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Silence

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Beitrag  Gast Mi 08 Jul 2009, 10:54

Hallo! Silence 279665

Nach Drängen der liebeb puepyie *Rüberschiel*, stelle ich nun auch meine Geschichte ein.
Ich schreibe schon sehr lange und unheimlich gerne.
Schreiben ist irgendwie zu einer zweiten Heimat für mich geworden, durch das Schreiben kann ich oft aus der nicht so einfachen Realität entfliehen.
Ich würde niemals sagen das ich gut schreibe, Rechtschreibfehler und Grammatikfehler sind enthalten, ich halt leider nur ein Mensch. grins
Silence ist frei von mir erfunden, alle Charaktere und Namen sind aus meinem Kopf entstanden.
Ich hoffe ihr findet meinen Schreibstil oder meine ganze Geschichte nicht zu gruselig. Silence 582515

Liebe Grüße,
Susanne Silence 279665



Silence

Zwischen Leben und Tod liegt nicht viel……Nur die Ewigkeit


Manchmal in der Nacht fühl ich mich einsam und traurig,
doch ich weiß nicht was mir fehlt.
Manchmal in der Nacht hab ich fantastische Träume,
aber wenn ich aufwache quält mich die Angst.
Manchmal in der Nacht lieg ich in Dunklen und warte,
doch worauf ich warte ist mir nicht klar.
Manchmal in der Nacht spür ich die unwiderstehliche Versuchung,
einer dunklen Gefahr.
Ich hör eine Stimme die mich ruft.
Ich kann eine Stimme hören.
Manchmal in der Nacht fühl ich die Macht eines Zaubers,
der mich unsichtbar berührt.
Manchmal in der Nacht bin ich so hilflos und wünsch mir,
es käme näher, der mich führt und beschützt



Stille. Alles war still. Hier war immer alles still. Ab und an hallte ein Schrei über die Flure. Ab und an hallten Flüche, Beleidigungen, Drohungen über die Flure. Hallten von den Wänden wieder und erfüllten die Räume. Ab und an, da wurde die Stille zerrissen und für einen Moment herrschte Leben. Leben, welches Augenblicklich wieder verlosch. Sie mussten nur auf ein paar kleinen Knöpfchen drücken, ein paar Räder drehen und schon lief es schneller, die Flüssigkeit raste schneller durch die Venen und die Schreie verstummten. Und dann kam sie wieder. Die Stille. Sie legte sich nieder. Nahm jeden Winkel in Besitz. Stille. Sie machte einen wahnsinnig, zermürbte einen. Solange, bis man es nicht mehr aushielt, bis man schrie, so laut, dass die Ohren weh taten, aber man schrie, zerbrach die Stille, bis sie kamen, freundlich lächelten und ihre Floskeln hinab rasselten. Es würde gut werden, alles gut werden. Aber nichts wurde gut. Stattdessen glitt man dahin, spürte man, wie man hinab gezogen wurde, weiter und weiter. Man fiel, tiefer und tiefer und dann verschwand man, schlief man, bis die Flüssigkeit langsamer wurde, die Mittel einen wieder klar denken ließen und man die Stille wieder wahr nahm. Stille. Diese Stille.

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Beitrag  Gast Mi 08 Jul 2009, 10:54

Kapitel 1:

49 Tage. 12 Stunden. 25 Minuten. 30 Sekunden. Ich kicherte leise. Solange war ich nun schon hier. Langsam streckte ich die Hand aus. Auf meinem Handrücken steckte die Infusionsnadel. Ein durchsichtiger Schlauch führte von dort nach Oben, in eine durchsichtige Plastikflasche mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. Sie tropfte in einem wiederkehrenden, gleichmäßigen Rhythmus den Schlauch hinunter. Ich betrachtete meinen Handrücken. An den Seiten war er schon blau. Aber das interessierte hier niemanden. Meine Beine schmerzten, aber ich konnte sie nicht bewegen. Die Nylonfesseln hinderten mich daran. Sie waren schwarz, eng anliegend und hinderten mich daran, die Beine auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Sie waren seit 22 Tagen, 5 Stunden, 12 Minuten und 16 Sekunden angebracht. Vorsichtig strich ich über meine Oberschenkel. Blaue Flecke zierten diese. Einstichstellen waren zu sehen. Einstichstellen von den täglichen Thrombosespritzen die ich bekam. Wenigstens darum kümmerten sie sich. Wenigstens darum.
Die schwere Zimmertüre wurde aufgeschlossen. Eine rundliche Frau kam hinein, ein Tablett auf ihrem Arm. Freundlich lächelte sie, doch das Lächeln erreichte nicht ihre Augen. Sie sah müde aus, genervt und fertig. Wie Jemand, der seine Arbeit verabscheute, mit jeder Faser seines Körpers, sie aber doch verrichten muss, weil Ihm keine bessere Chance geboten wurde. Der Deckel rutschte, als sie das Tablett auf dem wackeligen Plastikschrank abstellte. Hastig schob sie mir den Schrank entgegen. Ächzend wackelte er, die Räder bogen sich. Ich beobachtete den Schrank, in der Hoffnung, dass ein Rad brechen würde. Vielleicht bekäme man dann etwas zum lachen. Rasch hob sie den Deckel hoch. Ein ekelhafter Geruch stieg mir in die Nase. Eine Plastikgabel wurde mir in die Hand gedrückt.
„10 Minuten.“
Ihre Stimme war dröhnend in dieser Stille. Ich sah sie an. Im Leben bräuchte ich keine 10 Minuten. Angeekelt stocherte ich in dem wässrigen Katoffelpürre herum, hob eine wackelige Möhre hoch. Wasser tropfte aus ihr heraus. Ich probierte sie vorsichtig und hatte das Gefühl, in pures Wasser zu beißen. Langsam schluckte ich, ignorierte die Übelkeit und machte mir meine Gabel voll. Ich brauchte keine 10 Minuten, sondern 5. Dann war das Essen hinunter gewürgt und mir schlecht. So wie es jedes Mal war. Doch etwas übrig lassen durfte ich nicht. Sofort würden sie mir wieder Mittel geben, Mittel von denen mein Magen rebellieren würde, Mittel, von denen ich mich übergeben musste, immer und immer wieder, Mittel die mich krank machten, bis man mir das Essen hineinstopfen konnte. Ich aß lieber freiwillig, anstatt diese Prozedur mit zu machen.
Nach genau 10 Minuten kam die rundliche Frau wieder hinein, nahm mir das Tablett ab, die Gabel, stellte die Flasche höher. Ich stöhnte innerlich auf. Sie verabschiedete sich. Kein Ton drang über meine Lippen. Ich hatte seit 49 Tagen, 12 Stunden, 35 Minuten und 35 Sekunden kein Wort mehr gesprochen. Und ich würde nie wieder ein Wort sprechen. Worte hatten mich hier rein gebracht. Worte, aus meinem Mund, hatten mich zu dem gemacht, was ich nun war. Eine Verrückte. Gefesselt. Unter ständiger Kontrolle. Unter ständigem Medikamenteneinfluss. Medikamente, die mich irgendwann töten würden. Meine Organe. Meine Seele. Meinen Geist. Worte hatten mich hier hinein gebracht. Nie wieder würde ich sprechen, nie wieder etwas sagen. Aus Angst tiefer zu rutschen, tiefer und tiefer. Nie wieder würde ich ein Wort erheben. Nie wieder. Worte hatten mich hier hinein gebracht. In die Psychiatrie St. Lamont, auf Etage 2, Abteilung 3. In die geschlossene Abteilung, mit Besuchsverbot. Aber wer sollte mich schon besuchen? Wer besuchte schon eine Verrückte? Niemand. Absolut niemand.

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Beitrag  Gast Do 09 Jul 2009, 10:05

Kapitel 2:

Ich beobachtete Ihn. Mit gerunzelter Stirn stand der Arzt am Bettende. Seine Hände abgestützt. Er betrachtete mich eingehend. So wie er es jeden zweiten Tag tat. Seinen Namen wusste ich nicht. Es interessierte mich nicht. Weshalb sollte ich seinen Namen wissen? Er wusste meinen auch nur durch die Krankenakte und durch das kleine Namensschildchen am Ende dieses Bettes.
„Wie geht es dir Heute, Kate?“
Ja hier wurde man geduzt. Es gab keine Privatsphäre, keine natürliche Distanz. Wir Verrückten wurden nicht behandelt, wie man das als Patient erwartete. Mit höflicher Distanz, höflicher Hilfsbereitschaft. Aber wir Verrückten waren auch keine Patienten. Wir waren Verrückte, denen man nicht helfen konnte. Verrückte, die hier liegen durften und zwei Möglichkeiten hatten. Entweder sie wurden aus Mitleid und guter Führung entlassen, um sich dann in der grausamen Realität selbst hinzurichten, oder wir ergatterten hier einen scharfen Gegenstand, eine Tablette, die herunter fiel und richteten uns hier selber. Aussichten die normale Patienten niemals haben würden.
„Möchtest du nicht langsam mit uns sprechen?“
Ich starrte Ihn an. Versuchte desinteressiert zu wirken. Ich würde nie wieder sprechen und hatte die Hoffnung, dass auch Er es irgendwann begriff.
„Möchtest du nicht sagen, was damals wirklich passiert ist?“
Ich biss meine Zähne in die Unterlippe. Es tat weh. Ich schmeckte Blut. Sie stürmten auf mich ein. Die Bilder. Ich hörte meine Schreie. Es tat weh in den Ohren. Hörte die Schreie meiner Mutter. Ich sah das Blut. Das viele Blut. Tränen traten in meine Augen, aber ich schob sie bei Seite. Ich durfte keine Schwäche zeigen. Schwäche bedeutete Angriffsfläche. Angriffsfläche bedeutete Tod. Leise seufzte der Arzt. Im Grunde war er ein freundlicher Mensch, einer der wenigen hier, die es Ernst nahmen, die es mit mir ernst meinten, aber vielleicht tat Er auch nur so. Ein perfekter Schauspieler.
„Dann nicht. Vielleicht das nächste Mal.“
Mit einer Kopfbewegung gab er zu verstehen, dass sie fertig waren. Lautlos verschwanden Er und die zwei Schwestern aus meinem Zimmer. Es klickte leise. Und wieder war ich gefangen. Langsam ließ ich mich zurück gleiten, starrte an die weiße Decke. Das nächste Mal. Und wenn es kein nächstes Mal geben würde? Wenn ich es nicht mehr aushielt? Mein Körper es nicht mehr aushielt? Schon lange hatte ich bemerkt, dass ich abgemagert war. Obwohl ich aß. Die Medikamente waren zu viel. Ich schlief oft und lange und wenn ich dann mal wach war, dämmerte ich. Lebensfreude empfand ich keine, im Grunde fühlte ich nichts. Mein Körper war eine Hülle, nur mein Geist hielt sich noch tapfer darin auf. Wie lange würde er dort weiter hausen? Worauf wartete er? Ich hob meine Hand, betrachtete den dünnen Unterarm. Zierlich war ich schon immer, aber jetzt glich ich sicher einer Toten. Vielleicht war ich das auch? Tot und ich wusste es einfach noch nicht.
Vorsichtig betastete ich meine Haare. Struppig waren sie. Ich zog an einer Strähne. Hässlich sahen sie aus. Früher waren sie Honigblond gewesen, lang und glatt, glänzend. Heute waren sie merkwürdig blond, strohig und struppig. Ich seufzte wieder. Wenigstens meine Haare hätten so bleiben können. Wenigstens sie. Langsam drehte ich mich herum, schloss die Augen und wartete auf den Schlaf, der mich übermannen sollte. Mich forttragen sollte von der Stille. Und vielleicht wäre es diesmal der Schlaf, aus dem ich nicht mehr erwachen würde. So sehr wünschte ich es mir, hoffte und bangte. Langsam kroch die Müdigkeit in mir auf, züngelte an mir, trug mich fort. Tief atmete Ich ein und aus und hoffte, dass dies meine letzten Atemzüge waren. Hoffentlich.

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Beitrag  Gast Fr 10 Jul 2009, 10:40

Kapitel 3:

„Mama wo bist du?“
Ich sah mich um. Kniete auf dem kalten Boden. Meine Hände klebten auf den weißen Fliesen. Waren sie weiß? Sie sahen so anders aus.
„Mama?“
Meine Stimme zitterte. Mir fehlte der Mut zu schreien. Der Mut laut zu werden. Zu rufen. Durch das Haus zu brüllen. Ich hatte solche Angst. Es war dunkel. So dunkel. Und so still. So unglaublich still. Diese Stille.
„Mama bitte. Bitte komm zurück.“
Ich schluchzte. Krümmte mich zusammen. Ich hatte nicht den Mut aufzustehen. Hatte nicht den Mut zu gehen. Schritt um Schritt. Ich hatte Angst. Solche Angst.
„Komm zurück.“
Mein Herz zog sich zusammen. Raste, als das Fauchen neben mir ertönte. Sie waren zurück. Ich schrie. Schrie so laut auf, dass die Stille zerrissen wurde, die Dunkelheit durchbrochen. Ich schrie, lauter und lauter. Sprang auf, rannte los, das Fauchen hinter mir war so nah. So unglaublich nah. Ich schrie weiter. Weiter und weiter. Hoffte auf eine Antwort, die vertraute Stimme meiner Mutter. Der Raum wechselte sich, von der Küche ging es ins Wohnzimmer. So gemütlich war es hier immer gewesen. Mit den warmen Farben an den Wänden. Dem Kamin. So gemütlich. Jetzt war es hier kalt. Kalt und grausam. Eisig. Der Tod lastete auf diesem Raum. Ich wusste nicht wo er herkam. Ich lief weiter und rutschte aus. Spürte etwas Warmes an meinem Bein. Ich keuchte. Der Aufprall tat weh. Das Fauchen hinter mir war bedrohlich. Ich hörte keine Schritte. Nur dieses Fauchen. Ich wollte mich wieder aufrappeln, streckte meine Hand aus und berührte sie. Panisch fuhr ich zurück. Starrte in die leblosen Augen meiner Mutter. Und schrie. Schrie wieder, bis mein Hals zu bersten schien. Das Fauchen wurde lauter, dann wurde ich zurück geworfen, mein Kopf landete neben dem Bein meiner Mutter, eine Gestalt lastete schwer auf mir. Meine Schreie verstummten, als er grunzte, Schmerzen sich in meinem Hals ausbreiteten. Seltsam warm wurde mir, mein Körper brannte, ehe es schwarz um mich herum wurde, schwarz und still. Nur die Schreie hallten in meinem Kopf wieder. Weiter und weiter.


Keuchend fuhr ich hoch. Wollte instinktiv meine Beine anziehen, doch die schwarzen Fesseln hinderten mich daran. Mein Herz hämmerte gegen meine Brust, dröhnte in meinen Ohren wieder und für einen kurzen Moment hatte ich Angst, dass das ganze Krankenhaus es hören konnte. Die ganze Psychiatrie und wenn sie es hören würden wussten sie, das ich noch lebte. Ich versuchte mich zu orientieren, sah mich hektisch um. Kein Fauchen ertönte neben mir und ich lag auch nicht auf dem Boden, sondern ich lag in einem Bett, mit einer dünnen Decke, einem dünnen Kissen und einer ebenso dünnen Matratze, durch die man jede Sprungfeder fühlte. Ich war nicht zu Hause, nicht bei meiner Mutter, nicht dort, wo es gemütlich und schön war. Ich war nicht dort, wo das Schreckliche passiert war und mein Leben zerstört hatte. Mich zerstört hatte.
Langsam ließ ich mich zurück sinken, dass Bett quietschte leise, ächzte unter der Bewegung. Ich atmete tief durch, beruhigte mich selber. Es war alles gut. Soweit dieses Leben hier gut sein konnte. Ich war sicher. Hier konnte mir nichts passieren, niemand konnte mir etwas tun. Die Müdigkeit kam zurück und mit ihr die Hoffnung. Die Hoffnung, dass nun vielleicht mein letzter Schlaf anbrach. Das nun vielleicht meine letzten Atemzüge anbrachen. Die Hoffnung auf die Erlösung. Ich sank hinab in eine Ruhe und Dunkelheit, die gut tat. Die Hoffnung beruhigte mich, ließ mein Herz gleichmäßiger schlagen. Die Hoffnung auf die Erlösung. Irgendwann musste sie kommen und ich hoffte, dass sie bald kam, mich bald mit nahm, denn lange wollte ich das hier nicht mehr ertragen, konnte ich das nicht mehr ertragen. Ich hielt es nicht mehr aus. Ich konnte nicht mehr und wollte nicht mehr. Eine Träne rollte über meine Wangen, ehe der Schlaf mich mit sich riss und die Hoffnung im Raum stehen blieb, schwer über meinem Bett hing. Die Hoffnung auf die Erlösung.

„Aufstehen.“
Enttäuscht riss ich meine Augen auf. Beobachtete die rundliche Schwester, als sie das Tablett auf den wackeligen Plastikwagen stellte, den Deckel hoch riss und den wackeligen Plastikwagen mir entgegen schob.
„10 Minuten.“
Sie rauschte aus meinem Zimmer. Leise seufzte ich, richtete mich etwas auf und betrachtete das Gummibrötchen, den Käse der nicht mehr ganz frisch roch und das Stückchen Butter. Das Plastikmesser lag strahlend weiß daneben. Ich brauchte fast fünf Minuten, bis ich das Brötchen in zwei Hälften geteilt hatte, zwei weitere, bis die kalte Butter halbwegs hügelig verteilt war und eine weitere, bis der Käse darauf lag. Hastig klappte ich das Brötchen zu und schlang es in großen Bissen hinunter. Mein Magen rebellierte und ich musste husten, als ein Stück im Hals hängen blieb. Gerade rechzeitig schlang ich das letzte Stück hinunter. Die Türe schlug gegen die Wand, die rundliche Schwester kam hinein, in einer Hand eine Spritze. Die Nadel glitzerte im grellen Licht. Ich erzitterte. Der Plastikwagen wurde zurück geschoben, die Decke weg gerissen und mein Nachthemd ein Stück hoch geschoben, bis meine Oberschenkel frei lagen.
Ich schloss die Augen. Wollte das Elend nicht sehen. Sog scharf die Luft ein, als die Nadel sich tief in meine Haut bohrte, weiter und weiter und die brennende Flüssigkeit sich dann in meinem Oberschenkel ergoss. Wie gerne hätte ich zu getreten, geschrien, gejammert, aber kein Laut drang über meine Lippen. Fast zärtlich strich die Schwester über meinen Oberschenkel, klopfte kurz darauf. Im Grunde war auch sie nett, wenn sie ihre guten Phasen besaß, da mochte ich sie sogar ein wenig. Sofern dieses dumpfe Gefühl in mir einem mögen entsprach. Der Deckel landete auf dem Tablett, das Tablett auf ihrem Arm. Sie rauschte aus meinem Zimmer und schlug die Türe hinter sich zu. Langsam sank ich zurück in mein Kissen und starrte an die weiße Decke. Mein Alltag hatte begonnen. Vier Stunden Ruhe hatte ich nun, bis das Mittagessen kam. Leise seufzte ich und schloss die Augen. Vier Stunden, vielleicht kam in ihnen ja die Erlösung.

Sie kam nicht. Unsanft wurde ich nach vier Stunden geweckt. Blickte in das Gesicht eines Arztes. Er war mir fremd, sah alt und streng aus. Ich runzelte automatisch die Stirn, es war ungewöhnlich, dass täglich Jemand vorbei schaute.
„Guten Tag. Wie geht es Ihnen?“
Ich musterte den Mann. Fast wäre ein Lächeln über meine Lippen geglitten, aber ich riss mich zusammen, bewahrte meine Fassung. Sicher hatte der eine Arzt aufgegeben und nun schickten sie den Neuen, strengeren, älteren zu mir. Aber auch er würde seine Geduld an mir verlieren, sowie alle Anderen zuvor.
„Nun, Schweigen ist wohl Gold nach ihrer Meinung. Das habe ich von Kollegen schon gehört.“
Langsam schloss ich die Augen. Ließ ihn reden. Was sollte er schon sagen? Was sollte er schon tun? Er war mir egal.
„Es ist ja nett dass sie Schweigen, aber netter wäre es zu sprechen. Höflicher. Wir haben lange genug gewartet.“
Er drohte mir und ich öffnete die Augen. Niemand drohte mir.
„Ich wollte mir selber ein Bild von ihnen machen und wissen ob es notwendig ist. Es ist es. Wir werden ihre Behandlung umschreiben. In den nächsten Stunden wird ein weiterer, guter Psychologe unsere Klinik bereichern und er wird sich ihren Fall ansehen. Aus früheren Kreisen habe ich vernommen, dass er sehr gut mit……schwierigen Insassen umgehen kann und große Erfolge erzielt.“
Insassen. Fast hätte ich gelacht. Insassen, das klang nach Gefängnis, aber selbst in einem Gefängnis ging es einem besser. Langsam nickte der Arzt, er sah streng aus und erbost. Sicher kostete ich der Klinik einiges und die Kosten würden sich mit diesem Wunderheiler erhöhen. Ganz sicher.
„Geben sie ihr das Essen rüber. Ich komme Morgen wieder, ich halte eine tägliche Betreuung bei Ihnen für angebracht.“
Und dann verschwand er. Die rundliche Schwester wartete. Sah ihm dabei zu, wie er die Türe schloss. Erst dann wandte sie sich mir zu. Sah mich an. Sie hatte mich bisher nie direkt angesehen und auch nie reglos im Raum gestanden und mich beobachtet. Ich sah sie an, linste über meine Decke, die ich langsam hoch gezogen hatte.
„Ich kenne solche Fälle wie dich Mädchen. Und sie enden nie gut. Der Arzt der da kommen soll, soll gut sein. Tu dir den Gefallen und rede mit ihm, wenn du schon mit niemand sonst redest. Dann kommst du raus hier und wirst nicht gehalten wie ein Tier. Du musst dich gut benehmen, dann lassen sie dich raus, so einfach geht das hier Mädchen. Du bist klug, dass sehe ich dir an und es ist sicher schwer was dir passiert ist, aber du musst dich benehmen Mädchen. Sonst endest du wie die Anderen. Und ich möchte nicht noch ein Grab mehr haben. Denk an meine Worte.“
Sie stellte das Tablett auf den Tisch. Sah mich an. Ihre Augen waren Braun mit goldenen Sprenkler und sie erinnerte mich an meine Oma, mit ihrem lieben, mütterlichen Blick und dem pausbäckigen Gesicht.
„10 Minuten.“
Ich sah ihr nach, hörte wie sie die Türe schloss, dann hob ich den Deckel hoch und schlang mein Essen innerhalb 10 Minuten runter. Ihre Worte klangen in meinen Ohren wieder. Fälle wie meiner. Es gab keine Fälle wie mich. Niemand hatte das erlebt, was ich erleben musste. Niemand hatte seine Mutter tot aufgefunden und neben ihr liegen müssen. Niemand hatte den Tod selber auf sich liegen gehabt, gekämpft und fast verloren gegen ihn. Niemand. Einfach niemand.

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Beitrag  Gast Sa 11 Jul 2009, 10:50

Kapitel 4:

Ein Lächeln glitt über sein Gesicht, als er das hohe Gebäude sah. Es war weiß und so lieblos, wie eine Psychiatrie sein musste. Ein einfaches, schweres Steinschild zeigte in groben, eingravierten Buchstaben den Namen der Klinik. Einfachheit stand bei solchen Kliniken wohl an der Tagesordnung. Er seufzte, zog die Jacke enger um sich, obwohl er sie nicht brauchte. In großen Schritten trat er auf den Eingang zu, er war durch zwei einfache Lampen erleuchtet. Rund herum war alles dunkel. Es war noch früh, gerade einmal 18 Uhr, aber die Wintermonate waren hier meistens lang, kalt und dunkel. Nass auch, er seufzte auf, blickte in den Himmel und riss die Türe auf. Drinnen war es warm, aber die Wärme erreichte ihn nicht. Er blieb einen Moment stehen.
Geräusche, viel zu laute Geräusche drangen auf ihn ein. Schreie, verzweifelt, verwirrt, verrückte Flüche, Rufe, alles stürmte auf ihn ein, sammelte sich und wirbelte in seinem Kopf umher. Schienen ihn bersten zu wollen. Er sah sich um, aber alles war ruhig. Die Wände schrien, schrien das hinaus, was sie Jahrelang aufgefangen hatten und nur er konnte es hören. Wieder seufzte er, bemerkte den schrägen Blick der Empfangsdame. Rundlich war sie, mit einer dicken Brille auf der Nase. Langsam trat er näher, lächelte. Lehnte sich an den Tresen und blinzelte die Dame an.
„Wie geht es Ihnen?“
Verwundert blinzelte die Dame ihn an, ihre Wangen erreichten in Sekunden eine Hochrote Farbe. Er lachte und hörte, wie ihr Kuli auf dem Boden landete. Achtlos kullerte er über den Boden und blieb dann zitternd liegen.
„Wissen Sie wo ich den Chef finde?“
Zitternd hob sie einen Arm, wies auf eine Tür weiter links. Wieder lächelte er und ihr Arm fiel schlaff hinunter.
„Danke sehr.“
Langsam ging er davon und die Schreie hallten in seinem Kopf wieder. Gerüche brannten in seiner Nase. Viel zu starkes Putzmittel, viel zu starkes Desinfektionsmittel, Angst und Verzweiflung. Tod. Er lauerte in jeder Ecke, züngelte an jedem Leben. Leise lachte er, klopfte und zog dann die Türe auf. Ein rundlicher Mann mit runder Brille saß hinter einem viel zu großen Schreibtisch. Hastig stand er auf, stieß dabei einen Stifthalter mit seinem Bauch um. Leise lachte er.
„Guten Abend. Die Dame am Empfang sagte mir, ich würde hier den Chef der Klinik finden.“
Hastig sammelte er die Stifte ein, räusperte sich leise. Es war ihm sichtlich peinlich.
„Da hat die Dame eine richtige Auskunft gegeben. Sie müssen Herr….“
„Forsyth. Duncan Forsyth.“
Verwirrt blickte der Mann auf, räusperte sich wieder.
„Genau, genau. Der müssten sie sein.“
Ein Lächeln huschte über Duncans Gesicht.
„Der bin ich auch.“
Wieder räusperte der Mann sich, streckte die Hand über den Schreibtisch hinweg aus.
„Mein Name ist Riddock. Fearghus Riddock. Ich bin der Leiter dieser Klinik und heiße sie recht herzlich Willkommen.“
Langsam streckte Duncan seine Hand aus, ergriff seine, lächelte als er zurück zuckte.
„Freut mich sehr ihre Bekanntschaft zu machen.“
Hastig zog Fearghus seine Hand weg, wischte sie sich an einem Hosenbein ab. Einen Moment war er verwirrt, aus dem Konzept gebracht. Starrte Duncan an. Dann räusperte er sich wieder, fuhr nervös über seinen Anzug.
„Ich habe nicht viel Zeit, wenn sie wollen bringe ich sie auf ihre Station und übergebe sie an den leitenden Arzt. Er wird Ihnen alles Weitere erklären.“
Langsam nickte Duncan, beobachtete Fearghus dabei, wie er seine Jacke überstreifte und ihn dabei nervös musterte. Es war ein Spaß. Langsam steckte er seine Hände in die Hosentasche, wippte auf den Absätzen hin und her. Es war wirklich ein Spaß. Für einen Moment schloss er die Augen, lauschte dem gleichmäßigen Rhythmus, der in seinen Ohren erklang. Hier waren die Schreie leiser, fast verklungen, ein Murmeln im Hintergrund, kaum Wahrzunehmen und friedlich auszuhalten. Fearghus räusperte sich, hielt mit zittrigen Fingern die Türe auf. Etwas an ihm machte ihn sichtlich nervös. Lächelnd trat Duncan durch die Türe. Schlagartig wurden die Schreie lauter, ein Ohrenbetäubender Krach. Leise seufzte er. Daran würde er sich gewöhnen müssen. Eiligen Schrittes lief Fearghus voraus, die Treppen hinauf. Er schnaufte wie ein Ochse, der einen schweren Karren hinter sich her zog. Auf seiner Stirn zeichneten sich feine Schweißperlen ab, die er sich mit einem bestickten, weißen Tuch abwischte. Im zweiten Stock blieben sie stehen, vor einer dicken Glastüre, hinter der noch mehr Schreie lauerten, noch mehr Verzweiflung und Verwirrung. Mehr Angst und Tod. Viel mehr. Er konnte es hören, spüren, riechen.
„Hier wären wir. Dr. Clar wird ihnen alles Weitere erklären und zeigen und sie mit den Arbeitsabläufen vertraut machen.“
Vorsichtig streckte Fearghus seine Hand aus. Grinsend ergriff Duncan sie, drückte sie leicht und bemerkte die Verwirrung in Fearghus Augen.
„Ich wünsche Ihnen einen geruhsamen Abend Mr. Riddock.“
Leise räusperte er sich, zog seine Hand zurück und drückte auf die Klingel, die an der Wand angebracht war.
„Ich wünsche Ihnen einen guten, ersten Arbeitstag, Mr. Forsyth. Wir sprechen uns dann Morgen.“
Ein Klicken erfüllte den Flur, die Türe wurde aufgeschoben, eine rundliche Frau in weißen Sachen musterte ihn über ihre Brille hinweg.
„Sind sie der Neue?“
Langsam wandte Duncan sich um, lächelte sie an.
„Genau der bin ich.“
Ein strenger Blick glitt zu einer Armbanduhr und traf ihn dann wieder. Unwillkürlich zuckte er zusammen und fühlte sich schuldig, für was wusste er selber nicht.
„Reichlich spät. Dr. Clar wartet schon.“
Sie rümpfte die Nase, trat zur Seite und wies mit einer Handbewegung hinter sich.
„Wollen sie rein kommen oder draußen festwachsen?“
Ein Grinsen huschte über Duncans Gesicht, als er an ihr vorbei trat. Diese Frau gefiel ihm.

Ich starrte an die Decke. Wie ich es immer tat. Zählte die Sekunden. Sofern ich im Gleichtakt mit den Sekunden war. Draußen war es dunkel. Ich starrte in die gelben Röhrenlampen. Das Licht war schrecklich. Aber ich war froh um es. Jedes Licht vertrieb das Dunkel und jedes Licht vertrieb meine Angst, die mit dem Dunkel Einklang hielt. Ich seufzte, streckte eine Hand aus. Seufzte wieder. Gehalten wie ein Tier. Das traf es. Gefangen in einem Käfig mit rostigen Gittern und Fesseln an den Pfoten. Gefangen. Ich war gefangen, gefangen in dieser Klinik und gefangen in diesem Leben.
Langsam schloss ich die Augen, seufzte auf. Gefangen und kein Fluchtweg leuchtete auf. Ich öffnete meine Augen wieder, starrte hinaus in die Dunkelheit. Gefangen. Und kein Fluchtweg bereit. Würde es je einen geben? Je einen Fluchtweg, der mir sagte wo ich hin musste? Der mir die Türe auf hielt? Der mich gehen ließ? Ich wollte fliehen, doch keine Möglichkeit zeigte sich. Ich wollte schreien, doch kein Laut verließ meine Lippen. Stattdessen schloss ich meine Augen und wartete auf den Schlaf. Den Schlaf, mit traumlosen Nächten und keiner Angst. Ich wartete darauf, hoffte darauf und wusste doch, dass es keine Nacht ohne Angst gäbe, keine Nacht ohne Traum. Es würde sie nie geben. Niemals. Nicht solange ich hier war. Gehalten wie ein Tier. Gefangen in dieser Klinik. Gefangen in meinem Leben. Gefangen in mir selber und kein Fluchtweg zeigte sich auf. Kein Einziger.

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Beitrag  Gast So 12 Jul 2009, 16:04

Kapitel 5:

„Nette Zimmer.“
Langsam zog er die Türe hinter sich zu. Niemand hatte ihn beachtet. Die beiden Patienten in diesem Zimmer hatten Beide zur Decke gestarrt. Die Augen so leblos und leer wie der Tod selber. Leise hatte er geseufzt. Leer, sicher von Medikamenten verursacht. So wie er es schon oft gesehen hatte. Die Zimmer waren genauso lieblos eingerichtet, wie die Klinik von Außen aussah. Weiß, Gitter vor den Fenstern. Nylonfesseln an den Betten. Wieder seufzte er. Tiere in Menschengestalt. Welch Leben war das? Keines. Keines welches er leben wollte oder sich wünschte, dass Jemand es lebte. Er hatte schon vieles gesehen, zu vieles, aber dies war etwas, was ihm seltsamerweise nahe ging.
„Habt ihr hier nur Mehrbettzimmer?“
Dr. Clar starrte ihn an. Irgendetwas an diesem Mann gefiel ihm nicht. Er war höflich, versuchsweise witzig und zeigte reges Mitgefühl an den Patienten. Zu viel Mitgefühl. Er schnaubte. Wenn man hier eines nicht haben durfte, dann war es Mitgefühl. Mitgefühl für die Jenigen, die hier lagen. Helfen konnte man Ihnen nicht. Wie sollte man solche Verrücktheiten schon heilen.
„Unterschiedlich. Manche liegen zusammen, Andere Einzel. Wir haben zurzeit fast nur Mehrbettbelegungen, außer Zwei. Einen Mann, der in jedem einen potenziellen Mörder sieht und eine Frau, die absolut nicht Gruppierungsfähig ist.“
Er runzelte die Stirn, betrachtete ein Bild an der Wand. Ein paar Kreise und Kleckse. Moderne Kunst wohl.
„Was heißt denn „absolut nicht Gruppierungsfähig“? Was macht sie denn? Spucken?“
Er grinste bei der Vorstellung. So stellte er sich Verrückte vor. Schreie, Flüche, Spucken. Nicht diese leblosen Gestalten hier.
„Schön wäre es. Nett das sie auf sie anspringen. Sie wird ihr erster……ernster Fall. Man hat sich sagen lassen sie seien gut im Umgang mit schwierigen Fällen. Diese Dame ist schwierig. Leicht abgedreht und absolut schweigsam. Sie liegt seit 50 Tagen hier und in diesen 50 Tagen hat sie keinen einzigen Laut von sich gegeben. Und damit meine ich absolut keinen. Kein Stöhnen, Seufzen, Jammern. Nicht mal ein Glucksen oder Kichern. Sie liegt still in ihrem Bett, starrt an die Decke und reagiert auf Niemanden. Sie sieht einen an und sie versteht was wir ihr sagen, aber sie verweigert jegliche Zusammenarbeit. Unkooperativ. Hoffnungslos. Wir haben keine Lust mehr auf sie. Vielleicht versuchen sie ihr Glück.“
Einen Moment starrte Duncan ihn an. Keine Lust. Seit wann hatte man keine Lust mehr Patienten zu behandeln?
„Was ist dieser Dame denn zu gestoßen, dass sie so schweigsam ist?“
Genervt rollte Dr. Clar mit den Schultern. Er hasste Neuankömmlinge, sie stellten viel zu viele Fragen, waren zu übermotiviert. Eine Motivation die sich schnell legte, wenn die ersten Anstrengungen kamen und sie sahen, dass sie keine Wunderheiler waren.
„Trauma. Das übliche. Ich gebe ihnen die Krankenakte, dann können sie sich das durchlesen und in den Löwenkäfig steigen. Sie gehört ganz Ihnen.“
Langsam öffnete Duncan den Mund, schloss ihn wieder. Eine Frage hallte in seinem Kopf wieder, wollte hinaus, doch die Zeit hatte ihn gelehrt zu Schweigen, wenn es richtig war. Und dies schien solch ein Moment zu sein. Schweigend nahm er die leicht zerfledderte Akte entgegen.
„Machen Sie was sie wollen mit ihr, ich habe jetzt Pause. Sollte irgendein Notfall sein, piepen sie mich an.“
Dr. Clar verschwand und eine Weile sah Duncan ihm nach. Manchmal verstand er sie nicht. Diese Menschen, die einer Arbeit nachgingen, aber sie nicht respektierten, die mit Mühe sich wohl morgens aus dem Bett quälten, nur um ihre Stunden abzusitzen. Langsam öffnete er die Mappe, seufzte wieder. Er verstand sie nicht. Sein Blick huschte in Sekundenschnelle über das Papier, fasste Buchstaben und Worte auf. Seine Augenbrauen hoben sich, als er den Grund des Besuches fand. Interessant. Äußerst interessant. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Ja, das war ein Fall nach seinem Geschmack. Ein sehr interessanter Fall. Er steckte die Mappe unter seinem Arm und ging pfeifend den Gang entlang zu ihrem Zimmer. Die Schreie hallten nur gedämpft in seinem Ohr, er hatte geschafft sie zu dämpfen. Vor ihrer Tür blieb er stehen, wartete einen Moment und lauschte. Hörte den gleichmäßigen Rhythmus. Langsam stieß er die Türe auf.

Ich hasste es. Ich presste die Augenlider fest zusammen. Aber Schlaf kam keiner. Keine Müdigkeit. Nur diese Stille. Oh wie ich sie hasste. Ich hätte sie durchbrechen können. Summen. Singen. Sprechen. Aber ich tat es nicht. Stumm lag ich da, starrte die Decke an und seufzte genervt. Ich wollte mich herum rollen, aber die Fesseln hinderten mich daran. Ich zog. Zerrte. Verzweiflung keimte in mir auf, eine die ich schon lange nicht mehr gespürt hatte. Mein Herzschlag beschleunigte sich, ich zerrte an den Fesseln. Verzweiflung wich Panik. Sie gingen Hand in Hand. Ich zerrte daran, zog. Wie gerne hätte ich geschrien, geweint, gefleht. Wie gerne hätte ich mit den Fäusten um mich geschlagen, mich geschlagen, die Verzweiflung aus mir heraus geprügelt, die Panik. Selten kamen solche Schübe, in denen ich es nicht mehr aushielt, in denen ich ausbrach, aus der Fassade aus Ruhe und Desinteresse. So selten, aber wenn nahm die Welle mich mit, tiefer und tiefer, riss mich fort. Ich schlug mit der Faust auf die Matratze, ein dumpfes Geräusch, welches die Stille zerriss in meinen Ohren. Die Türe ging auf, doch ich sah nicht auf.
Schlug auf die Matratze. Immer und immer wieder. Ich wollte nicht aufhören, plötzlich wollte ich weiter machen, ein Loch in diese Matratze schlagen. Meine Faust erfasste ein Krampf, doch ich hielt sie geballt, schlug weiter und weiter, bemerkte nicht dass Jemand herein kam, neben meinem Bett stehen blieb. Ich zuckte erst zusammen, als diese Stimme durch den Raum plätscherte, wie ein klarer Bach.
„Muss gut tun die Matratze zu schlagen, oder?“
Mein Kopf fuhr hoch und nur mit Mühe unterdrückte ich einen Schrei. Ein Lächeln glitt über das Gesicht des Mannes. Jung sah er aus und nur durch den weißen Kittel erkannte ich ihn als Arzt. Der Arzt. Der Wunderheiler. Fast hätte ich hysterisch gekichert. Ausgerechnet jetzt musste ich meinen Anfall bekommen, wenn er kam. Ausgerechnet in diesen Minuten. Ich löste meine Faust und strich die Decke glatt.
„Was hat die Matratze denn getan? War sie nicht brav?“
Wieder hob ich meinen Kopf. Eine neue Taktik. Kein direktes Fragen. Doch auch das würde mich nicht zum reden bringen. Obwohl seine Stimme schön war. Leicht schüttelte ich über mich selber den Kopf. Was interessierte mich seine Stimme. Er würde genauso an mir verzweifeln, wie alle Anderen zuvor.
„Ach ich verstehe. Schweigen ist Gold und Reden Silber. So habe ich auch einmal gedacht, aber mal ehrlich, reden wir nicht viel lieber? Schweigen ist doch dumm und tut den Stimmbändern nicht gut.“
Ich starrte auf meine Hände. Ignorieren war die Devise, er würde schon wieder gehen, der ach so gelobte Wunderheiler.
„Ich heiße Duncan. Duncan Forsyth, mit Doktortitel und Professorenschein davor. Aber Duncan reicht vollkommen aus.“
Ich sah wieder auf. Für einen Professor sah er verdammt jung aus. Sicher einer dieser Streber, die nur Bücher kannten und direkt vier Klassen übersprungen hatten.
„Ja ich weiß, für einen Professor sehe ich zu jung aus. Da haben sie Recht. Wie heißen sie denn? Ich finde es unhöflich den Namen des Anderen nicht zu erfahren.“
Mein Blick ruhte auf ihm. Es war eine vollkommen neue Taktik, aber auch auf sie würde ich nicht anspringen. Niemals. Faszinierende Augen hatte er. Energisch wandte ich mich ab, starrte an die Decke hinter ihm.
„Oh, sie sind ein reiner Wasserfall, dass muss man ihnen lassen. Muss schwer sein für ihre Mitmenschen. Haben sie Familie? Mann? Kind? Ich habe keine, aber ich war nie so der Familientyp, wissen sie.“
Familie. Ich zuckte zusammen.
„Das tat weh, oder? Das Wort Familie hören sie nicht gerne.“
Ich zuckte wieder zusammen. Seine Stimme war leise, ein bedrohliches Murmeln. Er kam näher. Panik durchzuckte mich.
„Sie müssen keine Angst vor mir haben.“
Langsam sah ich auf. Sah man mir die Angst so gut an? Erschrocken fuhr ich zusammen. Er stand so nah bei mir, dabei hatte ich keine Bewegung wahr genommen, keine Schritte. Automatisch rückte ich ein Stück zurück.
„Sie möchten nicht mit mir reden, oder? Dabei kann ich ihnen wirklich helfen. Aber wir haben Zeit. Alle Zeit der Welt.“
Mein Mund öffnete sich, als seine Hand sich an meine Wange legte. Kein Schrei verließ mich. Sie war eiskalt. Einem Eisblock gleich. Es tat fast weh und ich zog instinktiv meine Wange weg. Er lächelte.
„Das ist gut. Das ist gut, dass sie wegzucken. Sie reagieren noch, das ist gut. Morgen komme ich wieder, bis dahin können sie sich ja überlegen wie sie mit mir kommunizieren wollen. So leicht gebe ich nicht auf, ich habe viel, viel Geduld.“
Schweigend sah ich ihm dabei zu, wie er ging. Seine Bewegungen waren schnell, geschmeidig. Fast wie eine Katze. Lautlos glitt die Türe zu und ich atmete zitternd aus. Er machte mich nervös. Der erste Arzt, der etwas in mir weckte. Panik, Nervosität, Misstrauen. Der erste Arzt, der mir zeigte, dass ich noch da war. Ich starrte auf meine Hände. Ich lebte. Ich lebte wirklich noch. Es waren durchweg negative Gefühle, die er in mir ausgelöst hatte. Aber ich lebte. Ich war da. Ich existierte noch. Ich war da. Langsam sank ich in die Kissen zurück, schloss die Augen. Ich lebte noch. Ich war noch da. Es gab mich noch, man nahm mich wahr, ich war da, hier in dieser Welt. Sie hatten mich noch nicht ganz getötet, ganz ausgepumpt, noch war etwas da. Leise seufzte ich, lauschte dem Regen der gegen die Fenster prasselte. Plötzlich war die Stille weg, der Raum erfüllt von dem Geräusch des Regens, einem Bach gleich. Seine Stimme ertönte in meinem Kopf wieder, auch sie war einem Bach gleich. Leise seufzte ich und schlief ein. Und fing an zu träumen.

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Beitrag  Gast So 12 Jul 2009, 17:17

Kapitel 6:

Interessant. Sehr interessant. Langsam legte er die Mappe zurück. Ein sehr interessanter Fall war dies. Er lächelte, als er an ihr erschrockenes Gesicht dachte. Sein Blick huschte zu seinen Händen. Es machte Spaß. Sie zu schocken. Langsam sah er sich um. Sie würde reden, da war er sich sicher. Und dann würde es erst richtig interessant werden. Es wäre interessant zu wissen, ob es stimmte oder nicht. Ob es wahr war, oder ob sie wirklich nur verrückt war. Verrückt sah sie nicht aus, aber wer sah hier schon verrückt aus. Wieder lächelte er, schnappte sich eine Mappe und glitt in den nächsten Raum. Vielleicht würde er hier auf mehr Gespräche treffen. Die Schreie in seinem Kopf wurden lauter, ein ständiger Begleiter. Leise seufzte er. Manchmal hasste er es. Manchmal nur. In solchen Momenten, in solchen Gebäuden, da hasste er es. Aber manchmal nur.
Ein Lächeln glitt über sein Gesicht, als ein schlaksiger Mann ihn ansah. Nicht gefesselt, dafür eine Vergitterung um das Bett. Fesseln oder Gitter, was besser war wusste er nicht. Ein kooperativer Mann, der ihm von Aliens und Feen erzählte, die in seiner Wohnung lebte. Auch er sah nicht verrückt aus, war es aber sicher. Und etwas sagte ihm, dass dieser Mann verrückter war als sie. Viel verrückter. In jeder Hinsicht.

„Du bist mein Leben.“
Ich lächelte, schmiegte mich an den warmen Hals. Die braune Mähne flatterte in mein Gesicht. Sie war lang und dünn, früher war sie lang und dick gewesen, doch das Alter zeigte sich langsam überall. Silberne Strähnen durchzogen die braune Mähne wie feine Spinnweben. Ich zupfte an einer.
„Du wirst es hier gut haben und ich komme dich oft besuchen.“
Er wandte seinen Kopf in meine Richtung. Seine schwarzen Augen funkelten. Leise schnaubte er, streckte mir seine Nüstern entgegen. Ich fuhr mit meinen Händen darüber, lachte leise, als er mit seinen Lippen suchend darüber fuhr.
„Ärger die Ponys nicht zu sehr. Du bist viel größer.“
Er schnaubte wieder und ich löste mich langsam von ihm. Hier würde er es gut haben. Mein Gennaio. Kurz Genno gerufen. Genno, mein erstes Pferd. Ich fuhr dem Braunen über den Hals, die Stirn, die Nüstern. Mit seinen mittlerweile 20 Jahren würde er hier nun seine Rente genießen. Hier, in diesem kleinen, gemütlichen Offenstall, mitten im Wald. Ich grinste als er meine Taschen nach Leckereien absuchte.
„Ich habe nichts mehr für dich, aber wenn ich das nächste Mal vorbei komme, bringe ich dir etwas mit. Versprochen Genno.“
Ein letztes Mal schlang ich meine Arme um seinen Hals. Es tat weh ihn hier zurück zu lassen, obwohl es ihm hier besser gehen würde. Er stand den Tag über draußen, was für seinen chronischen Husten sicher besser war, als die staubige Luft in Stallgassen. Und obwohl ich ihn oft besuchen würde, fehlte er mir jetzt schon. Ihn nicht mehr jeden Tag sehen zu können, hinterließ ein Loch. Ich seufzte leise, klopfte ihm ein letztes Mal den Hals. Ja er war mein Leben. Ein großer Teil davon. Langsam ging ich davon, über grüne Wiesen, auf einen Zaun zu. Die Sonne schien, es war warm. Ich lächelte, fühlte mich glücklich, wenn auch der Abschied von Genno ein bitterer Nachgeschmack war. Verwirrt blieb ich stehen, als das Bild sich änderte. Wiesen verschwanden, ich stand auf Sand. Langsam sah ich mich um, es war kälter und ein Pferd galoppierte an mir vorbei. Schwarz wie die Nacht war es, mit einer langen Mähne und klugen Augen. Leichtfüßig sprang sie über ein einzelnes Hindernis, schnaubte entspannt und galoppierte wieder an mir vorbei. Glenna. Meine Glenna. Mit vollen Namen hieß sie eigentlich Glennas Daylight, aber das war mir entschieden zu lang. Gennos Nachfolgerin. Ich schnalzte leise, doch sie lief weiter, drehte ihre Runden auf diesem Platz und sprang immer wieder über das Hindernis.
Leise rief ich ihren Namen und sie hob den Kopf. Wie angewurzelt blieb sie stehen, ich hatte sie nicht stoppen sehen. Ihre Augen weiteten sich. Langsam trat ich auf sie zu und schreckte zurück, als ihre Ohren flach an den Kopf gepresst wurden. Sie schnappte in die Luft, doch ihr Blick war panisch. Ich wollte etwas sagen, öffnete meinen Mund. Kein Laut verließ meine Lippen. Panisch fuhr ich zurück, als sie stieg und vorwärts preschte. Die Ohren angelegt, die Zähne gebleckt. Sie rannte auf mich zu und ich stand da und starrte sie an. Fest presste ich die Augen zusammen, wartete auf den Zusammenprall und öffnete sie wieder, als nichts geschah.
Ich stand nicht mehr auf einem Platz, sondern in einem leeren Raum, einen verhangenen Gegenstand vor mir. Kalt war es hier, aber die Kälte war auf meiner Haut angenehm. Langsam trat ich auf das Tuch zu, streckte meine Hand aus und riss es hinunter. Ein Spiegel war dahinter verborgen, mit wunderschönen Verzierungen im Holz. Er war groß, oval und sicher einige Jahre alt. Langsam trat ich darauf zu, berührte den Spiegel und schreckte zurück, starrte fassungslos hinein. Erwartete meine verkümmerte, traurige Gestalt darin zu sehen. Doch das einzige was ich sah war der Raum, leer und verlassen. Kein Spiegelbild von mir erschien, nichts deutete auf mich hin. Das einzige was ich sah war der Raum. Mich gab es nicht. Ich war nicht da, nichts wies auf mich hin. Panisch fuhr ich zurück. Ich war nicht da. Einfach nicht da.


Ich schreckte hoch. Mein Herz dröhnte in meinen Ohren wieder. Einen Moment brauchte ich, ehe ich mich orientiert hatte. Erst dann konnte ich langsam zurück sinken, mich in die Kissen legen. Es war dunkel geworden und mein Gefühl sagte mir, dass es weit nach Mitternacht war. Stille. Still war es hier, aber das überraschte mich nicht. Nicht im Geringsten. Ich starrte an die Decke. Es regnete nicht mehr. Und die drückende Stille kehrte wieder. Mein Herz setzte ein paar Schläge aus, als ich Glenna in den Schatten sah. Die Ohren drohend angelegt. Die Zähne gebleckt. So kannte ich sie nicht. Glenna verschwand und an ihre Stelle trat Genno mit seinem gutmütigen Blick, den alle alten Pferde besaßen. Er sah klug aus, weise und mein Herz seufzte auf.
Er fehlte mir. Sie fehlten mir alle. Genno. Glenna. Sie Beide waren mein Leben gewesen. Mein Leben. Vor der Nacht. Der einen Nacht, die alles zerstörte. Alles, was mich umgab, was ich besaß. Eine Träne löste sich aus meinen Augen, rollte über meine Wange. Genno verschwand. Ich kniff mir in den Arm. Es tat weh. Nun träumte ich mit offenen Augen schon. Energisch fuhr ich mit meiner Hand über die Wange, schloss langsam die Augen wieder und bereitete mich auf den nächsten Schlaf vor. Meine Hand legte ich auf mein Herz. Es tat weh. So schrecklich weh. Alles tat weh. Ich vermisste mein altes Leben. Vermisste jede Sekunde davon. Ich vermisste sie alle. Meine Gedanken kreisten um den Spiegel. Kein Spiegelbild gab es von mir.
Die Müdigkeit nahm mich mit, Stück für Stück, begleitete mich, lullte mich ein, langsam nur, ganz langsam. Der Spiegel verschwand und Genno tauchte wieder auf. Er streckte die Nüstern vor, berührte meine Wange und der Schmerz verschwand. Er nahm mich mit, trug mich auf seinem Rücken über Felder und Wiesen, so wie wir es früher immer getan hatten. Weiter, immer weiter liefen wir. An einem Hügel blieben wir stehen, blickten auf ein Tal. Ich legte meine Wange an seinen Hals. Hier wollte ich bleiben. Bei ihm. Ich wollte zurück. Zurück zu ihm, zurück in die unbeschwerte Zeit damals. Ich wollte nicht länger hier sein. Leise schnaubte er. Nein, ich wollte nicht zurück. Zurück in meinen Käfig, zu meinen Fesseln, zurück in diese Klinik. Ich wollte es nicht.
„Nimm mich mit.“
Wieder schnaubte Genno, setzte sich in Bewegung. Er trabte, galoppierte. Ich schloss die Augen.
„Bitte nimm mich mit. Hol mich hier raus.“
Tränen liefen über meine Wangen, schneller, immer schneller galoppierten wir.
„Ich will da nicht mehr hin. Nie wieder.“
Ich öffnete meine Augen, wir galoppierten über unendliche Wiesen und die Sonne tanzte auf meiner Haut. Er nahm mich mit. Ich würde nicht zurück kehren. Nie wieder. Genno würde mich mit nehmen.
„Aufstehen.“
Erschrocken fuhr ich wieder hoch. Helles Licht blendete mich und die rundliche Frau stellte das Tablett vor mir ab. Langsam sah ich mich um, hörte die Tür zu schlagen. Einen Moment wartete ich. Dann hob ich den Deckel an, griff nach meinem Plastikmesser und fing an das Brötchen zu zerlegen. Genno hatte mich nicht mit genommen. Ein Stich fuhr durch mein Herz. Er würde mich niemals mit nehmen. Es gab keinen Ausweg. Hier würde es keinen Ausweg geben. Ich war gefangen, blieb gefangen. Langsam sah ich hinaus, draußen strahlte die Sonne. Nein, hier würde ich nicht heraus kommen. Niemand würde mich holen kommen. Niemand.

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Beitrag  Gast Mo 13 Jul 2009, 09:28

Kapitel 7:

„Sie möchten also immer noch nicht reden?“
Ich beobachtete ihn. Streng blickte der Arzt mich durch seine Brille an. Am liebsten hätte ich gelächelt, gelacht, ganz hoch und verrückt. Ich würde niemals reden. Wie lange sie hier wohl brauchten um dies zu verstehen? Zu kapieren? Wie lange musste ich noch hier liegen und schweigen?
„Ich verstehe.“
Er schien wütend. Sein Gesicht war angespannt, seine Augenbrauen bildete eine fast gerade Linie. Er würde schneller die Geduld verlieren. Viel schneller. Wahrscheinlich riss er sich jetzt schon zusammen. Ich legte den Kopf schief.
„Sie verstehen mich genau, oder?“
Ich blinzelte. Draußen verließen die letzten Sonnenstrahlen die Welt. Auch dieser Tag war geschafft.
„Wie lange wollen sie dieses Spiel eigentlich weiter spielen?“
Langsam sah ich ihn wieder an. Er war wütend. Weswegen war er wütend? Konnte man auf eine Stumme wütend sein? Nur weil sie schwieg? Geräusche waren doch verboten, die Schreie wurden doch unterbunden. Warum sollte ich also sprechen? Etwas sagen? Nichts würde mich hier heraus bringen und niemand mir glauben. Er seufzte, fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare.
„Ich habe noch keinen Bericht von Dr. Forsyth vorliegen. Aber mit Sicherheit sind sie bei ihm genauso schweigsam, wie bei jedem weiteren Arzt, oder?“
Ich beobachtete ihn, als er langsam näher kam. Tief atmete ich durch. Ja, er verlor als Erster die Geduld. Und dabei kannte er mich noch gar nicht. Vielleicht widerte ihn diese Stille an. Stille, an der sie selber Schuld waren. Aber war verrücktes Gerede besser? Gerede von unförmigem Zeug, was niemand glaubte und verstand? Wollten sie wirklich das haben? Sinnloses Gerede, Hauptsache es gab Therapieziele? Für mich gab es keine Therapieziele. Niemals.
„Sie können sehr wohl reden und es wäre zu ihrem Gunsten, wenn sie reden würden.“
Sein Blick wanderte zu der Plastikflasche hinauf. Ich schluckte. Bitte nicht. Keine Erhöhung. Nicht das. Mein Magen rebellierte bei der bloßen Vorstellung und mein Kopf schwirrte und fühlte sich matt an. Ich zuckte automatisch zurück, als er die Hand ausstreckte und das Rädchen umschlossen hielt. Bloß nicht.
„Eine Erhöhung wird ihnen sicher die Augen öffnen. Wissen sie, wir wollen ihnen nur helfen. Es wird alles gut, sie müssen nur mit uns reden.“
Die Tropfen wurden schneller, ein rasender Film. 15 Minuten noch, dann würde mein Magen sich umdrehen. Panik ergriff mich. Mein Blick huschte zum Fenster. Dunkel, alles war dunkel. Ich zuckte zusammen als die Türe aufgestoßen wurde.
„Oh. Ich wusste gar nicht, dass wir Heute eine Gruppenstunde feiern.“
Er hatte gerade noch gefehlt. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er den rundlichen Arzt entdeckte.
„Dr. Clar. Schöner Abend Heute, oder? Gibt es Probleme?“
Langsam sah ich von einem zum Anderen. Nun wusste ich zumindest den Namen von dem rundlichen Arzt. Leise räusperte sich dieser und blickte auf seine Uhr.
„Nein. Nein, nein. Ich wollte mich nur davon überzeugen, ob die Therapie angeschlagen hatte.“
Ein Rumpeln ging durch meinen Magen. Vorsichtig streckte ich die Hand nach dem Rädchen aus und zog sie wieder zurück, als der Wunderheiler mich musterte.
„So schnell geht das aber nicht. Etwas Geduld müssen sie schon haben.“
Wieder räusperte Dr. Clar sich. Steckte seine Hände in die Taschen seines Kittels.
„Ja. Da werden sie wohl Recht behalten. Ich erwarte Morgen Früh einen eingehenden Bericht. Das gehört zu ihrer Arbeit genauso dazu.“
Langsam sah Dr. Clar mich an. Am liebsten hätte ich im die Zunge rausgestreckt oder gar eine tolle Beleidigung an den Kopf geworfen. Doch ich blieb reglos liegen und versuchte unbemerkt nach dem Rädchen zu angeln.
„Ich denke meine Arbeit ist hiermit getan für Heute.“
Langsam wandte er sich zu meinem Wunderheiler um.
„Und sie vergessen den Bericht nicht.“
Ohne ein Abschiedswort verschwand er aus der Tür. Ich streckte mich ein wenig, angelte nach dem Rädchen und seufzte innerlich auf, als ich wieder abrutschte.
„Soll ich Ihnen helfen oder geht es auch so?“
Erschrocken fuhr ich zusammen, ließ die Hand sinken. Ohne es zu wollen wurde ich rot, als ich sein Grinsen bemerkte. Mein Herz schlug schneller, als er um das Bett kam und an dem Rädchen drehte. Übelkeit stieg langsam in mir hoch und ich atmete erleichtert auf, als die Flüssigkeit gleichmäßiger tropfte, fast langsam schon.
„Besser so?“
Ich beobachtete ihn, dann wanderte mein Blick aus dem Fenster. Es war finster und es regnete wieder.
„Achja. Sie reden ja nicht. Stimmt ja.“
Nur nebensächlich hörte ich, wie er einen Stuhl heran zog und sich neben mich setzte.
„Heute war ein schöner Tag, oder? Die Sonne schien, aber jetzt regnet es. Wie immer. Und Schnee soll kommen. Wussten sie das schon?“
Angestrengt sah ich hinaus. Auch er würde lernen, dass reden keinen Zweck hatte.
„Ich mag Schnee lieber. Regen ist so….zu nass. Da wird man zu schnell nass und er dringt zu schnell durch die Kleidung. Schnee dagegen ist nicht so heimtückisch. Kälter vielleicht, aber es sieht auch schöner aus. Finden sie nicht?“
Vorsichtig schielte ich zu ihm rüber. Auch er sah zur Fenster hinaus.
„Mögen sie lieber Licht oder Dunkelheit? Ich glaube Licht, sie sehen aus, als ob sie lieber das Licht mögen. Die Sonne, die Strahlen, die Wärme. Sie vermissen es, oder? Früher waren sie nur draußen, nur in der Sonne, in dem Licht. Es fehlt Ihnen, oder?“
Mein Kopf fuhr herum und ich zuckte zusammen, als unsere Blicke sich trafen. Wörter krochen meinen Hals hinauf, krochen in meinen Mund. Antworten schlüpften mir bei nahe heraus. Beinahe. Im letzten Moment hielt ich sie zurück, schluckte sie runter. Er lächelte. Seine Augen glitzerten.
„Sehen sie. Sie mögen lieber das Licht, anstatt die Dunkelheit. Vor der Dunkelheit haben sie Angst.“
Mein Atem stockte. Zitternd atmete ich weiter.
„Mir ist es egal. Licht oder Dunkelheit. Beides macht mir keine Angst. In der Dunkelheit kann man sich leichter verstecken. Im Licht wird die Wahrheit leichter gezeigt. In der Dunkelheit tauchen Monster auf.“
Ich beobachtete ihn. Konnte meinen Blick nicht abwenden. Wie gerne hätte ich ihm geantwortet. Gesagt, wie viel Angst mir die Dunkelheit bereitete. Welch Panik ich vor ihr hatte. In der Dunkelheit tauchen die Monster auf. Wie Recht er doch hatte.
„Wann wollen sie es mir sagen?“
Ich blinzelte. Öffnete meinen Mund und schloss ihn wieder. Nein ich würde nicht reden. Niemals. Leise seufzte er.
„Sie können mir vertrauen. Ich erzähle es auch niemanden weiter.“
Er zwinkerte mir zu. Langsam wandte ich mich ab. Starrte an die Decke.
„Es wäre vieles einfacher. Für sie. Sie müssten nur reden. Warum hat man sie gefesselt?“
Mein Blick blieb an der Decke haften.
„Was haben sie gemacht? Um sich geschlagen? Wollten sie weglaufen?“
Ich versuchte gleichmäßig zu atmen. Tief ein und wieder aus.
„Was wollen sie erreichen? Ich verstehe sie nicht.“
Niemand verstand mich. Langsam schloss ich die Augen. Würde man mich verstehen, wäre ich nicht hier. Ich hörte wie er aufstand, den Stuhl weg rückte. Gewonnen. Auch diesmal hatte ich gewonnen. Ich hörte keine Schritte, wahrscheinlich schlich er hinaus und dachte, ich wäre eingeschlafen. Angestrengt lauschte ich, doch keine Türe öffnete sich. Eine Weile wartete ich, doch nichts tat sich. Vorsichtig öffnete ich die Augen und zuckte zusammen, als ich ihn erblickte. Grinsend an die Wand gelehnt.
„Sie sind neugierig. Ich hab mich schon gefragt, wie lange sie das aushalten. Dass sie nicht geschlafen haben hat man gesehen. Dafür haben sie viel zu schnell geatmet.“
Langsam löste er sich von der Wand, trat auf mich zu. Ich hielt den Atem an, weswegen wusste ich nicht.
„Irgendwann werden sie mir schon vertrauen und dann werden sie mit mir reden. Ich habe Geduld genug zu warten. Aber sie müssen mir glauben. Ich erzähle es niemanden weiter. Und Schweigen ist keine Lösung. Es vertreibt keine Monster.“
Er lächelte. Mein Herz setzte einen Sprung aus.
„Naja, ich gehe jetzt meine Berichte schreiben. Hausaufgaben. Wir wollen ja keine Strafarbeiten riskieren.“
Vorsichtig legte er seine Hand an meine Wange. Ich wollte zurück zucken, doch sie war nicht kalt. Angenehm warm war sie.
„Schlafen sie gut, Morgen bin ich wieder da und dann habe ich mehr Zeit, für geduldiges sitzen und reden. Sie können sich ja ein paar Themen überlegen.“
Wieder zwinkerte er und fast hätte ich gelächelt. Lautlos glitt er zur Türe, blieb an ihrem Rahmen stehen und drehte sich wieder um.
„Und denken sie daran. Schweigen vertreibt die Monster nicht. Es hilft nicht.“
Dann war er verschwunden. Ich sah ihm nach, mein Blick blieb an der Stelle hängen, an der er gestanden hatte. Schweigen vertrieb keine Monster. Die Türe fiel zu, lautlos glitt sie ins Schloss. Schweigen vertrieb keine Monster. Langsam sah ich hinaus. Atmete tief ein. Und seufzte auf. Mir entglitt der erste Ton seit langem. Und die Stille verschwand für einen kleinen Moment.

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Beitrag  Gast Di 14 Jul 2009, 18:33

Kapitel 8:

Leise seufzte er, streckte sich und überflog den Bericht, den er geschrieben hatte. Das musste reichen. Ein Lächeln trat auf sein Gesicht. Das hatte zu reichen. Mehr würde er nicht schreiben, konnte er nicht schreiben. Vielleicht zu späterem Zeitpunkt. Vielleicht dann. Und selbst dann würde er sich überlegen, was er schrieb und was er lieber für sich behielt. Dr. Clar war ihm nicht Vertrauenswürdig. Er mochte etwas an seinem Blick nicht. Seinen Gesten. Der Mimik. Er lachte. Im Grunde mochte er den ganzen Mann nicht. Langsam trat er ans Fenster, öffnete es.
Es war kalt und der Regen hatte aufgehört. Dafür tanzten feine, weiße Schneeflocken vom Himmel. So wie er es gesagt hatte. Er behielt meistens Recht, wenn es um das Wetter ging. Tief atmete er ein. Er liebte die Nacht. Das Säuseln des Windes, der durch die Bäume fuhr. Das Ächzen der knochigen Äste und Stämme. Das Murmeln der Dunkelheit, gefährlich und lockend. Er lächelte und seine Zähne blitzten weiß im spärlichen Mondlicht auf. Er liebte die Nacht.
Tod und Verderben. Tod und Verderben lasten auf diesen Mauern.
Langsam drehte er sich um, legte den Kopf schräg. Eine Stimme hatte sich aus den Schreien heraus kristallisiert. Sie war dröhnend, hell und leuchtend. Leise seufzte er. Auch das geschah.
Der Tod lauert an jeder Ecke. Und ihr seid die Handlanger.
Er lächelte. Diesen Verrückten hätte er gerne kennen gelernt, der diese Sätze mit einer Inbrunst heraus schoss, dass sie bewundernswert war.
Ihr seit seine Handlanger und wisst es. Mörder. Mörder, allesamt.
Wohl wahr. Wie Recht dieser Mensch doch gehabt hatte. Welch Wahrheit er doch gesprochen hatte. Dr. Clar fiel ihm wieder ein. Er war einer von Ihnen. Der mit Gewissen mordete. Sie fiel ihm ein. Und die Flüssigkeit die sie durch sie hindurch jagten. Das wäre der erste Schritt. Er hatte es in seinem Bericht angesprochen. Diese Flüssigkeit absetzen. Das Todbringende Gebräu, welches sie langsam zerstören sollte. Noch hielt sie sich tapfer, ihr Herz schlug stark und gleichmäßig, aber wie lange würde es dauern, bis Aussetzer es durchzogen? Es kraftlos und schlapp wurde und irgendwann gänzlich aufhörte zu schlagen. Wieder seufzte er. Im Grunde konnte es ihm egal sein. Er konnte das Spiel der Anderen mit spielen. Für ihn war das hier ein Zeitvertreib ein Alibi würden sie es wohl nennen. Er würde wieder gehen, in Monaten, Jahren, wäre er wieder weg. Es konnte ihm egal sein, was sie ihr gaben, was sie den Anderen gaben.
Aber doch. Trotzdem. Es war nicht egal. Ihm nicht egal. Langsam schloss er das Fenster. Ihr Fall war interessant. Es lohnte sich ihr zu helfen. Damit käme er seinem Ziel ein Schritt näher. Wieder glitt ein Lächeln über seine Lippen. Und wenn es nicht wahr war. Nun denn, dann hatte er eine Irre gerettet. Einer Verrückten geholfen. Kein schlechter Zug. Schließlich sollte man ja immer wieder etwas Gutes tun. Leise lachte er, heftete den Bericht zusammen und legte ihn pfeifend einen Schreibtisch weiter. Was er mit ihr anstellen würde, sollte alles wahr sein, dass wusste er noch nicht. Darüber wollte er sich auch keine Gedanken machen. Einen Schritt nach dem Anderen, Stück für Stück. Später konnte er sich immer noch Gedanken machen, was aus ihr werden würde. Später. Viel später noch. Langsam trat er auf den Flur hinaus. Wartete einen Moment. Dann seufzte er und trat langsam in ihr Zimmer. Sie schlief, dass spürte er sofort.
Tief und fest. Und auch hier drang kein Laut über ihre Lippen. Vorsichtig ließ er sich neben ihrem Bett nieder, beobachtete sie. Flach lag sie auf dem Rücken. Wo sollte sie auch anders hin? Die Fesseln hinderten sie daran. Er seufzte wieder auf. Schritt 2. Diese Fesseln mussten weg. Sie musste sich frei bewegen können. Endlich frei sein. Er hatte ihren Blick gesehen, als sie auf dem Fenster gesehen hatte. Angst. Angst vor der Dunkelheit. Aber auch das Glitzern darin. Der Wunsch nach Freiheit. Langsam legte er den Kopf schief. Ja, sie liebte das Licht. Sie liebte die Sonne, die Wärme. Wie gerne würde sie den Wind spüren, die Sonne, die Freiheit. Doch für die Freiheit mussten die Fesseln ab. Aber auch das würden sie schaffen. Mit den nötigen Argumenten.
Langsam stand er auf, huschte zur anderen Seite. Doch bis dahin würde es ein langer Weg werden. Bis sie hinaus durfte. In die Freiheit. Mit geschickten Bewegungen öffnete er das Fenster, berührte das Gitter davor. Ein Gefängnis. Langsam drehte er sich um, beobachtete sie. Wind fuhr durch das Zimmer, frischer Wind. Mehr konnte er für sie nicht tun, außer dem kleinen Stück Freiheit, welches er ihr hiermit gab. Ein kleines Stück nur. Langsam glitt er zur Türe zurück, hörte wie Bettzeug raschelte, doch sie schlief weiter. Er lächelte, schloss langsam die Türe. Mehr konnte er Heute nicht mehr für sie tun.

Wind fuhr durch meine Haare. Ich stand auf einer Wiese und genoss den Wind. Freiheit. Und es schneite. Ich lachte, reckte mich dem Schnee entgegen. Es war herrlich. Die Kälte auf den Wangen zu spüren. Ich rannte los, die Wiese entlang und die Kälte schnitt mir ins Gesicht. Es war schön. Unglaublich. Ich war frei. Ich lachte, hüpfte und fiel ins Gras. Lachte wieder. Erhob mich langsam wieder.
„Das hat mir gefehlt.“
Meine Stimme hallte über die leere Wiese, in meinem Kopf wieder. Ich lachte und auch das Lachen hallte wieder. Es war so schön. Ich rannte wieder los, sprang und hüpfte, der Schnee bedeckte den Boden, er knirschte unter meinen Füßen. Ich hob meinen Blick an, ließ ihn umher schweifen. Wie angewurzelt blieb ich stehen, als ich sie sah. Ihre blonden Haare wehten im Wind. Ihre Augen, so blau wie meine leuchteten. Sie lächelte, hatte die Hände ineinander gelegt. Ein weißes Kleid ging bis zu ihren Knöchel und bauschte sich im Wind auf. Ihre Füße waren nackt.
„Mama.“
Meine Stimme war ein Flüstern. Sie lächelte und ihre Augen glitzerten noch mehr.
„Mein Kind.“
Sie streckte die Hände aus. Tränen liefen meine Wangen hinunter, als ich auf sie zu trat. Meine Arme um ihren Hals schlang, mich an sie presste. Sie war eiskalt.
„Mama. Du hast mir so gefehlt.“
Ihre Hände fuhren über meine Haare, die ihrer so gleich waren. Meine Augen schwammen vor Tränen. Dieselben Augen.
„Ich weiß. Ich weiß mein Kind.“
Ihre Lippen legten sich an meine Stirn. Auch sie waren eiskalt. Dies machte sicher die Kälte. Der Himmel zog sich zusammen, doch ich hielt mich an ihr fest.
„Lass mich nicht mehr alleine. Bitte. Oh Mama.“
Ich schluchzte, verbarg mein Gesicht in ihren Haaren.
„Ich lasse dich nicht mehr alleine. Mein Kind, nichts wird uns mehr trennen. Nichts, nicht mal der Tod.“
Ich zuckte zusammen, trat einen Schritt zurück. Ein Schrei verließ meinen Mund, als ich in ihre roten Augen blickte. Sie lächelte und ihre Zähne glichen denen eines Raubtieres. Panik ergriff mich. Sie hielt mich fest.
„Mama. Oh Mama, was haben sie mit dir gemacht?“
Sie lachte, es war ein kehliger Laut der mich erschreckte. Sie trat näher, legte ihre Lippen an meine Stirn.
„Sie haben uns einen Weg gegeben zusammen zu bleiben. Auf Ewigkeit.“
Ein Schmerz durchfuhr meinen Hals, ein Laut verließ sie und für einen Moment hatte ich das Gefühl, ein großes Raubtier an meiner Kehle hängen zu haben. Kein Schrei verließ mich, als Blut meinen Hals hinab lief. Sie grunzte, während Tränen meine Wangen hinunter liefen. Dunkelheit griff nach mir und ich glitt ihr entgegen, dankbar dem Wesen zu entfliehen, was an meiner Kehle hing. Der Tod auf mir. Ich weinte, schluchzte, als die Dunkelheit mich umgab, mit sich zog, tiefer und tiefer. Hinein in die Tiefe, in die Dunkelheit, fort vom Licht. Fort von Sonne und Wärme. Für immer. Auf Ewigkeit.


Wieder trat er in ihr Zimmer. Eigentlich hatte er nur einen Rundgang gemacht, bis er an ihrer Türe den harten, schnellen Rhythmus vernommen hatte. Ein Alptraum. Langsam glitt er zu ihrem Bett, seufzte auf, als die Tränen auf ihren Wangen im Mondlicht schimmerten. Vorsichtig streckte er die Hand aus, berührte ihre Wange. Zuckte zurück, als sie zusammen fuhr und sich Kerzengerade ins Bett setze. Ihr Atem verließ stoßweise ihre Lippen und ihr Herz raste, dröhnte in seinen Ohren. Wieder seufzte er, tätschelte ihren Rücken, blickte ihr in die Augen.
„Schlecht geträumt?“
Sie sah ihn an und er merkte, dass sie noch nicht ganz da war. Langsam beugte er sich vor, musterte sie prüfend.
„Was ist passiert?“
Ihre Hand wanderte zu ihrem Hals und er beobachtete sie dabei. Nein, sie merkte nicht was sie hier tat, sie merkte nicht, dass sie wach war, wo sie war. Ihre Augen schimmerten blau und trüb. Als läge ein Schleier über ihnen.
„Tod.“
Ihre Stimme war leise, aber er hörte sie deutlich. Sie krächzte, ihre Stimme war rau, als wäre sie lange nicht mehr benutzt worden.
„Wer?“
Vorsichtig hielt er sie an den Schultern fest, sah über seine Eigene, dass niemand herein kam.
„Mama. Ich.“
Sie zitterte. Tränen liefen ihre Wangen hinunter, tropften auf die Bettdecke. Vorsichtig strich er ihr über die Haare.
„Nein. Nein, sie leben. Sie sind hier.“
Ihr Atem wurde noch schneller. Er knurrte leise. Frauen neigten immer dazu hysterisch zu werden.
„Vampir.“
Er zuckte zusammen, starrte sie an.
„Wer?“
Sie keuchte.
„Mama.“
Sie schluchzte, krümmte sich zusammen. Sie weinte. Nun wurde sie hysterisch. Leise seufzte er, setzte sich neben sie und hielt sie fest. Starrte an die Decke. Schritt für Schritt. Aber vielleicht ging es doch schneller, als er gedacht hatte.

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Beitrag  Gast Mi 15 Jul 2009, 10:41

Kapitel 9:

Langsam stand sie auf. Lächelte. Ihre blonden Haare fielen offen über ihren Rücken. Ihre Augen glitzerten. Das Lächeln entblößte ihre Zähne. Ihre Eckzähne, spitze Fangzähne. Leise lachte sie. Streckte sich. Es war ein geruhsamer Schlaf gewesen. Mit einem lustigen Traum. Das Gesicht der Frau fiel ihr ein. Wieder lachte sie, ihr Lachen war ein kehliger Laut, einem Tier gleich. Ja, es war ein lustiger Traum gewesen. Doch jetzt hatte sie Hunger, noch gefangen von den Erinnerungen an diesen Traum. Langsam trat sie durch das Haus, ihre Füße tappten über das Laminat. Langsam glitt sie von Raum zu Raum und lächelte, als sie den Mann entdeckte.
Er hockte vor einem Schreibtisch, einen Computer vor seinen Augen, dessen Bildschirm sich in seinen Brillengläsern wieder spiegelte. Langsam hob sie die Hand, schnippte einmal laut. Sein Kopf flog herum und er stand in Sekundenschnelle auf. Ja, so gehörte es sich für Diener, immer auf dem Sprung bereit.
„Ich habe Hunger. Komm her zu mir.“
Ihre Stimme war Glockenhell, so hell wie früher und sie lockte ihren Diener an. Wie benommen trat er auf sie zu, machte einen Knicks vor ihr. Das hatte sie ihm bei gebracht und sie war stolz auf seinen Gehorsam.
„Gut gemacht. Brav. Dreh dich um.“
Seine Augen glänzten und ein seliges Lächeln lag auf seinen Lippen, als er sich langsam umdrehte. Ihre Augen verfärbten sich rot, als sie das Blut in ihrem Kopf rauschen hören konnte und sie fast schon den Geschmack von frischem Blut auf der Zunge spürte. Langsam tippte sie gegen seine Schläfe.
„Leg den Kopf schräg, wie ich es dir bei gebracht habe.“
Gehorsam kippte sein Kopf zur Seite. Langsam trat sie auf ihn zu, fuhr mit ihrem Zeigefinger über seinen Hals. Eiskalt waren ihre Finger und eine Gänsehaut bildete sich auf der menschlichen Haut. Sie lächelte, ihre Zähne blitzten weiß und ein Fauchen entglitt ihr, als sie ihre Zähne tief in seinen Hals einschlug. Er erzitterte, warf den Kopf ein Stück zurück. Ein Stöhnen entglitt ihm. Sie schloss die Augen, stillte ihren Durst, spürte das Brennen hinter ihren Augen. Langsam färbten sie sich rot, dunkelrot. Der Mann verschwand und auch der Raum. Ihr Traum kam ihr wieder in den Sinn und ihr Hunger steigerte sich, als die Frau an seine Stelle trat. In ihrem Traum war sie es, sie es die hier vor ihr stand, mit dem Rücken zu ihr.
Leise knurrte sie, zog mehr und mehr der kostbaren Nahrung aus ihm heraus und stellte sich dabei sie vor. Die Schreckerweiteten blauen Augen. Den Mund zu einem Schrei geöffnet. Die Haare, Honigblond und seidig wehten im Wind wie goldene Fahnen. Der Geschmack ihres Blutes. Rasch zog sie ihre Zähne aus seinem Hals, stieß ihn von sich. Blut lief ihre Mundwinkel hinab, tropfte auf ihr weißes Kleid. Sie fauchte, fuhr sich mit der Hand über den Mund und betrachtete die Gestalt am Boden. Langsam stand er auf, knickste und trat zurück an seinen Computer. Die Stelle an seinem Hals blutete. Langsam wandte sie sich ab, glitt zurück in ihr Zimmer, die Frau fiel ihr wieder ein und wieder lächelte sie. Wie gerne würde sie das Blut dieser Frau schmecken. Der Frau, die einmal ihre Tochter gewesen war.

Was hatte ich getan? Stumm lag ich in meinem Bett, starrte an die Decke. Er war immer noch da, saß reglos auf einem Stuhl neben mir und beobachtete mich.
„Schon wieder die Sprache verloren? Dabei haben Sie eine so schöne Stimme.“
Meine Lippen blieben verschlossen. Es war ein Fehler gewesen. Niemals hätte ich sprechen dürfen. Aber er hatte mich genau da erwischt, als ich am Schwächsten war. Genau in dieser Situation. Ich atmete tief durch. Es war ein Fehler gewesen.
„Wollen sie nicht darüber reden? Etwas genauer?“
Was sollte ich schon reden? Er hielt mich sicher für verrückt, nach diesem hysterischem Anfall. Natürlich hielt er mich für verrückt. Ohne Grund lag ich nicht hier. Ich spürte seine Hand auf meiner und sie war wieder kalt. Ich schreckte zurück, vergrub meine Hand unter der Decke. Er seufzte.
„Sie sind nicht gerade einfach.“
Langsam stand er auf, blickte hinaus. Bald würde es dämmern und die Dunkelheit würde verschwinden. Erleichtert atmete ich aus.
„Ich muss nun gehen, aber ich werde wieder kommen. In ein paar Stunden sehen wir uns wieder und vielleicht reden sie dann mir.“
Er glitt zur Tür und zum ersten Mal fiel mir auf, wie leise er ging. Kein Schritt war zu hören. Seine Bewegungen wirkten elegant und dafür beneidete ich ihn. Damals, als ich frei war und gehen konnte, hatte ich einem Trampel geglichen. Einem Elefanten gleich. An der Tür drehte er sich wieder um und er musterte mich aus grauen Augen. Innerlich seufzte ich auf. So schöne, graue Augen, die so perfekt zu den schwarzen Haaren passten.
„Im Übrigen halte ich mein Versprechen. Niemand wird hiervon etwas erfahren.“
Er lächelte und ein Grübchen zeigte sich auf seiner Wange.
„Vielleicht überlegen sie es sich jetzt doch noch mal mit mir zu reden.“
Und dann war er verschwunden. Leise seufzte ich auf, starrte aus dem Fenster. Ja, bald würde es dämmern und dann würde die Dunkelheit verschwinden. Und mit ihr die Monster. In der Dunkelheit tauchten die Monster auf. Langsam schloss ich die Augen und riss sie wieder auf, als das Gesicht meiner Mutter vor mir auftauchte. Meiner Mutter, die nicht meine war. Die roten Augen brannten sich in mir ein, ihre Fangzähne und der kehlige Laut. Er klang wieder und wieder in meinen Ohren. Ich erschauderte. Zitterte. Dieser kehlige Laut. Wieder schloss ich die Augen, ich war müde, doch als sie wieder auftauchte, hielt ich die Augen offen. An Schlaf war nicht zu denken.
Ich seufzte, blickte aus dem Fenster und wartete auf die ersten Sonnenstrahlen. Sonnenstrahlen die das Dunkel vertreiben würden und die Monster. Sonnenstrahlen die mir helfen würden. Wenn der Morgen anbrach war ich sicher, die Realität, der Alltag hier hatte mich wieder. Wenn der Morgen abrechen würde wäre ich in Sicherheit. Endlich wieder in Sicherheit.

Unruhig sah er in die Nacht hinein. Bald würde es dämmern. Er hatte sich verschätzt, zu viel Zeit mit ihr verbracht. Aber er hätte sie auch schlecht weinend und hysterisch zurück lassen können. Er seufzte, stieg in seinen Wagen. Ein schickes, kleines Cabrio. Schwarz, mit Ledersitzen. Röhrend ging der Motor an und die Reifen quietschten, als er Gas gab. Zuviel Zeit bei ihr. Aber wie hätte er auch ahnen können, dass sie so schnell ihr Wort erheben würde? Das es so schnell ging? Niemals hätte er gedacht, dass ein einfacher Traum ihr die ersten Worte entlocken würden. Albtraum.
Er trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad. Sie war nicht verrückt. Diese Erkenntnis war ihm gekommen, als sie gesprochen hatte. Die Angst. Die Verzweiflung. Er hatte sie gespürt, gehört, so wie er die Schreie in den Wänden hörte, die Stimmen und Flüche, die Ängste und Hoffnungen. Er hörte sie alle. Und er hatte die Angst bei ihr gehört, die nackte Panik über das was sie gesehen hatte. Nein, sie war nicht verrückt. Das was sie dort hinein gebracht hatte, hatte wie wirklich gesehen, es wirklich erlebt. Er seufzte. Armes Ding. Wer wäre bei solchen Erlebnissen nicht dort gelandet?
Der Himmel färbte sich rosa, als er auf die Auffahrt seines Hauses fuhr. Das Gitter schloss sich hinter ihm wieder. Er raste an seinem Vorgarten, Park traf es eher, vorbei und hielt quietschend vor der großen Haustüre an. Hastig sprang er aus dem Wagen, hüpfte die Stufen hoch und riss die Türe auf. Gerade rechtzeitig. Das nächste Mal müsste er mehr auf seine Zeit achten. Langsam trat er durch den leeren Vorsaal, wandte sich nach links und schlenderte durch die Küche. Kein Schritt war zu hören. Er grinste. Lautlos wie eine Raubkatze. Langsam riss er den Kühlschrank auf, nahm einen der Beutel heraus und öffnete ihn. Goss die rote Flüssigkeit in ein Glas und stellte sie in die Mikrowelle.
Fünf Minuten musste er nun warten, in denen er das Radio einstellte, die Schuhe auszog und sich streckte. Er war müde, so wie immer wenn der Morgen anbrach und der Tag begann. Es piepte, er entnahm das Glas und leerte es in einem Zug. Ordnungsgemäß säuberte er es, stellte es zurück und schlenderte dann zurück, durch den Vorsaal die Treppen hinauf. Vor seinem Zimmer blieb er stehen, schüttelte dann aber den Kopf. Er musste noch etwas arbeiten. Seine neuesten Erkenntnisse auftragen. Langsam trat er in den Raum gegenüber seines Zimmers, schaltete das Licht an, obwohl er es nicht brauchte. Die Dunkelheit war ihm vertraut und in ihr konnte er hervorragend sehen. Zügig ging er zu dem großen Schreibtisch mit dem dunklen Holz, setze sich vor den Computer und schaltete ihn ein. Sein Blick fuhr umher, über Bilder von Frauen. Unterschiedlichen Frauen, aus unterschiedlichen Ländern. Notizen hingen neben jeder und er seufzte leise auf. Viel Arbeit. Viel Arbeit die es galt zu ordnen, zu verknüpfen, und die Lösung zu finden. Wieder seufzte er und betrachtete das letzte Foto. Ihr Bild hatte er aus der Krankenakte genommen. Ihre blauen Augen starrten ihn an, wieder seufzte er auf. Das letzte Bild. Und vielleicht der Schlüssel zum Ziel.

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Beitrag  Gast Fr 17 Jul 2009, 11:20

Kapitel 10:

„Sie reden also immer noch nicht?“
Ich musterte den Arzt. Versuchte mich an seinen Namen zu erinnern. Ich gab es auf, sah in sein strenges, rundliches Gesicht. Sein Name fiel mir nicht ein. Soweit gekommen war es schon. Nichts konnte ich mir merken. Aber wie sollte man sich Sachen merken, die einem egal waren? Er lachte und ich schloss die Augen. Er nervte mich. Ich war müde, schrecklich müde und mein Magen tat weh.
„Und wir sollen Ihnen wirklich die Infusion ablegen? Da muss ich mit meinem Kollegen aber noch mal reden.“
Die Augen öffnete ich wieder. Überrascht blinzelte ich und sah an der Infusion hinauf. Was für ein Traum wäre es, dieses schreckliche Ding los zu wesen. Besonders die Nadel in meiner Hand. Ich seufzte innerlich auf, bewegte sie vorsichtig. Sie tat weh und der blaue Fleck hatte an Farbe gewonnen. Leise seufzte der Arzt.
„Wissen Sie, jeder Patient liegt mir irgendwo am Herzen, manche mehr, manche weniger. Und ganz offen gesagt, sie liegen mir weniger am Herzen. Ich bin klug genug um zu wissen, dass sie es nicht schaffen. Klug genug zu wissen, dass sie einer dieser Fälle sind. Einer der Jenigen, die diese Wände nicht verlassen werden. Nicht lebend.“
Wieder seufzte er. In mir regte sich nichts. Keine Wut. Keine Entrüstung. Nicht mal Schmerz. Seine Worte waren mir egal.
„Das ist traurig. Sie sind noch jung und mit etwas Lebenswillen würden sie es schaffen. Aber, naja. Was nicht sein will, dass kann auch nicht sein.“
Langsam stieß er sich ab.
„Vielleicht berappeln sie sich wieder und vielleicht schafft es mein Kollege ja doch. Ich hoffe auf sie nicht mehr.“
Langsam ging er hinaus. Ich sah ihm nach, wartete bis die Türe geschlossen war und streckte dann die Zunge raus. Etwas in mir regte sich und ich musste Lächeln. Es tat gut. Ihm die Zunge rauszustrecken. Niemals würde ich diese Regung vor Jemanden zeigen, aber jetzt tat es gut. Ich kniff die Augen zusammen und streckte die Zunge wieder raus. Ich hörte das Surren der Lampen, das Klicken der Birnen und die Stille, die in meinen Ohren dröhnte. Und die Türe, die langsam zu ging.
„Nette Begrüßung. So was wünscht man sich doch.“
Erschrocken fuhr ich zusammen, so plötzlich wurde die Stille zerbrochen. Innerhalb von Sekunden wechselte mein Gesicht die Farbe, von blass zu rot.
„Hey, sie können ja ihre Farbe wechseln! Ich dachte immer, dass können nur spezielle Tierarten.“
Er kicherte leise, zog einen Stuhl heran und ließ sich neben mich fallen. Ich seufzte auf, schloss die Augen. Sein Grinsen wollte ich nicht sehen.
„Ich habe Ihnen etwas mit gebracht. Aber das dürfen sie niemanden verraten.“
Langsam öffnete ich sie Augen wieder. Beobachtete ihn dabei, wie er eine kleine Papiertüte auspackte. Grinsend reichte er sie mir.
„Nehmen Sie sie ruhig. Das was darin ist beisst sie nicht.“
Zögernd nahm ich sie an, tastete vorsichtig um zu raten, was darin sein könnte. Hart und lang war es. Vielleicht ein Klappmesser um Amok zu laufen. Fast hätte ich gelächelt, doch ich hielt mich zurück. Zu viele Regungen waren nicht gut.
„Jetzt gucken sie schon rein. Es tut nicht weh.“
Ich seufzte wieder auf, öffnete sie und spinkste hinein. Fast hätte ich verzückt aufgeschrien. Fest biss ich mir auf die Unterlippe, drehte die Tüte und schüttelte sie aus. Zwei Schokoriegel purzelten auf die Bettdecke und lagen wie zwei Goldschätze auf mir. Noch ehe ich es verhindern konnte, huschte ein Lächeln über mein Gesicht. Schokolade.
„Wie ich sehe, sie scheinen sich zu freuen. Ich habe mir mal so die….Essenspläne angesehen und dabei hat es mich geschüttelt. Und da sie ja sehr…..unruhige Träume haben dachte ich mir, Schokolade sei die beste Medizin dagegen. Und aus sicheren Kreisen weiß ich, dass Frauen auf Schokolade stehen. Vielleicht gewinne ich ja so ihr Herz. Oder zumindest ihr Vertrauen.“
Er zwinkerte und mein Lächeln blieb. Zum ersten Mal empfand ich ein positives Gefühl in mir. Freude. Vorsichtig berührte ich das Papier des Schokoriegels. Fast ehrfürchtig strich ich darüber. Schokolade.
„Na los. Essen sie ihn schon.“
Vorsichtig sah ich zur Tür. Ich wollte nicht wissen was passieren würde, wenn Jemand herein kommen würde. Ich mit Schokolade im Mund und er neben mir, die Papiertüte in der Hand. Ich schluckte.
„Es kommt niemand.“
Ich seufzte. Sein Wort in Gottes Ohr. Mit zittrigen Fingern öffnete ich das Papier, zog es hinunter und seufzte wieder auf. Stundenlang hätte ich diesen einen Riegel anstarren können. Schokolade. Ein Stück Normalität. Ein Stück Freiheit. Langsam biss ich hinein und im selben Moment schossen Tränen in meine Augen. Fast musste ich über mich selber den Kopf schütteln und hielt die Tränen energisch zurück. Ich würde nicht wegen Schokolade weinen. Niemals.
„Schmeckt es?“
Er grinste und als ich den nächsten Bissen nahm, seufzte ich wieder auf und nickte schwach. Die Tränen drangen hinter meine Augen, brannten. Energisch hielt ich sie zurück. Niemals. Dann würde er mich erst Recht für verrückt halten. Vollkommen durchgedreht. Eine erwachsene Frau, die wegen einem Schokoriegel weinte.
„Schön. Wissen Sie, sie müssen mir nicht danken. Ihre Augen reichen schon.“
Ich hielt mitten im Kauen an. Mein Kopf fuhr herum. Leise lachte er.
„Keine Sorge, ich möchte nicht ihre Augen haben. Es reicht zu sehen, dass sie Strahlen. Sie sehen aus wie ein Kind vor dem Weihnachtsbaum. Und das ist schön. Das reicht mir vollkommen. Natürlich können sie auch Danke sagen.“
Er zwinkerte mir zu und ich beobachtete ihn. Er war kein normaler Arzt. Nicht wie die Anderen, die vor ihm gekommen waren. Nicht wie der rundliche, strenge Arzt, der mich aufgegeben hatte. Er war anders, nicht trostlos, nicht gelangweilt. Mein Herz schlug schneller. Er gab mich nicht auf. Langsam schob ich das letzte Stück Schokolade in meinen Mund und musterte den zweiten Riegel.
„Wollen Sie den auch noch essen? Nicht das sie Bauchschmerzen kriegen. Dann haben wir den Salat!“
Langsam sah ich mich um. Verstecke gab es hier keine. Der Plastikschrank hatte keine Schubladen. Zu viel könnte man sonst dort lagern. Ich seufzte auf. Unter meinem Kissen würde er schmelzen.
„Ich weiß wo wir ihn hintun.“
Langsam stand er auf, ging zu einem Schränkchen am Ende des Raumes. Dort war Verbandmaterial drin, dass wusste ich. Er grinste, kam mit zwei Klebestreifen wieder und nahm mir den Riegel ab. Ich beobachtete ihn dabei, wie er den Riegel neben mir unter einer Bettlatte anbrachte.
„Sehen Sie? Niemand kann ihn sehen, außer er krabbelt unter ihr Bett, aber das glaube ich ja kaum. Und sie müssen nur unter das Bett fassen und ihn abziehen. Ganz einfach. Warten sie, ich zeige es ihnen.“
Mein Herz setzte aus, als er meine Hand ergriff und unter das Bett zog. Sie war ganz warm, angenehm warm. Mit den Fingerspitzen strich ich über den Schokoriegel.
„Ganz nah bei Ihnen. Wenn sie Heute Nacht wieder schlecht schlafen und wach werden, nehmen sie sich den Schokoriegel einfach und essen ihn. Das Papier schieben sie einfach unter ihr Kissen, das fällt nicht auf. Schokolade beruhigt. Und wenn sie den Schokoriegel essen, bin ich bei Ihnen, auch wenn ich nicht hier in diesem Raum bin. Sie sind nicht alleine.“
Ich sah ihn an und mein Herz pochte schneller, als unsere Blicke sich trafen. Er lächelte und ließ meine Hand los. Langsam stand er auf.
„Nun muss ich leider wieder gehen. Mir läuft Heute etwas die Zeit weg. Ein neuer Patient ist angekommen und die benötigen immer etwas mehr Aufmerksamkeit.“
Lautlos ging er um mein Bett herum, aber daran hatte ich mich schon gewöhnt. Es war merkwürdig, wie schnell man sich an fremde Sachen gewöhnen konnte. Ich zögerte. Meine Fingerspitzen fuhren über den Schokoriegel.
„Lassen sie es sich schmecken.“
Er grinste und legte seine Hand auf die Türklinke. Ich seufzte und schloss die Augen. Es wäre ein Fehler. Aber auch unhöflich. Er hatte sein Versprechen gehalten und niemand schien zu wissen, was letzte Nacht oder eher, diesen Morgen passiert war. Leise räusperte ich mich und atmete zitternd aus, als er mich ansah. Seine Augen leuchteten interessiert. Ich öffnete meinen Mund, schloss ihn wieder und atmete tief durch. Zwang mich zur Ruhe und öffnete ihn wieder.
„Danke.“
Einen Moment herrschte Stille und er sah mich verwundert an. Nervös biss ich mir auf die Lippe. Es war ein Fehler gewesen. Ganz klar. Ein schrecklicher Fehler. Niemals hätte ich etwas sagen dürfen. Mein Herz setzte aus, als er lächelte. Das Lächeln zu einem Grinsen wurde. Seine Augen leuchteten und fast zwingend trat auch auf mein Gesicht ein Lächeln. Langsam öffnete er die Türe und schlüpfte hinaus. Ich lehnte mich zurück, schloss die Augen und seufzte leise auf. Meine Finger fuhren über den Schokoriegel und ich starrte in die Dunkelheit hinaus. Nein ich war nicht alleine. Heute Nacht war ich nicht alleine.

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Beitrag  Gast So 26 Jul 2009, 11:21

Kapitel 11:

„Ich verstehe den Grund nicht.“
Dr. Clar zog missbilligend eine Augenbraue hoch. Mit der Hand in seiner Akte schlug er einen ungeduldigen Rhythmus.
„Welchen Grund? Ich denke einfach, dass es an der Zeit wäre, die Infusion abzuhängen.“
Leise lachte Dr. Clar. Junge Ärzte. Wie sehr er sie doch hasste.
„Ach und sie denken also, dass dies die richtige Entscheidung ist?“
Tief atmete Duncan ein. Ruhig bleiben. Er musste ruhig bleiben.
„Ja das denke ich. Mit Sicherheit ist es die richtige Entscheidung.“
Einen Moment sah Dr. Clar ihn an. Dann schüttelte er den Kopf.
„Nein. Vergessen sie es. In diesen Infusionen sind starke Psychopharmaka. Wir wollen doch nicht riskieren, dass ihre kleine Patientin durchdreht, sobald die Medizin abgesetzt wird. Die Infusionen sollen sie bloß ruhig stellen und zugängig für die Therapeuten. Mehr steckt da nicht hinter.“
Eine Hand von Duncan ballte sich zur Faust. Wie gerne würde er eben diese jetzt in Dr. Clars Gesicht vergraben. Tief, tief hinein.
„Sie machen sie labil. Sie brechen ihren Geist und ihre Seele. Sie machen sie gefügig, so wie Tiere in billigen Zirkusanlagen für Shows präpariert werden. Damit sie nicht ausbrechen. Damit sie gefügig sind. Wissen sie eigentlich, was sie hier machen?“
Seine Stimme wurde lauter. Nervös blickte Dr. Clar sich um. Niemand war da, der diese äußerst sinnlose Unterhaltung mit anhören konnte.
„Natürlich weiß ich, was ich hier mache. Und es ist absolut richtig. Wir helfen ihnen nur.“
„Sie zerstören sie.“
Leise seufzte Dr. Clar.
„Hören sie Mal. Ich kann sie ja verstehen. Sicher haben sie in ihrer bisherigen……Ausbildung nur schöne Zeiten erlebt. Kleine Verrückte die frei herum laufen durften und keine bösen Nädelchen im Arm hatten. Wo sie alle heilen konnten und alles gut war. Sie sind jung und dumm wenn sie glauben, dass es hier genauso geht. Die Mittelchen abzusetzen, ein bisschen zu reden und gut ist die Sache. Ich kann ja verstehen, dass sie sich ihrer Illusion hingeben wollen, sie ist ja auch gut und richtig. Aber sie müssen noch viel, viel lernen. Irgendwann sehen sie schon, dass keinem dieser Verrückten zu helfen ist und die Mittelchen der einzige Weg ist, ihnen die Klappe zuzuhalten. Wer will sich schon das Geschrei hier anhören. Nervig, absolut nervig.“
Er wollte an Duncan vorbei treten. Für ihn war diese Unterhaltung beendet. Auch dieser Jungspund würde es lernen. Das Motivation hier fehl am Platz war. Und das auch er seiner Patientin nicht helfen würde. Er seufzte, als er an das Geschrei dachte, welches durch die Flure hallen würde, wären die Infusionen nicht dran. Die Beruhigungsmittel in einem Cocktail zusammen gemixt hielten alle ruhig hier. Eine Stille die er sehr genoss und dem Geschrei vorzog. Sein Mund öffnete sich, er keuchte als Duncan ihn mit einer einzigen Handbewegung zurück stieß. Diese Bewegung war so schnell gekommen, dass er sie gar nicht wahr genommen hatte. Er prallte mit dem Rücken gegen die Wand und riss schützend die Hände nach Oben, als Duncan auf ihn zu trat. Panik erfasste ihn, als er am Hemdkragen gepackt wurde und fast war es so, als würden seine Füße den Boden verlassen. Eine Unmöglichkeit wenn man bedachte, dass er bedeutend mehr wog, als dieser Jungspund vor ihm.
„An ihrer Stelle würde ich mir ihre Entscheidung überlegen. Oder möchten sie, dass die Methoden dieser Klinik Morgen in allen großen Zeitungen stehen? Es würde sie sicher brennend interessieren, wie hier mit Menschen umgegangen wird. Menschen. Keine Verrückten, sie sind immer noch Menschen. Menschen mit einer Krankheit, denen man helfen muss. Dazu haben sie sich und ich mich verpflichtet und dieser Verpflichtung sollte man zum Wohle des Patienten nachgehen und nicht zum Wohle von sich selber.“
Duncan lächelte und seine Zähne blitzten gefährlich in der Dunkelheit.
„Wollen sie mir drohen?“
Clars Stimme klang gepresst. Er räusperte sich. Leise lachte Duncan, drückte ihn gegen die Wand.
„Ich will es nicht, ich tu es hier mit. Wollen sie sich mit mir anlegen?“
Er legte den Kopf schief. Schloss kurz die Augen. Im Normalfall griff er nicht nach solchen Mitteln. Langsam öffnete er die Augen wieder und spürte das Zucken unter seiner Hand. Er lachte. Blinzelte kurz.
„Sie haben Angst. Todesangst. Ich verstehe gar nicht warum.“
Langsam lockerte er seinen Griff, grinste und festigte ihn dann wieder. Hob Clar mühelos ein Stück hoch.
„Soll ich ihnen ein Beruhigungsmittel geben? Eine kleine Infusion wirkt doch Wunder.“
Wieder lachte er, spürte wie Clar zitterte. Fester ballte er die Hand an seinem Kragen zur Faust. Seine Knöchel traten weiß hervor. Er sah das Entsetzen in Clars Augen. Die Panik. Todesangst. Vorsichtig beugte Duncan sich vor.
„Wollen sie sich ihre Entscheidung nicht lieber überlegen?“
Schweiß brach auf Clars Stirn aus. Sein Herz raste und sein Mund war staubtrocken. Er keuchte. Starrte in Duncans Augen. Schwarz waren sie. So schwarz wie die Nacht. Kein weiß war mehr zu sehen, keine Pupille, keine Iris. Nichts, außer einem großen, schwarzen Auge. Alles war schwarz. Wieder lächelte er und seine Zähne schimmerten in dem dunklen Büro. Seine Eckzähne waren ungewöhnlich spitz und erinnerten ihn an ein Raubtiergebiss. Duncan lachte und ein fauchender Ton entstieg ihm.
„Was sind sie?“
Seine Stimme klang brüchig und gepresst und der Schweiß breitete sich unter seinem Kittel aus. Niemand war hier. Niemand der ihm helfen konnte.
„Was glauben sie denn?“
Wieder lächelte Duncan, beugte sich weiter vor.
„Monster. Ein Monster sind sie. Lassen sie mich los. Ich werde alles der Klinikleitung sagen. Alles.“
Wieder lachte Duncan auf.
„Und sie meinen, dass sie ihnen Glauben schenken? Was wollen sie ihnen denn sagen? Dr. Forsyth hat sich in ein Monster verwandelt und mich angefallen? Wer glaubt Ihnen so etwas? Wer schon? Ich tue Ihnen nichts. Sie müssen sich nur ihre Entscheidung überlegen, dann lasse ich sie gehen. So einfach ist es.“
Seine Kehle war wie zugeschnürt. Ängstlich blickte Clar sich um. Er hatte Recht. Wer würde ihm glauben? Wer schon? Langsam nickte er. Fuhr sich mit einer Hand über den Mund.
„In Ordnung. Es ist ok. Ich setze die Infusion ab. Morgen. Morgen kommt sie ab.“
Leicht lächelte Duncan. Fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
„Ich möchte es als schriftliche Anforderung. Sofort.“
Er trat einen Schritt zurück, wirbelte Clar herum und stieß ihn gegen seinen Schreibtisch. Hastig zog Clar Blatt und Stift hervor, kritzelte etwas darauf und setzte seine Unterschrift darunter. Zitternd wich er zurück, schob das Blatt Duncan entgegen.
„Stempel und Datum nicht vergessen.“
Mit schweißnassen Händen griff Clar nach dem Stempel, setzte ihn hastig darunter und schrieb das Datum daneben. Panisch fuhr er zurück und fiel hin, als Duncan ihm das Blatt abnahm.
„Danke Schön. So schwer war es doch gar nicht, oder?“
Er lächelte, beugte sich hinab und klopfte Clar auf die Schulter.
„Morgen Abend kommt die Infusion ab. Ich möchte dabei sein.“
Er lächelte, schloss kurz die Augen und öffnete sie dann wieder. Aus grauen Augen blickte er auf Clar hinab. Langsam ging er Richtung Tür, drehte sich an ihrem Rahmen wieder um und legte den Kopf schief.
„Schönen Abend ihnen noch. Schlafen sie gut.“
Langsam ließ er die Türe zu fallen, schob das Blatt Papier in seine Tasche und lief pfeifend den Flur entlang. Er nickte der rundlichen Schwester zu, deren Namen er immer noch nicht wusste und verließ durch die schweren Türen die Etage. Er grinste und ein lachen entstieg ihm. Es hatte Spaß gemacht. Unglaublich viel Spaß.

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Beitrag  Gast So 26 Jul 2009, 11:26

Zu dem Teil bitte dieses Lied hören:

https://www.youtube.com/watch?v=L6ViM8tKG1Q


Kapitel 12:

Leise seufzte ich auf. Starrte an die Decke. Sah aus dem Fenster. Es dämmerte. Sah wieder zurück und fixierte die Decke. Seufzte wieder. Ich war ungeduldig, doch worauf, dass wusste ich nicht. In den ganzen 54 Tagen die ich nun hier lag, war ich bisher niemals nervös gewesen, ungeduldig oder unruhig. Worauf sollte nervös sein? Wofür ungeduldig oder unruhig? Es gab keinen Grund. Wieder seufzte ich, bewegte meinen Kopf. Das Papier unter meinem Kopfkissen knisterte. Es hatte tatsächlich geholfen. Sie war wieder gekommen. In meinen Traum. Wieder zurück. Wieder waren ihre Augen rot gewesen und ihre Zähne spitz. Wieder hatte sie sie in meine Kehle vergraben und mein Blut getrunken. Und wieder war ich mit rasendem Herzen und Panik aufgewacht. Wieder hatte eine Welle von Schmerz und Hysterie mich ergriffen und mich zusammen brechen lassen wie ein kleines Kind. Eine Weile hatte ich geschluchzt und geweint, mein Gesicht in den Händen vergraben und darauf gewartet, dass alles verschwinden würde. Doch es verschwand nicht. Der Schokoriegel war mir eingefallen und seine Worte. Duncans. Seinen Namen hatte ich mir merken können. Ich seufzte leise. Und dieser bloße Schokoriegel hatte mir geholfen. Meine Tränen verschwanden, das Schluchzen ließ nach, die Panik glitt davon. Ich war nicht alleine. Nicht in dieser Nacht. Wieder seufzte ich und sah hinaus.
Es war dunkel und die Nachtschicht müsste beginnen. Ich runzelte die Stirn. Warum er immer die Nachtschicht übernahm, war mir ein Rätsel. Vielleicht hatte er Kinder? Wollte bei Ihnen bleiben und sie den Tag über begleiten. Eine liebende Frau die ihn Tagsüber genauso haben wollte, wie nachts, doch für die Kinder musste ein Kompromiss gefunden werden. Ein Stich fuhr durch mein Herz und ich verstand nicht warum. Was interessierte es mich, ob er Kinder hatte oder nicht. Die Tür ging auf und mein Herz machte einen freudigen Sprung. Freude die verschwand, als die rundliche Schwester eintrat. Freude die wieder auflebte, als er hinter ihr trat. Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
„Bereit?“
Ich runzelte die Stirn. Wozu sollte ich bereit sein? Den großen Ausbruch? Argwöhnisch sah ich hinaus. Dafür war es mir entschieden zu dunkel.
„Legen sie los Schwester.“
Die rundliche Frau musterte ihn über die Schulter hinweg.
„Für sie immer noch Frau Schwester. Und ich lege dann los wann ich will.“
Leise lachte er, doch das Lachen erstarb, als die rundliche Frau ihn böse anblickte.
„Lachen sie mich aus?“
Unschuldig grinste er und ich verkniff mir mit Mühe ein Lachen. Die rundliche Frau erinnerte mich immer mehr an eine strenge, aber doch nette Oma, die ihre Enkel zur Vernunft strafte.
„Niemals. Ich lache nur….mit ihnen.“
Langsam hob sie die Augenbrauen.
„Aber ich habe doch gar nicht gelacht.“
Langsam trat sie auf mich zu und ich hörte Duncan seufzen.
„Dann wollen wir mal. Das wird etwas weh tun.“
Vorsichtig lächelte sie mich an und löste behutsam die Klebestreifen um meine Infusionsnadel. Ich beobachtete sie dabei, merkte wie die Überraschung und der Schock meine Augen weiteten. Er hatte es tatsächlich geschafft. Sie nahmen mir tatsächlich die Infusion ab. Tränen traten in meine Augen, als sie auf den Bluterguss kam. Zitternd zog ich die Luft ein.
„Jetzt müssen Sie einmal nur ganz tapfer sein. Das zieht jetzt etwas.“
Ich hielt die Luft an und zuckte zusammen, als die Nadel meine Hand verließ. Es zog nicht nur etwas, sondern sehr. Kein Laut drang über meine Lippen, doch ich hätte zu gern geschrien. Einmal nur laut geschrien. Energisch drückte sie mir einen Tupfer auf den Handrücken und pappte zwei große Klebestreifen darüber. Dann tätschelte sie mir fast Liebevoll die Wange.
„Das war es schon. Ganz tapfer waren sie.“
Ich hörte das Rollen des Infusionsständers, doch meine Augen waren auf meine Hand gerichtet. Keine Infusion mehr. Keine Nadel. Sie war weg. Die Tür schloss sich, der Stuhl rutschte über den Boden.
„Das tut gut, oder? Das dieses grässliche Ding endlich raus ist.“
Ich musterte ihn. Zog die Augenbraue zusammen. Wie verfänglich wäre es, jetzt zu sprechen? Ihm zu antworten? Ich vermisste das reden, dass kurze durchbrechen der Stille. Ich vermisste es so sehr. Es tat weh. Es schmerzte. Und doch, doch wollte ich nicht. Konnte ich nicht. Was würden sie mit mir anstellen, wenn ich sprechen würde? Die Wahrheit erzählen würde? Dann käme die Infusion wieder an mich dran und sie würden mich wieder damit quälen, solange bis mein Kopf matt und taub war und mein Herz müde und schwer.
„Sie trauen mir immer noch nicht, oder? Dabei haben sie gestern so schön Danke gesagt.“
Er schien enttäuscht, traurig und es tat mir Leid. Wie sollte ich ihm erklären, dass ich ihm im Grunde vertraute, irgendwo, mehr als den anderen hier. Aber Ihnen traute ich nicht, vor Ihnen hatte ich Angst, sie würden mir weh tun, mich matt und gebräuchlich machen. Er war anders, aber sie, sie würden mir weh tun. Ich durfte nicht sprechen, niemals, durfte nicht sagen was ich dachte. Niemals.
„Wovor haben sie Angst? Ich tu ihnen nichts. Ich möchte Ihnen helfen. Wirklich.“
Ich sah ihn an und zuckte zurück, als seine Hand meine Wange berührte. Warum war sie wieder kalt? Lag es daran, dass er gerade erst angekommen war? War es draußen so kalt? Ich sah hinaus. Wie war es draußen? Tränen traten in meine Augen.
I’m dying to catch my breath,
Wie fühlte der Wind sich an? Der Schnee? Der Regen? Die Sonne? Wie fühlte es sich an, wenn Kälte einem in die Wangen schnitt?
Oh why don’t I ever learn?
Ich wusste es nicht mehr. Ich kniff die Augen zusammen. Doch ich wusste es nicht.
I’ve lost all my trust,
,,Wenn Sie mir doch nur glauben würde.”
though I’ve surely tried to turn it around.
Seine Hand lag immer noch an meiner Wange. Eine Träne löste sich aus meinen Augen und lief über seine Finger.
Can you still see the Heart of me?
Leise seufzte er, rückte auf seinem Stuhl näher zu mir.
All my agony fades away.
,,Nicht weinen. Es wird alles wieder gut. Und das ist nicht nur eine Floskel, die ich hier sage.“
When you hold me in your embrace?
Eine weitere Träne löste sich. Wie rochen Blumen? Frisch geschnittenes Gras? Wie roch der Sommer? Der Frühling? Der Herbst? Der Winter?
Don’t tear me down for all I need,
Ein Schmerz durchzuckte mich, ließ mich zusammen fahren. Ich wusste es nicht mehr. Wie roch der Stall? Das Heu? Der Sattel? Das Pferd? Ich wusste es nicht mehr.
Make my Heart a better place.
Wie fühlte es sich an zu laufen? Zu schreien? Zu springen? Zu fallen? Wie fühlte es sich an frei zu sein? Ich wusste es nicht. Ein Schluchzen verließ mich, aber es war mir egal. Ich wusste es einfach nicht mehr.
Give me something I can believe.
,,Nicht doch. Was ist denn los? Sagen Sie doch etwas. Irgendetwas. Haben Sie letzte Nacht wieder geträumt?“
Don’t tear me down.
Ich hörte seine Stimme, einem Plätschern gleich, sanft und lockend. Ich spürte seine Hand an meiner Wange. Beruhigend strich sie auf und ab. Und ich hörte wie er seufzte, an mir zog, seine Arme um mich legte.
You’ve opened the Door now, don’t let it close.
Ohne es zu wollen schmiegte ich mich an ihn. Seine Kleidung war warm und sein Hemd weich.
I’m here on the edge again.
Mehr Tränen brachen aus meinen Augen hervor, wurden zu Sturzbächen. Ich presste mein Gesicht an seine Schulter.
I wish I could let it go.
Ich schluchzte, schluchzte fast hysterisch. Ich wusste es nicht mehr. Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Wie waren die Hände meiner Mutter? Wie die Stimme meines Trainers? Ich wusste es nicht.
I know that I’m only one step away,
Wie war es morgens den Wecker zu hören und aufzustehen? Kakao zu trinken und zu frühstücken? Zu lachen? Wie war es ernst zu sein und Blödsinn zu machen?
from turning it around.
Er wiegte mich sanft hin und her. Wie ein Kind im Schaukelstuhl.
Can you still see the Heart of me?
,,Ich weiß es nicht mehr.”
All my agony fades away.
Meine Stimme klang rau und fremd in meinen Ohren. Er zuckte zusammen. Es war mir egal. So egal.
When you hold me in you embrace.
„Ich weiß es einfach nicht mehr. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern.“
Don’t tear me down for all I need.
,,Was? Was wissen sie nicht mehr?”
Make my Heart a better place.
,,Alles. Ich weiß es nicht mehr. Wie die Sonne sich anfühlt. Der Regen. Der Wind. Die Kälte. Ich weiß es nicht mehr. Nur noch meinen Namen. Ich weiß meinen Namen noch.“
Give me something I can believe.
Ich löste mich von ihm. Sah ihn verzweifelt an. Nur noch meinen Namen.
Don't tear it down, what's left of me.
,,Nur noch meinen Namen. Ich weiß nicht mehr, wie die Stimme meines Trainers klang. Das Lachen meiner Mutter. Mein Lachen. Warum weiß ich es nicht mehr? Warum?“
Make my Heart a better place.
,,Alles braucht seine Zeit. Sicher wissen Sie es noch. Sie könnten sich sicher daran erinnern.“
I tried many times but nothing was real.
,,Machen Sie, dass es aufhört. Sie sind doch Arzt. Machen sie dass ich alles wieder weiß. Machen sie dass ich es wieder weiß. Bitte, machen sie, dass es weg geht. Bitte. Bitte helfen Sie mir doch. Warum hilft mir niemand?“
Make it fade away, don't break me down.
Ich verbarg mein Gesicht in den Händen. Krümmte meinen Oberkörper zusammen. Schmerz durchfuhr mein Herz wie Pfeilspitzen. Warum half mir niemand? Warum? Warum machte er nicht, dass es aufhörte? Das ich es wieder wusste. Das Gefühl der Kälte, des Windes, der Sonne. Der Geruch von Blumen und Gras, Stall und Heu, Pferden und Leder.
I want to believe that this is for real.
Wieder legte er seine Arme um mich, wiegte mich sanft hin und her.
Save me from my fear.
,,Ich werde Ihnen doch helfen. Schritt für Schritt. Und sie werden alles wieder wissen. Aber sie müssen mir vertrauen. Und mir erzählen, was damals passiert ist. Alles. Jedes Detail. Ich werde Ihnen helfen.“
Don't tear me down.
An seiner Schulter schüttelte ich den Kopf. Niemanden würde ich es noch mal erzählen. Es noch mal durchleben. Nie wieder.
Don't tear me down for all I need.
,,Ich weiß das es schwer ist. Aber sie müssen es mir sagen. Irgendwann.“
Make my Heart a better place.
Ich zuckte zusammen, als er über meine Haare strich, meine Wange streifte. Seine Hand war immer noch kalt, doch von dieser Kälte spürte ich nichts.
Don't tear me down for all I need.
,,Irgendwann müssen sie mir alles erzählen. Jedes Detail. Nicht Heute, aber irgendwann. Sie müssen mir vertrauen. Ich möchte ihnen nur helfen.“
Make my heart a better place.
Meine Tränen versiegten. Das Schluchzen ließ nach. Ich war müde. Plötzlich war ich schrecklich müde. Irgendwann. Ja, irgendwann musste ich es ihm sagen. Ihm vertrauen. Irgendwann musste ich ihm blind vertrauen.
Give me something I can believe.
,,Ich bin müde. Schrecklich müde. So müde war ich noch nie.“
Don't tear it down, what's left of me.
Vorsichtig schob er mich weg, zupfte die Decke zu Recht.
Make my heart a better place.
,,Bleiben Sie hier, bis ich eingeschlafen bin? Nur dieses eine Mal.“
Make my heart a better place.
Er lächelte, nickte und ich schloss die Augen. Es war ein Fehler. Aber es war mir egal. Er wollte mir helfen. Ich seufzte. Er würde mir helfen. Er war ein anderer Arzt. Er meinte es ernst. Wieder seufzte ich, glitt tiefer in den Schlaf hinein, die Müdigkeit umschloss mich. Er würde mir helfen. Und vielleicht war es an der Zeit ihm zu vertrauen. Ein wenig zu vertrauen.

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Beitrag  Gast Sa 08 Aug 2009, 22:12

Kapitel 13:

Ich lachte. Schnalzte leise. Ein Grunzen erfüllte die Halle. Dann hob sie ab, die Ohren gespitzt, den Rücken rund gemacht wie eine Katze. Leichtfüßig setzte sie wieder auf den Boden, buckelte einmal übermütig und übersprang dann das nächste Hindernis. Wieder musste ich lachen, schnalzte und trieb Glenna auf das nächste Hindernis zu. Hoch sprang sie, brachte viel Platz zwischen sich und die bunten Stangen.
„Sie hat Talent für ganz Oben.“
Langsam drehte ich mich um.
„Sie ja. Ich nicht.“
Sie lachte und auch ich musste Grinsen. Es war wahr. Glenna hatte viel Talent und übersprang mit Leichtigkeit Hindernisse von der Klasse M oder gar S. Aber ich selber kam nicht einmal über ein einfaches Hindernis der Klasse E. Ich seufzte, wandte mich um. Zuviel Dressurblut und zu wenig Herz für das Springen. Ich hob die Hand, drehte meine Schulter ein und grinste, als Glenna stoppte. Mein Training.
„Sie hört gut.“
Ich warf einen Blick zu meiner Mutter. Sie grinste. Auch wenn sie selber nicht ritt, so war sie immer mit am Stall.
„Mein Training.“
Ich schnalzte und Glenna drehte sich in die andere Richtung. Übermütig sprang sie los, buckelte wieder. Es war kalt und das Springen machte ihr Spaß. Selbstständig zog sie zu den Hindernissen hin und ich ließ sie laufen. Spielend fand sie den Abstand, sprang sauber ab und landete eben so sauber auf der anderen Seite. Ihre Mähne wehte im Wind, genauso wie ihr Schweif und ihr schwarzes Fell glänzte. Leise seufzte ich. Im Stall war es angenehm ruhig. Nur wenige waren unterwegs und eben diese benutzten die größere Halle zum Training. Hier in der Kleinen waren wir alleine, ungestört. Glenna preschte die lange Seite hinunter und ich wandte mich zu meiner Mutter um. Sie war weg. Erstaunt sah ich mich um, zuckte zusammen als ein Atem meinen Nacken streifte.
„Dein Training. Du würdest eine gute Trainerin der Neugeborenen abgeben.“
Langsam drehte ich mich um, mein Herz setzte aus. Ihre Augen glühten rot und ihre Zähne stachen hervor. Sie lachte und ihr Lachen war voller Boshaftigkeit. Glenna schnaubte leise. Sie war stehen geblieben.
„Du willst es doch auch. Zu mir kommen. Bei mir sein. Es ist ein berauschendes Gefühl und es wird dir an nichts fehlen in meiner Welt. Der Ewigkeit. Ewig schön und jung. Begehrenswert und so voller Macht.“
Sie lächelte, fauchte leise als sie auf mich zu kam. Berührte meine Haare.
„Soviel Macht. Soll ich es dir zeigen? Die Macht? Meine Macht?“
Langsam wandte sie sich um. Und dann verschwammen ihre Bewegungen vor meinen Augen. Glenna stob vorwärts, ihre Hufe gruben sich in den Sand und ihr Blick war panisch. Ich zitterte, hob beide Hände und trat auf sie zu. Mein Herz setzte aus, als ich die Gestalt auf ihrem Rücken sah. Zusammen gekauert, die Zähne ein funkelndes Weiß im Licht der Halle. Meine Mutter. Glenna sprang ab, setzte fast leichtfüßig zu einem Sprung an. Über einen Blauen Oxer, M Höhe. Ich hörte das Lachen meiner Mutter, als sie ihre Zähne in Glennas Nacken vergrub. Ein stummer Schrei verließ mich, als Glenna den Kopf empor riss. Ihre Augen rollten und ihr Hinterhuf rutschte weg. Sie schwebte nicht, flog nicht. Dumpf und schwerfällig katapultierte sie sich auf der Hindernis zu und die Stangen brachen, als sie darin landete. Ich hörte das hysterische Lachen meiner Mutter. Plötzlich stand sie neben mir, sah dabei zu wie Glenna sich überschlug und mit einem dumpfen Geräusch im Sand liegen blieb. Tränen traten in meine Augen und ich wollte zu ihr, doch eine eiskalte Hand legte sich um mein Handgelenk.
„Meine Macht und sie würde dir gehören.“
Langsam wandte ich den Kopf, blickte in die starren, roten Augen.
„Nur dir.“
Und dann durchfuhr mich der brennend heiße Schmerz. Ich schrie auf, doch im selben Moment sackten meine Knie weg. Der Schmerz raubte mir den Atem, Tränen liefen meine Wange hinunter, als ich das Grunzen und Fauchen hörte. Und dann nahm die Dunkelheit mich im Empfang, zog mich tiefer und tiefer. Weiter hinab, immer weiter, bis ich nichts mehr hörte, nichts mehr spürte, nur noch die rot glühenden Augen meiner Mutter. Die rot glühenden Augen der Frau, die einmal meine Mutter gewesen war.


Mein Herz raste, als ich die Augen öffnete. Es tat weh an den Rippen, schnürte mir die Kehle zu. Langsam richtete ich mich auf, versuchte mich zu orientieren. Es war dunkel, finster. Panik ergriff mich und ich glaubte das Fauchen zu hören. Meine Hände begannen zu zittern. Ich zerrte an meinen Fesseln, versuchte die Beine hochzuziehen. Einmal nur wollte ich sie anwinkeln, mich zusammen rollen wie ein Kind und hoffen, dass alles gut werden würde. Das die Augen verschwinden würden, das Fauchen. Das grässliche Gefühl in mir und die Schreie in meinem Kopf. Sie sollten verschwinden. Langsam griff ich nach unten, tastete nach den Fesseln. Sie mussten doch aufgehen. Irgendwie. Das Licht ging blitzend an und ich zuckte zusammen. Panisch fuhr ich hoch, schloss die Augen. Ich wollte die Augen nicht sehen und fast hätte ich mir die Ohren zu gehalten, nur um das Fauchen nicht zu hören. Ich wollte es nicht sehen, nicht hören, nicht spüren.
„Nächtliche Fluchtversuche? Darf ich mit machen?“
Langsam öffnete ich die Augen. Kein Fauchen. Keine roten Augen, sondern wunderschön Graue. Ich seufzte auf.
„Gibt es denn hier einen Fluchtweg? Eine geheime Kammer? Oder können Sie fliegen?“
Duncan grinste. Mein Herz raste weiter, doch es tat weniger weh. Zitternd atmete ich aus.
„Wer weiß. Verrückte können doch so vieles.“
Sein Grinsen wurde breiter. Langsam trat er auf mich zu.
„Sicher. Nur sind sie leider nicht verrückt. Wirklich schade, ich hätte Sie gerne fliegen sehen.“
Leise seufzte ich.
„Wäre ich nicht verrückt, würde ich hier nicht liegen. Oder meinen Sie, ich verbringe hier meinen Urlaub?“
„Du. Und sie verbringen nicht ihren Urlaub hier? Jetzt bin ich aber wahrlich erschüttert.“
Langsam zog er die Decke von meinen Beinen weg. Misstrauisch beobachtete ich ihn.
„Ich finde es merkwürdig Jemanden mit Du anzureden, selber aber mit Sie angesprochen zu werden.“
Mit einer einzigen Bewegung löste er die erste Fessel. Meine Augen weiteten sich, als er auch die Zweite löste.
„Dann sagen Sie mir ihren Namen. Jetzt sind Sie frei.“
Er grinste, trat zurück und ich bewegte vorsichtig die Füße. Frei. Langsam zog ich mein Bein an. Es tat weh. Und gleichzeitig unglaublich gut. Frei. Tränen traten in meine Augen, als ich auch das zweite Bein anzog.
„Mein Name steht auf allen Krankenakten.“
Vorsichtig berührte ich mein Knie. Es schmerzte in meinen Waden, es zog in meinen Knien und Oberschenkeln. Aber ich war frei.
„Ich bin aber so altmodisch und bestehe auf eine persönliche Vorstellung. Warum stehen Sie nicht auf?“
Kurz sah ich ihn an, bewegte meine Zehen und den Knöchel.
„Weil ich es nicht kann. Kate. Mein Name ist Kate.“
Langsam trat er um das Bett herum, zog die Decke komplett weg. Es war kalt und erst jetzt sah ich das offene Fenster. Kälte. Wind.
„Natürlich. Jeder kann doch laufen. Gut, fast Jeder.“
Schnee fiel. Weiß hoben sich die Flocken von der Dunkelheit ab. Langsam schob ich meine Beine über die Bettkante. Es tat weh. Für einen Moment betrachtete ich sie. Leblos und schlaff hingen sie hinunter. Die Beine einer Puppe. Ich sah ihn nicht und merkte nicht, wie er neben mich trat. Erst als seine eiskalten Hände sich um meine Taille legten, sah ich auf. Ich wollte etwas sagen, doch nur ein Keuchen entfuhr mir, als er mich mühelos hoch hob. Der Boden unter meinen Füßen war kalt, eiskalt. Ich schwankte, als er mich absetzte und vergrub meine Finger in seinem Arm.
„Und jetzt vorwärts. Bis zum Fenster und wieder zurück.“
Ich schluckte. Dieser Raum war klein, gedrungen, doch das Fenster schien meilenweit entfernt und meine Beine zwei leblose Stöcke. Nur mit Mühe hielten sie mich aufrecht, schienen jeden Moment nachgeben zu wollen. Seine Hand legte sich in meinen Rücken, schob mich vorwärts, während die Andere mich Vorne zurück hielt. Wahrscheinlich damit ich nicht Vorne über kippen konnte, was sicher angebracht war. Stolpernd ging ich Stück für Stück vorwärts. Meine Füße rutschten über den Boden.
„Füße hochheben. Oder ich lass los und du liegst auf dem Boden. Mit der Nase voraus.“
Ich biss die Zähne zusammen, versuchte mühsam mein Bein anzuheben. Es gehorchte mir nicht.
„Hochheben. Nicht über den Boden rutschen. Gehen.“
Langsam wandte ich das Gesicht um. Er war mir entsetzlich nah und mein Herz machte ein paar schmerzliche Sprünge.
„Ich versuch es ja.“
Nicht einmal die Hälfte hatten wir hinter uns und meine Beine schmerzten schon wie nach einem Stundenlangen Marsch. Ich keuchte, versuchte mein Bein anzuheben, doch es reagierte nicht.
„Hoch damit. Man muss es nur fest wollen, dann geht es. Entweder geht das Bein hoch, oder ich lasse los.“
Ich knurrte, fast Reflexartig und versuchte das Bein zu haben. Es tat weh, brannte, doch nichts bewegte sich. Plötzlich war die Kälte seine Hände weg und ich fiel wie ein Stein zu Boden. Sein Gesicht war ernst, während ich auf dem Boden kauerte. Tatsächlich war ich mit dem Gesicht voraus gelandet. Und meine Nase pochte. Ich zuckte zusammen, als er sich neben mich kniete.
„Du willst frei sein. Also musst du laufen. Natürlich ist es schwer. Wie ein Baby was laufen lernt. Es tut weh. Das weiß ich. Es sind höllische Schmerzen. Es brennt und zieht und man denkt, dass das Bein abfällt. Aber es fällt nicht ab. Das sind nur die Muskeln, die einfach zurück gegangen sind, ganz natürlich und diese Muskeln sind es, die protestieren und aufschreien und sie sind es, die dich nicht tragen wollen, aber sie müssen dich tragen, von der ersten Minute an. Desto schneller sie das lernen, desto eher bist du hier raus. Du musst es ihnen befehlen.“
Langsam erhob er sich wieder, trat ein paar Schritte zurück.
„Ich werde dir nicht helfen. Ich helfe dir erst, wenn du selbstständig aufgestanden bist. Eine Stunde, dann dämmert es und meine Schicht ist zu Ende. Dr. Clar wird mich ablösen und sicher unangenehme Fragen stellen, wie du hierher gekommen bist. Überleg es dir, ich werde dir nicht helfen.“
Tränen brannten hinter meinen Augen. Warum sie da waren wusste ich nicht. Vielleicht waren es Tränen aus Wut. Aus Angst. Vielleicht Tränen meines Reststolzes, der nun verletzt war. Tränen aus Verzweiflung. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Er war wie alle Anderen. Nur grausamer, auf eine ekelige Art. Er war grausam. Eine Träne lief über meine Wange, tropfte auf den Boden.
„Du brauchst gar nicht zu weinen. Das nützt gar nichts bei mir.“
Ich biss mir auf die Unterlippe, schluckte den Satz hinunter, der mir in den Kopf stieg und atmete tief ein. Beweisen wollte ich es ihm. Vorsichtig rollte ich mich auf die Knie. Selbst das war anstrengend. Selbst das tat weh. Ich hielt die Luft an, rollte mich auf die Fersen. Es brannte wie Feuer, ein gemeines Feuer, mit unglaublicher Gewalt. Zitternd atmete ich aus, stieß mich mit den Händen ab und erhob mich langsam. Meine Beine zitterten, genauso wie meine Hände, mein Oberkörper, meine Arme. Und es tat weh. Höllisch weh. Schwankend blieb ich stehen, doch wie lange meine Beine mich tragen würden, wusste ich nicht. Tapfer hielt ich durch, bis der Schmerz meinen Oberkörper herauf kroch, erst dann gab ich auf. Meine Knie sackten wieder weg, doch bevor ich auf dem Boden landete, hielten seine eiskalten Hände mich wieder fest.
„Geht doch. Eine ganze Minute. Schon nicht schlecht für den Anfang.“
Ich presste die Lippen aufeinander. Ballte meine Hände zu Fäusten. Wie gerne hätte ich eben diese in seinem schönen Gesicht vergraben. Einmal nur. Mein Herz setzte aus, als er mich wieder hochhob. Es waren nur Sekunden, in denen ich wieder in meinem Bett lag. Ich keuchte, streckte meine Beine aus und legte die kühle Decke darüber. Ich hörte das Knirschen der Fesseln, beobachtete ihn.
„Ich habe noch kein offizielles Ok, dass die Dinger hier wegbleiben dürfen. Also müssen Sie wieder ran und der Ausflug bleibt unser Geheimnis.“
Locker schnallte er sie um, locker genug, dass ich meine Füße drehen konnte.
„Wir machen das Training jetzt jeden Abend, bis sie ganz weg kommen.“
Ich stöhnte auf, als ich an die Schmerzen dachte. Den Muskelkater, der unweigerlich folgen würde. Er grinste und ich zog mir die Decke bis unter mein Kinn, schloss die Augen. Plötzlich war ich schrecklich müde. Er sagte etwas, doch was es war verstand ich nicht mehr. Längst schon war ich wieder eingeschlafen, tief und fest, dumpf pochten meine Beine, doch auch dieser Schmerz verschwand. Die Müdigkeit nahm mich mit, tiefer und tiefer, immer tiefer, bis der Schlaf undurchdringlich war, ich nichts mehr hörte, nichts mehr fühlte, nichts mehr sah. Ich schlief ein. Und schlief zum ersten Mal ohne Träume.

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Beitrag  Gast Sa 08 Aug 2009, 22:14

Kapitel 14:

Langsam trat er durch die Türe. Draußen war es noch dunkel, doch er spürte, dass in weniger als einer Stunde die Sonne aufgehen würde. Ihre feinen Strahlen würden die Welt erwecken, aus ihrem tiefen Schlaf. Der Schnee unter seinen Schuhen knirschte und er versank bis zu den Knöcheln darin. Er seufzte, stapfte missmutig durch den Schnee. Eine Eule schrie, erhob sich aus den Bäumen des kleinen Waldes, nur wenige Meter entfernt von der Klinik. Fast lautlos glitt sie durch die Dunkelheit, doch er hörte jeden Schlag der großen Schwingen. Langsam trat er auf die Bäume zu. Sein Auto stand diesmal ganz nahe am Wald. Einen besseren Parkplatz hatte er nicht gefunden. Er seufzte auf, als er in einer Schneewehe einsackte, blieb einen Moment stehen und klopfte seine Hose ab. Hinter ihm leuchtete schwach die Lampe der Klinik, die Zimmer waren dunkel. Sein Blick huschte automatisch kurz zu dem Fenster in der zweiten Etage. Wieder seufzte er. Lange würde es nicht mehr dauern. Und dann? Was sollte er mit ihr anstellen?
Langsam ging er weiter und fuhr blitzschnell herum, als er das leise Fauchen hörte. Reglos blieb er stehen, schloss die Augen. Seine Ohren waren außerordentlich gut, ein schöner Nebeneffekt. Wieder hörte er das leise Fauchen. Ein hysterisches Kichern war dahinter zu hören. Langsam drehte er sich in die Richtung, aus der es kam. Öffnete seine Augen, die so schwarz waren wie die Nacht. Seine Zähne blitzten in der spärlichen Kliniklampe. Er sah ihn. Zusammengekauert im verschneiten Blumenbeet sitzen. Und er bemerkte die Linie in der er saß. Zusammengekauert unter ihrem Fenster, 2 Etagen tiefer. Wieder fauchte er, sein Kopf war erhoben, fixierte das Fenster. Langsam krempelte Duncan die Ärmel hoch. Wartete noch einen Moment.
Spürte wie er Kraft sammelte. Kraft in sich, seinen Armen, seinen Beinen. Bereit zum Sprung, die Mauern hinauf, durch ihr Fenster, welches geöffnet war, eine Einladung. Die spärlichen Gitter würden ihn nicht abhalten, dass wusste Duncan. Wieder hörte er das Fauchen und diesmal läutete es den Angriff ein. Leise seufzte Duncan, sah sich sorgfältig um und lief los. Selbst wenn Jemand in der Nähe wäre, so würde er ihn nicht sehen können, nicht hören. Innerhalb Sekunden war er bei ihm und er lächelte, als er die überraschten, roten Augen sah. Mit einer Hand packte Duncan seinen Hals, nahm den Schwung mit und rammte seinen Kopf gegen die schweren Mauern der Klinik. Der Vampir fauchte, wand sich unter seiner Hand. Er trat und verfehlte ihn. Leise lachte Duncan. Er war noch jung, sicher erst wenige Monate in dieser Hölle gefangen. Seine Bewegungen waren unkoordiniert und sein Fauchen ein wütendes Bellen. Er schnappte vorwärts, doch Duncan wich aus und hob ihn hoch, drückte zu. Sicher konnte er ihm die Luft nicht abschnüren, aber auch für ihn war es ein unangenehmes Gefühl.
„Wer schickt dich?“
Wütend fauchte er. Seine Zähne blitzten im letzten Mondlicht, seine Augen glühten rot und voller Hass. Duncans Magen zog sich zusammen, als sein fauliger Atem ihm entgegenschlug. Er zitterte unter seiner Hand.
„Na los. Rede schon.“
Kurz zog Duncan ihn von der Wand weg, nur um dann mit selber Wucht ihn wieder dagegen prallen zu lassen. Der Vampir stöhnte auf. Sie konnten Schmerzen fühlen, zwar verheilten Wunden schneller, doch der Schmerz kam genauso, auch wenn er schneller verging.
„Sag schon Kleiner. Wer schickt dich? Du kommst hier so oder so nicht lebend raus, also rede.“
Wieder holte Duncan aus, rammte wieder seinen Kopf gegen die Wand.
„Was wollt ihr von ihr? Wer will etwas von ihr?“
Wieder fauchte der Vampir, bleckte die Zähne.
„Sie.“
Seine Stimme war ein rascheln. Enger drückte Duncan seinen Hals zu.
„Wer ist sie?“
Der Vampir lächelte. Überlegen. Fast schon arrogant.
„Meine Herrin. Ich werde sie niemals verraten. Leck mich.“
Der Vampir lachte. Fester zog Duncan seinen Hals zu, presste ihn gegen sie Wand, ballte die andere Hand wütend zur Faust. Tief atmete er ein, wartete einen Moment, doch er wusste selber, dass er nichts erfahren würde. Langsam sah er auf, seine Augen glühten schwarz, brannten sich in seine Augen ein. Der Vampir zuckte zusammen. Langsam griff Duncan in seine Hose, zog aus einem Schaft ein kleines Messer heraus. Sein stetiger, treuer Begleiter. Er sah die Panik in den Augen des Vampirs, das Rot verblasste, die Zähne verschwanden. Eine menschliche Gestalt hing zitternd an seiner Hand, die Augen Dunkelblau. Er sah unschuldig aus, jung und hatte sicher nur knapp die 20 überschritten.
„Nicht. Tun sie das nicht. Ich sage ihnen alles. Alles.“
Einen Moment zögerte Duncan, beobachtete ihn, dann hob er das Messer. Nichts würde er ihm sagen. Er spürte es. Wusste es. Nichts würde er ihm sagen. Trotzdem wartete er noch einen Moment, schloss die Augen wieder, konzentrierte sich. Es dauerte eine Weile, bis er die wirren Gedankengänge hörte. Die Schreie seiner Opfer, das Lachen von ihm selber, als er tötete und die panischen Gedanken als er nun an der Wand hing. Ebenso wie die Gedanken daran, welche Angriffsstrategie er verwenden würde, würde er nun los gelassen. Langsam öffnete Duncan die Augen, holte mit dem Arm aus und öffnete seine Hand von seinem Hals. Es waren nur Sekunden und ein sauberer Schnitt. Kein Schrei hatte ihn verlassen und es dauerte nur ein paar weitere Sekunden, ehe stinkende Asche an Stelle des leblosen Körpers trat. Einen Moment blieb Duncan daneben stehen, dann wandte er sich um, lief zurück zu seinem Auto. In einiger Entfernung blieb er stehen, sah zurück. Ihr Fenster war immer noch geöffnet, doch die Sonne würde bald aufgehen. Niemand würde Heute wieder kommen. Doch er seufzte wieder, rieb sich über die Augen und ging rasch zu seinem Auto. Was würde er mit ihr anfangen? Jetzt wo sie da waren. Jetzt wo sie sie gefunden hatten.

Mein Hals brannte unangenehm an der Seite. Immer wieder rieb ich über die Stelle, doch das Brennen verschwand nicht. Vielleicht eine Reaktion auf die fehlende Infusion. Es dämmerte langsam und ich ertappte mich dabei, wie ich sehnsüchtig Richtung Tür sah. Es war fast peinlich. Wie ein verliebter Teenager saß ich in meinem Bett und wartete darauf, dass die Türe auf ging. Ich lächelte, bewegte meine Füße. Heute hatte ich allen Grund zu lächeln und ich wollte endlich sein Gesicht sehen, wenn ich ihm die Neuerung zeigen würde. Die Dunkelheit brach herein und im selben Moment flog die Türe gegen die Wand. Ich zuckte zusammen, so laut knallte es. Meine Hand griff zur Decke, hob sie an, ließ sie wieder fallen als er wortlos an meinem Bett vorbei ging und das Fenster schloss. Ich beobachtete ihn dabei, seine Bewegungen wirkten hastig und seine Blicke, die er hinaus warf, wirkten besorgt. Vorsichtig sah ich hinaus, doch ich sah nur die lähmend schwarze Dunkelheit. Auf dem Absatz machte er kehrt, schloss sorgfältig die Türe und drehte sich dann zu mir um, mit dem Rücken an die Türe gelehnt.
„Du musst mir sagen, was damals passiert ist.“
Ich sah ihn an, fühlte den Stich in meinem Herzen und spürte, wie jegliche Freude in mir erstarb. Mit einem Schlag.
„Ich weiß dass es schwer ist. Aber du musst reden. Endlich reden.“
Er sah mich an. Langsam wandte ich mein Gesicht ab, starrte hinaus in die Dunkelheit. Niemals würde ich das sagen, was ich dachte. Sagen was ich in meinen Träumen sah. Immer und immer wieder.
„Kate bitte. Ich muss wissen, was passiert ist.“
Er seufzte und ich biss mir auf die Unterlippe. Niemals. Diese Worte, Sätze, dies Alles hatte mich hier rein gebracht. Nie wieder würde ich das sagen, was ich gesehen hatte. Oder glaubte gesehen zu haben.
„Bitte. Kate, ich sage es niemanden. Ich habe nicht mal Jemanden gesagt, dass du wieder redest. Niemand wird es erfahren.“
Er klang verzweifelt und das erstaunte mich. Ich wandte mein Gesicht ihm zu. Sah ihn an. Ja, er sah verzweifelt aus. So verzweifelt, wie ich mich fühlte. Hin und her gerissen. Er würde es niemanden verraten. Wie viel Wahrheit steckte in diesen Worten? Er war Arzt. Und Ärzte mussten unweigerlich reden. Langsam öffnete ich meinen Mund. Räusperte mich. Niemals würde ich es wieder sagen.
„Ich weiß nicht mehr, was damals passiert ist.“
Meine Stimme klang brüchig. Er fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. Es tat mir Leid.
„Natürlich weißt du es. Kate, man sieht es dir doch an. Du träumst jede Nacht wieder davon. Wieder und wieder.“
Ich zuckte unmerklich zusammen. Woher wollte er das wissen? Wovon ich träumte?
„Ich träume nicht davon.“
„Lüg mich nicht an.“
Seine Stimme hallte wie ein Peitschenschlag durch die Luft. Ich zuckte zusammen. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt. Zum ersten Mal hatte ich Angst vor ihm. Eine lähmende Angst, die mich zurück zucken ließ.
„Kate, ich weiß wovon du träumst. Und ich weiß, dass du ganz genau weißt, was damals passiert ist.“
Ich hob den Kopf an. Seine Worte klangen aufrichtig, ehrlich.
„Woher willst du wissen, wovon ich träume?“
Er zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es einfach.“
Ich wollte etwas erwidern. Öffnete den Mund, schloss ihn wieder, runzelte die Stirn. Etwas an seinem Satz kam mir komisch vor. Seine Augen ruhten auf mir und sein Blick war absolut ernst. Er log nicht. Er wusste wovon ich träumte, jede Nacht, wieder und wieder. Mein Herz fing an zu rasen, weswegen wusste ich nicht.
„Du brauchst keine Angst zu haben.“
Langsam zog ich die Beine an. Mein Herz raste weiter, ein Kloß schnürte mir die Kehle zu. Etwas stimmte hier nicht.
„Woher willst du wissen, dass ich Angst habe?“
„Ich weiß es einfach.“
Langsam zog ich die Decke enger um mich. Schluckte, holte tief Luft. Beobachtete ihn, als ich langsam den Mund öffnete und die Frage aussprach, die in meinem Kopf umher schwirrte. Die einzige Frage.
„Was bist du? Was um Himmels Willen bist du Duncan?“

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Silence Empty Re: Silence

Beitrag  Gast Sa 15 Aug 2009, 11:20

Kapitel 15:

Für einen Moment herrschte wieder diese Stille. Und diese Stille war es, die mir Angst bereitete. Große Angst. Ohne dass es mir bewusst war, rutschte ich tiefer in meine Kissen, zog die Decke noch enger um mich. Vor was sie mich schützen sollte wusste ich nicht und vor was ich Angst hatte, wusste ich auch nicht. Mein Herz raste, als er mich unverwandt ansah und ich erwartete fast schon, dass er mir gleich entsetzlich nahe kommen würde. Etwas an seinem Blick gefiel mir nicht. Ich hatte einen Punkt getroffen, da war ich mir sicher, einen Knopf gefunden, den ich besser nicht gedrückt hätte. Ich schluckte. Wartete. Mein Herz raste weiter. Vielleicht blieb es ja stehen, wenn es lange genug rasen würde? Einfach zum Stillstand kommend.
„Was sollte ich denn sein?“
Seine Stimme ließ mich so sehr zusammen zucken, dass er mich erschrocken musterte.
„Wieso hast du Angst vor mir?“
Leise räusperte ich mich, setzte mich gerade hin.
„Ich habe keine Angst vor dir. Ich mag die Stille nur nicht. Und deine Stimme hat sie ziemlich plötzlich zerrissen.“
Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. Eines, welches ich nicht verstand, welches mich verwirrte.
„Warum hast du Angst vor der Stille? Du hast doch freiwillig geschwiegen. Die Stille sozusagen angenommen. Du hättest sie einfach durchbrechen können und nicht fast 2 Monate in absoluter Stille leben müssen.“
Sein Ton war scharf und auch das verwirrte mich. Vorwürfe. Es klang wie Vorwürfe.
„Ich habe keine Angst vor der Stille. Ich mag sie nur nicht. Und das mit dem Schweigen ist eine völlig andere Geschichte.“
Innerlich war ich stolz auf mich. Auch meine Stimme hatte einen gewissen Grad an Schärfe bekommen. Schärfe, die ich solange nicht mehr benutzt hatte.
„Jeder der etwas nicht mag, hat unweigerlich Angst davor. Du magst keine Spinnen. Im Grunde hast du Angst vor Ihnen. Du magst einen Menschen nicht. Du hast Angst vor ihm. Aus subtilen Gründen. Er könnte besser sein als du. Schöner. Intelligenter. Alles was du nicht magst, fürchtet dich in irgendeiner Weise. Und das Schweigen gehört dazu. Es ist keine andere Geschichte, sondern eine Geschichte. Du hast geschwiegen, weil du Angst vor deiner Stimme hattest. Du hast geschwiegen, weil du Angst vor deinen Worten hattest. Du schweigst jetzt noch, weil du Angst vor der Wahrheit ist oder vor dem, was du glaubst es sei wahr. Du hast Angst vor dem, was du gesehen hast, du schweigst, weil du Angst davor hast, dass du etwas Falsches sagen wirst.“
Er stieß sich von der Tür ab. Mein Herz begann wieder zu rasen, rannte einen Wettlauf gegen sich selber.
„Und jetzt hast du Angst vor mir, weil ich es weiß. Was ich bin? Ein Psychologe. Und der Rest geht dich nichts an. Ich bin Arzt an dieser Klinik, Arzt der dir helfen soll. Du denkst, wenn du ein wenig mit mir redest, über unbeschwerte Dinge, lässt man dich früher oder später gehen. So als wäre nichts geschehen. Aber da irrst du dich. Der Einzige der dich gehen lässt, bin ich. Und der Einzige der einen Teufel tun wird dich gehen zu lassen, bin ich. Ich lasse dich nicht eher gehen, bis ich meine Arbeit getan habe und diese Arbeit besteht daraus zu helfen. Keine verängstige Frau mit Panik vor Stille und Dunkelheit raus zu schicken, in die grausame Welt, wo es unweigerlich still und dunkel wird. Sehr dunkel, sehr still. Zurück in die Realität, die dich keine 24 Stunden leben lässt, ehe ein Messer deinen Arm zerrissen hat oder deinen Bauch durchrammt hat, weil dein Verstand es nicht mehr ausgehalten hat. Ich werde vieles tun, aber nicht das, was du dir denkst. Nicht ehe du mit mir redest. Nicht eher gehst du hier raus. Ich habe Zeit, genug Zeit. Du bist es die hier ihr Leben fristen muss, in einer Klinik voller Verrückte, wo du eigentlich nichts verloren hast.“
Er war nur wenige Schritte näher gekommen, aber es war so beengend, so beängstigend, dass ich automatisch zurück wich. Er seufzte, fuhr sich durch die Haare, zuckte mit den Schultern und ging zu dem einzigen Stuhl in diesem Raum. Ich beobachtete ihn bei jedem Schritt und dabei, wie er reglos dort saß. Eine Puppe die atmete. Unheimlich, einem schlecht gemachten Horrorfilm entsprungen. Er hatte Zeit. Und der Rest ging mich nichts an. Ich schluckte, beobachtete ihn weiter. Er starrte zur Fenster hin. Er arbeitete nur nachts. Ich folgte seinem Blick. Fast fasziniert starrte er in die Dunkelheit. Er liebte sie, er hatte keine Angst davor. Mein Herz setzte aus. Energisch schüttelte ich den Kopf. Es war ein Hirngespinst, eine Idee. Er sagte, dass ich nicht hier her gehörte, unter all den Verrückten. Doch genau das war ich. Verrückt. Verrückt genug zu denken, dass er mehr war, als er zu gab. Ich räusperte mich und sein Kopf fuhr blitzschnell herum. Ich zuckte zusammen. Er hob eine Augenbraue. Und in mir erwachte der Drang zu rennen. Sicher, meine Beine hätten mich nicht getragen, aber ich wäre zu gerne gerannt, weiter und weiter.
„Ja?“
Er beobachtete mich weiter hin. Mir wurde warm. Unruhig rutschte ich auf dem Bett hin und her.
„Du willst doch etwas sagen?“
Fieberhaft überlegte ich mir ein Thema, eine kluge Antwort. Mir fiel keine Passende ein. Nie war reden schwerer, wie in diesem Moment. Fast automatisch zog ich ein Bein an und lächelte.
„Sie haben mir die Fesseln abgemacht.“
Er seufzte, lehnte sich zurück und zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß.“
Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet. Einen Moment sah ich ihn verwirrt an.
„Sollen wir üben? Irgendwie muss ich ja wieder ans laufen kommen.“
Langsam stand er auf und ich wollte die Decke wegschieben, als er den Kopf schüttelte.
„Nein. Da musst du schon schön alleine durch. Ich werde jetzt gehen. Es gibt noch ein paar Andere die ich mir angucken muss und sie sind sicher etwas kooperativer als du.“
Ich wollte etwas erwidern, doch mir fiel nichts ein. Langsam ging er zur Tür.
„Du kannst es dir überlegen. Ich komm jeden Tag vorbei. Wenn du redest bleibe ich hier. Schweigst du, gehe ich wieder. Wir können erst weiter arbeiten, wenn du redest. Ehe du nicht redest, können wir nicht arbeiten. Und solange wirst du mich nur kurz hier sehen. Mehr kann ich für dich nicht tun. Den Rest musst du alleine gehen.“
Kaum hatte er das gesagt, war er gegangen. Ich starrte auf die Tür. Leise fiel sie ins Schloss. Ich seufzte, lehnte mich zurück, dachte an seine Worte. Reden. Er wollte dass ich redete. Mein Blick glitt an die Decke. Im Grunde konnte es mir egal sein. Im Grunde konnte ich wieder schweigen, so wie früher. Darauf warten dass er ging, der Nächste kam. So würde es immer sein, immer bleiben. Schweigen, warten und er würde gehen. Schweigen und warten. Und er wäre verschwunden. Langsam schloss ich meine Augen. Warum mich dieser Gedanke traurig machte, verstand ich nicht. Warum mir dieser Gedanke einen schmerzlichen Stich durchs Herz jagte verstand ich nicht. Und warum ich mir sehnlichst wünschte, dass er zurück kam, verstand ich ebenso wenig. Ich verstand es nicht. Und wollte es nicht verstehen.

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