Magierblut
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Magierblut
Halli, hallo
Das ist also eine meiner vielen Geschichten.
Sie ist schon seit etwa 'nem halben Jahr fertig und eine meiner besten (ohne eitel zu erscheinen ^^). Gewidmet ist sie meinen besten Freunden und meinem Bruder (R.I.P.).
Inspiriert hat mich das Rollenspiel "Sacred Underworld" - merkt man später auch ^^ - aber auch Twilight und die Lycidas-Trilogie von Christoph Marzi.
Ich wünsche euch sehr viel Spaß beim Lesen und freue mich über jeden Kommentar.
Im MOment arbeite ich auch an der Fortsetzung "Magierlied" - ihr ahnt wohl schon, dass es mir ernst ist.
Ich bitte euch inständig, nichts daraus zu kopieren oder zitieren oder so, weil ich wirklich sehr stolz bin und Angst habe, die Geschichte zu verlieren, bevor ich einen Verlag gefunden habe, der sie offiziell veröffentlicht (das ist so 'ne Art Stephenie-Meyer-Midnight-Sun-Problem). Das ist meine einzige Bitte!
Viel Spaß beim Lesen!!
Prolog:
Denn was man liebt, kann man verlieren
Aber er war doch stets so ein guter Freund gewesen.
Wieso hatte er uns verraten? Hatte er kein Herz?
Mühsam richtete ich mich auf. Wir hatten Opfer gebracht. So viele Opfer. Und das für die gemeinsame Welt! Warum kämpfte er dann gegen uns?
Mein Blick glitt zu den anderen beiden. Sie lagen reglos am Boden. Ich liebte sie beide.
Wieso musste ich für sie kämpfen gegen den, den ich auch liebte? Kann man für einen Geliebten den anderen Geliebten töten? Oder funktioniert so das Leben? Den einen verraten um am Leben zu bleiben? Leben für Leben fordern?
„Bitte“, flehte ich schwach. Meine Stimme bebte und ich konnte kaum aufrecht stehen.
„Warum?“, fragte er hart.
„Du bist unser Freund.“, begründete ich und konnte meine Stimme nur mühsam halten. Er musterte mich kaltherzig. Nie hatte ich so viel Hass in seinem Blick gesehen. In all’ der Zeit, in der ich ihn kannte. Er hatte mir so viel beigebracht – mehr eigentlich, als irgendjemand anderes.
„Ich war nie euer Freund.“, zischte er und seine Stimme war hasserfüllt, „Und ich werde euch töten.“
Tränen liefen mir übers schmutzverschmierte Gesicht. „Das glaube ich nicht.“
Sein Lächeln war boshaft. „Das musst du nicht.“
Und damit schlug er mich mit einem weiteren Zauber. Er traf mich an der Schulter und ich sank auf die Knie.
„Bitte nicht.“, weinte ich
Sein Lächeln verblasste. „Weshalb nicht?“
Ich konnte nichts dagegen tun, mein Blick wanderte zur Seite. Er folgte meinem Blick und Erkenntnis leuchtete in seinen kalten Augen. „Ah“, sagte er leise, „Deshalb.“
Mit langsamen Schritten ging er zu den anderen.
„Du liebst ihn.“, stellte er fest, „Und er liebt dich.“
Meine Tränen mussten die Antwort für ihn sein. Brutal trat er gegen den bewusstlosen Körper und ich musste mir auf die Lippe beißen, damit ich nicht schrie.
„Welches brutale Wesen würde zwei Liebende auseinander reißen? Den einen auf die eine Seite der Grenze bringen, die kein Wesen je zweimal überschritten hat?“, fragte er spöttisch und ich wollte sagen, er sollte innehalten. Wollte ihm sagen, dass er mir auch etwas bedeutete.
„Halt warte, du brauchst nicht antworten“, sagte er schnell und grinste höhnisch, „Ich würde es tun.“
Und damit ließ er einen letzten Schlag niederfahren. Den endgültigen. Und da wusste ich, es war vorbei. „Hoppla.“, machte er mit einem falschen Lächeln auf dem schönen Gesicht mit den blauen Augen, „Das war wohl zu fest.“
Ich sank zu Boden. Schrie.
Dieser Schrei war die einzige Regung, zu der ich fähig war. Ein Schrei, der so gellend und lang gezogen und laut war, dass er jedem Anderen einen Schauer über den Rücken gejagt hätte; und doch zu leise und kraftlos und verzweifelt, als dass er die Wunde in meinem Herzen hätte heilen können.
Zuletzt von singing_magpie am Di 23 Sep 2008, 23:47 bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
Gast- Gast
Re: Magierblut
Buch eins:
Das Mädchen und der Magier
Herbst
Das Mädchen und der Magier
Herbst
Ein ungewöhnlicher Gast
Ich spielte oft mit dem Gedanken, einfach abzuhauen. Aber so einfach war das leider nicht, immerhin war ich erst fünfzehn. Mist! Ich durfte erst mit neunzehn Jahren aus dieser langweiligen Familie, aus diesem langweiligen Ort aus dieser stinklangweiligen Langeweile!
Aber wie gesagt: So einfach war das leider nicht.
Ich schnaubte und drehte mich auf die andere Seite. Die Uhr im Flur gongte zum dritten Mal, es war drei Uhr nachts. Genervt legte ich mich wieder auf den Rücken und betrachtete den weißen Putz, der sich von der Decke schälte. Ich schielte zum Fenster und ertappte mich wieder bei dem Gedanken, die Sachen zu packen und hinaus zu springen. Verdammt. Wieder diese Fluchtgedanken.
Und das alles, obwohl alles gar nicht so schlimm war!
Ich hatte eine Mutter, einen Vater, einen nervigen kleinen Bruder und einen Großvater. Zusammen lebten wir in dem kleinsten und langweiligsten Ort unserer Welt: Quirn. Allein dieser Name! Quirn. Hört sich an wie Quirl, und das erinnerte mich immer an gequirlter Mist. Und eigentlich war dieses Kaff es auch – gequirlter Bauernmist. Wir hatten stolze drei Bauernhöfe, einen großen Markt, eine Klosterruine und dreißig Wohnhäuser. Mehr nicht. Nagut, einen Brunnen hatten wir auch und unser Pferdegestüt, aber sonst nichts mehr. Nicht besonders aufregend, vor allem aber für mich.
Ich wünschte so oft, dass hier mal etwas passierte! Aber wie gesagt – gequirlter Mist ist stinklangweilig.
Ich drehte mich auf die Linke. Mein Schrank stand offen. Viel Kleidung hatte ich nicht, also würde es nicht lange dauern zu packen…
Ich wälzte mich umher und strampelte die Decke weg.
Meine Gedanken wanderten einen langen Weg bis zur Müdigkeit, einen Weg mit vielen Sackgassen, die alle im Fluchtgedanken endeten. Schließlich schlug die Uhr zum vierten Mal und ich fluchte innerlich. Ich kniff die Augen zusammen und presste die Lippen aufeinander, hielt die Luft an, spannte mich am gesamten Körper an, grub die Finger in meine Oberschenkel und schließlich wurde ich etwas müder. Sich anzustrengen, bei was auch immer, machte müde, deshalb verkrampfte ich immer und immer wieder, bis ich das erste Mal heute gähnte. Immerhin ein Fortschritt!
Zuversichtlich wiederholte ich meine Übung und gähnte ein zweites Mal, dann schloss ich die Augen und schlief endlich ein.
Am Morgen wurde ich unsanft durch grelles Licht geweckt, dass in mein Zimmer flutete. Mein Kopf war schwer, meine Lider noch schwerer und aufrichten wollte ich mich auch nicht. Es war Anfang Herbst und dafür noch sehr warm. Dennoch war mir kalt. Ich rollte mich nach links und kugelte mich zusammen, aber nach ein paar Herzschlägen Schlaf wurde mir meine Decke vom Leib gerissen und ich lag nur im Nachthemd und bibbernd im Bett. Wütend richtete ich mich auf und versuchte irgendetwas zu erkennen, aber vorerst erkannte ich nur schemenhafte Umrisse. Schließlich gewöhnten sich meine Augen an die Helligkeit des Mittags und ich erkannte meinen Bruder. „Ratin!“, schimpfte ich aufgebracht, „Verschwinde, kleiner Mistkerl!“
Da begann er zu rufen: „Mutter! Colleen hat mich Mistkerl genannt!“
Ich stöhnte und riss mir meine Decke zurück an den Leib und ignorierte die Colleen-hör-auf-damit-Rufe meiner Mutter, die ich sowieso immer verdrängte, weil der kleine Mistkerl es immer wieder verdiente. Nach einer Weile gab ich auf und schlurfte müde ins Bad, wo ich mir eiskaltes Wasser ins Gesicht rieb und mir die Handballen auf die Augen presste. Ich schälte mich aus meinem Nachhemd und schlüpfte in den Zigeunerrock, den ich zum vierzehnten Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Es war ein Flickenrock, der mit zwei Unterröcken gepolstert war, die man im Sommer ausknöpfen konnte. Da mir sowieso kalt war, ließ ich sie dran.
Gähnend kämmte ich mir die zimtbraunen Haare und ging in die Küche, wo mich mein Vater tadelnd über die Halbmondbrille hinweg ansah. „Es ist Mittag, Colleen.“, bemerkte er mahnend und ich schmierte mir Honig auf das frisch gebackene Brot.
„Ich weiß.“, entgegnete ich knapp und biss hinein.
„Du hättest am Morgen aufstehen müssen.“, fuhr Vater fort.
„Mich hat niemand geweckt.“, erklärte ich wie sooft.
„Mädchen in deinem Alter müssen sich nicht wecken lassen. Sie stehen früh auf, weil sie früh ins Bett gehen, Colleen.“, erläuterte Vater und runzelte die Stirn.
„Ich bin früh ins Bett gegangen, aber spät eingeschlafen.“, maulte ich mit vollem Mund, was mir einen weiteren Tadel zukommen ließ.
„Bist du krank, oder warum schläfst du nicht ein?“, fragte mein Vater und der besorgte Unterton in seiner Stimme entging mir nicht.
„Weiß ich doch nicht. Ich will immer einschlafen, aber…“ Ich wusste nicht, wie ich fortfahren sollte, deshalb biss ich einfach nochmal in mein Brot.
Mein Vater seufzte und wandte sich wieder seinen Unterlagen vor. Wir betrieben eine Herberge für Reisende und nebenbei eine Pferdezucht, und mein Vater war ehemaliger Buchhalter, darum hatte er sehr viel Papierkram, den er für einen Gast ausfüllen musste, wenn er kam und wenn er ging. Jetzt war die Stube im ersten Geschoss wieder frei.
Ich hatte aufgegessen und wollte grade aus dem Haus, als mein Vater mir hinterher rief, ich solle gefälligst den Tisch abräumen. Widerwillig kehrte ich auf der Türschwelle um und stapelte Teller und Tasse im Waschbottich. Dann eilte ich nach draußen auf den Hof, wo mein Großvater mit meinem Bruder den Platz vermaß. Ich schaute ihnen eine Weile zu, dann beschloss ich, in den Obstgarten zu gehen, wo ich mir einen Apfel holte und an meiner Mutter vorbei schlich, die Wäsche aufhängte, damit ich ihr nicht helfen musste.
Ich kehrte in mein Zimmer zurück, schüttelte die Decke auf und öffnete das Fenster. Gelangweilt und müde sank ich auf die Matratze und starrte wieder an die sich pellende Decke. Ein kleiner Salamander krabbelte hastig auf das Fenster zu und verschwand an der Hauswand.
Ich wollte für einen Moment die Augen schließen, da vernahm ich Hufgetrappel. Ich war überrascht, wer konnte unseren Gequirlten Mist besuchen?
Ich sprang auf und lehnte mich aus dem Fenster. Ein stolzer brauner Hengst mit purpurnem Zaumzeug und silberner Stirnplatte schritt die Pflasterstraße entlang, darauf saß ein Magier. Ich erkannte ihn daran, dass er eine goldene Kapuze trug. Seine Rüstung war blank poliert und glänzte silbern, in seinem Gürtel steckten zwei Schwerter, eins hing hinter einem blauen Schild mit dem Wappen unseres Königreiches, den er am Arm trug. Seine Schuhe waren blau und geschuppt, wahrscheinlich hatte er viel Geld gehabt, als er sich die Drachenschuppenschuhe geleistet hatte. Er hielt das Zaumzeug locker in silbernen Handschuhen (wozu brauchte ein Magier Handschuhe?). Sein Kopf wanderte geduldig von links nach rechts und ich erhaschte einen kurzen Blick unter die Kapuze. Er hatte einen stoppeligen Kinnbart und war sehr jung, vielleicht Anfang zwanzig. Sein schmales Gesicht war bleich. Mehr konnte ich nicht erkennen. Er war sehr attraktiv, bestimmt schwärmten viele Mädchen für ihn. Ich kicherte über diesen Gedanken.
Ich war neugierig geworden und mit dem Apfel im Mund eilte ich auf den Hof und sah noch den Schweif des Pferdes um eine Ecke biegen.
Mit vollem Mund rief ich „Ich komme bald wieder!“ dann ging ich dem Magier hinterher. Er hielt vor der Menschentraube, die sich um den Brunnen versammelt hatte und musterte alle mit einem abschätzenden Blick. Als sich sein Gesicht mir zuwandte, erkannte ich braune Augen mit blauen Schnörkeln, was mehr als ungewöhnlich für einen Menschen war. Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss und blickte zu unserem Dorfsprecher hinüber, der vortrat und den Magier ansprach.
„Seid gegrüßt, junger Herr. Willkommen in Quirn. Womit können wir Euch dienen?“, fragte er höflich. Der Magier verengte die Augen zu Schlitzen.
„Tretet aus dem Weg oder gebt mir eine Herberge für die Nacht mit einem sauberen Stall für mein Pferd.“, zischte er mit leiser Stimme und wurde mir sofort unsympathisch. Wieso setzt er jetzt diesen merkwürdigen Ton auf?, fragte ich mich und rümpfte die Nase.
„Mein Herr, wir haben eine der besten Bleiben und Stallungen in dieser Region. Hier, die Familie unserer jungen Colleen führt eine zweite Wohnung im ersten Stock ihres Hauses. Sie haben – wie viele Pferde habt ihr, Colleen?“
Ich schnaufte. Das fragte er jedesmal, um anzugeben. Typisch Mann.
„Vier Stuten und zwei Hengste. Zwei Stuten sind trächtig und wir verkaufen die Tiere.“, antwortete ich mechanisch und kniff die Augen zusammen, um genau den gleichen Blick zu haben, wie der Magier eben. Es wirkte nicht, der Dorfsprecher lächelte zufrieden. Vielleicht hatte er es auch einfach nicht kapiert.
Der Magier stieg in einer eleganten Bewegung von seinem Pferd und drückte mir einen Beutel Gold in die Hand, der schwer wog. Ich war erstaunt, wo hatte er so viel Geld her? Geklaut? Hergezaubert? Verdient? Womit verdient?
„Folgt mir.“, sagte ich knapp und ging vor. Die Menschenmenge verteilte sich wieder und auf dem Weg zu unserem Hof folgte mir der Magier in gebührendem Abstand.
„Colleen war Euer Name, nicht wahr?“, fragte er und ich grinste amüsiert. Er hatte ‚Euer’ gesagt, das hieß, er hatte Respekt vor mir. Sollte ich das ausnutzen? Oder sollte ich freundlich sein? Ich entschied mich für letzteres.
„Richtig. Ich habe Euren Namen nicht gehört.“, bemerkte ich und spitzte die Ohren.
„Ich habe ihn nicht genannt.“, war seine Antwort und ich runzelte verärgert die Stirn. So ein eingebildeter Schnösel.
Wir erreichten unseren Hof und Ratin schoss auf uns zu. Er musterte den Magier kurz und rief dann Richtung Obstgarten:
„Mutter! Colleen hat einen Freund angeschleppt!“
Sofort trat ich auf ihn zu und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige.
„Halt deine Klappe, er ist ein Gast von uns, verstanden? Du bist so ein kleiner…“, zischte ich, doch bevor ich meinen Ärger richtig an ihm auslassen konnte, stiegen ihm Tränen in die Augen und er trat mir auf den Fuß. Meine Mutter kam angelaufen, schob Ratin fort und musterte den Magier.
„Ratin, du Lümmel, musst du immer so einen Unsinn erzählen?“, sagte sie gnädig, warf mir aber einen bösen Blick zu, weil ihr der Abdruck meiner Hand auf seiner Wange nicht entgangen war.
„Wie ist Euer Name, Herr?“, fragte sie höflich. Ich wurde hellhörig, was dem Magier nicht entging, also sagte er langsam mit einer sanften Stimme:
„Ich bin froh, bei Euch hausen zu dürfen und mein Pferd bei Euch unterstellen zu dürfen. Ich werde Euch gut bezahlen.“
Meine Mutter war weniger erstaunt als ich. Vielleicht wusste sie, was es damit auf sich hatte. Prompt teilte sie Ratin dazu ein, das Pferd abzusatteln und zu striegeln. Er maulte nicht lange, sondern schien sehr stolz, das stolze und wunderschöne Pferd zu betreuen (ehrlich gesagt war ich etwas eifersüchtig).
Meine Mutter führte den Magier in die Wohnung und ich durfte sein Gepäck schleppen:
Ein Rucksack, einen Schild, Waffen (ein riesiger goldener Speer, der an der Klinge grün glänzte, ragte aus dem Rucksack), reichlich anderer Schnickschnack und ein Mantel, der so weich war und doch so resistent, dass kein Dolch ihn durchbohren könnte.
Ich lud die Sachen auf dem Bett ab, das in dem recht geräumigen und frisch geputzten Zimmer stand. Der Magier schien zufrieden und wir verließen ihn.
In der Küche aß ich schnell zu Mittag und entschuldigte mich dann bei Ratin, aber nur, damit er mich nicht weiter mit verheulten Augen ansah.
Anschließend ging ich in die Stallungen, um das Pferd des Magiers anzusehen. Es stand vollkommen reglos in seiner Box, die wie jede andere eine Tür hatte, die auf die Koppel führte. Ich legte die Hand auf die weichen Nüstern des Tieres. Es schnaubte und ich lächelte. Ich legte die Stirn auf den Kopf des Pferdes, doch es stieß mich zurück. Ich murmelte beruhigende Worte und streichelte es weiter. Es war ungeheuer schön und das dunkelbraune Fell glänzte im matten Schein, der durch ein Loch in der Decke fiel. Ich sank ins Heu und schloss für einen Moment die Augen. Die letzte Sommersonne schien mir auf die Beine, die meine Mutter immer Kalkstelzen nannte, weil sie so weiß waren.
Plötzlich wurde ich aus der schummrigen Phase zwischen Wachsein und Schlaf gerissen, weil jemand die Hand an meine Schulter legte. Ich schreckte auf und blickte unter die Kapuze des Magiers, der vor mir kniete und mich ansah.
Ich wich zurück und stand auf. „Oh!“, machte ich und klopfte mir verlegen das Heu vom Rock, „Ich… ähm…“ Ich stotterte wie ein Dorftrottel und wieder spürte ich das Blut in meinen Wangen. Der Magier lächelte (zumindest sah es so aus) und wandte sich seinem Pferd zu.
Ich atmete tief ein, dann fragte ich:
„Wie heißt er?“
Der Magier sah mich verwundert an. „Ich?“
Ich runzelte leicht die Stirn.
„Nein, das Pferd!“
Mist. Warum hatte ich nicht „Ja“ geantwortet?
Zumindest hieß sein Pferd D’nalor. Ein merkwürdiger Name für so ein tolles Pferd.
Ich fasste mir ein Herz und fragte auch nach dem Namen des Magiers. Doch er antwortete nicht. Resigniert verließ ich die Scheune und bemerkte, dass es bereits zum Abend dämmerte. Ich ging in mein Zimmer und legte mich ins Bett. Ich starrte wieder an die Decke und dieses Mal schlief ich ausnahmsweise früh ein.
Gast- Gast
Re: Magierblut
Die Feuersbrunst
Am nächsten Morgen erwachte ich, weil Putz von der Decke auf mich nieder prasselte. Knarrende Geräusche waren zu vernehmen und ich vermutete, dass es der Magier war, dessen Zimmer über meinem lag. Das erste Mal seit Wochen war ich ausgeschlafen und konnte aufstehen, ohne noch tausendmal zu gähnen. Die Sonne stand nicht sehr hoch und ich war wirklich nicht müde! Ich war selbst erstaunt, dennoch ging ich ins Bad und wusch mich komplett, auch die Haare, denn sie waren nicht schön anzusehen. Mit geringelten Haarspitzen trat ich in die Küche, wo mein Vater saß und mich mehr als erstaunt ansah. Auch mein Großvater saß neben ihm und rührte eifrig in einem Kessel auf dem Tisch, unter dem ein winziges Feuerchen brannte.
„Na, das ist aber eine Überraschung!“, brachte Vater hervor und legte sogar seine Papiere zur Seite. „Guten Morgen!“
Großvater sah auf und grinste zahnlos, dann wandte er sich wieder seiner Brauerei zu. Ich ließ mich mit einem „Hallo“ nieder und vermatschte Körner vom Feld mit Milch in meiner Schüssel.
Großvater tippte mich an und deutete auf einen Korb, der neben der Haustür stand. Mit dem ging Mutter sonst immer einkaufen. Er nuschelte irgendetwas, was man nicht verstehen konnte, weil er ja zahnlos war, aber Vater übersetzte:
„Du sollst für deine Mutter einkaufen gehen, sie ist oben und schuftet.“
Ich sah ihn fragend an. „Sie schuftet? Wo? Warum?“
„Der junge Magier ist heute Morgen sehr früh aufgebrochen und hat viel zu viel Geld dagelassen. Sein Pferd ist auch fort.“, antwortete Vater und ich gab mich damit zufrieden, auch wenn ich D’nalor vermissen würde.
Nach dem Frühstück nahm ich einen kleinen Beutel Gold und klemmte mir den Korb unter den Arm. So ging ich dann los auf den Markt im Nachbarsdorf. Quirn war zu klein, um einen eigenen Markt zu haben. Zwar hatten wir einen Marktplatz, aber dort traten nur ab und zu Straßenkünstler auf. Ich überquerte die Brücke über einen kleinen Bach, an dem eine schöne Mühle stand und folgte dem Weg durch einen kleinen Hain, dann war ich in Fynos, einer großen, reichen Siedlung mit einem guten Markt. Dort kaufte ich Mehl, Reis, Zwiebeln und Brot. Anschließend wollte ich zur Schenke um Fässer zu bestellen, die Großvater brauchte. Ich betrat Tartons Kesselschenke und erblickte den Magier, der an einem Tisch in der Ecke saß und aus einem Horn trank.
Ich musterte ihn kühl und er blickte zurück, doch ich wandte mich ab. An der Theke verlangte ich nach Tarton und er notierte meine Bestellung. Leider musste ich ihm auch den Rest des Goldes geben. Es dauerte ziemlich lang, bis er fertig war, weil niemand so richtig gut schreiben oder lesen konnte, aber die, die dazu in der Lage waren, beherrschten es nur langsam und brüchig. Immerhin, denn ich konnte es nicht. Als Tarton endlich fertig war, beschloss ich, noch ein wenig zu bleiben, weil ich gerne hierher kam (es hatte garantiert nichts mit dem Magier zu tun!). Tarton war der Cousin meiner Mutter und so verstanden wir uns recht gut. Wir unterhielten uns ein wenig über die Geschäfte in Fynos und verglichen Quirn mit gequirltem Mist und scherzten über dies und das, als plötzlich ein Mann in die Schenke platzte. „Feuer!“, schrie er und fuchtelte so wild mit den Armen, dass er ein Glas umstieß. „Feuer in Quirn!“
Wie ein Reflex durchfuhr mich der Schreck und meine Knie wurden weich. Ich warf einen Blick zu Tarton und er warf einen Blick zum Fenster hinaus und mein Blick folgte seinem und ich entdeckte große schwarze Rauchsäule hinter dem Hain auftauchen.
Ich presste die Lippen aufeinander und sah aus dem Augenwinkel, dass der Magier aufgesprungen war, Geld auf den Tisch gelegt hatte und aus der Schenke gestürmt war. Wie auf Kommando eilte ich hinterher und vergaß dabei meinen Korb, aber das war mir egal. Ich wäre beinahe von D’nalor überrannt worden, weil der Magier mir den Weg abgeschnitten hatte. Ich war wirklich zornig, aber die Angst überwältigte den Zorn, und so kullerten Tränen über mein Gesicht. Panisch rief ich, er solle mich durchlassen, aber stattdessen, griff er hart um meinen Arm und zog mich zu ihm hinauf auf D’nalor. Zu verwirrt, um irgendetwas zu tun, umklammerte ich seine Mitte und hoffte, dass dieser Albtraum endlich enden würde. Ich kniff die Augen zusammen und als ich sie wieder öffnete, hatten wir den Hain durchquert und hielten direkt auf Quirn zu. Als das Pferd langsamer wurde, sprang ich ab und stieß mir dabei das Knie auf dem Pflaster auf, rannte dann aber Richtung Heim.
Der Magier sammelte sich kurz, dann tauchte er aus dem Nichts neben mir auf (ich vermutete später, dass er sich teleportiert hatte). Er hielt mit mir locker Schritt, dann brach ich auf die Knie. Das, was ich sah, durfte nicht das sein, was es war! Unsere Farm! Unser Zuhause! Alles stand in Flammen…
Die roten Zungen leckten gierig an dem trockenen Haus und verschlangen alles, was ihnen in den Weg kam. Ich schrie und schrie. Ich schrie, als würde meine Stimme das Feuer vertreiben und meine Familie retten. Und dann sah ich etwas, was ich nie in meinem Leben vergessen würde:
Der Magier legte eine Hand auf meine Schulter und schritt dann auf das Feuer zu, das immer mehr zerfraß. Die Pferde wieherten laut auf den Wiesen und traten aus und die Hühner schrieen panisch in ihren Käfigen. Der Zauberer stand auf dem Hof und war von Flammen umschlossen. Er hob die Arme an und wurde kurz in die Luft gehoben, da schoss ein Blitz aus dem Himmel in seinen Körper und seine Kleidung nahm eine felsenfeste Struktur an. Etwas krachte im Innern des Hauses. Ich sah nur verschwommen was geschah. Zunächst war der Magier verschwunden, doch kurz darauf liefen fünf von dreizehn Hühnern auf der Pferdekoppel herum. Dann trat eine rußige Figur aus dem Feuer und da sagte der Magier: „Lauft weg, rasch!“
Sofort lief ich auf die andere Straßenseite, und in dem Moment erzitterte die Erde und ein riesiger Feuerschwall brach aus der Küche aus. Die Flammen schlugen bestimmt fünfhundert Fuß hoch und überall war Ruß und Rauch. Ich erschrak furchtbar. Die Panik lähmte meinen Körper; ich war unfähig, mich zu bewegen. Wo waren Vater, Mutter, Ratin und Großvater? Wo blieb der Magier? Ich weinte weiter.
Ich hustete und meine Haut wurde schwarz vom Ruß und ich konnte nicht richtig atmen. Der Magier kam nicht. Ewigkeiten vergingen, doch zweimal schoss wieder ein Blitz aus dem Himmel mitten ins Haus, also vermutete ich ihn dort. Ich schloss die Augen und presste meine Arme fest an meine Brust.
Fünfmal explodierte etwas, zweimal raschelte etwas hinter mir im Gebüsch, dreimal ertönte ein zischendes Geräusch und dann war alles still.
Am nächsten Morgen erwachte ich, weil Putz von der Decke auf mich nieder prasselte. Knarrende Geräusche waren zu vernehmen und ich vermutete, dass es der Magier war, dessen Zimmer über meinem lag. Das erste Mal seit Wochen war ich ausgeschlafen und konnte aufstehen, ohne noch tausendmal zu gähnen. Die Sonne stand nicht sehr hoch und ich war wirklich nicht müde! Ich war selbst erstaunt, dennoch ging ich ins Bad und wusch mich komplett, auch die Haare, denn sie waren nicht schön anzusehen. Mit geringelten Haarspitzen trat ich in die Küche, wo mein Vater saß und mich mehr als erstaunt ansah. Auch mein Großvater saß neben ihm und rührte eifrig in einem Kessel auf dem Tisch, unter dem ein winziges Feuerchen brannte.
„Na, das ist aber eine Überraschung!“, brachte Vater hervor und legte sogar seine Papiere zur Seite. „Guten Morgen!“
Großvater sah auf und grinste zahnlos, dann wandte er sich wieder seiner Brauerei zu. Ich ließ mich mit einem „Hallo“ nieder und vermatschte Körner vom Feld mit Milch in meiner Schüssel.
Großvater tippte mich an und deutete auf einen Korb, der neben der Haustür stand. Mit dem ging Mutter sonst immer einkaufen. Er nuschelte irgendetwas, was man nicht verstehen konnte, weil er ja zahnlos war, aber Vater übersetzte:
„Du sollst für deine Mutter einkaufen gehen, sie ist oben und schuftet.“
Ich sah ihn fragend an. „Sie schuftet? Wo? Warum?“
„Der junge Magier ist heute Morgen sehr früh aufgebrochen und hat viel zu viel Geld dagelassen. Sein Pferd ist auch fort.“, antwortete Vater und ich gab mich damit zufrieden, auch wenn ich D’nalor vermissen würde.
Nach dem Frühstück nahm ich einen kleinen Beutel Gold und klemmte mir den Korb unter den Arm. So ging ich dann los auf den Markt im Nachbarsdorf. Quirn war zu klein, um einen eigenen Markt zu haben. Zwar hatten wir einen Marktplatz, aber dort traten nur ab und zu Straßenkünstler auf. Ich überquerte die Brücke über einen kleinen Bach, an dem eine schöne Mühle stand und folgte dem Weg durch einen kleinen Hain, dann war ich in Fynos, einer großen, reichen Siedlung mit einem guten Markt. Dort kaufte ich Mehl, Reis, Zwiebeln und Brot. Anschließend wollte ich zur Schenke um Fässer zu bestellen, die Großvater brauchte. Ich betrat Tartons Kesselschenke und erblickte den Magier, der an einem Tisch in der Ecke saß und aus einem Horn trank.
Ich musterte ihn kühl und er blickte zurück, doch ich wandte mich ab. An der Theke verlangte ich nach Tarton und er notierte meine Bestellung. Leider musste ich ihm auch den Rest des Goldes geben. Es dauerte ziemlich lang, bis er fertig war, weil niemand so richtig gut schreiben oder lesen konnte, aber die, die dazu in der Lage waren, beherrschten es nur langsam und brüchig. Immerhin, denn ich konnte es nicht. Als Tarton endlich fertig war, beschloss ich, noch ein wenig zu bleiben, weil ich gerne hierher kam (es hatte garantiert nichts mit dem Magier zu tun!). Tarton war der Cousin meiner Mutter und so verstanden wir uns recht gut. Wir unterhielten uns ein wenig über die Geschäfte in Fynos und verglichen Quirn mit gequirltem Mist und scherzten über dies und das, als plötzlich ein Mann in die Schenke platzte. „Feuer!“, schrie er und fuchtelte so wild mit den Armen, dass er ein Glas umstieß. „Feuer in Quirn!“
Wie ein Reflex durchfuhr mich der Schreck und meine Knie wurden weich. Ich warf einen Blick zu Tarton und er warf einen Blick zum Fenster hinaus und mein Blick folgte seinem und ich entdeckte große schwarze Rauchsäule hinter dem Hain auftauchen.
Ich presste die Lippen aufeinander und sah aus dem Augenwinkel, dass der Magier aufgesprungen war, Geld auf den Tisch gelegt hatte und aus der Schenke gestürmt war. Wie auf Kommando eilte ich hinterher und vergaß dabei meinen Korb, aber das war mir egal. Ich wäre beinahe von D’nalor überrannt worden, weil der Magier mir den Weg abgeschnitten hatte. Ich war wirklich zornig, aber die Angst überwältigte den Zorn, und so kullerten Tränen über mein Gesicht. Panisch rief ich, er solle mich durchlassen, aber stattdessen, griff er hart um meinen Arm und zog mich zu ihm hinauf auf D’nalor. Zu verwirrt, um irgendetwas zu tun, umklammerte ich seine Mitte und hoffte, dass dieser Albtraum endlich enden würde. Ich kniff die Augen zusammen und als ich sie wieder öffnete, hatten wir den Hain durchquert und hielten direkt auf Quirn zu. Als das Pferd langsamer wurde, sprang ich ab und stieß mir dabei das Knie auf dem Pflaster auf, rannte dann aber Richtung Heim.
Der Magier sammelte sich kurz, dann tauchte er aus dem Nichts neben mir auf (ich vermutete später, dass er sich teleportiert hatte). Er hielt mit mir locker Schritt, dann brach ich auf die Knie. Das, was ich sah, durfte nicht das sein, was es war! Unsere Farm! Unser Zuhause! Alles stand in Flammen…
Die roten Zungen leckten gierig an dem trockenen Haus und verschlangen alles, was ihnen in den Weg kam. Ich schrie und schrie. Ich schrie, als würde meine Stimme das Feuer vertreiben und meine Familie retten. Und dann sah ich etwas, was ich nie in meinem Leben vergessen würde:
Der Magier legte eine Hand auf meine Schulter und schritt dann auf das Feuer zu, das immer mehr zerfraß. Die Pferde wieherten laut auf den Wiesen und traten aus und die Hühner schrieen panisch in ihren Käfigen. Der Zauberer stand auf dem Hof und war von Flammen umschlossen. Er hob die Arme an und wurde kurz in die Luft gehoben, da schoss ein Blitz aus dem Himmel in seinen Körper und seine Kleidung nahm eine felsenfeste Struktur an. Etwas krachte im Innern des Hauses. Ich sah nur verschwommen was geschah. Zunächst war der Magier verschwunden, doch kurz darauf liefen fünf von dreizehn Hühnern auf der Pferdekoppel herum. Dann trat eine rußige Figur aus dem Feuer und da sagte der Magier: „Lauft weg, rasch!“
Sofort lief ich auf die andere Straßenseite, und in dem Moment erzitterte die Erde und ein riesiger Feuerschwall brach aus der Küche aus. Die Flammen schlugen bestimmt fünfhundert Fuß hoch und überall war Ruß und Rauch. Ich erschrak furchtbar. Die Panik lähmte meinen Körper; ich war unfähig, mich zu bewegen. Wo waren Vater, Mutter, Ratin und Großvater? Wo blieb der Magier? Ich weinte weiter.
Ich hustete und meine Haut wurde schwarz vom Ruß und ich konnte nicht richtig atmen. Der Magier kam nicht. Ewigkeiten vergingen, doch zweimal schoss wieder ein Blitz aus dem Himmel mitten ins Haus, also vermutete ich ihn dort. Ich schloss die Augen und presste meine Arme fest an meine Brust.
Fünfmal explodierte etwas, zweimal raschelte etwas hinter mir im Gebüsch, dreimal ertönte ein zischendes Geräusch und dann war alles still.
Gast- Gast
Re: Magierblut
Tränen in der Asche
Das nächste, was ich vernahm, waren gedämpfte Stimmen und ein leises Knarren. Ich lag in einem Bett und es war schön warm. Es war nicht mein Bett, denn die Bettwäsche war frisch gewaschen. Dann kam die Erinnerung wie ein Schlag ins Gesicht. Panisch riss ich die Augen auf und richtete mich auf. Sofort richteten sich die Blicke des Dorfsprechers, Tartons und des Magiers auf mich. Tarton kam sofort an mein Bett und legte die Hände an meine Schultern. „Wo sind sie?“, fragte ich und meine Stimme war heiser. Tränen stiegen wieder in mir auf und ich wollte aus diesem Bett. Tarton schüttelte den Kopf. „Du brauchst Ruhe, Colleen, leg dich wieder hin.“
„Ich hab lang genug geschlafen!“, protestierte ich und strampelte die Bettdecke weg.
„Bleib liegen, es ist nicht gut, wenn du jetzt schon aufstehst!“
„Nein! Ich will… Wo sind sie?“
„Colleen! Sei vernünftig, es geht um deine Gesundheit!“
„Ich bin gesund und jetzt lass mich raus.“, widersprach ich und plötzlich meldete sich der Magier mit leiser Stimme zu Wort.
„Ich bin auch dafür, dass sie geht.“
Ich sah ihn mehr als dankbar an. Seine Kleidung war verrußt, aber ihm schien nichts passiert zu sein.
Ich blickte zu Tarton und er sah den Magier skeptisch an.
„Ich habe sie geheilt“, sagte dieser und ich war überrascht, „sie ist wieder ganz gesund.“
Also sprang ich auf und rannte hinunter. Ich sah D’nalor, stieg ohne zu zögern auf und preschte los. Der Tarton und der Dorfsprecher sahen mir hinterher, der Magier schloss die Augen und teleportierte sich hinter mich auf das Pferd. Seine Arme umschlossen mich und er nahm die Zügel in die Hände. Ich ließ ihn gewähren (schließlich war es sein Pferd) und hielt Ausschau nach der Farm. Was ich erblickte ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. D’nalor wurde langsam und ich sprang ab. Dabei landete ich falsch und meine Füße kribbelten kurz schmerzhaft. Ich hinkte zu dem Skelett aus Holzbalken und Ruß, das schwarz in einem Haufen Asche stand. Ein Pferd lag verkohlt auf der Wiese, daneben wölbten sich vier mit Decken verdeckte Körper.
Ich sank auf die Knie in die Asche. Der Schmerz riss mir etwas aus der Brust. Ich konnte nicht weinen. Ich fiel in die weiche Asche und verschloss mich der Welt. Tot.
Ich sah den Magier, der sich neben mich kniete und mir Haare aus dem Gesicht strich. Ich sah nur die glücklichen Zeiten mit meiner Familie und wusste, dass es nie wieder so sein würde. Das Loch in meiner Brust verschlang mich. Es drohte, mich zu zerreißen. Ich lag in der Asche und spürte dann doch, wie eine einzelne Träne in die Asche kullerte. Ewigkeiten schienen zu vergehen, dass ich in der Asche lag und der Magier neben mir saß. Ich hörte, wie der Dorfsprecher und Tarton kamen und mich mitnehmen wollten, aber der Magier sagte: „Lasst sie liegen. Es ist nicht gut, sie jetzt zu stören. Ich bleibe bei ihr.“
Ich sah, wie die rote Sonne hinter den Bergen verschwand und hörte, wie die Grillen ihr Lied anstimmten. Ich spürte die Kälte der Nacht, die langsam in meine Glieder kroch. Ich schlotterte kurz und dann legte der Magier seinen Umhang über mich und mir wurde wieder warm. Ich konzentrierte mich auf das Gefühl des Alleinseins.
Ratin… Großvater…
Mutter…Vater…
Ich hatte mich damit abgefunden. Ich war allein. Eine Waise. Ich richtete mich auf. In der Asche war die Form meines Körpers abgedruckt und eine einzelne Träne lag in einer Kuhle wie eine schwarze Perle.
Das nächste, was ich vernahm, waren gedämpfte Stimmen und ein leises Knarren. Ich lag in einem Bett und es war schön warm. Es war nicht mein Bett, denn die Bettwäsche war frisch gewaschen. Dann kam die Erinnerung wie ein Schlag ins Gesicht. Panisch riss ich die Augen auf und richtete mich auf. Sofort richteten sich die Blicke des Dorfsprechers, Tartons und des Magiers auf mich. Tarton kam sofort an mein Bett und legte die Hände an meine Schultern. „Wo sind sie?“, fragte ich und meine Stimme war heiser. Tränen stiegen wieder in mir auf und ich wollte aus diesem Bett. Tarton schüttelte den Kopf. „Du brauchst Ruhe, Colleen, leg dich wieder hin.“
„Ich hab lang genug geschlafen!“, protestierte ich und strampelte die Bettdecke weg.
„Bleib liegen, es ist nicht gut, wenn du jetzt schon aufstehst!“
„Nein! Ich will… Wo sind sie?“
„Colleen! Sei vernünftig, es geht um deine Gesundheit!“
„Ich bin gesund und jetzt lass mich raus.“, widersprach ich und plötzlich meldete sich der Magier mit leiser Stimme zu Wort.
„Ich bin auch dafür, dass sie geht.“
Ich sah ihn mehr als dankbar an. Seine Kleidung war verrußt, aber ihm schien nichts passiert zu sein.
Ich blickte zu Tarton und er sah den Magier skeptisch an.
„Ich habe sie geheilt“, sagte dieser und ich war überrascht, „sie ist wieder ganz gesund.“
Also sprang ich auf und rannte hinunter. Ich sah D’nalor, stieg ohne zu zögern auf und preschte los. Der Tarton und der Dorfsprecher sahen mir hinterher, der Magier schloss die Augen und teleportierte sich hinter mich auf das Pferd. Seine Arme umschlossen mich und er nahm die Zügel in die Hände. Ich ließ ihn gewähren (schließlich war es sein Pferd) und hielt Ausschau nach der Farm. Was ich erblickte ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. D’nalor wurde langsam und ich sprang ab. Dabei landete ich falsch und meine Füße kribbelten kurz schmerzhaft. Ich hinkte zu dem Skelett aus Holzbalken und Ruß, das schwarz in einem Haufen Asche stand. Ein Pferd lag verkohlt auf der Wiese, daneben wölbten sich vier mit Decken verdeckte Körper.
Ich sank auf die Knie in die Asche. Der Schmerz riss mir etwas aus der Brust. Ich konnte nicht weinen. Ich fiel in die weiche Asche und verschloss mich der Welt. Tot.
Ich sah den Magier, der sich neben mich kniete und mir Haare aus dem Gesicht strich. Ich sah nur die glücklichen Zeiten mit meiner Familie und wusste, dass es nie wieder so sein würde. Das Loch in meiner Brust verschlang mich. Es drohte, mich zu zerreißen. Ich lag in der Asche und spürte dann doch, wie eine einzelne Träne in die Asche kullerte. Ewigkeiten schienen zu vergehen, dass ich in der Asche lag und der Magier neben mir saß. Ich hörte, wie der Dorfsprecher und Tarton kamen und mich mitnehmen wollten, aber der Magier sagte: „Lasst sie liegen. Es ist nicht gut, sie jetzt zu stören. Ich bleibe bei ihr.“
Ich sah, wie die rote Sonne hinter den Bergen verschwand und hörte, wie die Grillen ihr Lied anstimmten. Ich spürte die Kälte der Nacht, die langsam in meine Glieder kroch. Ich schlotterte kurz und dann legte der Magier seinen Umhang über mich und mir wurde wieder warm. Ich konzentrierte mich auf das Gefühl des Alleinseins.
Ratin… Großvater…
Mutter…Vater…
Ich hatte mich damit abgefunden. Ich war allein. Eine Waise. Ich richtete mich auf. In der Asche war die Form meines Körpers abgedruckt und eine einzelne Träne lag in einer Kuhle wie eine schwarze Perle.
Gast- Gast
Re: Magierblut
Allein?
Der Magier und ich saßen uns gegenüber in der Asche. Ich weinte nicht mehr. Ich wollte nicht. Ich konnte nicht.
Der Magier griff meine Hände.
„Ich kann dir nicht helfen, den Schmerz zu verarbeiten. Und zu sagen, es tue mir sehr Leid kann dir auch nicht weiterhelfen, nicht wahr?“, fragte er leise. Ich nickte benommen. Was konnte ich jetzt mit Beileidsbekundungen anfangen?
„Ich denke… Ich denke, wenn ich nicht… einkaufen gegangen wäre… würde ich jetzt auch…“ Während ich stotterte versagte mir fünfmal die Stimme. Die letzten Worte brachte ich gar nicht heraus. Der Magier nickte.
„Ihr habt versucht… sie zu retten… nicht wahr?“
Wieder nickte er, sah mich an und legte die Kapuze in den Nacken. Sein Gesicht war schmal und bleich. Er sah sehr mitgenommen aus.
„Dann muss… ich Euch… danken.“
Ich verbeugte mich tief vor ihm und sah ihn dann wieder an.
„Das braucht Ihr nicht, junge Colleen. Ich muss mich bei Euch bedanken.“
Ich sah ihn durch einen Tränenschleier an und dann fiel ich ihm um den Hals. Ich weinte in seinen Mantel. Was ich jetzt brauchte, war jemand, der mir Geborgenheit schenkte, mir das Gefühl gab, doch nicht allein zu sein. Eine kurze Zeit spürte ich seine Hände auf meinem Rücken und Wärme durchfuhr mich.
„Aber auch ich werde gehen.“, flüsterte er und schob mich an den Schultern von sich weg.
„Wann?“, fragte ich; meine Stimme war von Tränen belegt.
„Bei Morgengrauen breche ich auf.“
Ich nickte und stand auf. Benommen machte ich Schritte auf die toten Körper zu, aber er hielt mich zurück. „Tut es nicht.“
Dann ließ er meine Schulter los und stieg auf D’nalor und war in Richtung Fynos verschwunden. Ich sank zurück in die Asche.
Ewigkeiten später kam Tarton zu mir. Wir gingen langsam nach Quirn zurück und ich legte mich schlafen.
Ich träumte wirr.
Ich stand in meinem brennenden Haus, überall war Feuer und Ruß, aber ich spürte nichts. Nicht, dass meine Kleidung in Flammen stand, dass ich keine Luft mehr bekam. Stattdessen war mir, als würde sich nur ein Hauch meinerselbst, meines Daseins in der Farm befinden. Mein Bruder krallte sich an meinen Rock und schrie und weinte. Ich schrie und weinte.
Aber das Feuer blendete mich und das nächste, was ich sah, waren verkohlte Körper zu meinen Füßen. Ich sah vieles, nahm aber nichts davon wirklich war.
Dann riss ich die Augen auf und war wieder in Quirn. Allein.
Ohne meine Familie – eine Waise.
Sie hatten beschlossen, mich in Fynos bei einer Familie abzugeben. „Colleen!“, hatten sie gesagt, „Das ist nur das beste für dich!“
Aber ich wollte nicht. Was erwarteten sie von mir? Erst gestern waren meine Eltern gestorben, ich hatte mit einem Mal meine gesamte Familie verloren und sie dachte schon, ich könne ein neues Leben beginnen?
Nicht mit mir. Ich war aufgesprungen, in mein Gastzimmer gestürmt, mich aufs Bett geschmissen und ins Kissen geschrieen. Jetzt ging es mir besser und ich dachte intensiv nach, wie ich diesem Schicksal als Adoptierte entgehen konnte.
Ich könnte meine Fluchtgedanken verwirklichen.
Ich könnte jetzt einfach das Bettlaken nehmen, die mir zur Verfügung gestellten Kleider hineinpacken und verschwinden.
Und so hatte ich es getan.
Ich rannte durch die Gräser und Wiesen, schneller und schneller, weg von meiner Vergangenheit. Es war früher Mittag, so konnte ich bis zur Mittagshitze die Wiesen von Fynos hinter mir haben. Dann lag mir nur noch offene Prärie zu Füßen, in der ich noch nie gewesen war. Ich war noch nie weiter als Fynos gekommen. Ich hatte von den unendlichen Weiden gehört, aber dort gewesen, war ich noch nie. Immerhin, dachte ich um mich aufzumuntern, eine Premiere!
Ich überquerte eine kleine Brücke und war frei.
Frei, frei, frei.
Und dennoch kam ich mir nicht so vor. Ich drehte mich zurück und sah die letzten Dachgiebel Fynos’ hinter ein paar Fichten hervorlugen. Ich schnaufte und breitete das Bettlaken aus. Ich sah mich kurz um und zog dann den engen Rock aus und stattdessen einen weiten Zigeunerrock an, der, wenn man sich im Kreis drehte, hoch flog und wunderschön glänzte. Er war feuerrot und schwarz. Meine Lieblingsfarben, vielleicht brachte mir das Glück.
Ich vergrub den alten Rock und nahm mein Laken wieder mit.
Zu Mittag pflückte ich mir ein paar Beeren und trank aus dem Bach, der sich wie eine Schlange durch die Wiesen wand. Einmal wäre ich beinahe hineingefallen, weil die Gräser so weit hinüber gewachsen waren, dass ich das Wasser nicht gesehen hatte. Ich sah sogar winzige Fische und ein paar Enten schwimmen.
Gegen Nachmittag hatte ich die Vergangenheit vorerst abgeschüttelt und näherte mich einer Handelsstraße, die zu einer etwas größeren Stadt führte.
Ich beschloss, dort etwas einzukaufen (ich hatte viel Geld mitgenommen). Ich besorgte mir ein großes hartes Brot, drei gekochte Eier, getrockneten Schinken und eine Flasche Brunnenwasser. Ich beschloss, nicht allzu lange in der Stadt zu bleiben, darum ging ich so schnell wie möglich durch die Wiesen.
Gegen Abend fand ich eine leer stehende Scheune, in der ich es mir gemütlich machte und mir zwei Zecken aus den Waden zog.
Die Nacht war kühl und ich schlief nur schlecht ein. Am nächsten Morgen war das Heu, in dem ich geschlafen hatte, mit einer dünnen Schicht Raureif überzogen, und meine Zehen und Finger taten weh. Es war zwar Sommer, aber das Wetter war in den letzten Tagen oft umgeschlagen. So wurde es am Mittag wieder sehr heiß, dass ich schwitzte.
Ich erreichte am nächsten Tag ein kleines Dorf, das sich Abain nannte. Abain. Welch merkwürdiger Name! Erinnerte sehr an allein. Hoffentlich überlebte ich das, aber das Brot, das ich gekauft hatte, war nur noch zur Hälfte gut, denn die andere war in der Nacht von Ratten angefressen worden, und soweit ich wusste, war das nicht so gut.
Ich war erst zögerlich. Das Dorf ähnelte Quirn sehr, würden meine Nerven das durchstehen?
Ich atmete tief ein und war überrascht, wie stark ich sein konnte, wenn ich wollte. Mutig trat ich die ersten Schritte in das Dorf.
Ich suchte kurz nach einem Händler, fand keinen, ging also in die Taverne. Ich öffnete die Tür und hielt auf die Theke zu.
Der Wirt war nirgends zu sehen, also wartete ich.
Ich zupfte ungeduldig an meinem Rock herum, als ich ein bekanntes Gesicht erblickte. Der Magier saß abseits in einer Ecke an einem Tisch, tief gebeugt über irgendwelche Runen. Ich schluckte und tat vorerst so, als habe ich ihn nicht bemerkt. Einerseits freute ich mich, dass er da war, andererseits war es mir peinlich, da ich eigentlich in Quirn sein sollte. Ich beherrschte mich und sprach den Wirt an, der inzwischen gekommen war.
Leise nuschelte ich, dass ich gern einen Becher Wasser hätte, eine Karte der Umgebung und ein Brot. Der Wirt nickte und verschwand wieder. Ich riskierte einen Blick zum Magier und bemerkte, dass er mich anstarrte. Ich wurde rot und wollte mein Gesicht mit den zimtbraunen Haaren verdecken, aber er war bereits aufgestanden und hatte sich neben mich auf den Barhocker gesetzt.
„So sehen wir uns wieder.“, sagte er leise und bezahlte mein Wasser, das Brot und die Karte. Ich bedankte mich und erwiderte sonst nichts darauf.
Ich versuchte, mich auf die Karte zu konzentrieren, und übersah den kleinen Fleck darauf, über den in Schnörkelschrift „Fynos“ stand.
Der Magier seufzte und verließ die Taverne, da überkam mich ein Einfall. Ich spülte das Wasser hinunter, packte das Brot und die Karte in meinen improvisierten Rucksack und eilte hinaus, doch der Magier war nirgendwo mehr zu sehen. Etwas enttäuscht machte ich mich auf den Weg ans andere Ende der Stadt um mich wieder auf den Weg durch die Wiesen zu machen. Ich ging etwa eine Stunde, da hörte ich quakende, krächzende und quiekende Stimmen.
„Da ist sie! Schlagt ihr den Kopf ab, ich brauch ’nen neuen Aschenbecher!“
Ich schluckte und beschleunigte meinen Schritt, als es hinter mir raschelte. Ich ging noch schneller, raffte den Rock und hetzte. Aber das Rascheln ließ nicht nach. Schließlich ergriff mich die Panik und ich rannte und rannte. Ich wäre zweimal fast gestürzt, aber ich strauchelte weiter durch die Gräser. Inzwischen waren die Stimmen lauter geworden. „He! Bleib hier, wir tun dir doch nichts!“
Ich stolperte und fiel. Ich kam nicht schnell genug wieder hoch, denn plötzlich war ich von bestimmt acht Goblins umringt. Goblins waren so groß wie achtjährige Kinder, aber sie waren gefährlich. Ihre Giftdolche und Sprengsätze konnten tödlich sein. Sie hatten spitze Ohren und eine sumpfgrüne, lederartige Schuppenhaut. Sie waren mit schmutzigen Lumpen bekleidet und ihre Nasen glichen den Nasen von Kaninchen – zwei einfache Furchen in der Haut, die unentwegt schnupperten. Sie standen also mit gezückten Dolchen vor mir und meine Angst wuchs und wuchs. Die Panik war verschwunden, stattdessen war ich geschockt. Ich sah mein Ende nahen, als plötzlich links und rechts von mir Eisstachel aus der Erde wuchsen. Sie waren eisig kalt und ich war wie gelähmt. Sie zogen mir Kraft aus den Gliedern. Ich sah mich zitternd um und bemerkte, dass wir uns, das heißt, die Goblins und ich, in einer Art Eiskreis befanden. Ich konnte mich kaum bewegen, aber den Goblins ging es nicht anders. Sie schienen der Kälte gegenüber noch empfindlicher zu sein. Ich versuchte, aus dem Frostring zu entfliehen, indem ich kroch, aber ich war zu langsam. Ich spürte, wie der Boden vibrierte und dann wurde ich mit einem Ruck aus dem Kreis gerissen. Kaum befand ich mich außerhalb des Rings, war mir wieder warm und ich fühlte mich stärker. Ich sah auf und entdeckte D’nalor und den Magier. D’nalor stellte sich vor mich und ich zog mich am Zaumzeug auf die Beine. Schüchtern beobachtete ich, was der Magier tat. Er sprang in den Kreis und schlachtete mit geschickten Schwerthieben die gesamte Horde Goblins ab. Ich wunderte mich, warum ihm die Kälte nichts auszumachen schien, da wurde es mir klar. Der Magier hatte den Kreis erschaffen, und eigene Magie schadete ihrem Schöpfer nicht. Ich wich vor einem kopflosen Körper aus, der blutend umhereierte und dann umfiel.
Schließlich war der Lärm vorbei.
Der Magier und ich saßen uns gegenüber in der Asche. Ich weinte nicht mehr. Ich wollte nicht. Ich konnte nicht.
Der Magier griff meine Hände.
„Ich kann dir nicht helfen, den Schmerz zu verarbeiten. Und zu sagen, es tue mir sehr Leid kann dir auch nicht weiterhelfen, nicht wahr?“, fragte er leise. Ich nickte benommen. Was konnte ich jetzt mit Beileidsbekundungen anfangen?
„Ich denke… Ich denke, wenn ich nicht… einkaufen gegangen wäre… würde ich jetzt auch…“ Während ich stotterte versagte mir fünfmal die Stimme. Die letzten Worte brachte ich gar nicht heraus. Der Magier nickte.
„Ihr habt versucht… sie zu retten… nicht wahr?“
Wieder nickte er, sah mich an und legte die Kapuze in den Nacken. Sein Gesicht war schmal und bleich. Er sah sehr mitgenommen aus.
„Dann muss… ich Euch… danken.“
Ich verbeugte mich tief vor ihm und sah ihn dann wieder an.
„Das braucht Ihr nicht, junge Colleen. Ich muss mich bei Euch bedanken.“
Ich sah ihn durch einen Tränenschleier an und dann fiel ich ihm um den Hals. Ich weinte in seinen Mantel. Was ich jetzt brauchte, war jemand, der mir Geborgenheit schenkte, mir das Gefühl gab, doch nicht allein zu sein. Eine kurze Zeit spürte ich seine Hände auf meinem Rücken und Wärme durchfuhr mich.
„Aber auch ich werde gehen.“, flüsterte er und schob mich an den Schultern von sich weg.
„Wann?“, fragte ich; meine Stimme war von Tränen belegt.
„Bei Morgengrauen breche ich auf.“
Ich nickte und stand auf. Benommen machte ich Schritte auf die toten Körper zu, aber er hielt mich zurück. „Tut es nicht.“
Dann ließ er meine Schulter los und stieg auf D’nalor und war in Richtung Fynos verschwunden. Ich sank zurück in die Asche.
Ewigkeiten später kam Tarton zu mir. Wir gingen langsam nach Quirn zurück und ich legte mich schlafen.
Ich träumte wirr.
Ich stand in meinem brennenden Haus, überall war Feuer und Ruß, aber ich spürte nichts. Nicht, dass meine Kleidung in Flammen stand, dass ich keine Luft mehr bekam. Stattdessen war mir, als würde sich nur ein Hauch meinerselbst, meines Daseins in der Farm befinden. Mein Bruder krallte sich an meinen Rock und schrie und weinte. Ich schrie und weinte.
Aber das Feuer blendete mich und das nächste, was ich sah, waren verkohlte Körper zu meinen Füßen. Ich sah vieles, nahm aber nichts davon wirklich war.
Dann riss ich die Augen auf und war wieder in Quirn. Allein.
Ohne meine Familie – eine Waise.
Sie hatten beschlossen, mich in Fynos bei einer Familie abzugeben. „Colleen!“, hatten sie gesagt, „Das ist nur das beste für dich!“
Aber ich wollte nicht. Was erwarteten sie von mir? Erst gestern waren meine Eltern gestorben, ich hatte mit einem Mal meine gesamte Familie verloren und sie dachte schon, ich könne ein neues Leben beginnen?
Nicht mit mir. Ich war aufgesprungen, in mein Gastzimmer gestürmt, mich aufs Bett geschmissen und ins Kissen geschrieen. Jetzt ging es mir besser und ich dachte intensiv nach, wie ich diesem Schicksal als Adoptierte entgehen konnte.
Ich könnte meine Fluchtgedanken verwirklichen.
Ich könnte jetzt einfach das Bettlaken nehmen, die mir zur Verfügung gestellten Kleider hineinpacken und verschwinden.
Und so hatte ich es getan.
Ich rannte durch die Gräser und Wiesen, schneller und schneller, weg von meiner Vergangenheit. Es war früher Mittag, so konnte ich bis zur Mittagshitze die Wiesen von Fynos hinter mir haben. Dann lag mir nur noch offene Prärie zu Füßen, in der ich noch nie gewesen war. Ich war noch nie weiter als Fynos gekommen. Ich hatte von den unendlichen Weiden gehört, aber dort gewesen, war ich noch nie. Immerhin, dachte ich um mich aufzumuntern, eine Premiere!
Ich überquerte eine kleine Brücke und war frei.
Frei, frei, frei.
Und dennoch kam ich mir nicht so vor. Ich drehte mich zurück und sah die letzten Dachgiebel Fynos’ hinter ein paar Fichten hervorlugen. Ich schnaufte und breitete das Bettlaken aus. Ich sah mich kurz um und zog dann den engen Rock aus und stattdessen einen weiten Zigeunerrock an, der, wenn man sich im Kreis drehte, hoch flog und wunderschön glänzte. Er war feuerrot und schwarz. Meine Lieblingsfarben, vielleicht brachte mir das Glück.
Ich vergrub den alten Rock und nahm mein Laken wieder mit.
Zu Mittag pflückte ich mir ein paar Beeren und trank aus dem Bach, der sich wie eine Schlange durch die Wiesen wand. Einmal wäre ich beinahe hineingefallen, weil die Gräser so weit hinüber gewachsen waren, dass ich das Wasser nicht gesehen hatte. Ich sah sogar winzige Fische und ein paar Enten schwimmen.
Gegen Nachmittag hatte ich die Vergangenheit vorerst abgeschüttelt und näherte mich einer Handelsstraße, die zu einer etwas größeren Stadt führte.
Ich beschloss, dort etwas einzukaufen (ich hatte viel Geld mitgenommen). Ich besorgte mir ein großes hartes Brot, drei gekochte Eier, getrockneten Schinken und eine Flasche Brunnenwasser. Ich beschloss, nicht allzu lange in der Stadt zu bleiben, darum ging ich so schnell wie möglich durch die Wiesen.
Gegen Abend fand ich eine leer stehende Scheune, in der ich es mir gemütlich machte und mir zwei Zecken aus den Waden zog.
Die Nacht war kühl und ich schlief nur schlecht ein. Am nächsten Morgen war das Heu, in dem ich geschlafen hatte, mit einer dünnen Schicht Raureif überzogen, und meine Zehen und Finger taten weh. Es war zwar Sommer, aber das Wetter war in den letzten Tagen oft umgeschlagen. So wurde es am Mittag wieder sehr heiß, dass ich schwitzte.
Ich erreichte am nächsten Tag ein kleines Dorf, das sich Abain nannte. Abain. Welch merkwürdiger Name! Erinnerte sehr an allein. Hoffentlich überlebte ich das, aber das Brot, das ich gekauft hatte, war nur noch zur Hälfte gut, denn die andere war in der Nacht von Ratten angefressen worden, und soweit ich wusste, war das nicht so gut.
Ich war erst zögerlich. Das Dorf ähnelte Quirn sehr, würden meine Nerven das durchstehen?
Ich atmete tief ein und war überrascht, wie stark ich sein konnte, wenn ich wollte. Mutig trat ich die ersten Schritte in das Dorf.
Ich suchte kurz nach einem Händler, fand keinen, ging also in die Taverne. Ich öffnete die Tür und hielt auf die Theke zu.
Der Wirt war nirgends zu sehen, also wartete ich.
Ich zupfte ungeduldig an meinem Rock herum, als ich ein bekanntes Gesicht erblickte. Der Magier saß abseits in einer Ecke an einem Tisch, tief gebeugt über irgendwelche Runen. Ich schluckte und tat vorerst so, als habe ich ihn nicht bemerkt. Einerseits freute ich mich, dass er da war, andererseits war es mir peinlich, da ich eigentlich in Quirn sein sollte. Ich beherrschte mich und sprach den Wirt an, der inzwischen gekommen war.
Leise nuschelte ich, dass ich gern einen Becher Wasser hätte, eine Karte der Umgebung und ein Brot. Der Wirt nickte und verschwand wieder. Ich riskierte einen Blick zum Magier und bemerkte, dass er mich anstarrte. Ich wurde rot und wollte mein Gesicht mit den zimtbraunen Haaren verdecken, aber er war bereits aufgestanden und hatte sich neben mich auf den Barhocker gesetzt.
„So sehen wir uns wieder.“, sagte er leise und bezahlte mein Wasser, das Brot und die Karte. Ich bedankte mich und erwiderte sonst nichts darauf.
Ich versuchte, mich auf die Karte zu konzentrieren, und übersah den kleinen Fleck darauf, über den in Schnörkelschrift „Fynos“ stand.
Der Magier seufzte und verließ die Taverne, da überkam mich ein Einfall. Ich spülte das Wasser hinunter, packte das Brot und die Karte in meinen improvisierten Rucksack und eilte hinaus, doch der Magier war nirgendwo mehr zu sehen. Etwas enttäuscht machte ich mich auf den Weg ans andere Ende der Stadt um mich wieder auf den Weg durch die Wiesen zu machen. Ich ging etwa eine Stunde, da hörte ich quakende, krächzende und quiekende Stimmen.
„Da ist sie! Schlagt ihr den Kopf ab, ich brauch ’nen neuen Aschenbecher!“
Ich schluckte und beschleunigte meinen Schritt, als es hinter mir raschelte. Ich ging noch schneller, raffte den Rock und hetzte. Aber das Rascheln ließ nicht nach. Schließlich ergriff mich die Panik und ich rannte und rannte. Ich wäre zweimal fast gestürzt, aber ich strauchelte weiter durch die Gräser. Inzwischen waren die Stimmen lauter geworden. „He! Bleib hier, wir tun dir doch nichts!“
Ich stolperte und fiel. Ich kam nicht schnell genug wieder hoch, denn plötzlich war ich von bestimmt acht Goblins umringt. Goblins waren so groß wie achtjährige Kinder, aber sie waren gefährlich. Ihre Giftdolche und Sprengsätze konnten tödlich sein. Sie hatten spitze Ohren und eine sumpfgrüne, lederartige Schuppenhaut. Sie waren mit schmutzigen Lumpen bekleidet und ihre Nasen glichen den Nasen von Kaninchen – zwei einfache Furchen in der Haut, die unentwegt schnupperten. Sie standen also mit gezückten Dolchen vor mir und meine Angst wuchs und wuchs. Die Panik war verschwunden, stattdessen war ich geschockt. Ich sah mein Ende nahen, als plötzlich links und rechts von mir Eisstachel aus der Erde wuchsen. Sie waren eisig kalt und ich war wie gelähmt. Sie zogen mir Kraft aus den Gliedern. Ich sah mich zitternd um und bemerkte, dass wir uns, das heißt, die Goblins und ich, in einer Art Eiskreis befanden. Ich konnte mich kaum bewegen, aber den Goblins ging es nicht anders. Sie schienen der Kälte gegenüber noch empfindlicher zu sein. Ich versuchte, aus dem Frostring zu entfliehen, indem ich kroch, aber ich war zu langsam. Ich spürte, wie der Boden vibrierte und dann wurde ich mit einem Ruck aus dem Kreis gerissen. Kaum befand ich mich außerhalb des Rings, war mir wieder warm und ich fühlte mich stärker. Ich sah auf und entdeckte D’nalor und den Magier. D’nalor stellte sich vor mich und ich zog mich am Zaumzeug auf die Beine. Schüchtern beobachtete ich, was der Magier tat. Er sprang in den Kreis und schlachtete mit geschickten Schwerthieben die gesamte Horde Goblins ab. Ich wunderte mich, warum ihm die Kälte nichts auszumachen schien, da wurde es mir klar. Der Magier hatte den Kreis erschaffen, und eigene Magie schadete ihrem Schöpfer nicht. Ich wich vor einem kopflosen Körper aus, der blutend umhereierte und dann umfiel.
Schließlich war der Lärm vorbei.
Gast- Gast
Re: Magierblut
Aramis
Ich öffnete die Augen und atmete erleichtert auf. Der Magier strich sein blutverschmiertes Schwert im Gras ab und kam auf mich zu.
„Danke.“, nuschelte ich und sank auf den Boden. Trotz der Tatsache, dass der Eiskreis verschwunden war und ich schon längst nicht mehr seiner Kälte ausgesetzt war, fühlte ich mich schwach. Der Magier sah es mir anscheinend an und machte eine merkwürdige Bewegung. Rote Lichtpunkte umschlossen mich wie eine Säule und ich war geheilt.
Ich sah dankbar zu dem Magier, dessen Mimik ich nicht deuten konnte.
Wortlos steckte er sein Schwert zurück in die Scheide und stieg auf D’nalor. Ich schluckte schwer, wurde ich jetzt wieder allein gelassen? Wieder überkam mich das quälende und reißende Gefühl der Trauer und das Loch in meiner Brust fraß sich durch meinen Körper. „Wartet!“, hauchte ich heiser, denn ich wollte nicht, dass ich wieder in Tränen ausbrach.
Er drehte sich zu mir um und sah mich erwartend an, wie ich am Boden lag, mit einem tränenverschmiertem Gesicht und bleich wie Kreide. Was musste er nur von mir halten?
„Ich…“ Ich schluckte die Tränen hinunter und blinzelte mehrmals. „Ich möchte mit Euch kommen.“
Einen Moment lang sah es so aus, als würde er weitergehen, doch dann stieg er von dem Pferd und kam auf mich zu.
„Wieso bist du überhaupt hier?“, fragte er und mir fiel auf, dass er mich duzte.
„Ich weiß nicht genau… Ich wollte allein sein, aber… ich wusste nicht, dass… das so gefährlich sein kann.“, brachte ich mühsam hervor. Der Magier seufzte beinahe enttäuscht, dann sagte er: „Steig auf. Wir brechen auf.“
Und urplötzlich war ich nicht mehr allein. Mit einem Mal war alle Trauer und Verzweiflung wie weggepustet und das Loch, das meine Brust zerriss, schrumpfte. Ich war überglücklich und vermochte meine Dankbarkeit nicht in Worte zu fassen, darum schwieg ich. Ich ritt, der Magier ging neben her.
„Wie ist Euer Name?“, fragte ich nach einiger Zeit mitten in die Stille.
„Aramis.“, antwortete er und lächelte unter seiner Kapuze.
Jetzt hatte ich seinen Namen doch herausgefunden.
„Wo wollen wir hin?“, fragte ich.
Aramis schwieg und so fragte ich nicht weiter.
Zwischendurch wunderte ich mich, wie Aramis unter der dicken Rüstung, den gepolsterten Stiefeln und der schweren Kapuze nicht schwitzte.
Gegen Abend knurrte mein Magen und die Mückenstiche juckten. Wir umgingen das Gebiet der Goblins. Als es Nacht wurde, liefen wir noch immer durch die Dunkelheit.
Ich war zu müde, also lehnte ich mich an den Hals des Pferdes und schloss die Augen.
Als ich erwachte lag ich auf dem Boden auf Heu und war mit Aramis’ Mantel zugedeckt. D’nalor lag neben mir und schnaubte, als ich mich aufrichtete.
Aramis saß mir gegenüber im Schneidersitz und konzentrierte sich. Ich wagte nicht, in zu stören, denn er sah sehr angestrengt aus. Als er aufblickte, erschrak ich. Er sah mehr als übermüdet aus und sein schmales Gesicht schien noch schmaler geworden. „Ist… ist Euch nicht gut?“, brachte ich hervor und schluckte ängstlich. Er schüttelte den Kopf. „Alles in Ordnung.“, sagte er und schloss wieder die Augen.
Auf einmal hörte ich eine andere Stimme. Sie war tief und rau und direkt neben mir.
„Das passiert, wenn man zu viele Zauber an einem Tag wirkt, dann zehren die restlichen Zauber nicht von der Magie im Blut, sondern von der Lebensenergie, weißt du?“
Ich erschrak schrecklich, doch dann realisierte ich, dass es D’nalor war, der sprach. Ich war entsetzt und fasziniert zugleich. Ein sprechendes Pferd!
„Das heißt, alle Zaubersprüche brauchen die Kraft aus seinem Blut?“, fragte ich.
„Sag nicht Zaubersprüche! Das nennt sich Zauberformeln oder Runen. Aber Zaubersprüche ist einfach nur… bäh!“, korrigierte mich das Pferd und ich war verwirrt.
„Also wie jetzt?“, erkundigte ich mich nochmal und versuchte, mehr davon zu verstehen.
„Jeder, der eine Magierprüfung vollendet und noch dazu mit Bravur, dem wird die Magie ins Blut geführt. Die Göttin der Magie – Zunaria – haucht jedem Absolventen die Kraft in die Adern. Und je mehr Erfahrung der Magier sammelt, desto mehr Kraft fließt durch seinen Körper. Und wenn er viele Zauber wirkt, zehren diese aus der Kraft, wir nennen sie Zunag-rar. Doch irgendwann hat der Körper zu wenig Zunag-rar. Dann brauchen die Zauber neue Energie. Die nehmen sie sich dann vom Körper selbst. So wird der Magier schwächer und schwächer, bis er meditiert, wobei er nie gestört werden darf. Wenn der Magier meditiert, nährt er seinen Körper wieder mit Zunag-rar.“
Das Pferd verstummte und blickte mich aus seinen braunen Augen an. Ich schauderte ein wenig und nickte benommen.
„Also dürfen wir ihn nicht stören?“, flüsterte ich so leise es ging.
Das Pferd nickte (zumindest deutete ich die Kopfbewegung als solches).
Ich kuschelte mich an seine Seite und beobachtete Aramis eine Weile schweigend.
„Achte auf seine Hände!“, raunte D’nalor und ich schaute durch die Dunkelheit genauer hin.
Aus seinen Händen kamen rote Lichtpunkte und fuhren in zarten Linien durch seinen gesamten Körper; sie sammelten sich zwischen den Rippen.
Ich verstand, dass sie über den Adern verliefen und so den Körper wieder mit Zunag-rar versorgten.
Ich wurde wach, weil mein Kopf auf etwas Hartes prallte. Ich schlug die Augen auf und rieb mir den Hinterkopf und wusste, dass D’nalor aufgestanden war. Aua!
Ich stand auch wankend auf und sah den Gaul wütend an, aber er schnaubte nur belustigt. Ich schüttelte verständnislos den Kopf und hielt nach Aramis Ausschau, aber ich konnte ihn nicht entdecken. „Wo ist-…?“
„Er sucht die Umgebung nach einer Quelle ab – völlig unnötig, aber naja.“, antwortete D’nalor und ich sattelte ihn.
„Warum unnötig?“ Ich strich schüttelte mein Haar aus und strich den Rock glatt.
„Naja, er könnte das Wasser aus der Erde ziehen, aber das würde dir nicht schmecken.“
Ich stutzte. Er suchte die Gegend ab um für mich Wasser zu finden?
„Schmeckt… Schmeckt es dir denn?“
D’nalor schüttelte den Kopf und ich kicherte, da trat Aramis aus dem Dickicht. Über seinen Händen schwebte eine große Wasserkugel (ja, schwebte!). Ich blickte erstaunt auf das wabbelnde Wasser, das er trug. Dann formte ich rasch die Hände zu einer Schale und trank ein wenig.
„Wo hast du das Gebräu denn her?“, fragte D’nalor und schnaubte beleidigt.
Aramis sah ihn vorwurfsvoll an und trank selbst ein wenig. Den Rest ließ er hoch in die Luft steigen und dann in Milliarden kleine Tropfen zerbersten, die auf uns nieder rieselten. Ich legte den Kopf in den Nacken und wusch mir so das Gesicht.
Aramis lächelte und wir gingen zu Fuß weiter.
Bald erreichten wir das Ende des Waldes und fanden uns auf einem Trampelpfand wieder.
„Wie alt bist du, Colleen?“, fragte Aramis und ich antwortete.
„Fünfzehn schon? Das ist das perfekte Alter.“, entgegnete Aramis und D’nalor schnaubte.
„Wofür alt genug?“, fragte ich.
„Wir sollten warten, Aramis, du weißt, was mir Cadrahel passiert ist.“, warnte D’nalor.
„Was war mit Cadrahel?“, erkundigte ich mich.
„Cadrahel war einer meiner Schüler.“, erzählte Aramis und seine Augen blitzten auf, „Er war fünfzehn Jahre alt, als er zu mir kam. Alle hielten ihn für alt genug, seine Kräfte einschätzen zu können, und das nur, weil er einmal eine Schar Goblins um die Ecke gebracht hatte. Naja, auf jeden Fall schickten sie – das heißt, seine vorherigen Mentoren – ihn zu mir. Ich wollte ihm den Kometenhagel beibringen.“
Ich war erstaunt. „Kometenhagel? Was ist das für ein Zauberspr… eine Zauberformel?“
Aramis lächelte amüsiert. „Soll ich’s dir zeigen?“
Ich nickte aufgeregt und wir blieben stehen. Dann bewegte er seinen linken Arm so, dass es aussah, als würde er etwas von sich wegschieben und hinter seinem Unterarm erschien ein weißer Schleier, der mit der Bewegung verblasste.
Er bedeutete mir Ausschau zu halten und da vibrierte die Erde plötzlich. Ich krallte mich hektisch an seinem Unterarm fest und wurde somit nicht umgeworfen, als fünf faustgroße Kometen aus dem Himmel stürzten und auf die Erde knallten. Ich ließ Aramis los und sah erstaunt zu ihm auf.
„Wow! Das war… wow!“ Ich fand keine Worte dafür.
D’nalor schnaubte ein selbstverständliches „Angeber“ und Aramis zuckte die Schultern.
„Jedenfalls wollte ich Cadrahel den Kometenhagel beibringen. Dazu braucht man viel innere Kraft, um den genauen Einschlagpunkt bestimmen zu können. Am Anfang macht es jeder falsch; meine ersten Kometen landeten circa fünfzig Kilometer vom Zielpunkt entfernt! Aber Cadrahel war nicht konzentriert genug und seine Kometen hätten beinahe einen Turm von Burg Sternental abgeschlagen. Selbst nach zwei Semestern Übung kamen seine Hagel nicht vom Fleck und irgendwann hat es dann doch geklappt. Nur leider trafen die Hagel seine eigene Hütte, und als er versuchte, das Feuer zu löschen-…“
Aramis verstummte jäh, als das Loch in meiner Brust begann, mich zu zerfressen. Ich blieb stehen und meine Knie waren weich. Aramis und D’nalor blieben ebenfalls wie angewurzelt stehen und sahen mich an. In Aramis Augen sah ich Reue. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also gingen wir schweigend weiter.
Die drückende Stille legte sich, als wir das Ende des Pfads erreichten. Eine Brücke sollte eigentlich über ein Sumpfgebiet führen, aber sie war eingestürzt und somit unbegehbar. Ich sah zweifelnd zu Aramis, der ebenfalls schmunzelte.
Er sah in den Himmel und hob die Arme empor. Ein Blitz fuhr auf uns nieder, aber er traf nicht ihn sondern mich! Ich fühlte, wie meine Haut und Kleidung fest wurde und sich so anfühlte, als würde alles daran abprallen. Ich fühlte mich etwas unbeweglich an, aber ich konnte normal weiterlaufen.
„Was tun wir jetzt?“, fragte ich, als wir am Abgrund standen.
„Wir gehen unten durch.“, meinte Aramis entschieden und sah den nicht allzu steilen und tiefen Abhang hinunter. Langsam begann er auf den Füßen hinunterzurutschen. Er stand kurz vor einem Moorbecken, aber er rührte sich nicht. „Ich geh da so nicht runter!“, widersprach D’nalor und ich hatte mich schon gewundert, wie wir mit einem großen Tier, wie ihm, dadurch kommen sollten.
Dass er das so betont hatte, wunderte mich, aber ich sagte nichts, als sich das Pferd verwandelte. Es zog den Kopf in den Körper ein und wurde insgesamt sehr klein und überall wuchsen Federn. Der Körper verschwand schließlich unter dem großen Sattel, den ich aufsammelte und einen kleinen Falken darunter entdeckte.
„Oha!“, machte ich und wunderte mich nicht mehr. So schnell konnte mich nichts mehr erschrecken.
Der Falke erhob sich mit einem „Aah!“ in die Lüfte und war schnell nicht mehr zu sehen. Aramis seufzte und hielt mir die Hand hin. Ich ergriff sie und glitt neben ihn den Erdhang hinunter. Ich kam, wie er, einen halben Schritt vor dem ersten Becken zum Stehen und rümpfte die Nase, denn es stank fürchterlich nach Schwefel und Morast. Aramis schürzte abschätzend die Lippen und legte den Kopf schief. Dann sagte er mir, ich soll bleiben und ging die ersten Meter über Gras. Nach vier Schritten blieb sein Stiefel stecken und er zog sich zurück.
„Versuch, in meine Fußstapfen zu treten.“, sagte er und winkte mich her.
Ich versuchte, genau in seine Abdrücke zu treten und erreichte ihn schnell. Er ging weiter und ich folgte. Immer weiter. Auf einer kleinen Insel blieben wir stehen. Er wollte nach links, aber ich sah, dass rechts mehr Gras war, also schlug ich den anderen Weg ein. Er bemerkte es nicht sofort, und bald war ich weiter vorn als er. Triumphierend sprang ich über ein Becken und blieb sofort stecken. Ich fiel bäuchlings in das schwarze Moor und versank schnell bis zur Hüfte. Erst versuchte ich, herauszuwaten, aber ich bemerkte schnell, dass ich so viel schneller versank. Dann streckte ich meine Hand nach einem Grasbüschel aus, aber auch das brachte mir nichts. Verzweifelt rief ich nach Aramis, der mich sofort sah, zornig fluchte und sich zu mir teleportierte. Ich sah ihn schuldbewusst an. „Entschuldigung?“, flüsterte ich und ergriff seine Hand. Er zog mich schnell aus dem Ried und ich wrang meinen Rock aus. Ich entschloss, mir eine Hose anzuziehen. Ich zog sie unter das Kleid an und das Kleid dann aus. Nur widerwillig ließ ich den Rock im Sumpf zurück, aber es ging nicht anders. Ich folgte Aramis wieder und wir waren bald hinter den letzten Becken.
„Du gehst vor.“, sagte Aramis und zeigte auf eine Stelle, die ich mit einem leichten Sprung erreichte. Ich kletterte den Hang hinauf und drehte mich zu Aramis herum, aber was ich entdeckte, war nicht nur Aramis.
Ich öffnete die Augen und atmete erleichtert auf. Der Magier strich sein blutverschmiertes Schwert im Gras ab und kam auf mich zu.
„Danke.“, nuschelte ich und sank auf den Boden. Trotz der Tatsache, dass der Eiskreis verschwunden war und ich schon längst nicht mehr seiner Kälte ausgesetzt war, fühlte ich mich schwach. Der Magier sah es mir anscheinend an und machte eine merkwürdige Bewegung. Rote Lichtpunkte umschlossen mich wie eine Säule und ich war geheilt.
Ich sah dankbar zu dem Magier, dessen Mimik ich nicht deuten konnte.
Wortlos steckte er sein Schwert zurück in die Scheide und stieg auf D’nalor. Ich schluckte schwer, wurde ich jetzt wieder allein gelassen? Wieder überkam mich das quälende und reißende Gefühl der Trauer und das Loch in meiner Brust fraß sich durch meinen Körper. „Wartet!“, hauchte ich heiser, denn ich wollte nicht, dass ich wieder in Tränen ausbrach.
Er drehte sich zu mir um und sah mich erwartend an, wie ich am Boden lag, mit einem tränenverschmiertem Gesicht und bleich wie Kreide. Was musste er nur von mir halten?
„Ich…“ Ich schluckte die Tränen hinunter und blinzelte mehrmals. „Ich möchte mit Euch kommen.“
Einen Moment lang sah es so aus, als würde er weitergehen, doch dann stieg er von dem Pferd und kam auf mich zu.
„Wieso bist du überhaupt hier?“, fragte er und mir fiel auf, dass er mich duzte.
„Ich weiß nicht genau… Ich wollte allein sein, aber… ich wusste nicht, dass… das so gefährlich sein kann.“, brachte ich mühsam hervor. Der Magier seufzte beinahe enttäuscht, dann sagte er: „Steig auf. Wir brechen auf.“
Und urplötzlich war ich nicht mehr allein. Mit einem Mal war alle Trauer und Verzweiflung wie weggepustet und das Loch, das meine Brust zerriss, schrumpfte. Ich war überglücklich und vermochte meine Dankbarkeit nicht in Worte zu fassen, darum schwieg ich. Ich ritt, der Magier ging neben her.
„Wie ist Euer Name?“, fragte ich nach einiger Zeit mitten in die Stille.
„Aramis.“, antwortete er und lächelte unter seiner Kapuze.
Jetzt hatte ich seinen Namen doch herausgefunden.
„Wo wollen wir hin?“, fragte ich.
Aramis schwieg und so fragte ich nicht weiter.
Zwischendurch wunderte ich mich, wie Aramis unter der dicken Rüstung, den gepolsterten Stiefeln und der schweren Kapuze nicht schwitzte.
Gegen Abend knurrte mein Magen und die Mückenstiche juckten. Wir umgingen das Gebiet der Goblins. Als es Nacht wurde, liefen wir noch immer durch die Dunkelheit.
Ich war zu müde, also lehnte ich mich an den Hals des Pferdes und schloss die Augen.
Als ich erwachte lag ich auf dem Boden auf Heu und war mit Aramis’ Mantel zugedeckt. D’nalor lag neben mir und schnaubte, als ich mich aufrichtete.
Aramis saß mir gegenüber im Schneidersitz und konzentrierte sich. Ich wagte nicht, in zu stören, denn er sah sehr angestrengt aus. Als er aufblickte, erschrak ich. Er sah mehr als übermüdet aus und sein schmales Gesicht schien noch schmaler geworden. „Ist… ist Euch nicht gut?“, brachte ich hervor und schluckte ängstlich. Er schüttelte den Kopf. „Alles in Ordnung.“, sagte er und schloss wieder die Augen.
Auf einmal hörte ich eine andere Stimme. Sie war tief und rau und direkt neben mir.
„Das passiert, wenn man zu viele Zauber an einem Tag wirkt, dann zehren die restlichen Zauber nicht von der Magie im Blut, sondern von der Lebensenergie, weißt du?“
Ich erschrak schrecklich, doch dann realisierte ich, dass es D’nalor war, der sprach. Ich war entsetzt und fasziniert zugleich. Ein sprechendes Pferd!
„Das heißt, alle Zaubersprüche brauchen die Kraft aus seinem Blut?“, fragte ich.
„Sag nicht Zaubersprüche! Das nennt sich Zauberformeln oder Runen. Aber Zaubersprüche ist einfach nur… bäh!“, korrigierte mich das Pferd und ich war verwirrt.
„Also wie jetzt?“, erkundigte ich mich nochmal und versuchte, mehr davon zu verstehen.
„Jeder, der eine Magierprüfung vollendet und noch dazu mit Bravur, dem wird die Magie ins Blut geführt. Die Göttin der Magie – Zunaria – haucht jedem Absolventen die Kraft in die Adern. Und je mehr Erfahrung der Magier sammelt, desto mehr Kraft fließt durch seinen Körper. Und wenn er viele Zauber wirkt, zehren diese aus der Kraft, wir nennen sie Zunag-rar. Doch irgendwann hat der Körper zu wenig Zunag-rar. Dann brauchen die Zauber neue Energie. Die nehmen sie sich dann vom Körper selbst. So wird der Magier schwächer und schwächer, bis er meditiert, wobei er nie gestört werden darf. Wenn der Magier meditiert, nährt er seinen Körper wieder mit Zunag-rar.“
Das Pferd verstummte und blickte mich aus seinen braunen Augen an. Ich schauderte ein wenig und nickte benommen.
„Also dürfen wir ihn nicht stören?“, flüsterte ich so leise es ging.
Das Pferd nickte (zumindest deutete ich die Kopfbewegung als solches).
Ich kuschelte mich an seine Seite und beobachtete Aramis eine Weile schweigend.
„Achte auf seine Hände!“, raunte D’nalor und ich schaute durch die Dunkelheit genauer hin.
Aus seinen Händen kamen rote Lichtpunkte und fuhren in zarten Linien durch seinen gesamten Körper; sie sammelten sich zwischen den Rippen.
Ich verstand, dass sie über den Adern verliefen und so den Körper wieder mit Zunag-rar versorgten.
Ich wurde wach, weil mein Kopf auf etwas Hartes prallte. Ich schlug die Augen auf und rieb mir den Hinterkopf und wusste, dass D’nalor aufgestanden war. Aua!
Ich stand auch wankend auf und sah den Gaul wütend an, aber er schnaubte nur belustigt. Ich schüttelte verständnislos den Kopf und hielt nach Aramis Ausschau, aber ich konnte ihn nicht entdecken. „Wo ist-…?“
„Er sucht die Umgebung nach einer Quelle ab – völlig unnötig, aber naja.“, antwortete D’nalor und ich sattelte ihn.
„Warum unnötig?“ Ich strich schüttelte mein Haar aus und strich den Rock glatt.
„Naja, er könnte das Wasser aus der Erde ziehen, aber das würde dir nicht schmecken.“
Ich stutzte. Er suchte die Gegend ab um für mich Wasser zu finden?
„Schmeckt… Schmeckt es dir denn?“
D’nalor schüttelte den Kopf und ich kicherte, da trat Aramis aus dem Dickicht. Über seinen Händen schwebte eine große Wasserkugel (ja, schwebte!). Ich blickte erstaunt auf das wabbelnde Wasser, das er trug. Dann formte ich rasch die Hände zu einer Schale und trank ein wenig.
„Wo hast du das Gebräu denn her?“, fragte D’nalor und schnaubte beleidigt.
Aramis sah ihn vorwurfsvoll an und trank selbst ein wenig. Den Rest ließ er hoch in die Luft steigen und dann in Milliarden kleine Tropfen zerbersten, die auf uns nieder rieselten. Ich legte den Kopf in den Nacken und wusch mir so das Gesicht.
Aramis lächelte und wir gingen zu Fuß weiter.
Bald erreichten wir das Ende des Waldes und fanden uns auf einem Trampelpfand wieder.
„Wie alt bist du, Colleen?“, fragte Aramis und ich antwortete.
„Fünfzehn schon? Das ist das perfekte Alter.“, entgegnete Aramis und D’nalor schnaubte.
„Wofür alt genug?“, fragte ich.
„Wir sollten warten, Aramis, du weißt, was mir Cadrahel passiert ist.“, warnte D’nalor.
„Was war mit Cadrahel?“, erkundigte ich mich.
„Cadrahel war einer meiner Schüler.“, erzählte Aramis und seine Augen blitzten auf, „Er war fünfzehn Jahre alt, als er zu mir kam. Alle hielten ihn für alt genug, seine Kräfte einschätzen zu können, und das nur, weil er einmal eine Schar Goblins um die Ecke gebracht hatte. Naja, auf jeden Fall schickten sie – das heißt, seine vorherigen Mentoren – ihn zu mir. Ich wollte ihm den Kometenhagel beibringen.“
Ich war erstaunt. „Kometenhagel? Was ist das für ein Zauberspr… eine Zauberformel?“
Aramis lächelte amüsiert. „Soll ich’s dir zeigen?“
Ich nickte aufgeregt und wir blieben stehen. Dann bewegte er seinen linken Arm so, dass es aussah, als würde er etwas von sich wegschieben und hinter seinem Unterarm erschien ein weißer Schleier, der mit der Bewegung verblasste.
Er bedeutete mir Ausschau zu halten und da vibrierte die Erde plötzlich. Ich krallte mich hektisch an seinem Unterarm fest und wurde somit nicht umgeworfen, als fünf faustgroße Kometen aus dem Himmel stürzten und auf die Erde knallten. Ich ließ Aramis los und sah erstaunt zu ihm auf.
„Wow! Das war… wow!“ Ich fand keine Worte dafür.
D’nalor schnaubte ein selbstverständliches „Angeber“ und Aramis zuckte die Schultern.
„Jedenfalls wollte ich Cadrahel den Kometenhagel beibringen. Dazu braucht man viel innere Kraft, um den genauen Einschlagpunkt bestimmen zu können. Am Anfang macht es jeder falsch; meine ersten Kometen landeten circa fünfzig Kilometer vom Zielpunkt entfernt! Aber Cadrahel war nicht konzentriert genug und seine Kometen hätten beinahe einen Turm von Burg Sternental abgeschlagen. Selbst nach zwei Semestern Übung kamen seine Hagel nicht vom Fleck und irgendwann hat es dann doch geklappt. Nur leider trafen die Hagel seine eigene Hütte, und als er versuchte, das Feuer zu löschen-…“
Aramis verstummte jäh, als das Loch in meiner Brust begann, mich zu zerfressen. Ich blieb stehen und meine Knie waren weich. Aramis und D’nalor blieben ebenfalls wie angewurzelt stehen und sahen mich an. In Aramis Augen sah ich Reue. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also gingen wir schweigend weiter.
Die drückende Stille legte sich, als wir das Ende des Pfads erreichten. Eine Brücke sollte eigentlich über ein Sumpfgebiet führen, aber sie war eingestürzt und somit unbegehbar. Ich sah zweifelnd zu Aramis, der ebenfalls schmunzelte.
Er sah in den Himmel und hob die Arme empor. Ein Blitz fuhr auf uns nieder, aber er traf nicht ihn sondern mich! Ich fühlte, wie meine Haut und Kleidung fest wurde und sich so anfühlte, als würde alles daran abprallen. Ich fühlte mich etwas unbeweglich an, aber ich konnte normal weiterlaufen.
„Was tun wir jetzt?“, fragte ich, als wir am Abgrund standen.
„Wir gehen unten durch.“, meinte Aramis entschieden und sah den nicht allzu steilen und tiefen Abhang hinunter. Langsam begann er auf den Füßen hinunterzurutschen. Er stand kurz vor einem Moorbecken, aber er rührte sich nicht. „Ich geh da so nicht runter!“, widersprach D’nalor und ich hatte mich schon gewundert, wie wir mit einem großen Tier, wie ihm, dadurch kommen sollten.
Dass er das so betont hatte, wunderte mich, aber ich sagte nichts, als sich das Pferd verwandelte. Es zog den Kopf in den Körper ein und wurde insgesamt sehr klein und überall wuchsen Federn. Der Körper verschwand schließlich unter dem großen Sattel, den ich aufsammelte und einen kleinen Falken darunter entdeckte.
„Oha!“, machte ich und wunderte mich nicht mehr. So schnell konnte mich nichts mehr erschrecken.
Der Falke erhob sich mit einem „Aah!“ in die Lüfte und war schnell nicht mehr zu sehen. Aramis seufzte und hielt mir die Hand hin. Ich ergriff sie und glitt neben ihn den Erdhang hinunter. Ich kam, wie er, einen halben Schritt vor dem ersten Becken zum Stehen und rümpfte die Nase, denn es stank fürchterlich nach Schwefel und Morast. Aramis schürzte abschätzend die Lippen und legte den Kopf schief. Dann sagte er mir, ich soll bleiben und ging die ersten Meter über Gras. Nach vier Schritten blieb sein Stiefel stecken und er zog sich zurück.
„Versuch, in meine Fußstapfen zu treten.“, sagte er und winkte mich her.
Ich versuchte, genau in seine Abdrücke zu treten und erreichte ihn schnell. Er ging weiter und ich folgte. Immer weiter. Auf einer kleinen Insel blieben wir stehen. Er wollte nach links, aber ich sah, dass rechts mehr Gras war, also schlug ich den anderen Weg ein. Er bemerkte es nicht sofort, und bald war ich weiter vorn als er. Triumphierend sprang ich über ein Becken und blieb sofort stecken. Ich fiel bäuchlings in das schwarze Moor und versank schnell bis zur Hüfte. Erst versuchte ich, herauszuwaten, aber ich bemerkte schnell, dass ich so viel schneller versank. Dann streckte ich meine Hand nach einem Grasbüschel aus, aber auch das brachte mir nichts. Verzweifelt rief ich nach Aramis, der mich sofort sah, zornig fluchte und sich zu mir teleportierte. Ich sah ihn schuldbewusst an. „Entschuldigung?“, flüsterte ich und ergriff seine Hand. Er zog mich schnell aus dem Ried und ich wrang meinen Rock aus. Ich entschloss, mir eine Hose anzuziehen. Ich zog sie unter das Kleid an und das Kleid dann aus. Nur widerwillig ließ ich den Rock im Sumpf zurück, aber es ging nicht anders. Ich folgte Aramis wieder und wir waren bald hinter den letzten Becken.
„Du gehst vor.“, sagte Aramis und zeigte auf eine Stelle, die ich mit einem leichten Sprung erreichte. Ich kletterte den Hang hinauf und drehte mich zu Aramis herum, aber was ich entdeckte, war nicht nur Aramis.
Gast- Gast
Re: Magierblut
Missionsziele
Hinter Aramis stand ein sehr großes Rudel Goblins. Sie hatten einen Halbkreis gebildet und der Mittlere hatte einen Sack, in dem sich etwas bewegte. Aramis war angespannt. Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt und sein Blick huschte nervös hin und her. Ich sprang rasch einige Schritte zurück hinter ein paar Wurzeln eines verrottenden Olivenbaumes und schielte zwischen den Ästen hindurch.
„Wir Falken haben, der dir gehört, Magier! Gib uns deinen Spieß und wir lassen ihn leben. Du gibst uns Stöckchen zum Pieksen, wir lassen Falke am Leben.“, fauchte ein Goblin und zückte den Giftdolch und hielt ihn an den Beutel.
Aramis fluchte und ließ einen Feuerball aus seinen Händen fahren, der gleich drei der Goblins verkohlt zu Boden fallen ließ.
„Lasst ihn frei!“, forderte Aramis, aber der Goblin gab nicht nach. Sein Dolch näherte sich D’nalor immer mehr.
Aramis presste die Lippen aufeinander. Er führte die Handflächen aneinander, schloss die Augen, senkte den Kopf und teleportierte sich hinter die Goblins. Von dort schoss er zwei mit Eisstacheln, die ebenfalls aus seinen Händen kamen, ab. Der Dolch zerriss die Naht des Beutels und der Falke zappelte wild.
Aramis schluckte, er saß immer noch in der Klemme. Ich, die seinen Rucksack trug, wunderte sich, warum der goldene Speer den Goblins so wichtig war, und fuhr mit dem Finger über die Schneide. Sofort ritzte ich mir den Finger ein und Blut tropfte auf den staubigen Boden.
Aramis sank auf die Knie. Ich erschrak: Konnte das Zunag-rar schon so schnell aufgebraucht sein?
Ich verbat mir, einen Mucks von mir zu geben. Aramis legte die Hände auf den Boden und japste, doch im nächsten Moment bebte die Erde, ein Erdspalt tat sich auf und ließ den Rest der Goblins darin versinken, nur noch einer war übrig – ausgerechnet der, mit dem Sack.
Aramis richtete sich auf. Er war bleich geworden, der Erdriss hatte ihn viel Kraft gekostet. Ich verkrampfte die Finger in meine Hose und versuchte eine Möglichkeit zu finden, ihm irgendwie zu helfen, aber da war es zu spät. Der Dolch durchstach den Sack und das zappelnde Getier, das sich darin befand, erstarb. Ich schrie auf, Aramis sank wieder auf die Knie und der Goblin zuckte die Schultern.
Wie auf Befehl sank die kleine Erdinsel, auf der der Goblin stand, in die Erde und war bald auf dem Grund verschwunden, da schloss sich der Erdspalt und es war nichts mehr von der Horde übrig. Sofort sprang ich auf und rannte hinunter zu Aramis, der immer noch keuchend auf den Knien lag.
„Gib mir eines von den roten… Fläschchen.“, hauchte er und ich kramte in seinem Rucksack herum.
„Dieses da?“, fragte ich und er nickte. Ich reichte ihm ein handgroßes Fläschchen mit Korken und er trank daraus zwei bis drei Schlücke. Sofort kehrte Farbe in sein Gesicht zurück und er richtete sich auf.
„Gut. Gehen wir weiter?“
Ich staunte. „Und… und D’nalor? Was… wir können ihn doch nicht-…“
„Das in dem Beutel war nie und nimmer D’nalor.“
Ich stutze. „Was?“
„Das war nicht D’nalor. Ich kann mit ihm Kontakt aufnehmen, wie weit entfernt er auch ist. Das in dem Sack, war nicht D’nalor. Der echte D’nalor sitzt etwa... hmm, ich schätze… so um die dreißig Meter weiter hinten als Schlange unter einem Stein und freut sich.“
Ich war baff und folgte Aramis sprachlos den Hang hinauf, durch die Steppe.
„Goblins aus dieser Gegend sind viel schwerer zu besiegen, als im Nördlichen Kernland.“, bemerkte Aramis und griff nach dem Speer.
„Warum sind sie hinter Eurem Speer her?“, fragte ich und gähnte.
„Bitte… Nenn’ mich Aramis, jetzt, da wir doch zusammen unterwegs sind.“
„Oh, in Ordnung. Also, warum sind sie jetzt hinter Eurem… deinem Speer her?“
"Der Speer nennt sich Gungnirs Speer des Schreckens und gehörte einst einem Magier mit Namen Gungnir. Er ist sehr wertvoll, seine Klinge ist giftig und er ist hervorragend ausbalanciert. Seine Klinge ist so scharf, dass er die Rüstung eines Ritters mit Leichtigkeit durchstoßen könnte. Alle Zauber, die ich tätige, werden dadurch verstärkt und eine einzige Horde Goblins wie eben könnte ich innerhalb weniger Augeblicke umbringen.“
Ich verzog den Mund und blickte auf den Schnitt an meinem Finger. Vergiftet?
„Wie schnell kann man eine Vergiftung heilen?“, fragte ich.
Er zog eine Braue hoch. „Eigentlich sollte man danach sofort bewusstlos umfallen und seinen Verletzungen erliegen. Aber ich denke, so ein kleiner Schnitt ist nicht gravierend.“
Ich sah ihn überrascht an. Woher wusste er das schon wieder?
Er lächelte über meinen verblüfften Gesichtsausdruck und ich wurde rot.
Wir erreichten den besagten Stein und mit einem kräftigen Ruck legte Aramis die Klapperschlange frei, die sich sofort in einen Falken verwandelte und auf seiner Schulter Platz nahm.
„Normalerweise sind sie nicht so mutig. Jemand muss sie bestochen haben!“, krächzte er und meinte die Goblins.
Aramis nickte. „Möglich. Aber wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen. Wir kennen die Goblins aus dem Südlichen Kernland nicht so gut, wie die aus dem Nördlichen.“
„Aber wer kennt Goblins, die ausgerechnet einen sehr mächtigen Kampfmagier angreifen?“, erwiderte der Falke und schüttelte das Köpfchen.
Aramis zuckte die Schultern und blieb stehen. Er hob die Arme zum Himmel und ein Blitz fuhr auf mich nieder. Sofort war ich wendiger und geschmeidiger, konnte schneller rennen und höher springen.
„Das ist das Katarakt der Wendigkeit. Merk es dir. Dadurch wirst du schneller in allem.“, erklärte D’nalor, verwandelte sich in ein Pferd und Aramis saß auf. Dann rannte ich los und konnte locker mit dem Pferd mithalten, doch ich spürte schon nach einer Weile, dass der Zauber nachließ, doch da hatten wir unser Ziel schon erreicht. Ein kleiner Buchenhain stellte unser Nachtlager dar. Nur widerwillig ließ ich mich an den weißen Stämmen nieder, denn man sagte sich ja, dass unter Buchen die toten Zauberer lagen.
„Keine Angst, an der Geschichte ist nichts Wahres dran. Alle Magier, die sterben, kommen in eine gemeinsame Gruft, die zu betreten verboten ist.“, erklärte Aramis und ich nickte, trotzdem war mir mulmig zumute.
Die Nacht war frisch und kühl; Aramis entfachte ein winziges Feuer, das unglaubliche Hitze abstrahlte. Ich wich davor zurück. Lieber fror ich, als mich je wieder einem Feuer zu nähern.
„Was haben wir eigentlich vor?“, fragte ich in die Stille hinein, „Ich meine: Was hattet Ihr vorgehabt, bevor ich… naja.“
„Da ist ja dieses Ihr schon wieder.“, unterbrach Aramis mich amüsiert.
„Entschuldigung.“
Aramis und D’nalor wechselten einen Blick.
„Wir hatten den Auftrag, uns in Schwarzbach bei Feldwebel Atamor zu melden. Es ginge um unseren Prinzen Tal, angeblich steckt er in Schwierigkeiten wegen der Erbfolge. Jeder weiß, dass König Odír im Sterben liegt und nun geht es darum, ob der junge Prinz den Thorn besteigen soll, oder Odírs engster vertrauter, Baron Baltîr.“, antwortete Aramis.
Eine Eule segelte lautlos über uns hinweg.
Ich reckte mich und sah mich um. „Die Gegend hier ist wohl weniger bewohnt, oder?“
D’nalor nickte. „Richtig, aber ich verstehe auch sehr genau, warum.
Dieser Buchenwald besteht hauptsächlich aus Geisterbäumen. Zumindest symbolisch. Die weißen Stämme bilden Knochen, die bei Vollmond ganz besonders gespenstisch leuchten. Die Flecken auf der Rinde sind die Augen und das grüne Blätterdach die Stimmen. Die Äste sind die Arme und die Wurzeln-…“
„Sind dann die Füße.“, schloss ich.
D’nalor sträubte sein Gefieder und steckte das Köpfchen unter die Federn.
Aramis meditierte. Ich starrte hinter mich in den düsteren Hain. Ob wirklich Hexen hier lebten? Oder gar Elfen? Ich schauderte.
Aramis sah auf und legte den Kopf etwas schief. Ich lächelte und malte Muster in den Sand.
„Weißt du“, begann ich leise, „Ohne dich hätte ich nicht überlebt. Das Feuer meine ich. Bestimmt hätte es mich auch verschlungen, dafür wollte ich dir danken.“
Ich hatte sehr, sehr leise gesprochen, aber ich wusste, dass er mich gehört hatte. Aber er schwieg. Und so schwieg ich auch.
Mitten in der Nacht erwachte ich durch irgendein Geräusch. Hinter mir knackte es leise im Unterholz, ein Käuzchen pfiff und da hörte ich es wieder:
Ein grausiges Heulen, das mir eine Gänsehaut verpasste. Wie ein klagender Schmerzensruf, ein um gnade winselndes Wesen, gejagt von Schmerzen. Es war sehr leise, aber ich hörte es ganz genau. Ich lauschte weiter angestrengt und hörte es wieder. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und mir wurde heiß. Ich sah schaurige Fratzen im Gebüsch, die einfach nur verzerrte Schatten waren. Aramis schien zu schlafen und auch D’nalor hatte sich aufgeplustert und den Kopf unter die Flügel gesteckt. Ich presste die Lippen aufeinander und wisperte Aramis’ Namen, aber er schlief.
Stattdessen erwachte D’nalor und sah mich eindringlich und etwas verärgert an. „Hörst du das auch?“, flüsterte ich.
„Was soll ich hören?“
„Na das Heulen. Es kommt aus dem Wald.“
„Das sind nur die verkommenen Seelen. Es stimmt: In diesem Wald leben verwunschene Wesen, Hexen und Geister und des Nachts rufen sie ihr Leid in die Welt. Du brauchst dich nicht zu fürchten, sie werden nicht in unsere Nähe kommen.“
Damit kugelte er sich wieder zusammen und schlief weiter.
Ich aber konnte nicht einschlafen. Stattdessen lauschte ich angestrengt an die heulenden Seelen und erschrak fürchterlich, als ein Windhauch ein paar Zweige bewegte. Mir wurde kühl aber ich rückte nicht an die erloschene Glut. Stattdessen kugelte ich mich zusammen und starrte in den Wald. Helle Schemen huschten durch das Dickicht und das ein oder andere Mal entdeckte ich ein weinendes Gesicht.
Wir brachen früh auf und ich war noch recht erschöpft, aber durch das Katarakt der Wendigkeit verzog sich die morgendliche Müdigkeit und auch nach dem Zauber war ich wieder munter. Wir erreichten zu Fuß einen schmalen Pfad. „Grenzpfade.“, sagte D’nalor leise und stieß sich von Aramis’ Schulter in den Himmel ab. Ich sah ihm hinterher und wäre dadurch beinahe in Aramis geprallt, der stehen geblieben war und misstrauisch die Gegend beobachtete. Ich schielte an ihm vorbei und entdeckte am Horizont eine Staubwolke, die sich näherte.
„Soldaten.“, sagte er tonlos, „Aber ich weiß nicht, zu wem sie gehören.“
Ich kniff die Augen zusammen, um etwas zu erkennen, aber Aramis griff mich am Arm und zog mich von der Straße in die Böschung. Geduckt warteten wir auf irgendwas, von dem ich nicht wusste, was es war, und wie es sich zu erkennen geben würde. Als der kleine Trupp an unserem Versteck vorbei ritt, erkannte ich auf einem Schild das Wappen der Baronie Baltîr. Aramis duckte sich ein wenig tiefer in die Büsche. Da hielt der Trupp Soldaten in glänzender Rüstung an und stieg von ihren Pferden. Ich schluckte und Aramis legte die Finger auf die Lippen. Die Reiter streckten sich und die Pferde tänzelten nervös auf der Stelle. Der Staub trieb mir Tränen in die Augen und auch in die Nase. Ich verkniff mir das erste Niesen, auch das zweite konnte ich zurückhalten und ich nieste, wenn auch nur sehr, sehr leise. Aber leider war sehr, sehr leise zu laut.
Denn alle hielten mit einem Mal inne und Aramis presste mich so stark ins Laub, dass mir alle Luft aus den Lungen getrieben wurde.
Aber es war zu spät.
Einer der Ritter sah zu uns und legte die Finger auf die Lippen. Seine Männer verstummten und mir wich alles Blut aus den Wangen. Mir wurde kalt und ich kniff die Augen zusammen.
Bitte, lass’ sie uns nicht entdecken!, betete ich und begann nervös zu zittern. Aramis gab keinen Laut von sich und auch ich hoffte, dass mein Herzschlag uns nicht verraten würde.
Der Ritter beugte ein paar Zweige zur Seite, entdeckte uns merkwürdigerweise nicht und schüttelte verwirrt den Kopf.
„Wir reiten weiter!“, gab er seinen Männern zu wissen und kurze Zeit später waren sie verschwunden.
Erst, als sie in der Staubwolke am Horizont verschwunden waren, richtete sich Aramis auf und ich konnte wieder normal atmen.
„Es… es tut mir wirklich sehr Leid, ich-…“, begann ich, aber ich wurde unterbrochen.
„Das macht nichts. Es ist sogar einigermaßen in Ordnung gewesen, denn als er unmittelbar vor uns stand, konnte ich in sein Bewusstsein blicken und einige, wertvolle Informationen über unsere Mission erbeuten.“
Er blickte auf in den Himmel. Die Sonne stand an ihrem höchsten Punkt und es war unglaublich heiß.
„Wir haben Zeit, dennoch sollten wir durch den Tir na n’Og gehen. Wir haben es etwas eilig, gewisse Umstände mit Goblins haben uns den Weg verlängert. D’nalor!“
Der Falke schoss von einem Ast herab und landete elegant auf seiner Schulter.
„Wir durchqueren den Wald? Aber Aramis, Tir na n’Og ist ein gefährlicher Wald, niemand wagt sich einfach so durchs Dickicht! Alle, die ihr Leben schätzen, nehmen die Wege, an denen Soldaten des Königs patrouillieren!“
„Wir gehen in letzter Zeit allen Soldaten aus dem Weg, D’nalor, seien es die des Königs, des Prinzen oder des Barons Baltîr! Solange wir nicht wissen, was Baltîr plant, sollten wir keine Risiken eingehen und uns noch auf keine Seite stellen. Wir wissen ja nicht einmal, ob unser König noch am Leben ist.“
„Auf welche Seite stellt sich das Volk?“, fragte ich.
Während wir uns nah am Waldrand hielten, erzählte Aramis.
„Die Mehrheit des Volkes klammert sich an die Hoffnung, der König überlebe. Aber der Herr ist alt und schwach und der Virus zehrt an seinen Kräften. Ist er am Ende seiner Tage, hoffen die Bürger auf die Machtübernahme des Prinzen, wie es seit jeher Tradition ist. Doch die Chancen des Prinzen stehen sehr schlecht. Der Baron war noch vor der Krönung Odírs der beste Freund, beinahe ein Bruder. Man munkelt, dass der König ihn sogar seinem eigenen Sohn vorgezogen hätte, doch hätte einen weiteren Skandal im Königshaus bedeutet und somit musste er sich zurückhalten. Ich vermute, Baltîr nutzte seine enge Freundschaft zu Odír nur aus, um den Thron besteigen zu können. Als der junge Prinz geboren wurde, hatte er einen Rivalen. Jetzt mache ich mir Gedanken um den Jungen. Er ist kein sehr kluger Mann und sehr schwach im Körperlichen. Er verzieht sich in seinem Palast und hofft darauf, dass ein Wunder geschieht.“
„Das heißt, wir sind für den Prinzen?“, schlussfolgerte ich.
„Nur zum Teil. Der Junge hat das Recht auf den Thron, aber ich vermute, es war der Wille Odírs, dass der Baron König wird.“
Er strich die Zweige eines Busches zurück und wir traten ein in die dunklen Gefilde des Tir na n’Og. Der Wald, der wartet.
Und betraten somit auch den Grund der Waldelfen.
Hinter Aramis stand ein sehr großes Rudel Goblins. Sie hatten einen Halbkreis gebildet und der Mittlere hatte einen Sack, in dem sich etwas bewegte. Aramis war angespannt. Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt und sein Blick huschte nervös hin und her. Ich sprang rasch einige Schritte zurück hinter ein paar Wurzeln eines verrottenden Olivenbaumes und schielte zwischen den Ästen hindurch.
„Wir Falken haben, der dir gehört, Magier! Gib uns deinen Spieß und wir lassen ihn leben. Du gibst uns Stöckchen zum Pieksen, wir lassen Falke am Leben.“, fauchte ein Goblin und zückte den Giftdolch und hielt ihn an den Beutel.
Aramis fluchte und ließ einen Feuerball aus seinen Händen fahren, der gleich drei der Goblins verkohlt zu Boden fallen ließ.
„Lasst ihn frei!“, forderte Aramis, aber der Goblin gab nicht nach. Sein Dolch näherte sich D’nalor immer mehr.
Aramis presste die Lippen aufeinander. Er führte die Handflächen aneinander, schloss die Augen, senkte den Kopf und teleportierte sich hinter die Goblins. Von dort schoss er zwei mit Eisstacheln, die ebenfalls aus seinen Händen kamen, ab. Der Dolch zerriss die Naht des Beutels und der Falke zappelte wild.
Aramis schluckte, er saß immer noch in der Klemme. Ich, die seinen Rucksack trug, wunderte sich, warum der goldene Speer den Goblins so wichtig war, und fuhr mit dem Finger über die Schneide. Sofort ritzte ich mir den Finger ein und Blut tropfte auf den staubigen Boden.
Aramis sank auf die Knie. Ich erschrak: Konnte das Zunag-rar schon so schnell aufgebraucht sein?
Ich verbat mir, einen Mucks von mir zu geben. Aramis legte die Hände auf den Boden und japste, doch im nächsten Moment bebte die Erde, ein Erdspalt tat sich auf und ließ den Rest der Goblins darin versinken, nur noch einer war übrig – ausgerechnet der, mit dem Sack.
Aramis richtete sich auf. Er war bleich geworden, der Erdriss hatte ihn viel Kraft gekostet. Ich verkrampfte die Finger in meine Hose und versuchte eine Möglichkeit zu finden, ihm irgendwie zu helfen, aber da war es zu spät. Der Dolch durchstach den Sack und das zappelnde Getier, das sich darin befand, erstarb. Ich schrie auf, Aramis sank wieder auf die Knie und der Goblin zuckte die Schultern.
Wie auf Befehl sank die kleine Erdinsel, auf der der Goblin stand, in die Erde und war bald auf dem Grund verschwunden, da schloss sich der Erdspalt und es war nichts mehr von der Horde übrig. Sofort sprang ich auf und rannte hinunter zu Aramis, der immer noch keuchend auf den Knien lag.
„Gib mir eines von den roten… Fläschchen.“, hauchte er und ich kramte in seinem Rucksack herum.
„Dieses da?“, fragte ich und er nickte. Ich reichte ihm ein handgroßes Fläschchen mit Korken und er trank daraus zwei bis drei Schlücke. Sofort kehrte Farbe in sein Gesicht zurück und er richtete sich auf.
„Gut. Gehen wir weiter?“
Ich staunte. „Und… und D’nalor? Was… wir können ihn doch nicht-…“
„Das in dem Beutel war nie und nimmer D’nalor.“
Ich stutze. „Was?“
„Das war nicht D’nalor. Ich kann mit ihm Kontakt aufnehmen, wie weit entfernt er auch ist. Das in dem Sack, war nicht D’nalor. Der echte D’nalor sitzt etwa... hmm, ich schätze… so um die dreißig Meter weiter hinten als Schlange unter einem Stein und freut sich.“
Ich war baff und folgte Aramis sprachlos den Hang hinauf, durch die Steppe.
„Goblins aus dieser Gegend sind viel schwerer zu besiegen, als im Nördlichen Kernland.“, bemerkte Aramis und griff nach dem Speer.
„Warum sind sie hinter Eurem Speer her?“, fragte ich und gähnte.
„Bitte… Nenn’ mich Aramis, jetzt, da wir doch zusammen unterwegs sind.“
„Oh, in Ordnung. Also, warum sind sie jetzt hinter Eurem… deinem Speer her?“
"Der Speer nennt sich Gungnirs Speer des Schreckens und gehörte einst einem Magier mit Namen Gungnir. Er ist sehr wertvoll, seine Klinge ist giftig und er ist hervorragend ausbalanciert. Seine Klinge ist so scharf, dass er die Rüstung eines Ritters mit Leichtigkeit durchstoßen könnte. Alle Zauber, die ich tätige, werden dadurch verstärkt und eine einzige Horde Goblins wie eben könnte ich innerhalb weniger Augeblicke umbringen.“
Ich verzog den Mund und blickte auf den Schnitt an meinem Finger. Vergiftet?
„Wie schnell kann man eine Vergiftung heilen?“, fragte ich.
Er zog eine Braue hoch. „Eigentlich sollte man danach sofort bewusstlos umfallen und seinen Verletzungen erliegen. Aber ich denke, so ein kleiner Schnitt ist nicht gravierend.“
Ich sah ihn überrascht an. Woher wusste er das schon wieder?
Er lächelte über meinen verblüfften Gesichtsausdruck und ich wurde rot.
Wir erreichten den besagten Stein und mit einem kräftigen Ruck legte Aramis die Klapperschlange frei, die sich sofort in einen Falken verwandelte und auf seiner Schulter Platz nahm.
„Normalerweise sind sie nicht so mutig. Jemand muss sie bestochen haben!“, krächzte er und meinte die Goblins.
Aramis nickte. „Möglich. Aber wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen. Wir kennen die Goblins aus dem Südlichen Kernland nicht so gut, wie die aus dem Nördlichen.“
„Aber wer kennt Goblins, die ausgerechnet einen sehr mächtigen Kampfmagier angreifen?“, erwiderte der Falke und schüttelte das Köpfchen.
Aramis zuckte die Schultern und blieb stehen. Er hob die Arme zum Himmel und ein Blitz fuhr auf mich nieder. Sofort war ich wendiger und geschmeidiger, konnte schneller rennen und höher springen.
„Das ist das Katarakt der Wendigkeit. Merk es dir. Dadurch wirst du schneller in allem.“, erklärte D’nalor, verwandelte sich in ein Pferd und Aramis saß auf. Dann rannte ich los und konnte locker mit dem Pferd mithalten, doch ich spürte schon nach einer Weile, dass der Zauber nachließ, doch da hatten wir unser Ziel schon erreicht. Ein kleiner Buchenhain stellte unser Nachtlager dar. Nur widerwillig ließ ich mich an den weißen Stämmen nieder, denn man sagte sich ja, dass unter Buchen die toten Zauberer lagen.
„Keine Angst, an der Geschichte ist nichts Wahres dran. Alle Magier, die sterben, kommen in eine gemeinsame Gruft, die zu betreten verboten ist.“, erklärte Aramis und ich nickte, trotzdem war mir mulmig zumute.
Die Nacht war frisch und kühl; Aramis entfachte ein winziges Feuer, das unglaubliche Hitze abstrahlte. Ich wich davor zurück. Lieber fror ich, als mich je wieder einem Feuer zu nähern.
„Was haben wir eigentlich vor?“, fragte ich in die Stille hinein, „Ich meine: Was hattet Ihr vorgehabt, bevor ich… naja.“
„Da ist ja dieses Ihr schon wieder.“, unterbrach Aramis mich amüsiert.
„Entschuldigung.“
Aramis und D’nalor wechselten einen Blick.
„Wir hatten den Auftrag, uns in Schwarzbach bei Feldwebel Atamor zu melden. Es ginge um unseren Prinzen Tal, angeblich steckt er in Schwierigkeiten wegen der Erbfolge. Jeder weiß, dass König Odír im Sterben liegt und nun geht es darum, ob der junge Prinz den Thorn besteigen soll, oder Odírs engster vertrauter, Baron Baltîr.“, antwortete Aramis.
Eine Eule segelte lautlos über uns hinweg.
Ich reckte mich und sah mich um. „Die Gegend hier ist wohl weniger bewohnt, oder?“
D’nalor nickte. „Richtig, aber ich verstehe auch sehr genau, warum.
Dieser Buchenwald besteht hauptsächlich aus Geisterbäumen. Zumindest symbolisch. Die weißen Stämme bilden Knochen, die bei Vollmond ganz besonders gespenstisch leuchten. Die Flecken auf der Rinde sind die Augen und das grüne Blätterdach die Stimmen. Die Äste sind die Arme und die Wurzeln-…“
„Sind dann die Füße.“, schloss ich.
D’nalor sträubte sein Gefieder und steckte das Köpfchen unter die Federn.
Aramis meditierte. Ich starrte hinter mich in den düsteren Hain. Ob wirklich Hexen hier lebten? Oder gar Elfen? Ich schauderte.
Aramis sah auf und legte den Kopf etwas schief. Ich lächelte und malte Muster in den Sand.
„Weißt du“, begann ich leise, „Ohne dich hätte ich nicht überlebt. Das Feuer meine ich. Bestimmt hätte es mich auch verschlungen, dafür wollte ich dir danken.“
Ich hatte sehr, sehr leise gesprochen, aber ich wusste, dass er mich gehört hatte. Aber er schwieg. Und so schwieg ich auch.
Mitten in der Nacht erwachte ich durch irgendein Geräusch. Hinter mir knackte es leise im Unterholz, ein Käuzchen pfiff und da hörte ich es wieder:
Ein grausiges Heulen, das mir eine Gänsehaut verpasste. Wie ein klagender Schmerzensruf, ein um gnade winselndes Wesen, gejagt von Schmerzen. Es war sehr leise, aber ich hörte es ganz genau. Ich lauschte weiter angestrengt und hörte es wieder. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und mir wurde heiß. Ich sah schaurige Fratzen im Gebüsch, die einfach nur verzerrte Schatten waren. Aramis schien zu schlafen und auch D’nalor hatte sich aufgeplustert und den Kopf unter die Flügel gesteckt. Ich presste die Lippen aufeinander und wisperte Aramis’ Namen, aber er schlief.
Stattdessen erwachte D’nalor und sah mich eindringlich und etwas verärgert an. „Hörst du das auch?“, flüsterte ich.
„Was soll ich hören?“
„Na das Heulen. Es kommt aus dem Wald.“
„Das sind nur die verkommenen Seelen. Es stimmt: In diesem Wald leben verwunschene Wesen, Hexen und Geister und des Nachts rufen sie ihr Leid in die Welt. Du brauchst dich nicht zu fürchten, sie werden nicht in unsere Nähe kommen.“
Damit kugelte er sich wieder zusammen und schlief weiter.
Ich aber konnte nicht einschlafen. Stattdessen lauschte ich angestrengt an die heulenden Seelen und erschrak fürchterlich, als ein Windhauch ein paar Zweige bewegte. Mir wurde kühl aber ich rückte nicht an die erloschene Glut. Stattdessen kugelte ich mich zusammen und starrte in den Wald. Helle Schemen huschten durch das Dickicht und das ein oder andere Mal entdeckte ich ein weinendes Gesicht.
Wir brachen früh auf und ich war noch recht erschöpft, aber durch das Katarakt der Wendigkeit verzog sich die morgendliche Müdigkeit und auch nach dem Zauber war ich wieder munter. Wir erreichten zu Fuß einen schmalen Pfad. „Grenzpfade.“, sagte D’nalor leise und stieß sich von Aramis’ Schulter in den Himmel ab. Ich sah ihm hinterher und wäre dadurch beinahe in Aramis geprallt, der stehen geblieben war und misstrauisch die Gegend beobachtete. Ich schielte an ihm vorbei und entdeckte am Horizont eine Staubwolke, die sich näherte.
„Soldaten.“, sagte er tonlos, „Aber ich weiß nicht, zu wem sie gehören.“
Ich kniff die Augen zusammen, um etwas zu erkennen, aber Aramis griff mich am Arm und zog mich von der Straße in die Böschung. Geduckt warteten wir auf irgendwas, von dem ich nicht wusste, was es war, und wie es sich zu erkennen geben würde. Als der kleine Trupp an unserem Versteck vorbei ritt, erkannte ich auf einem Schild das Wappen der Baronie Baltîr. Aramis duckte sich ein wenig tiefer in die Büsche. Da hielt der Trupp Soldaten in glänzender Rüstung an und stieg von ihren Pferden. Ich schluckte und Aramis legte die Finger auf die Lippen. Die Reiter streckten sich und die Pferde tänzelten nervös auf der Stelle. Der Staub trieb mir Tränen in die Augen und auch in die Nase. Ich verkniff mir das erste Niesen, auch das zweite konnte ich zurückhalten und ich nieste, wenn auch nur sehr, sehr leise. Aber leider war sehr, sehr leise zu laut.
Denn alle hielten mit einem Mal inne und Aramis presste mich so stark ins Laub, dass mir alle Luft aus den Lungen getrieben wurde.
Aber es war zu spät.
Einer der Ritter sah zu uns und legte die Finger auf die Lippen. Seine Männer verstummten und mir wich alles Blut aus den Wangen. Mir wurde kalt und ich kniff die Augen zusammen.
Bitte, lass’ sie uns nicht entdecken!, betete ich und begann nervös zu zittern. Aramis gab keinen Laut von sich und auch ich hoffte, dass mein Herzschlag uns nicht verraten würde.
Der Ritter beugte ein paar Zweige zur Seite, entdeckte uns merkwürdigerweise nicht und schüttelte verwirrt den Kopf.
„Wir reiten weiter!“, gab er seinen Männern zu wissen und kurze Zeit später waren sie verschwunden.
Erst, als sie in der Staubwolke am Horizont verschwunden waren, richtete sich Aramis auf und ich konnte wieder normal atmen.
„Es… es tut mir wirklich sehr Leid, ich-…“, begann ich, aber ich wurde unterbrochen.
„Das macht nichts. Es ist sogar einigermaßen in Ordnung gewesen, denn als er unmittelbar vor uns stand, konnte ich in sein Bewusstsein blicken und einige, wertvolle Informationen über unsere Mission erbeuten.“
Er blickte auf in den Himmel. Die Sonne stand an ihrem höchsten Punkt und es war unglaublich heiß.
„Wir haben Zeit, dennoch sollten wir durch den Tir na n’Og gehen. Wir haben es etwas eilig, gewisse Umstände mit Goblins haben uns den Weg verlängert. D’nalor!“
Der Falke schoss von einem Ast herab und landete elegant auf seiner Schulter.
„Wir durchqueren den Wald? Aber Aramis, Tir na n’Og ist ein gefährlicher Wald, niemand wagt sich einfach so durchs Dickicht! Alle, die ihr Leben schätzen, nehmen die Wege, an denen Soldaten des Königs patrouillieren!“
„Wir gehen in letzter Zeit allen Soldaten aus dem Weg, D’nalor, seien es die des Königs, des Prinzen oder des Barons Baltîr! Solange wir nicht wissen, was Baltîr plant, sollten wir keine Risiken eingehen und uns noch auf keine Seite stellen. Wir wissen ja nicht einmal, ob unser König noch am Leben ist.“
„Auf welche Seite stellt sich das Volk?“, fragte ich.
Während wir uns nah am Waldrand hielten, erzählte Aramis.
„Die Mehrheit des Volkes klammert sich an die Hoffnung, der König überlebe. Aber der Herr ist alt und schwach und der Virus zehrt an seinen Kräften. Ist er am Ende seiner Tage, hoffen die Bürger auf die Machtübernahme des Prinzen, wie es seit jeher Tradition ist. Doch die Chancen des Prinzen stehen sehr schlecht. Der Baron war noch vor der Krönung Odírs der beste Freund, beinahe ein Bruder. Man munkelt, dass der König ihn sogar seinem eigenen Sohn vorgezogen hätte, doch hätte einen weiteren Skandal im Königshaus bedeutet und somit musste er sich zurückhalten. Ich vermute, Baltîr nutzte seine enge Freundschaft zu Odír nur aus, um den Thron besteigen zu können. Als der junge Prinz geboren wurde, hatte er einen Rivalen. Jetzt mache ich mir Gedanken um den Jungen. Er ist kein sehr kluger Mann und sehr schwach im Körperlichen. Er verzieht sich in seinem Palast und hofft darauf, dass ein Wunder geschieht.“
„Das heißt, wir sind für den Prinzen?“, schlussfolgerte ich.
„Nur zum Teil. Der Junge hat das Recht auf den Thron, aber ich vermute, es war der Wille Odírs, dass der Baron König wird.“
Er strich die Zweige eines Busches zurück und wir traten ein in die dunklen Gefilde des Tir na n’Og. Der Wald, der wartet.
Und betraten somit auch den Grund der Waldelfen.
Gast- Gast
Re: Magierblut
Elfenwald
Der Waldboden war übersäht mit einem Teppich aus Laub und Tannennadeln. Jeder Schritt wurde federnd gedämpft, sodass wir geräuschlos durch das Dickicht stapften. Es war mir zu ruhig. Nicht einmal die Vögel sangen.
Ab und an hörte ich den nervösen D’nalor murmeln und fluchen, dass wir nicht hier sein dürften, und dass wir sofort umkehren sollten. Er machte mich etwas unruhig, aber ich vertraute Aramis, der uns sicher durch den Wald führte. Einmal blieb er stehen und hob die Hand, ich blieb stehen. Er horchte kurz in die Stille hinein und wandte sich dann weiter rechts. Ich folgte ihm nur zögernd, denn dort, wo er jetzt hinging, war es noch dunkler, als hinter mir.
„Aramis“, zischte ich leise und er hielt inne, „Bist du dir sicher, dass wir dadurch müssen?“
Er nickte kommentarlos und ging weiter. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, da kamen wir auf eine Lichtung. Ich entdeckte ein paar Pilze und wollte sie pflücken, aber Aramis hielt mich zurück. „Vergiftet.“, sagte er tonlos und bedeutete mir, stehen zu bleiben. Dann machte er zwei große Schritte in die Lichtung hinein und hob die Arme zum Himmel. Ein Blitz fuhr aus dem Himmel auf ihn nieder und im nächsten Moment war er nicht mehr zu sehen. Verdutzt sah ich mich nach D’nalor um und er landete auf meine Schulter. „Wasserform.“, sagte er, „Unsichtbarkeitszauber. Niemand sieht ihn und kein fremder Zauber kann ihn sichtbar machen, bis die Kraft der Rune nachlässt, oder Aramis jemanden angreifen muss.“
Ich versuchte, irgendwo einen Schatten zu bemerken, Schritte zu hören oder Fußabdrücke zu sehen, konnte aber keines dergleichen ausmachen. Also ließ ich mich ins feuchte Moos sinken und strich dem Falken über die Federbrust.
Nach einer Weile sah ich Aramis’ Gestalt wieder. Aber sie flackerte, der Zauber verlor seine Wirkung. Ich stand auf und streckte mich, da sirrte etwas an meinem Ohr vorbei und landete direkt hinter mir im Boden. Ich erschrak und spürte immer noch den zischenden Luftzug, der mein Haar bewegt hatte, als der Pfeil an mir vorbeigeschossen war.
Aramis formte in den Händen einen Lichtball, warf ihn auf mich und ein kreisender Lichtschild umgab mich. Dann eilte er zu mir und stellte sich vor mich. „Lasst sie in Ruhe, sie hat nichts verbrochen. Ich bin derjenige, der sie hierher geführt hat.“
Ich fragte mich, mit wem er da redete, da sah ich einen Schatten an der Lichtung entlang huschen. Elfen.
Ich bekam fürchterliche Angst, begann zu zittern und spürte, wie mir heiß wurde. Elfen waren die mörderischsten, gefährlichsten und geschicktesten Wesen auf der Welt. Niemand mochte ihnen begegnen, denn ihre Sinne waren um einiges feiner, als irgendwelche anderen.
Sie mussten uns schon seit einer Ewigkeit verfolgt haben.
„Wenn du sie hergeführt hast“, erklang eine engelsgleiche Stimme aus dem Baum, an dem ich stand, „warum hast du sie nicht auf deine Expedition durch den Wald mitgenommen? Hat dein Zunag-rar nicht ausgereicht für zwei?“
Eine junge, blonde Frau, die kräftig, aber dennoch zierlich war, schwang sich mit mehreren Rollen auf brüchigem Geäst und saß nun in der Hocke auf dem morschen Ast (er brach nicht, weil Elfen kaum Gewicht hatten).
Ich klammerte mich unwillkürlich an Aramis’ Arm und wagte nicht, mich zu bewegen. Aramis atmete hörbar aus und entspannte sich. Ich war verwundert, warum hatte er nicht wenigstens einen Angriffszauber gewirkt? Oder war das Zunag-rar schon verbraucht? Der Lichtschild verschwand. Ich fühlte mich unsicher und war mehr als verwirrt, vor allem, als D’nalor sich abstieß und im Himmel verschwand.
Die Elfe blinzelte zwei-, dreimal aus grünen Augen, schwang sich dann mit einer eleganten Rolle vom Baum und landete lautlos vor Aramis. Dann lächelte sie ein wunderschönes Lächeln, um das ich sie beneidete. Ich ließ Aramis los und straffte mich. Ich war etwa genauso groß wie sie, aber fühlte mich um einiges kleiner. Sie hatte einen wunderschönen Langbogen über den Rücken gespannt, der aus weißem und schwarzem Holz geschnitzt worden war und dessen Sehne so stark war, dass sie unzerreißbar schien. Ich hatte in Geschichten gehört, dass sie ein Haar aus der Mähne eines Einhorns war. Ob es wohl Einhörner hier gab?
Aramis ging ein paar Schritte auf die Elfe zu und dann tat er etwas, was ich nie erwartet, geschweige denn getan hätte: Er umarmte sie und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.
Meine Gedanken überschlugen sich. War er ein Freund der Elfen? Hatte er eine Familie hier? War er vielleicht selbst ein Elf, hatte es aber bisher irgendwie verbergen können? Oder war er nur irgendwie mit dieser Elfe da befreundet?
„Es ist schön, dich mal wieder zu sehen, wenn auch in etwas merkwürdiger Begleitung. Wir sehen Menschen nicht gerne in unseren Wäldern, vor allem nicht in Tir na n’Og und vor allem keine Kinder und noch dazu Frauen! Du wusstest davon, warum hast du sie mitgebracht?“, sagte die Elfe mit einem Stirnrunzeln.
Ich war etwas beleidigt, warum sprach sie mich nicht persönlich an?
Aramis wandte sich nickend zu mir. „Colleen, das ist Shenalya. Sie redet nicht mit Menschen. Das ist gegen die Gesetze des Elfenvolks. Sie… ist eine gute Freundin von mir, aber sei vorsichtig, Menschen sind hier nicht gern gesehen.“, sagte er.
Ich nickte knapp. So etwas in der Art hatte ich mir gedacht. Wir folgten der Elfe tiefer in den Wald. Es wurde immer dunkler. Wir erreichten eine Wand aus Pflanzen, Wurzeln und Gestrüpp, ein undurchdringlicher Wall, in dem nur ein kleiner Gang war. Aramis und ich mussten auf allen Vieren hindurchklettern, und auf der anderen Seite öffnete sich ein Tal.
Es war umsäumt von tausenden von bestimmt hundert Fuß hohen Bäumen, in denen riesige Baumhäuser waren, die untereinander mit Seilen und Hängebrücken verbunden waren. Überall wimmelte es von Elfen; Elfen, Elfen, wohin das Auge blickte. Ich war schier begeistert. Von den Bäumen hingen Seile, die in die Höhe schossen, sobald man sich daran festhielt, wie beim Flaschenzugprinzip. Ich hielt mich dicht neben Aramis, der mir beruhigend die Hand auf die Schulter legte. Ich presste die Lippen aufeinander und beobachtete die Umwelt genau. Die Welt der Elfen war wundervoll: Die Wildnis war nicht zurückgedrängt, wie etwa durch Siedlungen, die mitten in einen Wald gebaut wurde, wodurch der Wald starb. Diese Siedlung war der Wald.
Wir stolperten einen steilen Hang hinunter und direkt in eine Horde Elfen, die verärgert auseinander stob und Dolche und kleine Bögen zückte. Ich versteckte mich sofort hinter Aramis, aber nach einem fremdsprachigen Wort der Elfe – ich hatte ihren Namen vergessen – steckten sie die Waffen zögernd wieder zurück. Ich trottete hinter den beiden her. Aramis’ Freundin stellte sich unter einen Baum und hielt sich an einem Seil fest. Sofort wurde sie in die Höhe gerissen. Danach kam das Seil wieder herunter und Aramis griff in die Schlinge. Er reichte mir seine Hand, ich ergriff sie und schlang den anderen Arm um ihn. Seine Rüstung schützte ihn zwar gut, aber seine Körperwärme konnte ich trotzdem spüren. Seine Hand presste mich an seine Brust und ich legte den Kopf zur Seite. Kurz darauf wurden auch wir mit einem gewaltigen Ruck in die Baumkrone gezogen. Ich sah, wie alles unter uns viel, viel kleiner wurde und kniff die Augen zusammen (ich hatte ein wenig Höhenangst). Wir landeten auf einem kleinen Plateau. Ich ließ den Magier los und sank auf den Boden. Mir war schwindelig und meine Knie waren weich. Aramis sah mich fragend an, griff meine Hand und hob mich mit Leichtigkeit hoch. Ich torkelte neben ihm in eine Hütte und ließ mich dort auf einen Stuhl fallen. Ich war müde vom langen Laufen und stützte den Kopf auf der Tischplatte. Aramis setzte sich neben mich, die Elfe – Shenalya hieß sie, ich hatte mich erinnert – stand. Ich hörte nur auf einem Ohr, was die beiden beredeten und langsam fielen mir die Augen zu.
Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich den prächtigsten Sternenhimmel, den ich je gesehen hatte. Die Sterne leuchteten heller und bunter, man konnte silberne Wirbel im tiefen Blau erkennen und jeden Augenblick huschten Sternschnuppen über das Firmament. Meine Sinne waren etwas benebelt. Wo war ich doch gleich? Bei den Elfen. Shenalya.
Ich richtete mich auf. Ich hatte den Umhang des Magiers auf den Schultern liegen. Er saß in der anderen Ecke des Zimmers in sich zusammengesunken. Er hatte seine Rüstung abgelegt und ich erkannte, wie sich seine Muskeln unter dem Hemd abzeichneten. Ich sah mich in dem Baumhaus um. Es war riesig und oben offen. Dort, wo ich lag, ragten keine Äste und Blätter in die Sicht auf den Himmel. Ich rieb mir die Augen und stand auf, auch wenn es tiefste Nacht war. Ich nahm Aramis’ Umhang und legte ihn um ihn. Er schlief tiefer, als ich es je miterlebt hatte, seine Kraft musste völlig aufgebraucht sein. Das Zunag-rar hatte wohl zu viel von ihm gezehrt und jetzt durfte sein Körper sich erholen. Hier, bei den Elfen, waren wir alle sicher, da Aramis anscheinend einen guter Freund der Waldelfen darstellte, wären wir in einer anderen Situation gewesen, hätten wir wahrscheinlich mehr Schwierigkeiten gehabt. Ich setzte mich ihm gegenüber auf den Boden und beobachtete eine Weile, wie sich seine Brust gleichmäßig hob und senkte. Sein dunkles Haar hing ihm ins Gesicht. Ich beäugte ihn noch ganz lange, bis ich wieder gähnte, und ins Bett zurückhuschte. Ich rupfte das oberste von drei Bettlaken von dem Heubett und deckte mich damit zu. Ich starrte eine Weile in den Himmel und zählte Sterne, als ich die Zahl zweihundertachtunddreißig erreichte, hörte ich auf und schloss die Augen. Aber ich schlief nicht mehr ein. Ich hörte, wie Aramis sich aufrichtete und eine Weile zögerte, dann ging er ein paar Schritte und sank – wie ich vermutete – neben meinem Bett in die Knie. Ich spürte seine Hand an der Schulter und schlief augenblicklich ein. Ich fand seine Zauber doch manchmal sehr nützlich.
Alles, was ich träumte, hatte ich am Morgen vergessen, aber ich wusste, dass es wieder vom Tod meiner Familie gehandelt hatte. Als ich erwachte, war ich ausgeschlafen, gestärkt und meine Füße taten nicht mehr weh. Ich richtete mich gähnend auf und zog meine Kleider an. Die Elfen hatten mir eine Rüstung aus starkem Leder gegeben, ähnlich wie Aramis’. Darunter ein grüner Waffenrock, ein Hemd mit kurzen Ärmeln und braune Lederstiefel. Widerwillig streifte ich die Strumpfhose über, dann ging ich auf die Plattform. Niemand war zu sehen. Mein Magen knurrte laut und mir war sehr mulmig zumute. Ich ließ mich im Schneidersitz auf den Boden sinken und betrachtete nachdenklich das Gebilde der untereinander verbundenen Baumhäuser, die einem riesigen Netz ähnelten. Einige Elfen beäugten mich misstrauisch, andere ängstlich, manche sogar aggressiv, aber einige schauten auch lächelnd zu mir. Ich lächelte allen zurück, handelte mir aber nur einen tadelnden Rückblick ein. Ich wartete eine Ewigkeit, mein Hunger wurde unerträglich und waschen wollte ich mich auch irgendwo. Aber ich hielt inne. Ich hatte meinen Namen gehört. Von irgendwo weit über mir gellte erneut ein „Colleen“ durch die Luft. Ich antwortete mit einem „Ja?“ und wartete. Als die Stimme schwieg, setzte ich mich wieder im Schneidersitz auf die Holzplattform. Doch kurz darauf sirrte neben mir ein Seil zu Boden, an welchem Aramis hing – ohne Rüstung. Ich sah ihn erschrocken an und er lächelte. Dann reichte er mir die Hand, ich ergriff sie und schlang wie gestern meine Arme um seinen Körper. Er war wohl geformt, das musste man ihm lassen. Mein Herzschlag verschnellerte sich, als wir in die Höhe stiegen, und wir stiegen lange. Sehr, sehr, sehr lange. Ich wunderte mich schon, wie hoch der Baum war, stellte aber keine Fragen. Stattdessen lauschte ich seinen gleichmäßigen Atemzügen. Ich dachte darüber nach, was mein kleiner Bruder gesagt hatte, als ich mit Aramis aufgetaucht war.
„Mutter! Colleen hat einen Freund angeschleppt!“
Und was ich erwidert hatte, nachdem ich ihm eine Ohrfeige gegeben hatte:
„Halt deine Klappe! Er ist ein Gast von uns, verstanden? Du bist so ein kleiner…“
All’ dies konnte ich nie wieder entschuldigen. All’ die Gemeinheiten, die wir über einander hatten ergehen lassen. Alles war unverziehen.
Mir stiegen Tränen in die Augen, ich vergrub mein Gesicht an Aramis’ Brust, damit er nicht sah, dass ich weinte, auch wenn es keine Schande war. Ich nahm seinen Geruch in mir auf. Er musste das Beben meines Körpers gespürt haben, denn er strich mir über die Schulterblätter. Ich wurde rot und es tröstete mich etwas, dass er mein Gesicht nicht sah.
Endlich spürte ich wieder festen Boden unter den Füßen. Mit einer schnellen Handbewegung wischte ich die Spuren der Tränen aus meinem Gesicht und straffte meine Schultern. Ich betrachtete das einzige Baumhaus, das aus Stein errichtet worden war (der Baum musste echt stark sein!).
Wir traten ein und ich setzte mich an den frisch gedeckten Tisch. Ich aß viele Beeren und Früchte – sie schmeckten wunderbar – mit Jogurt. Dann kam Shenalya und sprach wieder nur mit Aramis.
„Sag deiner Menschenfreundin, was heute passiert. Sie darf, wie du weißt, nicht mit.“
Ich war etwas enttäuscht, dass sie wieder nicht persönlich mit mir redete, doch als sich Aramis an mich wandte, wurde ich hellhörig. „Wir – das heißt, du, D’nalor und ich – sind nicht durch den Wald gekommen, weil es eine Abkürzung sein sollte. Es hat etwas mit meiner Mission zu tun: Da das Reich der Elfen zwar nicht der Herrschaft unserer Herren unterliegt, aber in ihren Landen, müssen sie ebenso einen speziellen Standpunkt über die Königsfolge haben. Ich bin hierher gekommen, weil ich diesen Standpunkt hören will, damit ich mir ein eigenes Bild von der Sache machen kann. Es ist nur engsten Freunden des Elfenvolkes erlaubt, ihrem Rat beizuwohnen, oder ihnen gar Fragen zu stellen. Akzeptierst du diese Tradition? Sonst müsste ich einen anderen Weg finden, an die Meinung der Elfen zu gelangen.“
„Ja, das ist kein Problem.“, antwortete ich und um es zu verstärken, nickte ich heftig mit dem Kopf. Aramis lächelte und ich verkrampfte – nie war mir aufgefallen, wie schön sein Lächeln war!
Unfreiwillig suchte ich seinen Blick, aber er wandte sich abrupt ab und verschwand hinter Shenalya in einem Nebenzimmer, doch kurz bevor sich der Vorhang aus Ranken schloss, warf er einen Blick zu mir zurück und lächelte wieder sanft. Ich lächelte zurück.
Der Waldboden war übersäht mit einem Teppich aus Laub und Tannennadeln. Jeder Schritt wurde federnd gedämpft, sodass wir geräuschlos durch das Dickicht stapften. Es war mir zu ruhig. Nicht einmal die Vögel sangen.
Ab und an hörte ich den nervösen D’nalor murmeln und fluchen, dass wir nicht hier sein dürften, und dass wir sofort umkehren sollten. Er machte mich etwas unruhig, aber ich vertraute Aramis, der uns sicher durch den Wald führte. Einmal blieb er stehen und hob die Hand, ich blieb stehen. Er horchte kurz in die Stille hinein und wandte sich dann weiter rechts. Ich folgte ihm nur zögernd, denn dort, wo er jetzt hinging, war es noch dunkler, als hinter mir.
„Aramis“, zischte ich leise und er hielt inne, „Bist du dir sicher, dass wir dadurch müssen?“
Er nickte kommentarlos und ging weiter. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, da kamen wir auf eine Lichtung. Ich entdeckte ein paar Pilze und wollte sie pflücken, aber Aramis hielt mich zurück. „Vergiftet.“, sagte er tonlos und bedeutete mir, stehen zu bleiben. Dann machte er zwei große Schritte in die Lichtung hinein und hob die Arme zum Himmel. Ein Blitz fuhr aus dem Himmel auf ihn nieder und im nächsten Moment war er nicht mehr zu sehen. Verdutzt sah ich mich nach D’nalor um und er landete auf meine Schulter. „Wasserform.“, sagte er, „Unsichtbarkeitszauber. Niemand sieht ihn und kein fremder Zauber kann ihn sichtbar machen, bis die Kraft der Rune nachlässt, oder Aramis jemanden angreifen muss.“
Ich versuchte, irgendwo einen Schatten zu bemerken, Schritte zu hören oder Fußabdrücke zu sehen, konnte aber keines dergleichen ausmachen. Also ließ ich mich ins feuchte Moos sinken und strich dem Falken über die Federbrust.
Nach einer Weile sah ich Aramis’ Gestalt wieder. Aber sie flackerte, der Zauber verlor seine Wirkung. Ich stand auf und streckte mich, da sirrte etwas an meinem Ohr vorbei und landete direkt hinter mir im Boden. Ich erschrak und spürte immer noch den zischenden Luftzug, der mein Haar bewegt hatte, als der Pfeil an mir vorbeigeschossen war.
Aramis formte in den Händen einen Lichtball, warf ihn auf mich und ein kreisender Lichtschild umgab mich. Dann eilte er zu mir und stellte sich vor mich. „Lasst sie in Ruhe, sie hat nichts verbrochen. Ich bin derjenige, der sie hierher geführt hat.“
Ich fragte mich, mit wem er da redete, da sah ich einen Schatten an der Lichtung entlang huschen. Elfen.
Ich bekam fürchterliche Angst, begann zu zittern und spürte, wie mir heiß wurde. Elfen waren die mörderischsten, gefährlichsten und geschicktesten Wesen auf der Welt. Niemand mochte ihnen begegnen, denn ihre Sinne waren um einiges feiner, als irgendwelche anderen.
Sie mussten uns schon seit einer Ewigkeit verfolgt haben.
„Wenn du sie hergeführt hast“, erklang eine engelsgleiche Stimme aus dem Baum, an dem ich stand, „warum hast du sie nicht auf deine Expedition durch den Wald mitgenommen? Hat dein Zunag-rar nicht ausgereicht für zwei?“
Eine junge, blonde Frau, die kräftig, aber dennoch zierlich war, schwang sich mit mehreren Rollen auf brüchigem Geäst und saß nun in der Hocke auf dem morschen Ast (er brach nicht, weil Elfen kaum Gewicht hatten).
Ich klammerte mich unwillkürlich an Aramis’ Arm und wagte nicht, mich zu bewegen. Aramis atmete hörbar aus und entspannte sich. Ich war verwundert, warum hatte er nicht wenigstens einen Angriffszauber gewirkt? Oder war das Zunag-rar schon verbraucht? Der Lichtschild verschwand. Ich fühlte mich unsicher und war mehr als verwirrt, vor allem, als D’nalor sich abstieß und im Himmel verschwand.
Die Elfe blinzelte zwei-, dreimal aus grünen Augen, schwang sich dann mit einer eleganten Rolle vom Baum und landete lautlos vor Aramis. Dann lächelte sie ein wunderschönes Lächeln, um das ich sie beneidete. Ich ließ Aramis los und straffte mich. Ich war etwa genauso groß wie sie, aber fühlte mich um einiges kleiner. Sie hatte einen wunderschönen Langbogen über den Rücken gespannt, der aus weißem und schwarzem Holz geschnitzt worden war und dessen Sehne so stark war, dass sie unzerreißbar schien. Ich hatte in Geschichten gehört, dass sie ein Haar aus der Mähne eines Einhorns war. Ob es wohl Einhörner hier gab?
Aramis ging ein paar Schritte auf die Elfe zu und dann tat er etwas, was ich nie erwartet, geschweige denn getan hätte: Er umarmte sie und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.
Meine Gedanken überschlugen sich. War er ein Freund der Elfen? Hatte er eine Familie hier? War er vielleicht selbst ein Elf, hatte es aber bisher irgendwie verbergen können? Oder war er nur irgendwie mit dieser Elfe da befreundet?
„Es ist schön, dich mal wieder zu sehen, wenn auch in etwas merkwürdiger Begleitung. Wir sehen Menschen nicht gerne in unseren Wäldern, vor allem nicht in Tir na n’Og und vor allem keine Kinder und noch dazu Frauen! Du wusstest davon, warum hast du sie mitgebracht?“, sagte die Elfe mit einem Stirnrunzeln.
Ich war etwas beleidigt, warum sprach sie mich nicht persönlich an?
Aramis wandte sich nickend zu mir. „Colleen, das ist Shenalya. Sie redet nicht mit Menschen. Das ist gegen die Gesetze des Elfenvolks. Sie… ist eine gute Freundin von mir, aber sei vorsichtig, Menschen sind hier nicht gern gesehen.“, sagte er.
Ich nickte knapp. So etwas in der Art hatte ich mir gedacht. Wir folgten der Elfe tiefer in den Wald. Es wurde immer dunkler. Wir erreichten eine Wand aus Pflanzen, Wurzeln und Gestrüpp, ein undurchdringlicher Wall, in dem nur ein kleiner Gang war. Aramis und ich mussten auf allen Vieren hindurchklettern, und auf der anderen Seite öffnete sich ein Tal.
Es war umsäumt von tausenden von bestimmt hundert Fuß hohen Bäumen, in denen riesige Baumhäuser waren, die untereinander mit Seilen und Hängebrücken verbunden waren. Überall wimmelte es von Elfen; Elfen, Elfen, wohin das Auge blickte. Ich war schier begeistert. Von den Bäumen hingen Seile, die in die Höhe schossen, sobald man sich daran festhielt, wie beim Flaschenzugprinzip. Ich hielt mich dicht neben Aramis, der mir beruhigend die Hand auf die Schulter legte. Ich presste die Lippen aufeinander und beobachtete die Umwelt genau. Die Welt der Elfen war wundervoll: Die Wildnis war nicht zurückgedrängt, wie etwa durch Siedlungen, die mitten in einen Wald gebaut wurde, wodurch der Wald starb. Diese Siedlung war der Wald.
Wir stolperten einen steilen Hang hinunter und direkt in eine Horde Elfen, die verärgert auseinander stob und Dolche und kleine Bögen zückte. Ich versteckte mich sofort hinter Aramis, aber nach einem fremdsprachigen Wort der Elfe – ich hatte ihren Namen vergessen – steckten sie die Waffen zögernd wieder zurück. Ich trottete hinter den beiden her. Aramis’ Freundin stellte sich unter einen Baum und hielt sich an einem Seil fest. Sofort wurde sie in die Höhe gerissen. Danach kam das Seil wieder herunter und Aramis griff in die Schlinge. Er reichte mir seine Hand, ich ergriff sie und schlang den anderen Arm um ihn. Seine Rüstung schützte ihn zwar gut, aber seine Körperwärme konnte ich trotzdem spüren. Seine Hand presste mich an seine Brust und ich legte den Kopf zur Seite. Kurz darauf wurden auch wir mit einem gewaltigen Ruck in die Baumkrone gezogen. Ich sah, wie alles unter uns viel, viel kleiner wurde und kniff die Augen zusammen (ich hatte ein wenig Höhenangst). Wir landeten auf einem kleinen Plateau. Ich ließ den Magier los und sank auf den Boden. Mir war schwindelig und meine Knie waren weich. Aramis sah mich fragend an, griff meine Hand und hob mich mit Leichtigkeit hoch. Ich torkelte neben ihm in eine Hütte und ließ mich dort auf einen Stuhl fallen. Ich war müde vom langen Laufen und stützte den Kopf auf der Tischplatte. Aramis setzte sich neben mich, die Elfe – Shenalya hieß sie, ich hatte mich erinnert – stand. Ich hörte nur auf einem Ohr, was die beiden beredeten und langsam fielen mir die Augen zu.
Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich den prächtigsten Sternenhimmel, den ich je gesehen hatte. Die Sterne leuchteten heller und bunter, man konnte silberne Wirbel im tiefen Blau erkennen und jeden Augenblick huschten Sternschnuppen über das Firmament. Meine Sinne waren etwas benebelt. Wo war ich doch gleich? Bei den Elfen. Shenalya.
Ich richtete mich auf. Ich hatte den Umhang des Magiers auf den Schultern liegen. Er saß in der anderen Ecke des Zimmers in sich zusammengesunken. Er hatte seine Rüstung abgelegt und ich erkannte, wie sich seine Muskeln unter dem Hemd abzeichneten. Ich sah mich in dem Baumhaus um. Es war riesig und oben offen. Dort, wo ich lag, ragten keine Äste und Blätter in die Sicht auf den Himmel. Ich rieb mir die Augen und stand auf, auch wenn es tiefste Nacht war. Ich nahm Aramis’ Umhang und legte ihn um ihn. Er schlief tiefer, als ich es je miterlebt hatte, seine Kraft musste völlig aufgebraucht sein. Das Zunag-rar hatte wohl zu viel von ihm gezehrt und jetzt durfte sein Körper sich erholen. Hier, bei den Elfen, waren wir alle sicher, da Aramis anscheinend einen guter Freund der Waldelfen darstellte, wären wir in einer anderen Situation gewesen, hätten wir wahrscheinlich mehr Schwierigkeiten gehabt. Ich setzte mich ihm gegenüber auf den Boden und beobachtete eine Weile, wie sich seine Brust gleichmäßig hob und senkte. Sein dunkles Haar hing ihm ins Gesicht. Ich beäugte ihn noch ganz lange, bis ich wieder gähnte, und ins Bett zurückhuschte. Ich rupfte das oberste von drei Bettlaken von dem Heubett und deckte mich damit zu. Ich starrte eine Weile in den Himmel und zählte Sterne, als ich die Zahl zweihundertachtunddreißig erreichte, hörte ich auf und schloss die Augen. Aber ich schlief nicht mehr ein. Ich hörte, wie Aramis sich aufrichtete und eine Weile zögerte, dann ging er ein paar Schritte und sank – wie ich vermutete – neben meinem Bett in die Knie. Ich spürte seine Hand an der Schulter und schlief augenblicklich ein. Ich fand seine Zauber doch manchmal sehr nützlich.
Alles, was ich träumte, hatte ich am Morgen vergessen, aber ich wusste, dass es wieder vom Tod meiner Familie gehandelt hatte. Als ich erwachte, war ich ausgeschlafen, gestärkt und meine Füße taten nicht mehr weh. Ich richtete mich gähnend auf und zog meine Kleider an. Die Elfen hatten mir eine Rüstung aus starkem Leder gegeben, ähnlich wie Aramis’. Darunter ein grüner Waffenrock, ein Hemd mit kurzen Ärmeln und braune Lederstiefel. Widerwillig streifte ich die Strumpfhose über, dann ging ich auf die Plattform. Niemand war zu sehen. Mein Magen knurrte laut und mir war sehr mulmig zumute. Ich ließ mich im Schneidersitz auf den Boden sinken und betrachtete nachdenklich das Gebilde der untereinander verbundenen Baumhäuser, die einem riesigen Netz ähnelten. Einige Elfen beäugten mich misstrauisch, andere ängstlich, manche sogar aggressiv, aber einige schauten auch lächelnd zu mir. Ich lächelte allen zurück, handelte mir aber nur einen tadelnden Rückblick ein. Ich wartete eine Ewigkeit, mein Hunger wurde unerträglich und waschen wollte ich mich auch irgendwo. Aber ich hielt inne. Ich hatte meinen Namen gehört. Von irgendwo weit über mir gellte erneut ein „Colleen“ durch die Luft. Ich antwortete mit einem „Ja?“ und wartete. Als die Stimme schwieg, setzte ich mich wieder im Schneidersitz auf die Holzplattform. Doch kurz darauf sirrte neben mir ein Seil zu Boden, an welchem Aramis hing – ohne Rüstung. Ich sah ihn erschrocken an und er lächelte. Dann reichte er mir die Hand, ich ergriff sie und schlang wie gestern meine Arme um seinen Körper. Er war wohl geformt, das musste man ihm lassen. Mein Herzschlag verschnellerte sich, als wir in die Höhe stiegen, und wir stiegen lange. Sehr, sehr, sehr lange. Ich wunderte mich schon, wie hoch der Baum war, stellte aber keine Fragen. Stattdessen lauschte ich seinen gleichmäßigen Atemzügen. Ich dachte darüber nach, was mein kleiner Bruder gesagt hatte, als ich mit Aramis aufgetaucht war.
„Mutter! Colleen hat einen Freund angeschleppt!“
Und was ich erwidert hatte, nachdem ich ihm eine Ohrfeige gegeben hatte:
„Halt deine Klappe! Er ist ein Gast von uns, verstanden? Du bist so ein kleiner…“
All’ dies konnte ich nie wieder entschuldigen. All’ die Gemeinheiten, die wir über einander hatten ergehen lassen. Alles war unverziehen.
Mir stiegen Tränen in die Augen, ich vergrub mein Gesicht an Aramis’ Brust, damit er nicht sah, dass ich weinte, auch wenn es keine Schande war. Ich nahm seinen Geruch in mir auf. Er musste das Beben meines Körpers gespürt haben, denn er strich mir über die Schulterblätter. Ich wurde rot und es tröstete mich etwas, dass er mein Gesicht nicht sah.
Endlich spürte ich wieder festen Boden unter den Füßen. Mit einer schnellen Handbewegung wischte ich die Spuren der Tränen aus meinem Gesicht und straffte meine Schultern. Ich betrachtete das einzige Baumhaus, das aus Stein errichtet worden war (der Baum musste echt stark sein!).
Wir traten ein und ich setzte mich an den frisch gedeckten Tisch. Ich aß viele Beeren und Früchte – sie schmeckten wunderbar – mit Jogurt. Dann kam Shenalya und sprach wieder nur mit Aramis.
„Sag deiner Menschenfreundin, was heute passiert. Sie darf, wie du weißt, nicht mit.“
Ich war etwas enttäuscht, dass sie wieder nicht persönlich mit mir redete, doch als sich Aramis an mich wandte, wurde ich hellhörig. „Wir – das heißt, du, D’nalor und ich – sind nicht durch den Wald gekommen, weil es eine Abkürzung sein sollte. Es hat etwas mit meiner Mission zu tun: Da das Reich der Elfen zwar nicht der Herrschaft unserer Herren unterliegt, aber in ihren Landen, müssen sie ebenso einen speziellen Standpunkt über die Königsfolge haben. Ich bin hierher gekommen, weil ich diesen Standpunkt hören will, damit ich mir ein eigenes Bild von der Sache machen kann. Es ist nur engsten Freunden des Elfenvolkes erlaubt, ihrem Rat beizuwohnen, oder ihnen gar Fragen zu stellen. Akzeptierst du diese Tradition? Sonst müsste ich einen anderen Weg finden, an die Meinung der Elfen zu gelangen.“
„Ja, das ist kein Problem.“, antwortete ich und um es zu verstärken, nickte ich heftig mit dem Kopf. Aramis lächelte und ich verkrampfte – nie war mir aufgefallen, wie schön sein Lächeln war!
Unfreiwillig suchte ich seinen Blick, aber er wandte sich abrupt ab und verschwand hinter Shenalya in einem Nebenzimmer, doch kurz bevor sich der Vorhang aus Ranken schloss, warf er einen Blick zu mir zurück und lächelte wieder sanft. Ich lächelte zurück.
Gast- Gast
Re: Magierblut
Anmerkung:
Dies wird vorerst das letzte Kapitel sein, weil die Geschichte wohl doch nicht so viele "Anhänger" (^^) findet, wie ich es mir erhofft hatte - war wohl etwas im Höhenrausch, sie endlich fertig gestellt zu haben, als ich sie reingestellt habe (stellen, stellen, stellen), sorry about that.
Also dann - ruh' dich aus, Magierblut.
In Tempra
Als sich der Vorhang wieder öffnete, war es später Nachmittag. Ich hatte die ganze Zeit still dagesessen und auf ihn gewartet. Inzwischen knurrte mein Magen. Ich hatte auf das leere Pergament und mit den Bleistiften ein paar Krakeleien hingeschmiert und mir war erst später aufgefallen, dass es Zauber waren, das heißt, ich hatte die aus dem Himmel schießenden Kometen gezeichnet, den Feuerball, der aus einer Hand kam, die Eisstacheln aus der Erde und so weiter. Ich war müde und etwas mürrisch, aber als Aramis die Hand auf meine Schulter legte, war aller Ärger wie fort geblasen. „Wir können gehen. Du hast sicher Hunger, oder? Hier, nimm das.“
Er legte mir eine nussgroße Frucht in die Handfläche. Sofort war sie in meinem Magen und ab da war ich satt. Von dieser winzigen Beere!
„Das sind Yums. Das bedeutet ungefähr das gleiche, wie Lecker oder Satt.“, erklärte Aramis.
„Achso. Ich dachte schon, es sei… keine Ahnung… Magie?!“, erwiderte ich, klammerte mich zögernd an ihm fest und wir sanken langsam gen Boden. Er lächelte.
„Wie stehen die Elfen zu der Herrschaftsfolge?“, fragte ich.
„Sie halten sich ganz aus diesem Gewirr heraus. Sollte es zum Bürgerkrieg kommen, werden sie weder den Prinzkämpfern, noch den Baronkämpfern Schutz in ihren Wäldern gewähren, sie werden ihn voll und ganz versiegeln. Ich schätze, wir müssen uns woanders Verbündete suchen.“
„Für wen sind wir denn jetzt?“
„Ach, das weißt du nicht?“, fragte er verwundert und sah auf mich hinab.
Ich schüttelte verlegen den Kopf. „Vergessen.“, murmelte ich und spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss.
„Kannst du auch gar nicht wissen. Der Prinz braucht unsere Hilfe mehr, als der Baron. Er hat das Recht auf den Thron, denn er ist dem König wichtiger, als der Baron. Und deshalb wird er den Thron besteigen, wenn der Baron nichts Dummes tut.“
„Dummes?“, hakte ich nach.
„Ich habe meine Zweifel, dass der Baron den Rückschlag einfach so einsteckt. Er tobt bestimmt vor Wut.“
„Warum heilst du den König nicht einfach?“
„Weil es das Alter ist, das ihn plagt. Da kann ich nichts ausrichten und auch kein anderer Magier der Welt.“
„Dann wird’s aber Zeit!“, scherzte ich und er lachte.
Wir setzten auf dem Boden auf und kehrten in unsere Hütte zurück. Dort packten wir unser weniges Hab und Gut zusammen und verließen das Tal durch den Tunnel, durch den Wald und standen wieder auf der weiten Wiese. Ein fast vollkommen zerstörter Steinweg schlängelte sich wie ein Wurm durch die verwachsene Weide, doch wir hielten uns vom Weg fern. Nach einer Weile schoss D’nalor aus dem Himmel und landete auf Aramis’ Schulter.
„Alter Feigling!“, schimpfte Aramis lächelnd und D’nalor keckerte beleidig und ich kicherte. Schweigend wanderten wir durch die Wiesen und Aramis’ Blick wurde trüb und fern, als wäre er im Geist grade ganz woanders. Ich sah ihn eine Weile an und bekam einen zerreißenden Schmerz im Herzen, als ich die Trauer in seinen Augen las. Ich empfand Mitleid für etwas, was mich wahrscheinlich nichts anging. Ich berührte kaum merklich seinen Arm, er schüttelte verwirrt den Kopf und sah mich dann an. „Bestimmt geht es mich nichts an, aber…“ Ich rang mit den Worten. „Was ist Shenalya für dich?“
Er sah mich eine Weile lang an, dann nickte er. „Du hast Recht – es geht dich nichts an.“
Und damit war das Thema wohl beendet. Ich war etwas enttäuscht.
Bald erreichten wir eine kleine Stadt namens Tempra. Wir besorgten Brote, Wasserschläuche und Käse und aßen ein wenig davon. Gegen Nachmittag suchten wir uns eine Herberge, wo sich Aramis ausruhte, und ich in seinen Büchern blättern durfte.
Während er im Nebenzimmer schlief, schlug ich vorsichtig und ganz behutsam die erste Seite des schweren, alten Buches auf. Zwar konnte ich nicht wirklich etwas mit Buchstaben anfangen, aber mit Mühe konnte ich etwas entziffern.
Wassermagie: Erlaubt es dem Magier, das Element Wasser zu knechten.
Dann folgten merkwürdige Runenschriften, Bewegungsabläufe, Erklärungen und Beschwörungsformeln, die ich nicht verstand. Aber ich wurde etwas schlauer und erfuhr, dass Wassermagie hauptsächlich zum Heilen angewandt wurde.
Erdmagie: Erlaubt es dem Magier, das Element Erde und Metall zu fesseln.
Wieder die Zeichen und Formeln und die Erkenntnis, dass der Magier Erde sowohl als Schutzschild, als auch als Angriffsmethode verwenden konnte. Da Erdbändigen, wie es benannt wurde, am schwierigsten durchzuführen ist, zehre es am meisten am Zunag-rar und wurde daher nur selten angewandt.
Luftmagie: Erlaubt es dem Magier, das Element Luft zu zügeln.
Luftmagie schien am einfachsten durchzuführen und den Nutzen zu haben, sich schneller zu bewegen und mehrere Möglichkeiten zu bieten, sich zu tarnen.
Als ich auf die nächste Seite blätterte, klappte ich das Buch zu. Ich wollte damit nichts zu tun haben – Feuermagie.
Ich ließ das Buch liegen und ging raus auf die Straße. Es herrschte reger Tumult und ich wurde mehrmals angerempelt. Schließlich erreichte ich mein Ziel – ein Platz, auf dem ein paar Gaukler ihre Zelte aufgebaut hatten.
Sie waren bunt gekleidet; einige spieen Feuer, andere Jonglierten und wieder andere liefen in der Menschentraube umher und erzählten Witze. Manche lästerten auch über die Politik oder den Stadtfürsten und sprachen dabei in spontan erstellten Reimen.
Auch auf mich kam einer in Violett zu. „Na, wie geht’s?“, fragte er.
„Danke, gut.“, stotterte ich verwirrt.
„Und wie steht’s?“
„Naja, ähm… auch gut!“
„Da zieh’ ich seinen Hut!“, rief er jubilierend und zog meinem Nachbarn den Hut vom Kopf, die Umherstehenden lachten laut los und klatschten. Ich drängelte mich weiter nach vorn, um den Jongleur sehen zu können. Doch es war jemand anderes, der auf mich zukam.
Mein Herz begann zu klopfen. Es war ein besonders gut aussehender, junger Mann, gekleidet in schwarz und rot (meinen Lieblingsfarben) und er hielt drei Fackeln in der einen Hand.
Die andere reichte er mir. „Machst du mit mir ein Kunststück?“
Ich schüttelte den Kopf, konnte den Blick nicht vom Feuer abwenden und spürte seine Hitze auf der Haut, sah, wie schwarze Balken wie ein Skelett zusammenbrachen, Asche und Ruß meine Augen verklebten, ich keine Luft mehr bekam. „Nur keine Scheu, dir passiert schon nichts. Ich bin der beste Feuerspucker, weit und breit!“
„Nein, bitte nicht.“, sagte ich, meine Stimme klang heiser.
Übermütig packte er meine Hand und zog mich in die Mitte. Ich hatte Angst. Nicht davor, dass so viele Leute uns zusahen. Ich hatte Angst vor dem Feuer.
Hilfe!, dachte ich und verkrampfte.
Der Feuerspucker drückte mich auf einen Hocker und zwinkerte mir aufmunternd zu.
Irgendwie wusste ich, dass ich ihm vertrauen konnte, aber ich traute der Flamme nicht.
Dann legte er Ringe um den Stuhl und entzündete sie. Sofort schlugen die Flammen meterhoch und ich sah nicht, was außerhalb meines Gefängnisses geschah.
Panisch kniff ich die Augen zusammen und sah alles vor mir. Das brennende Haus. Die toten Körper neben der Scheune.
Ich spürte heiße Tränen meine Wangen hinunter laufen. Die Menschenmengen um uns herum machten begeisternde Ausrufe, die ich nur halb mitbekam.
Ich spürte das Feuer, als wäre es auf meiner Haut.
Und plötzlich war es vorbei.
Die Flammen versanken im Boden, als seien sie nie gewesen, die Hitze schwand und wurde zu eisigem Herbstwind. War ich tot?
Ich öffnete die Augen, konnte durch den Tränenschleier aber nichts sehen.
Verschwommene Gestalten; links der Feuerspucker und rechts…?
Es war Aramis. Schon wieder war er gekommen, um mich zu retten, auch wenn ich nicht in Lebensgefahr steckte.
Er kam auf mich zu und half mir hoch. Auf wackeligen Beinen stolperte ich durch die Menschenmenge, Aramis an meiner Seite. Ich krallte mich in seinen muskelbepackten Arm und schluchzte. Er drückte mich beruhigend an seine Seite und ich spürte, wie sehr ich bebte. „Es ist alles gut. Beruhig dich.“, flüsterte seine Stimme und ich nickte tapfer. Dann, in unserer Hütte, ließ ich mich auf einen Stuhl fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. Jemand trat hinter uns ein, es war der Feuerspucker. Aramis’ Rechte lag noch tröstend auf meinem Rücken, als er zu sprechen begann.
„Was hast du zu sagen?“, ertönte seine Stimme. Der Feuerspucker schwieg.
„Cadrahel! Du hättest sie umbringen können!“
„Das hätte ich nicht! Du hast gar keine Ahnung. Ich kann mit dem Feuer umgehen!“, entgegnete der Feuerspucker giftig.
„Sie aber nicht!“, brüllte Aramis und Cadrahel verstummte in seinem Schwall aus Beleidigungen.
Stille herrschte, bis Cadrahel murmelte:
„Woher sollte ich das wissen? Sie stach aus der Menge heraus, sie hat mich richtig angestarrt. Da hab ich eben gedacht, sie meldete sich als Freiwillige.“
„Stimmt das, Colleen?“, erkundigte sich Aramis und ich erschrak bei der Gereiztheit in seiner Stimme.
„J-Ja.“, gab ich so leise wie möglich zu. Hatte ich den Fehler gemacht?
„Und warum hast du sie nicht vom Stuhl geholt, als du gemerkt hast, dass sie weinte?“, fuhr Aramis fort und nahm die Hand von meinem Rücken. Cadrahel zuckte die Schultern.
„Hab ich wohl nicht gesehen.“, nuschelte er und Aramis stöhnte. „Verschwinde, Cadrahel. Verschwinde aus Tempra und lass dich in meiner Nähe nie wieder blicken!“
„Als du mich vor zehn Jahren fortgeschickt hast, hättest du mir doch das Zunag-rar entziehen können, wie es üblich ist, aber du hast es nicht getan. Warum?“
„Damit du leben kannst! Aber dass du mit deinen angeblichen Künsten Menschen in Gefahr bringst, hätte ich nicht gedacht. Ich hätte es mir nicht träumen lassen, deine Feuerkünste erneut zu sehen.“
Cadrahel erwiderte etwas deftiges, aber ich hörte nicht mehr zu.
Vor zehn Jahren? Aramis sah so jung aus, wie alt war er denn?
Cadrahel brüllte und verließ das Zimmer. D’nalor flog durchs Fenster auf meine Schulter und knabberte an meinem Ohr.
„Colleen“, sagte Aramis seufzend und ich blickte auf. Er sah sehr besorgt auf mich herab, was mir einen Stich im Herzen versetzte. „Das war also Cadrahel, der letzte Schüler, den ich unterrichtet habe. Es tut mir leid, dass du ihn so kennen lernen musstest.“
Ich nickte. „Wie alt bist du, Aramis?“, fragte ich und bereute sogleich, dass ich so eine unpassende Frage stellen musste.
Aramis blickte aus dem Fenster. „Ich bin sehr alt. So alt wie die Leere. So alt wie das Licht.“
Ich runzelte die Stirn, sagte aber nichts.
„Wir brechen noch heute auf, Colleen. Pack’ bitte deine Sachen.“, sagte Aramis nach einer Weile und ich verschwand.
Dies wird vorerst das letzte Kapitel sein, weil die Geschichte wohl doch nicht so viele "Anhänger" (^^) findet, wie ich es mir erhofft hatte - war wohl etwas im Höhenrausch, sie endlich fertig gestellt zu haben, als ich sie reingestellt habe (stellen, stellen, stellen), sorry about that.
Also dann - ruh' dich aus, Magierblut.
In Tempra
Als sich der Vorhang wieder öffnete, war es später Nachmittag. Ich hatte die ganze Zeit still dagesessen und auf ihn gewartet. Inzwischen knurrte mein Magen. Ich hatte auf das leere Pergament und mit den Bleistiften ein paar Krakeleien hingeschmiert und mir war erst später aufgefallen, dass es Zauber waren, das heißt, ich hatte die aus dem Himmel schießenden Kometen gezeichnet, den Feuerball, der aus einer Hand kam, die Eisstacheln aus der Erde und so weiter. Ich war müde und etwas mürrisch, aber als Aramis die Hand auf meine Schulter legte, war aller Ärger wie fort geblasen. „Wir können gehen. Du hast sicher Hunger, oder? Hier, nimm das.“
Er legte mir eine nussgroße Frucht in die Handfläche. Sofort war sie in meinem Magen und ab da war ich satt. Von dieser winzigen Beere!
„Das sind Yums. Das bedeutet ungefähr das gleiche, wie Lecker oder Satt.“, erklärte Aramis.
„Achso. Ich dachte schon, es sei… keine Ahnung… Magie?!“, erwiderte ich, klammerte mich zögernd an ihm fest und wir sanken langsam gen Boden. Er lächelte.
„Wie stehen die Elfen zu der Herrschaftsfolge?“, fragte ich.
„Sie halten sich ganz aus diesem Gewirr heraus. Sollte es zum Bürgerkrieg kommen, werden sie weder den Prinzkämpfern, noch den Baronkämpfern Schutz in ihren Wäldern gewähren, sie werden ihn voll und ganz versiegeln. Ich schätze, wir müssen uns woanders Verbündete suchen.“
„Für wen sind wir denn jetzt?“
„Ach, das weißt du nicht?“, fragte er verwundert und sah auf mich hinab.
Ich schüttelte verlegen den Kopf. „Vergessen.“, murmelte ich und spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss.
„Kannst du auch gar nicht wissen. Der Prinz braucht unsere Hilfe mehr, als der Baron. Er hat das Recht auf den Thron, denn er ist dem König wichtiger, als der Baron. Und deshalb wird er den Thron besteigen, wenn der Baron nichts Dummes tut.“
„Dummes?“, hakte ich nach.
„Ich habe meine Zweifel, dass der Baron den Rückschlag einfach so einsteckt. Er tobt bestimmt vor Wut.“
„Warum heilst du den König nicht einfach?“
„Weil es das Alter ist, das ihn plagt. Da kann ich nichts ausrichten und auch kein anderer Magier der Welt.“
„Dann wird’s aber Zeit!“, scherzte ich und er lachte.
Wir setzten auf dem Boden auf und kehrten in unsere Hütte zurück. Dort packten wir unser weniges Hab und Gut zusammen und verließen das Tal durch den Tunnel, durch den Wald und standen wieder auf der weiten Wiese. Ein fast vollkommen zerstörter Steinweg schlängelte sich wie ein Wurm durch die verwachsene Weide, doch wir hielten uns vom Weg fern. Nach einer Weile schoss D’nalor aus dem Himmel und landete auf Aramis’ Schulter.
„Alter Feigling!“, schimpfte Aramis lächelnd und D’nalor keckerte beleidig und ich kicherte. Schweigend wanderten wir durch die Wiesen und Aramis’ Blick wurde trüb und fern, als wäre er im Geist grade ganz woanders. Ich sah ihn eine Weile an und bekam einen zerreißenden Schmerz im Herzen, als ich die Trauer in seinen Augen las. Ich empfand Mitleid für etwas, was mich wahrscheinlich nichts anging. Ich berührte kaum merklich seinen Arm, er schüttelte verwirrt den Kopf und sah mich dann an. „Bestimmt geht es mich nichts an, aber…“ Ich rang mit den Worten. „Was ist Shenalya für dich?“
Er sah mich eine Weile lang an, dann nickte er. „Du hast Recht – es geht dich nichts an.“
Und damit war das Thema wohl beendet. Ich war etwas enttäuscht.
Bald erreichten wir eine kleine Stadt namens Tempra. Wir besorgten Brote, Wasserschläuche und Käse und aßen ein wenig davon. Gegen Nachmittag suchten wir uns eine Herberge, wo sich Aramis ausruhte, und ich in seinen Büchern blättern durfte.
Während er im Nebenzimmer schlief, schlug ich vorsichtig und ganz behutsam die erste Seite des schweren, alten Buches auf. Zwar konnte ich nicht wirklich etwas mit Buchstaben anfangen, aber mit Mühe konnte ich etwas entziffern.
Wassermagie: Erlaubt es dem Magier, das Element Wasser zu knechten.
Dann folgten merkwürdige Runenschriften, Bewegungsabläufe, Erklärungen und Beschwörungsformeln, die ich nicht verstand. Aber ich wurde etwas schlauer und erfuhr, dass Wassermagie hauptsächlich zum Heilen angewandt wurde.
Erdmagie: Erlaubt es dem Magier, das Element Erde und Metall zu fesseln.
Wieder die Zeichen und Formeln und die Erkenntnis, dass der Magier Erde sowohl als Schutzschild, als auch als Angriffsmethode verwenden konnte. Da Erdbändigen, wie es benannt wurde, am schwierigsten durchzuführen ist, zehre es am meisten am Zunag-rar und wurde daher nur selten angewandt.
Luftmagie: Erlaubt es dem Magier, das Element Luft zu zügeln.
Luftmagie schien am einfachsten durchzuführen und den Nutzen zu haben, sich schneller zu bewegen und mehrere Möglichkeiten zu bieten, sich zu tarnen.
Als ich auf die nächste Seite blätterte, klappte ich das Buch zu. Ich wollte damit nichts zu tun haben – Feuermagie.
Ich ließ das Buch liegen und ging raus auf die Straße. Es herrschte reger Tumult und ich wurde mehrmals angerempelt. Schließlich erreichte ich mein Ziel – ein Platz, auf dem ein paar Gaukler ihre Zelte aufgebaut hatten.
Sie waren bunt gekleidet; einige spieen Feuer, andere Jonglierten und wieder andere liefen in der Menschentraube umher und erzählten Witze. Manche lästerten auch über die Politik oder den Stadtfürsten und sprachen dabei in spontan erstellten Reimen.
Auch auf mich kam einer in Violett zu. „Na, wie geht’s?“, fragte er.
„Danke, gut.“, stotterte ich verwirrt.
„Und wie steht’s?“
„Naja, ähm… auch gut!“
„Da zieh’ ich seinen Hut!“, rief er jubilierend und zog meinem Nachbarn den Hut vom Kopf, die Umherstehenden lachten laut los und klatschten. Ich drängelte mich weiter nach vorn, um den Jongleur sehen zu können. Doch es war jemand anderes, der auf mich zukam.
Mein Herz begann zu klopfen. Es war ein besonders gut aussehender, junger Mann, gekleidet in schwarz und rot (meinen Lieblingsfarben) und er hielt drei Fackeln in der einen Hand.
Die andere reichte er mir. „Machst du mit mir ein Kunststück?“
Ich schüttelte den Kopf, konnte den Blick nicht vom Feuer abwenden und spürte seine Hitze auf der Haut, sah, wie schwarze Balken wie ein Skelett zusammenbrachen, Asche und Ruß meine Augen verklebten, ich keine Luft mehr bekam. „Nur keine Scheu, dir passiert schon nichts. Ich bin der beste Feuerspucker, weit und breit!“
„Nein, bitte nicht.“, sagte ich, meine Stimme klang heiser.
Übermütig packte er meine Hand und zog mich in die Mitte. Ich hatte Angst. Nicht davor, dass so viele Leute uns zusahen. Ich hatte Angst vor dem Feuer.
Hilfe!, dachte ich und verkrampfte.
Der Feuerspucker drückte mich auf einen Hocker und zwinkerte mir aufmunternd zu.
Irgendwie wusste ich, dass ich ihm vertrauen konnte, aber ich traute der Flamme nicht.
Dann legte er Ringe um den Stuhl und entzündete sie. Sofort schlugen die Flammen meterhoch und ich sah nicht, was außerhalb meines Gefängnisses geschah.
Panisch kniff ich die Augen zusammen und sah alles vor mir. Das brennende Haus. Die toten Körper neben der Scheune.
Ich spürte heiße Tränen meine Wangen hinunter laufen. Die Menschenmengen um uns herum machten begeisternde Ausrufe, die ich nur halb mitbekam.
Ich spürte das Feuer, als wäre es auf meiner Haut.
Und plötzlich war es vorbei.
Die Flammen versanken im Boden, als seien sie nie gewesen, die Hitze schwand und wurde zu eisigem Herbstwind. War ich tot?
Ich öffnete die Augen, konnte durch den Tränenschleier aber nichts sehen.
Verschwommene Gestalten; links der Feuerspucker und rechts…?
Es war Aramis. Schon wieder war er gekommen, um mich zu retten, auch wenn ich nicht in Lebensgefahr steckte.
Er kam auf mich zu und half mir hoch. Auf wackeligen Beinen stolperte ich durch die Menschenmenge, Aramis an meiner Seite. Ich krallte mich in seinen muskelbepackten Arm und schluchzte. Er drückte mich beruhigend an seine Seite und ich spürte, wie sehr ich bebte. „Es ist alles gut. Beruhig dich.“, flüsterte seine Stimme und ich nickte tapfer. Dann, in unserer Hütte, ließ ich mich auf einen Stuhl fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. Jemand trat hinter uns ein, es war der Feuerspucker. Aramis’ Rechte lag noch tröstend auf meinem Rücken, als er zu sprechen begann.
„Was hast du zu sagen?“, ertönte seine Stimme. Der Feuerspucker schwieg.
„Cadrahel! Du hättest sie umbringen können!“
„Das hätte ich nicht! Du hast gar keine Ahnung. Ich kann mit dem Feuer umgehen!“, entgegnete der Feuerspucker giftig.
„Sie aber nicht!“, brüllte Aramis und Cadrahel verstummte in seinem Schwall aus Beleidigungen.
Stille herrschte, bis Cadrahel murmelte:
„Woher sollte ich das wissen? Sie stach aus der Menge heraus, sie hat mich richtig angestarrt. Da hab ich eben gedacht, sie meldete sich als Freiwillige.“
„Stimmt das, Colleen?“, erkundigte sich Aramis und ich erschrak bei der Gereiztheit in seiner Stimme.
„J-Ja.“, gab ich so leise wie möglich zu. Hatte ich den Fehler gemacht?
„Und warum hast du sie nicht vom Stuhl geholt, als du gemerkt hast, dass sie weinte?“, fuhr Aramis fort und nahm die Hand von meinem Rücken. Cadrahel zuckte die Schultern.
„Hab ich wohl nicht gesehen.“, nuschelte er und Aramis stöhnte. „Verschwinde, Cadrahel. Verschwinde aus Tempra und lass dich in meiner Nähe nie wieder blicken!“
„Als du mich vor zehn Jahren fortgeschickt hast, hättest du mir doch das Zunag-rar entziehen können, wie es üblich ist, aber du hast es nicht getan. Warum?“
„Damit du leben kannst! Aber dass du mit deinen angeblichen Künsten Menschen in Gefahr bringst, hätte ich nicht gedacht. Ich hätte es mir nicht träumen lassen, deine Feuerkünste erneut zu sehen.“
Cadrahel erwiderte etwas deftiges, aber ich hörte nicht mehr zu.
Vor zehn Jahren? Aramis sah so jung aus, wie alt war er denn?
Cadrahel brüllte und verließ das Zimmer. D’nalor flog durchs Fenster auf meine Schulter und knabberte an meinem Ohr.
„Colleen“, sagte Aramis seufzend und ich blickte auf. Er sah sehr besorgt auf mich herab, was mir einen Stich im Herzen versetzte. „Das war also Cadrahel, der letzte Schüler, den ich unterrichtet habe. Es tut mir leid, dass du ihn so kennen lernen musstest.“
Ich nickte. „Wie alt bist du, Aramis?“, fragte ich und bereute sogleich, dass ich so eine unpassende Frage stellen musste.
Aramis blickte aus dem Fenster. „Ich bin sehr alt. So alt wie die Leere. So alt wie das Licht.“
Ich runzelte die Stirn, sagte aber nichts.
„Wir brechen noch heute auf, Colleen. Pack’ bitte deine Sachen.“, sagte Aramis nach einer Weile und ich verschwand.
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