es hätte sie nur ermüdet.
Sie bemerkte Schritte, die sich von hinten näherten. Doch sie wollte sich nicht die Blöße geben und sich umdrehen, womöglich wäre dann irgendein dummer Spruch gekommen. Willst du Grausamkeiten erleben? Dann geh an eine Schule oder in den Kindergarten.
Als sich jemand auf die gegenüberliegende Seite des Tischs setzte, hob sie nicht einmal den Kopf, jedoch konnte sie erkennen, das es ein Junge war. Und sie konnte ihn riechen. Er roch gut. Nach Pfirsichen.
Schon wieder spürte sie die Blicke der anderen im Rücken. Doch diesmal waren sie nicht neugierig sondern belustigt oder angespannt.
„Du bist also die Neue, hm?“, kam es vom anderen Tischende.
Carmen stieß den Löffel in ihren Pudding. „Ja“, antwortete sie und schob sich den das Häufchen grüne Pampe in den Mund.
Ein paar Jungs lachten. Auch der Junge, der Carmen angesprochen hatte lachte leise. Sie schnaubte, stand auf und nahm ihr Tablett. Der Junge erhob sich ebenfalls.
„Warte, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, tut mir leid. Ich bin Jensen“, sagte er und streckte ihr die Hand hin.
Sie ging nicht darauf ein und schüttelte seine Hand nicht. Stattdessen sagte sie nur:“Hi.“
Wieder war von hinten Gelächter zu vernehmen. Carmen kannte Aufreißer wie Jensen. Von solchen Typen hielt sie sich fern. Sie verschwand aus der Tür und konnte noch hören, wie jemand rief:“He, Bellos, hat's diesmal nicht so gut geklappt?“ Daraufhin folgte wieder lautes Gelächter.
Jensen Bellos war eindeutig eine der beliebtesten Personen hier. Das verriet auch sein Selbstbewusstsein. Er wusste, dass er unglaublich gut aussah und jedes Mädchen an der Schule ihn haben wollte. Das alles wusste Carmen, weil sie nicht spüren konnte, was er fühlte.
Allerdings konnte sie spüren, dass er sich sehr stark zu ihr hingezogen fühlte. Allem Anschein nach sollte sie die nächste auf seiner langen Liste werden.
Doch aus irgendeinem Grund war er ihr sympathisch. Sie hoffte, dass sie mindestens einen Kurs zusammen hatten.
Ihr Wunsch sollte erfüllt werden. In der letzten Stunde hatte sie Mathematik und wie der Zufall es so wollte, saß Jensen schon an einem Platz. Carmen setzte sich direkt hinter ihn. So hatte sie ihn immer im Blick. Er sah wirklich besser aus als jeder Mann, der ihr jemals begegnet war. Und er roch so gut nach Pfirsichen. Und ein wenig nach Honig. Und ein wenig, nur ein ganz klein wenig, nach Vanille.
Als die Schulglocke den Unterricht beendete, stand Carmen auf und versperrte Jensen den Weg durch die Tür in den Korridor. Er lächelte selbstgefällig, dass sie es gleich bereute, doch jetzt konnte sie sich keine Rückzieher mehr machen, das hätte komisch ausgesehen, und sie wollte es sich nicht gleich am ersten Tag mit ihrem Ruf verscherzen. Beinah hätte sie gelacht. Seit wann interessierte es sie, was andere von ihr hielten. Aber da sie entschlossen hatte, zu versuchen, so zu leben wie die Leute hier es von ihr erwarteten, konnte sie es sich nicht leisten, sich alles zu versauen, indem sie sich seltsam benahm. Sie hatte vor, nicht aufzufallen, sich aber dennoch eine Art Image aufzubauen.
Sie atmete tief ein, ließ die Luft langsam entweichen und sagte: „Hör zu, ich bin neu hier und kann mich hier noch nicht so gut einfinden, also-“
„Soll ich dich ein wenig herumführen“, beendete Jensen ihre angebrochene Rede. Seine selbstgefällige Art trieb sie fast in den Wahnsinn. Doch irgendwie faszinierte er sie auch. Carmen schnaubte. Er hatte genau die Worte ausgesprochen, die sie sagen wollte. Jetzt durfte sie ihm nicht Recht geben. Es war wie ein Kampf. Sie lächelte unschuldig.
„Nein, eigentlich stand mir der Sinn danach, dich zu fragen ob du mich nicht einladen willst, mit dir etwas trinken zu gehen.“
Zuerst wirkte er etwas perplex, fasste sich dann aber schnell wieder.
„Sicher, wie wäre es mit jetzt gleich?“, fragte er in einem Tonfall, als würde er sich gleich vor Carmen verbeugen, doch er hielt ihr nur die Tür auf. Sie schritt an ihm vorbei in den Korridor und ging auf den Ausgang der Schule zu. Jensen lief ihr hinterher. In diesem Moment war sie sich sicher, dass er einem Mädchen so noch nie hinterher gelaufen war. Es musste eher umgekehrt gewesen sein.
„Warum nicht“, sagte sie, seinen selbstgefälligen Tonfall nachahmend.
Abrupt blieb sie stehen, als sie bemerkte, dass jemand draußen vor der Glastür stand. Es war eine schwarzhaarige Frau und als Carmen genauer hinschaute, bemerkte sie, dass es eine Asiatin war, die sie unentwegt anstarrte. Zweifellos war es Mayu. Plötzlich war sie jedoch weg. Carmen musste sich geirrt haben.
„Okay“, sagte Jensen, als er sie eingeholt hatte. „Ich fahr dich.“ Er wedelte mit seinem Schlüsselbund vor ihrer Nase herum.


Zuletzt von rayne cullen am Fr 27 März 2009, 16:28 bearbeitet; insgesamt 4-mal bearbeitet

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Pokerface // 2 Kapitel sind on Empty Carmen // 1 Kapitel ist on

Beitrag  Gast Fr 09 Jan 2009, 21:22

Englisch zog an Carmen vorbei, wie der restliche Schultag. Nach Schulschluss stieg sie ihren gebrauchten BMW, den sie erst kürzlich erworben hatte. Ihr Wagen wäre nicht gebraucht, nicht so ramponiert und wesentlich luxuriöser gewesen, hätte sie es geschickter angestellt, wie einige andere ihrer Art. Immerhin konnte sie sich jetzt endlich den aufdringlichen Blicken der Fahrgäste im Bus entziehen. Sie ließ den Motor an und lenkte das Auto auf die Straße.
Bald erreichte sie den Häuserblock in der Union Avenue, in dem sie wohnte. Sie schaute an der Wand hoch zum vierten Stock, wo sie ihre kleine Zwei-Zimmer-Wohnung hatte. Da war ein Schatten hinter dem weißen Vorhang gewesen, ganz sicher. Er war kurz vorbeigehuscht. Carmen wusste, dass sie sich nicht täuschte. Sie stieg aus dem Wagen und machte sich auf den Weg in ihre Wohnung. Vor der Tür blieb sie stehen und lauschte. Nichts war zu hören. Da konnte niemand sein, sonst würde sie ihn wahrnehmen. Außer es war kein menschliches Lebewesen oder eins, dessen Herz noch schlug.
Entschieden öffnete Carmen die Tür. Lautlos ging sie zum Badezimmer. Sie stieß die Tür auf und blickte sich suchend um. Da war niemand. Sie arbeitete sich vom Schlafzimmer bis zur Küche vor, wo sie ebenfalls keine Menschenseele fand. Jetzt blieb nur noch das Wohnzimmer. Carmen trat vorsichtig über die Schwelle. Sie wusste nicht, ob sie Angst haben oder sie sich dem stellen sollte, was dort auf sie wartete. Auf der Couch saß niemand. Da war schon wieder ein Schatten an ihr vorbeigehuscht. Dann nahm sie diesen Geruch wahr. Diesen leicht süßlichen Geruch. Menschenblut.
„Mayu!“, rief Carmen.
„Das hat aber lange gedauert, mein Kind“, kam es von der hinteren Ecke im Raum, wo eine hübsche Asiatin gerade Carmens Bilder in Augenschein nahm.
„Ich bin nicht dein Kind“, sagte Carmen scharf
„Nana, das würde ich nicht so sagen. Wem hast du denn dein Leben zu verdanken?“
„Das nennst du Leben?“
„Nun ja, ...“
„Was willst du, sag schon.“ Ohne auf die Aufforderung zu achten, nahm Mayu ein Foto in verschnörkeltem Bilderrahmen in die Hand, hob es hoch und sagte: „Ah, die Hochzeit mit Greg, damals. Schon lange her, was. Wie oft warst du jetzt schon verheiratet? Zweimal, oder? Ach, nein, ich vergaß – dein letzter Verehrer ist ja von uns gegangen, bevor er die Gelegenheit hatte, seine Träume für die Zukunft mit dir dir zu verwirklichen – wie dumm von mir. Tja, zu schade.“
„Bitte, was?“, fragte Carmen perplex.
„Ganz recht, Liebes. Er wollte dir einen Antrag machen. Der zweite Oktober 1951 sollte der entscheidende Tag sein, aber dann kam ja ich-“
„Hör auf!“, schrie Carmen.
„Verzeih bitte, es lag nicht in meiner Absicht, alte Wunden aufzureißen. Lass mich den Anlass meines plötzlichen Auftauchens erklären.“
„Komm zum Punkt“, zischte Carmen energisch durch ihre zusammengebissene Zähne.
„Weißt du noch, früher in Texas? Da wolltest du doch, dass wir gemeinsame Sache machen, oder irre ich mich?“
„Du hast abgelehnt und dabei bleibt es.“
„Nein, jetzt erachte ich es als eine vorteilhafte Sache. Gemeinsam sind wir stark. Allein nur schwach. In Notsituationen würde dir keiner zu Hilfe kommen.“
„Meine Rede.“
„Erstaunlich, dass ich sie mir nach all den Jahren noch merken kann, nicht wahr?“
„Allerdings. Jedoch habe ich meine Meinung darüber geändert.“
„Unsere Zusammenarbeit wäre von enormem Vorteil. Die Anzahl der Jäger ist stetig gestiegen. Angenommen, einer erwischt dich, wie kommst du aus der Sache heil wieder heraus? Ich werde dir bestimmt nicht helfen.“
„Ich bin ohnehin sehr vorsichtig.“
„Die Jäger auch.“
„Und wenn ich ihnen erkläre, dass ich keine Menschen töte?“
„Trotzdem werden sie dich vernichten. Sie wollen, dass keiner von uns überlebt und die Welt endlich 'gereinigt' ist. Da können sie lange warten. Abgesehen davon saugst du die Menschen aus, nachdem du sie gebissen hast. Diese Überlebenstaktik gilt streng genommen als Körperverletzung. Wir sollten gegen die Jäger vorgehen. Sonst sterben wir noch aus.“
„Und was schlägst du vor, zu unternehmen?“
„Sie aus dem Weg räumen.“ Mayu sagte das so leichtfertig, als plane sie, einen Waldspaziergang zu machen.
„Aber das wäre Mord! Tut mir leid, ich würde ja nie mit dir zusammenarbeiten, da ich dich schon für sehr grausam hielt. Aber zu erwarten, dass ich bei so etwas mitmache, ist wirklich das Allerletzte. Mach, was du willst, aber halt mich daraus.“
„Nun, das ist aber sehr schade.“
„So leicht gibst du doch nicht auf, oder?“
„Mir scheint, du kennst mich wohl nicht allzu gut. Glaub mir, das war erst der Anfang.“
So schnell wie sie gekommen war, war Mayu auch verschwunden.

*


In dieser Nacht schlief Carmen schlecht. Sie lag noch lange wach und als sie endlich einschlief, wachte sie bald wieder schweißgebadet wegen eines Albtraums auf. Schlechte Träume quälten sie unentwegt weiter, bis der schönste kam, den sie je geräumt hatte.
Dean und Carmen lagen auf einer Blumenwiese. Er strich ihr durchs Haar und setzte sein Lächeln auf, das Carmen so liebte. Sie schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken um ihr Gesicht im Sonnenlicht zu baden. Dean pflückte eine Butterblume ab und steckte sie in ihr geschmeidiges, welliges, schwarzes Haar. Sie kicherte und fühlte sich wieder wie fünfzehn.
Er nahm ihre Hand und holte etwas kleines glänzendes hervor. Er steckte es an den Ringfinger ihrer linken Hand. Als Carmen die Hand hob und sie näher ans Gesicht hielt, bemerkte sie, dass es ein wunderschöner Ring war. Ein Rand war bronzefarben und breit, der andere silber und schmal. Eine Reihe kleiner, in der Sonne glitzernder Diamanten trennte beide Seiten. Er musste ein kleines Vermögen dafür ausgegeben haben. Verwundert starrte sie ihn an.
„Den wollte ich dir eigentlich geben, damals, als...“. Dean brach ab.
„Es war Mayu. Sie ist eine widerwärtige aber mächtige Vampirin. Sie hat mich verwandelt. Ich weiß auch nicht genau, warum sie dich … angegriffen hat, aber eines ist sicher: Sie macht das oft und es bereitet ihr Freude“, sagte Carmen und verzog angewidert das Gesicht.
Dann fiel ihr wieder der Ring ein.
„Er ist wunderschön“,flüsterte sie und strich ihm zärtlich mit dem Handrücken über die Wange. Er war entzückt und strahlte wie ein Kind. Carmen sah ihn durchdringend an.
„Ja“, sagte sie.
„Was?“ Er war verwirrt.
„Ja, ich will mein Leben mit dir verbringen.“
Dean lachte und nahm sie in den Arm. Er seufzte. „Wenn alles so einfach wäre.“ Carmen entzog sich seiner Umarmung und blickte ihn stirnrunzelnd an. „Wie meinst du das?“
„Na, irgendwann wirst du aufwachen und mich verlassen müssen.“
Kaum hatte er das gesagt, fand sich Carmen in ihrem dunklen Schlafzimmer wieder. Kurz darauf klingelte ihr Wecker. Es war an der Zeit, aufzustehen. Carmen stellte sich unter die Dusche und lies das kalte Wasser an ihrem Körper herunterlaufen. Sie fühlte sich wie ein unbeweglicher alter Stein, der schon mit Moos bewachsen war, als das eiskalte Wasser an ihr hinunterrann.
Als sie aus der Dusche kam und sich gerade ein Handtuch umhängen wollte, erhaschte sie aus dem Augenwinkel ihr Spiegelbild in dem kleinen Badezimmerspiegel. Sie trat näher heran und blickte sich selbst an. Ihre Gedanken kreisten um so viele Dinge, doch vor allem darum, dass sie unbeschreiblich schön war. Sie hatte ausdrucksstarke eisblaue Augen und wunderbares glänzendes, schwarzes Haar, das sich wellte. Ihre Nase war nahezu perfekt und abgesehen davon hatte sie dunkle volle Lippen sowie hohe Wangenknochen. Außerdem hatte ihre weiche Haut einen makellosen Porzellanteint angenommen, seit sie „geboren“ worden war. Und dann war da noch ihr Körper. Die Beine waren lang, der Bauch flach und sie war rundum wohl proportioniert. Eine Traumfigur, für die jedes Mädchen glatt ohne mit der Wimper zu zucken seine Seele verkaufen würde.
Wäre Carmen in diesem Jahrhundert geboren worden, wäre sie nun vermutlich ein Star an der Sheldon High. Das alles konnte sie auch jetzt haben, vorausgesetzt sie wollte es. Doch sie wollte es nicht. Sie wollte nicht um jeden Preis auffallen, so wie die anderen. Wollte keine zahllosen Verehrer, keine kitschigen Liebesbriefe in ihrem Spind vorfinden, so wie die anderen Mädchen.
Sie wollte nur einen Verehrer. „Dean“, flüsterte sie durch ihre leicht geöffneten Lippen.
Sie hatte keine Lust mehr auf dieses langweilige normale Leben. Lieber wollte sie wieder ihr noch langweiligeres Leben, soweit man das so nennen konnte, unter der Erde in der Dunkelheit zurück. Sie konnte und wollte nicht mehr so viel Kraft verschwenden, also ließ sie sich einfach gehen und ließ los.
Es gab kein Geräusch als Carmen in sich zusammensackte. Wie ein lebloser alter Sack, der schon so oft geflickt und gestopft wurde, dadurch umso schöner aussah, dafür aber nicht mehr reißfest genug für neue Belastungen war. Oder alte.

*


„Du warst gestern nicht da.“
„Ganz recht.“
„Hmmmm.“
„Jo, was willst du? Lass mich doch einfach mal in Ruhe.“ Joanna sah Carmen trotzig an und bemühte sich, nicht zu blinzeln, als diese wütend zurückstarrte. Lange konnte sie Carmens scharfem Blick jedoch nicht standhalten und senkte beschämt den Kopf. Carmen blickte ebenfalls nach unten.
„Warst du krank?“, fragte sie. Ihre quirlige Arte reizte Carmen. Sie schnaubte.
„Ja, ich war krank.“
„Du warst krank?“ Es klang nicht wie eine Frage sondern eher ungläubig und ironisch.
„Es ging mir nicht sehr gut.“
„Dir geht es immer gut. Du bist nie krank.“
„Jeder ist von Zeit zu Zeit krank“, sagte Carmen sachlich und gleichzeitig so, als erkläre sie einem kleinen Kind, wie man mit Messer und Gabel isst.
„Du nicht“, erwiderte Joanna hartnäckig.
„Doch, ob du es glaubst oder nicht, selbst ich werde krank. Als ich fünf war hatte ich sogar mal die Grippe.“
Jo runzelte die Stirn und sah ihre Mitschülerin durchdringend an.
Es läutete zum Ende des langweiligen Schultages. Carmen stand auf und warf ihre Bücher in die Tasche, welche sie sich umhängte. Joanna war schon längst zum Ausgang gestürzt und hatte in ihrer Hast ihr Chemiebuch vergessen. Carmen schnappte es sich und eilte ihrer Freundin hinterher. „Jo!“, rief sie. Joanna blieb stehen und drehte sich um. Es dauerte nicht lange, bis sie Carmen in dem Gedränge der aus dem Schulhaus stürmenden Jungen und Mädchen erkannte.
„Du hast dein Buch vergessen“, sagte Carmen, keineswegs außer Atem, wie es bei ihrem Eiltempo eigentlich hätte der Fall sein sollen.
„Oh, wie dumm von mir. Danke, Carmen!“
Plötzlich hatte Carmen das Gefühl, akzeptiert zu werden. Jo hatte ihr ohne nachzudenken leichthin gedankt, ganz selbstverständlich. Ein warmes Glücksgefühl breitete sich in Carmen aus.
„Carmen, alles okay?“ Jo wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum und riss sie damit aus ihren Gedanken.
„Was... Äh, ja,ja, alles in Ordung.“ Carmen gab Jo ihr Buch.
„Oh, schöner Ring“, sagte sie und war damit auch schon in den Menschenmassen verschwunden.
Carmen stand da und starrte ausdruckslos auf den Ring an ihrer linken Hand, der auf der einen Seite bronzefarben, auf der anderen silber und in der Mitte von einer Reihe aus kleinen Diamanten durchzogen war


Zuletzt von rayne cullen am So 26 Apr 2009, 11:18 bearbeitet; insgesamt 2-mal bearbeitet

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Pokerface // 2 Kapitel sind on Empty Re: Pokerface // 2 Kapitel sind on

Beitrag  Gast So 22 März 2009, 20:51

Pokerface // 2 Kapitel sind on Letsda10

Let's dance


Schnell machte Carmen sich auf den Weg zu dem überfüllten Parkplatz der Schule. Jo war nett. Sie war eine richtige Freundin für Carmen geworden. Es war zwar eher eine oberflächliche Freundschaft, aber es war immerhin eine. Nun war sie fast ein ganzes Jahr an der Sheldon High und gehörte immer noch nicht dazu. Sie hing nie mit den selben Leuten herum, wie es üblich war, gehörte keiner speziellen Clique an und hatte, wenn man Jo nicht mitzählte, noch keine einzige Freundschaft geschlossen. Naja, vielleicht muss ich einfach noch ein bisschen warm werden und wahrscheinlich brauche ich mehr Zeit, um mich einzuleben, dachte sie.
Doch als Carmen in ihrer kleinen Wohnung ankam war sie fest entschlossen, sich nun endgültig in das Treiben, das an der High School, zu involvieren.
Sie ging zum Kühlschrank und nahm eine Flasche mit roter Flüssigkeit heraus. Man hätte meinen können, es sei Johannisbeerensaft oder etwas in der Art, doch das war es nicht. Es war Blut, angeliefert aus der Blutbank. Ein paar mal im Jahr bekam Carmen einige Flaschen geliefert. Heute hatte sie Lust auf etwas ausgefallenes. Sie brühte sich heißen Kaffee auf und gab etwas Blut hinzu. Vorsichtig probierte sie das Gemisch. Es schmeckte wesentlich besser als sie erwartet hatte. Nachdem sie noch einen Schluck genommen hatte, stürzte sie das Zeug begierig hinunter. Sie hatte gar nicht gemerkt wie hungrig sie eigentlich war.
Carmen beschloss, dass es an der Zeit war, wieder auf die Jagd zu gehen. Sie stellte die leere Kaffeetasse in die Spüle und die Flasche Blut wieder in den Kühlschrank zurück.
Es war schon fast dunkel. Perfekt. Carmen ging ins Schlafzimmer und nahm eine bewegungslose Position vor dem Fenster ein. Dann spürte sie, wie sie langsam körperlos wurde. Arme, Beine, Hände, Füße und die restlichen Glieder schienen zu einer dichten, schwarzen Wolke zu verschwimmen. Die Wolke explodierte scheinbar zu unzähligen Staubpartikeln ohne den geringsten Laut zu verursachen. Schließlich verschwand sie durch die Lücke zwischen Fensterrahmen und Fensterbank.
Sheldon lag ruhig und friedlich im Zwielicht da, hier und da tummelten sich noch ein paar Menschen auf den Straßen und das Klappern der Läden, die geschlossen wurden, hallte in den Gassen wider. Und wenn man ganz genau hinsah, konnte man einen schwarzen Schatten, der zu dunkel war um Rauch zu sein, durch die Straßen ziehen sehen. Friedlich schien er sich vom Wind treiben zu lassen und erkundete die Oak Street. Niemand wäre auf die Idee gekommen, das schwarze Etwas würde ein Eigenleben führen.
Losgelöst glitt Carmen die Oak Street entlang. Mal lies sie sich treiben, mal raste sie und zerschnitt mühelos die Luft. Es war ein unglaubliches Gefühl, ohne Körper zu sein und alles tun und lassen zu können. Man konnte unsichtbar an jeden Ort gelangen, der einem gerade beliebte, man war nicht da, aber doch anwesend, man konnte nichts fühlen, hatte keine Schmerzen, und doch spürte man ganz deutlich, wie die kühle Nachtluft einen frostig umarmte. Man bestand aus tausend kleinen Körperchen, die scheinbar schwach mit den anderen mitzogen. Doch sie waren stärker denn je, man selbst war stark und es waren keinerlei Grenzen gesetzt.
Nun war die Nacht hereingebrochen und die letzten Menschen gingen nach Hause, machten zu zweit noch einen romantischen Spaziergang im Park oder feierten mit den Leuten, die sie mehr oder weniger Freunde nannten, in Kneipen. Hier in der Oak Street machte niemand die Nacht zum Tag. In einigen Häusern brannte noch Licht, in anderen wurde es gerade gelöscht.
Carmen kauerte, immer noch in Gestalt eines schwarzen Schattens, unter einem Fenster, das sich im ersten Stock des dazugehörigen Hauses befand. Von dort aus wehte ein unheimlich köstlicher, herzhafter Duft auf die Straße.
Geduldig wartete Carmen, bis schließlich auch in diesem Haus alle Lichter gelöscht waren und, für das menschliche Ohr kaum hörbar, leises Schnarchen aus den oberen Räumen drang. Sie fuhr mit einer raschen Bewegung nach oben. Das Fenster zu dem kleinen Schlafzimmer war gekippt. Sie gelangte durch die Öffnung ins Zimmer, wo ein Mädchen im Teenageralter träumte.
Carmens Wolke verformte sich zu einer Frauengestalt und bekam Haut, Haare, Glieder und alles, was dazugehörte, wenn man ein Mensch war.
Sie ging zu dem Bett aus Kirschholz und strich das blonde Haar des Mädchens zur Seite, dass der weiße Nacken entblößt war. Den Blick starr auf die blauen Äderchen gerichtet, senkte sie den Kopf, grub die ausgefahrenen, spitzen Reißzähne in die bleiche Haut und trank. Während sie das tat hob und senkte sich ihr Körper. Das Blut schmeckte sehr süß und gut. Es zerging ihr auf der Zunge. Den Brand in ihrem Rachen löschend, floss die rote Flüssigkeit ihre Kehle hinunter.
Als sie ihren Durst gelöscht hatte erhob sie sich und wischte sich mit dem Handrücken das Blut von den Lippen. Sie blickte auf die blutende Wunde ihres Opfers und beugte sich noch einmal hinunter. Mit der Zunge leckte sie über die zwei kleinen verräterischen Löcher und beobachtete, wie sie sich langsam wieder schlossen und keine Spur eines Angriffs hinterließen.
Das Mädchen atmete hörbar aus und drehte sich um. Dabei sah es höchst zufrieden aus. Blondes Haar umrahmte das hübsche herzförmige Gesicht.
Carmen erkannte es sofort. Sie hatte Jo, ihre einzige Freundin verletzt! Bestürzt hob sie die Hände vor den Mund und taumelte zurück. Sie stürzte zum Fenster, riss es auf und lehnte sich hinaus. Mit geschlossenen Augen sog sie die kalte Nachtluft ein und atmete scharf aus.
Bevor sie sich wieder in Staub verwandelte warf sie noch einen letzten Blick über die Schulter zu der friedlich schlafenden Jo. Ihre Haut schimmerte merkwürdig blass. Dann verschwand Carmen.

*


„Jetzt ist Schluss mit deiner Selbstzerstörung! Du gehst jetzt da raus und zeigst es allen! Und schließlich ist Jo ja auch nichts Ernstes passiert, sie leidet jetzt ja noch nicht einmal an Blutarmheit oder so was blödem.“
Am Wochenende hatte Carmen ihren Kleiderschrank ausgemistet und sich etliche bunte Sachen besorgt. Sie war ja auch ein lebensfroher Mensch. Es sollte jedenfalls den Anschein haben.
Eigentlich hatte sie sogar Spaß am Leben und liebte es, doch wenn man in seiner Einsamkeit versinkt und sich plötzlich entscheidet, von jetzt auf nachher alles umzukrempeln, dann stürzt die unbarmherzige Aufmerksamkeit aller Welt auf einmal auf einen ein.
Am Tag zuvor war Carmen in einem Krimskramsladen gewesen und hatte sich Vasen, Kerzen und alles mögliche an Dekoration besorgt. Nun fühlte sie sich gleich viel wohler und die Wohnung sah endlich etwas bewohnt aus.
Sie musste noch ihre neuen Sachen in den Waschsalon bringen. Sofort nachdem sie alles zusammengeklaubt und in einen Wäschekorb geworfen hatte, machte sie sich auf den Weg. Da es noch früh am Morgen war, lief sie nicht vielen Menschen über den Weg. Meist waren es nur Geschäftsleute, die es eilig hatten, ihren Bus zu kriegen oder ihre Bahn nicht zu verpassen.
Bald hatte Carmen den Salon erreicht.
Gerade wollte sie zu der Doppeltür aus Glas hereinspazieren, da entdeckte sie ein Plakat, das ans Fenster gekleistert worden war. Es sollte auf einen Tanzkurs neugierig machen, welchen Zweck es bei Carmen erfüllte. Sie beschloss, es sich vor dem Rückweg noch einmal genau unter die Lupe zu nehmen.
Da sie im Moment keine Hand frei hatte wegen des Wäschekorbs, stieß sie die Tür mit dem Fuß auf.
Knapp fünf Leute hatten für heute geplant gehabt, ihre Wäsche in den Waschsalon zu bringen.
Carmen suchte sich eine noch unbelegte Waschmaschine in einer Ecke und stopfte die neuen Kleider in die Wäschetonne. Dann stellte sie die Schalter wie auf den Schildchen der Kleider angegeben ein und beobachtete das wilde Schleudern ihrer Wäsche. Die bunten Farben schienen ineinander zu verschwimmen und immer wieder zu wechseln. Zuerst war überwiegend rot zu sehen, dann blau, anschließend grün, dann wieder blau und so weiter.
Nachdem der Waschgang beendet war, packte Carmen ihr Sachen zusammen und steuerte auf den Ausgang zu. Draußen blieb sie vor dem Fenster stehen und nahm es diesmal genau in Augenschein. Angeboten war ein Tanzkurs in der Sporthalle der Sheldon High – was Carmen gerade passte – für fünfzehn Dollar alle zwei Wochen.
Carmen wollte dazugehören. Also musste sie sich irgendwie die Freizeit vertreiben – wie jeder normale Teenie. Sie brauchte unbedingt ein Hobby und da kam ihr der Tanzkurs gerade gelegen. Sie würde Jo fragen, ob sie mitmachen wolle. Dann unternahm sie etwas mit einer Freundin.
Außerdem hatte sie vor, neue Freundschaften zu knüpfen, was nicht allzu schwer werden durfte. Vielleicht lege ich mir ja auch noch einen festen Freund zu, überlegte sie. Das war perfekt. Sie hatte einen Plan und den würde sie gleich am nächsten Tag in die Tat umsetzten.
Zuhause hängte sie die nasse Wäsche zum trocknen auf und setzte sich einen Kaffee aus. Diesmal trank sie ihn schwarz und ungesüßt, das heißt ohne Blut. Nachdenklich zog sie leichte Kreise in der dunklen Brühe. War es wirklich so einfach, sich ein neues Leben aufzubauen, ohne sich jemals irgendjemandem anzuvertrauen? Carmen wusste es nicht, doch sie war sich sicher, dass sie irgendwann mit der Wahrheit herausrücken musste. Sonst würde sie platzen. Doch vorher würde sie sich genau überlegen, was sie tat. Sie konnte nicht so leichtfertig damit umgehen, das war klar.


Zuletzt von rayne cullen am Do 30 Apr 2009, 18:50 bearbeitet; insgesamt 3-mal bearbeitet

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Pokerface // 2 Kapitel sind on Empty Re: Pokerface // 2 Kapitel sind on

Beitrag  Gast So 22 März 2009, 20:52

*


Nach der Schule legte Carmen sich auf die abgewetzte Couch im Wohn- und Esszimmer und haute sich ein wenig aufs Ohr. Der erste Tag ihres Neuanfangs war sehr erfolgreich gewesen. Sie hatte sich ohne große Überlegungen Jo und ihrer Clique angeschlossen und intensiv Beiträge zu deren Diskussion geleistet. Sofort war sie freundlich aufgenommen worden. Ihre Meinung war immer berücksichtigt worden und jeder hatte ihr aufrichtige Beachtung geschenkt.
Alle waren nett zu ihr, nur Vanessa nicht. Vanessa war ein unheimlich beliebtes, selbstsüchtiges, egoistisches Mädchen. Sie hatte eine dunkelbraune Haarpracht, die ihr in seichten Wellen über die Schultern fiel und in der Mitte ihres Rückens endete, lange, dichte Wimpern, sinnliche volle Lippen, ein wunderschönes Gesicht, lange Beine und war dunkelhäutig. Rundum sexy und Jungenschwarm Nummer eins. Sie war nahezu perfekt.
Carmen wollte sie eigentlicht nicht zur Feindin haben, aber was konnte sie schon tun? Den ganzen Tag über war sie garstig und gemein zu Carmen gewesen und dann, nach Schulschluss, war sie plötzlich zu ihrer selbsternannten Feindin gegangen und hatte gefragt, ob sie sie nicht einmal besuchen wolle. Carmen hatte dankend abgelehnt, indem sie sie über den Haufen Hausaufgaben informierte, den sie verpasst bekommen hatte.
Sie musste vorsichtig sein. Bei Menschen wie Vanessa hatte man stets auf der Hut zu sein. Kaum vertraut man ihr und kehrt ihr den Rücken zu, schon hat man ein Messer im Rücken stecken.
Wie sie gegrinst hatte, als sie Carmen eingeladen hatte. Komm, vertrau mir. Dreh dich um und ich ramm' dir ein Messer in den Rücken! Das wäre Carmen natürlich keine sonderlich große Behinderung gewesen, nur eine kleine Unannehmlichkeit. Trotzdem wollte sie es lieber vermeiden. Vanessa war wirklich ein gefährliches Biest. Vor allem weil sie so unberechenbar war. Niemand konnte je wissen, was ihr nächster Schritt war. Nicht einmal Carmen.
Die Türklingel ließ sie aus ihrem Nickerchen erwachen. Wer wollte sie denn jetzt und unangekündigt besuchen? Carmen hasste Überraschungen. Eine leise Vorahnung beschlich sie. Was, wenn es nun Vanessa war? Sie ging zur Tür und lugte durch den Spion. Die Luft war rein, alles war in bester Ordnung. Sie schob den Riegel zurück und öffnete die Tür für ihren unerwarteten Besucher.
„Hallo, Joanna“, brachte sie zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
„Hi“, erwiderte diese. Als sie bemerkte, dass ihre Freundin alles andere als erfreut war, fügte sie hinzu: „Oh, störe ich? Ich kann auch wieder gehen, wenn dir das lieber ist.“
„Nein, nein. Schon in Ordnung. Komm rein.“ Jo schritt an Carmen vorbei in die Diele. Erst einmal war sie bei ihr zu Hause gewesen, wegen eines Schulprojekts. Nie privat. Jetzt war es fast so, als hätte Carmen eine richtige Freundin. Eine, die alles mit ihr teilte, immer für sie da war und ihr mit Rat und Tat zur Seite stand. Die sie tröstete, wenn selbst kein anderer mehr etwas von ihr wissen wollte, die sie bei allem, was sie vorhatte unterstützte, egal, wie schwachsinnig ihr Vorhaben auch sein mochte.
In der Küche setzte Carmen neuen Kaffee für sich und Jo auf und setzte sich mit ihr an den Küchentisch, der eigentlich nur für eine Person Platz bot.
„Und, was gibt's“, fragte sie, nachdem sie Zucker für Jos Kaffee geholt hatte.
„Ich war gerade in der Nähe und dahcte mir, ich komme dich mal besuchen. Ich war ja fast noch nie bei dir und wir kennen uns nun schon ein Jahr. Ist das nicht irgendwie eigenartig? Wir sehen uns jeden Tag in der Schule und reden miteinander, wissen aber nichts vom Privatleben des anderen.“
„Ja, allerdings“, sagte Carmen misstrauisch.
„Wie dem auch sei, ich kann sowieso nicht lange bleiben. Weißt du, meine Familie und ich, wir gehen heute bowlen. Hab versucht, aus der Sache herauszukommen, mein Bruder hat aber darauf bestanden.“ Den letzten Satz sagte sie mit einem Kichern und leichtem Kopfschütteln.
„Apropos Geschwister, hast du welche?“, fragte Jo neugierig, dabei kratzte sie sich am Hals.
„Nein … Doch“
„Wie bitte?“, fragte Jo. Sie kratzte immer heftiger an ihrem Hals.
„Hatte“, fügte Carmen nach kurzem Zögern an.
„Oh. Was ist passiert?“ Jo war einfach in jeder Situation schamlos neugierig.
Was war passiert? Nichts war passiert. Carmens Bruder war einfach alt geworden und eines natürlichen Todes gestorben. Aber das konnte sie ja wohl kaum erzählen.
„Er hatte einen Unfall mit dem Motorrad.“
„Das tut mir leid.“ Jo streichelte Carmens Hand. Sie zog sie sofort weg.
„Das muss es nicht. Ich hatte schon lange keinen Kontakt mehr zu ihm als es passierte.“
„Trotzdem ist ein Verlust innerhalb der Familie immer schlimm.“
„Du hast wahrscheinlich recht.“ Carmen holte tief Luft und ließ sie geräuschvoll wieder entweichen. „So, ich hab jetzt noch viel zu tun. Hausaufgaben und so, du weißt schon. Und du musst jetzt zu deinem Bowling“, sagte sie und räumte das Geschirr ab.
Als Jo ging, schien sie etwas gekränkt zu sein. Carmen hatte kleine Gewissensbisse, dass sie ihr eine so direkte Abfuhr erteilt hatte, aber sie wollte jetzt allein sein.
Sie musste sich noch Gedanken über den Tanzkurs machen und sich informieren, wie sie sich anmelden konnte. Sie hatte ganz vergessen, Jo zu fragen. Das würde sie sie morgen tun. Aber jetzt wollte sie sich keinen Kopf darüber machen.
Sie hatte Jo nicht weggeschickt, weil sie über Tanzen nachdenken musste oder wegen den Unmengen Hausaufgaben, die sie längst erledigt hatte. Der Grund war... Was war eigentlich der Grund? Es gab keinen. Carmen redete sich ein, das läge daran, dass sie nun etwas menschlicher dachte. In Wirklichkeit war es noch zu ungewohnt für sie, Besuch zu empfangen ,und dass sich jemand um sie kümmerte.
Sie schaute auf die Armbanduhr an ihrem Handgelenk. Fünf Uhr. Ihr blieb noch viel Zeit, bevor sie zu Bett ging. Was sollte sie damit anfangen?
Nach kurzen Überlegungen holte sie Waschlappen und Putzeimer und begann mit einem großen „Hausputz“, soweit man das bei ihrer winzigen Wohnung so nennen konnte. Sie wischte die Tische und andere diversen Oberflächen, den Boden und machte das Bett, putzte das Bad und vieles mehr. Nachdem sie alles auf Vordermann gebracht hatte, war es schließlich acht Uhr. Sie hätte viel früher fertig sein können, hätte sie ihre Arbeit nicht noch drei zusätzliche Male wiederholt.
Dann tat sie das, was jeder normale Teenager an ihrer Stelle getan hätte, wenn nichts besonderes mehr für den Abend anstand. Und da sie nichts besonderes für den Abend geplant hatte, nahm sie sich eine Tüte Chips mit Chili-Geschmack, machte es sich auf dem Sofa bequem und zappte durchs Montagabendprogramm bis sie eine Soap fand, die ihr halbwegs interessant erschien.
Sie erwies sich als so interessant, dass Carmen bald einschlief und am nächsten Morgen ein Frühstücksmagazin lief. Schläfrig öffnete sie die Augen und erkannte durch verschleierten Blick eine junge Frau, die eine ältere über irgendein Buch, dass diese geschrieben hatte, interviewte. Sie tastete nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher ab. Die Müdigkeit übermannte sie und sie ließ sich wieder in die Kissen sinken.
Schließlich musste sie aber doch aufstehen und sich fertig für die Schule machen. Schnell stellte sie sich unter die Kalte Dusche, frühstückte drei Kekse und putzte sich die Zähne. Im Anschluss schlüpfte sie aus ihrem Nachthemd, zog sich ein grün gepunktetes Top über und stieg in eine dunkle Röhre. Dazu ein paar Ballerinas und einen schmalen, silbernen, metallenen Haarreif. Jetzt war alles perfekt aufeinander abgestimmt.
Im Gehen nahm sie ihre Schultasche vom Haken und ging nach unten. Als sie in ihrem klapprigen BMW saß ließ sie den Motor an und machte sich auf den Weg zur High School.
Dort angekommen langweilte sie sich als erstes im Matheunterricht, dann in Biologie. Die Schulstunden waren kaum erträglich und wurden immer unerträglicher. Ständig musste Carmen sich zwingen, nicht alle paar Minuten auf die Uhr zu schauen.
Als es dann endlich in die Cafeteria zur Essensausgabe ging, versuchte sie auf dem Weg dorthin Jo abzufangen. Sie musste sie wegen des Tanzkurses fragen.
Bei der Suche hatte sie keinen Erfolg, aber bei etwas anderem: Am schwarzen Brett entdeckte sie, dass Anmeldungsformulare für genau den Kurs aushängen, in den sie wollte. Sie nahm gleich zwei mit, eines für sich und eines für Jo. Beim Essen musste sie sie ja antreffen. Außerdem nahm sie noch eine Broschüre mit. Ihre Freundin würde ja nicht einfach irgendwo eintreten, ohne zu wissen, wo.
In der Cafeteria herrschte dichtes Gedränge. Heute war Pizzatag, da war eine endlose Warteschlange hungriger Schüler vor der Essensausgabe zu erwarten gewesen. Carmen stellte sich gar nicht erst an. Sie hatte sowieso keinen Hunger. Das leere Tablett, dass sie sich genommen hatte, stellte sie zurück und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Bald hatte sie Jo an einem Tisch mit ihrer Clique und noch ein paar anderen Leuten entdeckt.
Sie bahnte sich einen Weg zwischen den voll besetzten Tischen hindurch bis sie an ihrem Ziel angekommen war. Sofort rückten alle näher zusammen und machten ihr Platz. Sie setzte sich zwischen Lucy und ein Mädchen, dessen Namen sie vergessen hatte.
Vanessa musterte sie über den Tisch hinweg abfällig. Carmen tat so, als merke sie gar nichts. Wenn sie doch nur irgendwie in Vanessas Verstand eintauchen könnte. Doch es war unmöglich, egal, wie intensiv sie sich mit dem Thema befasste. Das Mädchen hatte sich komplett verschanzt, niemand kam an es heran.
Kaum hatte Carmen sich gesetzt, herrschte betretenes Schweigen. Sie packte die Gelegenheit beim Schopf und gab ihnen einen Anstoß zum Diskutieren. Aus ihrer Westentasche holte sie die gefalteten Anmeldungsformulare und die zerknitterte Broschüre hervor. „Ich habe mir überlegt, in einen Tanzkurs zu gehen.“Tja, den hast du ja auch bitter nötig“, bemerkte Vanessa nach einer Weile schnippisch während sie wütend ihr Brötchen zerriss.
„Wir alle waren schon letztes Jahr, nicht wahr, Mädels?“, sagte sie spitz. Die anderen nickten nur.
„Naja, ich war vor einiger Zeit auch bei einem Kurs und will ihn jetzt wiederholen. Weißt du, das macht man so“, äffte Carmen Vanessas Stimme nach. Die Mädchen schauten sich unsicher an.
„Was“, fragte Carmen. „Habt ihr etwa zu viel Schiss, eure Meinung zu sagen oder warum hat es die Sprache verschlagen?!“ Carmen schrie jetzt fast. Sie hatte mit Vanessas zwar erst seit ein paar Tagen zu tun, aber sie hatte ihr Gerede jetzt schon ein für alle Mal satt. „Na los, macht doch den Mund auf!“
„Ich mach mit, Carmen!“, meldete sich Jo nun lautstark zu Wort. Gott sei Dank!
Carmen reichte ihr ein Anmeldungsformular und die Broschüre und flüsterte: „Danke.“
Die Mädchen blickten sich mit vielsagenden Gesichtern an. Ein Großteil der Jungs hatte sich schon aus dem Staub gemacht und die letzten standen nun unauffällig auf.

*


Nach ein paar Wochen hatte sich die Lage wieder beruhigt. Carmen hatte neue Freundschaften geschlossen, war mit ihnen in verschiedene Clubs gegangen und wollte heute mit Jo und Meredith shoppen gehen.
Um halb fünf holte Jo sie ab. Meredith saß schon vorne auf dem Beifahrersitz und musste in die Mitte rücken, um Carmen Platz zu machen.
Bald hielten sie vorm Einkaufszentrum.
In Schaufenstern konnten leichte Sommerkleider betrachtet werden und in den Cafés wurde leckerer Früchtekuchen angeboten.
Nachdem sie mit Tüten voll beladen waren, gingen sie Kuchen essen und Kaffee trinken.
„Hast du schon was neues von Jareth gehört, Meredith?“, fragte Joanna. Merediths Freund machte gerade ein Auslandsjahr in Frankreich. Das war eine Sache, die sie und Carmen halbewegs verband. Jensen war Anfang des Schuljahres ebenfalls fortgegangen, um ein Jahr in Spanien zu verbringen, um noch eloquenter zu werden, als er es schon war. Sein Vater war Spanier und er somit Hablbspanier. Hach ja, wir haben so viel gemeinsam, er und ich. Meine Mutter war Spanierin, sein Vater ist Spanier…, dachte Carmen sich im Stillen.
Meredith seufzte. „Seit seiner Auswanderung kommt es mir vor, als hättn wir uns nie gekannt. Er antwortet auf keinen meiner Mails, hat nie Zeit für einen Videochat.“
Du bist nicht allein, dachte Carmen mitfühlend, Mir schreibt Jensen auch nicht. Okay, ich schreibe auch ihm nicht, aber trotzdem… Sie fühlte sich allein gelassen, seit Jensen weggegangen war.
„Ich möchte gern Schluss machen, aber nicht so. das soll persönlich geschehen und nicht per SMS oder per Mail“, fuhr Meredith fort.
„Das verstehe ich“, stimmte Jo zu. „Was meinst du, Carmen.“
„Was … ähh … ja … genau. Ich finde auch, du solltest dich mit ihm treffen, wenn du Schluss machen willst. Das wäre die beste Lösung“, stotterte Carmen völlig überrumpelt, aus ihren Gedanken gerissen worden zu sein.
Die anderen beiden Mädchen musterten sie besorgt.
„Wie dem auch sei. Wir haben alle fertig gegessen, ja. Ich räume ab, also wartet noch kurz auf mich“, lenkte Carmen ab. Sie schnappte sich die Tabletts ihrer Freundinnen und trug sie weg. Selbst bei dem Stimmengewirr, das im Einkaufszentrum herrschte und den fünf Metern Entfernung konnte sie die Gespräche anderer Leute in einem bestimmten Umkreis belauschen. Besonders auf das zwischen Meredith und Jo.
„Findest du sie nicht auch komisch?“
„Man gewöhnt sich dran.“
„An dieses seltsame Verhalten?“
„So merkwürdig ist sie doch gar nicht.“
„Du hast recht. Mehr als merkwürdig, das ist sie. Die perfekte Charakterbeschreibung für dieses Mädchen. Merkwürdig oder seltsam!“ Ein abfälliges Geräusch.
„Sei nicht so. sie ist noch nicht lange hier und muss sich erst eingewöh-“
„Sie muss sich erst eingewöhnen? Das glaubst du doch wohl selbst nicht! Eingewöhnen! Seit einem halben Jahr besucht sie schon unsere High School und gehört zu den besten Schülern ihres Jahrgangs. Da muss sie sich doch nicht noch eingewöhnen.“
„Meinst du nicht, dass du das alles vielleicht ein bisschen zu ernst nimmst?“
„Wie bitte? Ich kann es gar nicht verstehen, dass ihr sie immerzu verteidigen müsst und so nett zu ihr seid.“
„Jetzt hör aber auf!“
„Wieso? Glaub mir, ich hab gerade erst richtig angefangen-“
„Achtung, da kommt sie!“
Carmen hatte nicht herausfinden können, wer was gesagt hatte, aber sie war sich ziemlich sicher, dass die Gemeinheiten von Meredith stammten. Warum sollte Jo so grausam sein? Nein, es musste Meredith sein, auch wenn sie ihr so etwas nie zugetraut hätte.
Carmen versuchte ihre Wut runterzuschlucken und setzte ein freundliches Lächeln auf. „Kommt, gehen wir noch mal zu dem Laden, in dem Meredith dieses süße Top gesehen hat.“
Und damit standen sie auf und befolgten ihren Vorschlag. Meredith kaufte sich dann doch etwas anderes. Ein schlichtes orangefarbenes Tanktop. Es stand ihr ausgesprochen gut und betonte ihre schmale Wespentaille.
Den ganzen restlichen Tag über machte Carmen gute Miene zum bösen Spiel. Diese dumme kleine Pute von Meredith. Was bildete die sich überhaupt ein? Widerliche Schnepfe! Sollte sie sich Vanessa doch anschließen, wen interessierte das überhaupt? Los, gründet einen Carmen-Hasser-Club, macht doch, dachte Carmen in Rage. Und sowas nennt sich Freundin. Pah! Sie hatte den riesengroßen Drang, dieser Verräterin eine heftige Ohrfeige zu geben, ihr kräftig ins Gesicht zu schlagen. Und nochmal und nochmal und nochmal, bis ihre Visage ganz rot vor lauter Schlägen war, und am nächsten Tag übersät von blauen Flecken.
Der bloße Gedanke daran war so verlockend, dass Carmen sogar einmal – hinter Merediths und Jos Rücken – die Hand hob, sie aber schnell wieder sinken lies, bevor sie argwöhnische Blicke auf sich zog.

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Pokerface // 2 Kapitel sind on Empty Re: Pokerface // 2 Kapitel sind on

Beitrag  Gast Mo 23 März 2009, 14:22

*


Du bist ganz normal, du bist ganz normal. Carmen atmete tief durch. Du schaffst das.
Heute war der erste Tag im Tanzkurs und sie war aus irgendeinem unerfindlichen Grund schrecklich nervös. Sie hatte noch ein paar andere Mädchen und Jungen überreden können, mitzumachen. Meredith inklusive.
Du wirst sie alle umhauen und dir einen superheißen Typen als Tanzpartner besorgen, dass die dumme Meredith vor Neid aus den Latschen kippt, versuchte sie sich weiter zu überzeugen. Sie wusste selbst noch nicht einmal, warum sie plötzlich so rachsüchtig war, und es war ihr auch egal. Wie sagt man doch so schön, Rache ist süß.
Im Auto blieb sie einen Moment lang sitzen und beobachtete, wie kleine Regentropfen auf die Windschutzscheibe prasselten und es den Anschein hatte, als zerliefen sie, unmittelbar nachdem sie auf das Glas geklatscht hatten. Es war ein trauriger Anblick.
Carmen machte einen Zwischenstopp vor Jos Haus, um sie aufzugabeln. Kaum saß sie im Wagen, plapperte sie auch schon aufgeregt los: „Oh mein Gott, du wirst es kaum glauben, aber Jeffrey Hoffman wird da sein! Ist das nicht unglaublich?“
„Klar, und noch viel unglaublicher wäre es, wenn du mir verraten würdest, von wem zum Teufel du da sprichst“, meinte Carmen trocken mit einem Seitenblick auf Jo.
„Sag bloß du kennst Jeffrey Hoffman nicht?“, fragte sie total entgeistert.
„Ähm, nein.“
„Er geht auf diese Elite Uni – wie hieß die nochmal, ach keine Ahnung, welche – jedenfalls geht er auf so eine superwichtige Uni und... Na, du wirst schon sehen.“
Carmen runzelte nur die Stirn und trat auf das Gaspedal. Kurz darauf erreichten sie die Tanzschule. Auf dem Parkplatz konnte man an den Autos sehen, dass Meredith, Vanessa, Josh, Matt, Tessa und Jules schon da waren.
Drinnen war – bereits zerkratzter – Parkettboden ausgelegt und vor den Fenstern, welche bis zur Decke reichten, hingen schwere rote Samtvorhänge.
Carmen und Jo stellten sich sofort zu den anderen aus ihrer Clique. Sie tuschelten und quietschten hysterisch während sie immer wieder zu einer Gruppe Jungs hinüber schauten. Darunter befand sich wahrscheinlich dieser gewisse Jeffrey Hoffman. Jo nahm sie bei der Hand und zog sie zu sich. „Der ganz rechts, der blonde“, flüsterte sie ihr ins Ohr. Carmen suchte sie Truppe mit den Augen ab und fand Jeffrey schließlich. Ein Sunnyboy. Zweifellos sah er sehr gut aus. Carmen würde ihn zum Tanzpartner wählen. Sie würde ihn bekommen und nicht Vanessa, Meredith oder sonst wer.
Der Tanzlehrer bedeutete ihnen zu Anfang der Stunde, sich in einem Kreis aufzustellen, er in der Mitte. Dann wies er seine Schüler in die Grundschritte ein brachte ihnen ein paar andere Sachen bei. Schließlich sollten sie sich einen Partner suchen. Vorher hatte Carmen die ganze Zeit versucht, Jeffrey Hoffmans Blick einzufangen und wenn es ihr gelang, schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln. Er lächelte immer zurück.
Sie blieb einfach stehen während alle im Saal herumgingen, um jemanden zu fragen. Carmen wartete einfach, bis sie gefragt wurde. Lange musste sie nicht so stehen bleiben. Tatsächlich kam Jeffrey zu ihr herüber und fragte: „Wie wär's mit uns zwei?“
„Sicher“, stimmte Carmen zu. Sie stellten sich zusammen und beobachteten das Treiben der anderen. Carmen bemerkte andauernd die neidischen Blicke ihrer Freundinnen. Besonders die von Meredith und Vanessa bereiteten ihr große Genugtuung.
Sie fingen mit ein paar Lektionen an und versuchten, die Tanzschritte langsam zu verinnerlichen. Carmen hatte keine Probleme. Im Gegensatz zu den meisten beherrschte sie die Schritte schon längst.
Es wunderte sie, dass Vanessa, Meredith und Co. so unbeholfen waren. Sie taten sich ziemlich schwer, dafür, dass die erste Stunde so einfach war. Mit Sicherheit hatte Vanessa gelogen, was ihren vorherigen Besuch beim Tanzkurs anging. So, wie sie sich anstellten, hatten sie wohl noch nie auch nur einen Fuß über die Schwelle einer Tanzschule gesetzt.

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