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Au revoir, la lumière du soleil [19.10]

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Beitrag  Gast Fr 03 Okt 2008, 00:17


Diese Geschichte entstand mehr oder minder unfreiwillig, denn eine gute Freundin (nicht Jadie ^^) hat mich dazu gedrängt, eine Vampirgeschichte zu schreiben. Und so hab ich halt das da geschrieben Razz
Es ist jetzt ewig her, dass ich sie angefangen habe und bisher existieren nur 11 Kapitel, aber ich schaue einfach mal, was passiert und wie sie so ankommt - also ob es sich wirklich lohnt, weiter zu machen.
Wie auch bei den anderen freue ich mich auch hier über jeden Kommentar
Na los, motiviert mich!!





Pour ma copine Jadie,
Que j’aime beaucoup




Chapitre un:
Les enfants de la lune

Kapitel eins:
Die Kinder des Mondes


Leise Musik erfüllte den Raum, als Sébastien ihn betrat. Klaviermusik, die von Sehnsucht und Ruhe erfüllt war, in C-Moll, wenn er sich nicht irrte. Musik, die, eigens komponiert, mit verzweifeltem Wunsch gespielt wurde.
„Hör auf damit.“, fuhr Sébastien die Spielerin an und der große Konzertflügel verstummte, „Ich kann das nicht mehr hören.“
„Wenn dir das Stück nicht gefällt, dann halt dir doch die Ohren zu.“, gab sie fauchend zurück und erhob sich. Sie starrte den Mann wütend an und er starrte zurück. In seinem Blick brannte ein Feuer und obwohl sie ihn nicht fürchtete, setzte sich Claire wieder. Sie hatte nicht Angst, aber großen Respekt vor ihm. Er führte ihre Rasse; er war ihrer aller König. Sébastien de la lune – Sébastien des Mondes. So hießen alle Nachkommen des Mondgottes, der einst die Mondkinder schuf.
„Claire“, sagte er lächelnd und mit einem sanften Bedauern in der Stimme, „Du weißt, ich liebe deine Stücke, nur eben nicht dieses. Es ist so... herablassend.“
Claire strich sich das blonde Haar aus dem Gesicht. „Herablassend?“, fragte sie skeptisch nach.
Sébastien schritt in seinem dunklen Gewand langsam zu den schwarzen Ledersesseln und ließ sich darauf nieder, während er sich sein Weinglas füllte. „Herablassend gegenüber dem Mond.“
Claire blickte zu ihm herüber und er sah sie mit einem unergründlichen Blick an. „Was willst du damit sagen?“, fragte sie und ging auf ihn zu.
Sébastiens Lippen umspielte ein zierliches Lächeln. Beinahe schon neckisch.
„Ich weiß, dass du dich gegen den Mond nie auflehnen würdest. Aber dieses Lied sehnt sich nach etwas, das der Feind des Mondes ist. Ich sehe das nicht ein.“, versuchte er zu erklären wie so oft.
Claire seufzte und breitete das rote Samttuch über den Elfenbeintasten des Konzertflügels aus, dann schritt sie ebenfalls zu den Ledersesseln, nahm sich ebenfalls ein Glas und lehnte sich an die Wand.
Ihr Blick aus blauen Augen glitt über das Tablett auf dem Couchtisch, auf dem eine Karaffe mit roter Flüssigkeit und etliche, vom warmen Licht der Lampen über ihnen glitzernden Gläser.
„Sébastien, ich sehe dich nicht ein. Warum darf man sich nicht nach dem Sonnenlicht sehnen? Es ist uns schon verboten, die Sonne in irgendeiner anderen Art und Weise zu spüren. Warum darf ich sie dann nicht einmal in meiner Musik vermissen?“
Sébastien nippte an dem Glas. „Die Menschen sind neugierig geworden – wir unvorsichtig. Schon wieder hat einer der Sterblichen unser Obdach entdeckt.“ Er lächelte spöttisch und griff erneut nach dem Getränk, „Jetzt mundet er unserem Gaumen.“
Claire zog eine Braue hoch. „Na lecker“, flüsterte sie und leerte das Glas in einem Zug, „Und warum genau bist du jetzt hier reingeplatzt und hast mich in meiner Muße gestört?“
Er lächelte süffisant und erhob sich. „Ich habe eine Zusammenkunft einberufen.“, erklärte er und reichte Claire den Arm, aber sie schritt zügig an ihm vorbei zur Tür hinaus, doch er hatte sie schnell eingeholt.
„Eine Zusammenkunft?“, fragte sie mit gerunzelter Stirn nach, „Mais pourquoi1?“
Sein Mantel blähte sich im Luftzug der Geschwindigkeit, die die beiden und alle ihrer Art für das menschliche Auge unsichtbar machte. „Warum?“, wiederholte er, „Weil, wie gesagt, erneut ein Sterblicher zu den Katakomben gefunden hat.“
Der lange, röhrenförmige Flur hatte keine Fenster, stattdessen war er mit vielen teilweise antiken Bildern behängt, die Decke war mit „Raphaels Engeln“ bemalt und überall sah man dunkelblaue Banner mit einer sichelförmigen Mondstickerei.
Obwohl die Geschwindigkeit der beiden überragend war, brauchten sie mehrere Minuten, bis sie den Gemeinschaftsraum erreicht hatten.
Er war groß und kreisrund, teilweise im gotischen Stil gebaut und in der Mitte hatten sich viele Personen versammelt, Männer und Frauen, Kinder und Greise, fast alle hatten gefüllte Weingläser in der Hand. Sie saßen auf schwarzen Ledersofas und unterhielten sich in gedämpften Stimmen. Große hölzerne Flügeltüren waren an der Wand in gleichmäßigen Abständen eingelassen, durch die noch ein paar letzte Schatten huschten.
Mit dem Eintreffen Sébastiens und Claires schlossen sich die Türen und es wurde still im Gemeinschaftsraum.
Sébastien schritt mit eleganten Schritten unter die anderen, die ihn mit wachsamen Blicken musterten.
„Meine Freunde“, sagte er und das Feuer in seinen Augen loderte, „Ihr wisst, dass vor kurzem erneut ein Mensch in unser trautes Heim eingedrungen ist. Und das in der Stunde der Sonne.“ Die Freude in der Stimme des Königs schwand und wandelte sich zu Ernst. „Glücklicherweise konnten die Elstern sich um den Eindringling kümmern und jetzt wünscht er euch einen guten Appetit.“ Er prostete den Anwesenden zu, einige lachten. Die meisten in der Runde blieben ernst. So auch Sébastien. „Die Menschen sind nicht dumm. Sie werden nach dem Verlorenen suchen, Fragen stellen, nachforschen. Was, wenn sie unsere Behausung finden?“
„Wir werden uns schon um sie kümmern!“, rief einer der Männer in den Raum.
„Was, wenn es zur Sonnenstunde geschieht?“, erwiderte Sébastien, „Ich weiß, die Wächter sind stark. Sie sind diejenigen, die am häufigsten den Lebenssaft kosten dürfen. Sie schützen uns auch zur Sonnenstunde, denn der Mondgott hat sie dazu auserkoren. Aber auch sie haben ihre schwachen Augenblicke. Irgendwann, das prophezeie ich euch, meine Freunde, wird ein Mensch hier eindringen und die Arbeit von Jahrhunderten zunichte machen. Er wird weitere Menschen holen, sie werden uns fangen und untersuchen lassen, mit Silber peinigen und mit Sonnenlicht. Wir müssen uns vorsehen, Freunde der Nacht, wappnen gegen die Sonne und ihre Kinder.“
„Wie willst du das anstellen?“, fragte Émilie, ein Mondkind, das äußerst realistisch war, sah den Tatsachen ins Auge blickte.
Sébastien lächelte und entblößte dabei eine Reihe blendender, gerader Zähne und Claire konnte nichts dagegen tun, als die Nase zu rümpfen. Seine Arroganz konnte nicht einmal von seiner Herrschsucht übertrumpft werden.
„Das, liebe Émilie, ist die Frage, die zu beantworten ich euch gerufen habe. Was tun gegen die Menschen?“, fragte er in die Runde.
Jetzt riefen sie Vorschläge aus, debattierten, schimpften und diskutierten. Und Sébastien führte sie alle.
Claire runzelte die Stirn, wie so häufig, wenn Sébastien Reden hielt. Er war in seinem Element. Aber Claire war es nicht und so verließ sie den Gemeinschaftsraum und ging in menschlichten Schritten durch den langen Flur zurück zu dem Zimmer, in dem der Flügel stand.
Sébastien est le roi. Il connaît les problèmes2, redete sie sich ein.
Und doch konnte sie die Gedanken nicht abschütteln, dass Unheil auf sie zukam. Unheil, das mit den Menschen kam. Unheil, das sie alle in Gefahr brachte. Sie fühlte das Ungleichgewicht.
Claire betrachtete ihre Hände, die bleich wie Knochen waren. In einem Spiegel, der rechts an der Wand hing, sah sie ihr Spiegelbild. Unbeschreiblich schön. Traurig. Unsterblich.
Seufzend schloss sie die Tür hinter sich und schritt gemächlichen Schrittes zu dem schwarzen Flügel, setzte sich an das Klavier und strich über die Tasten, die kalt wie ihre Finger und genauso bleich, begannen, zärtliche Melodien und sanfte Akkorde zu spielen. Sie sangen von der Sonne, die Claire und Sébastien und Émilie und all’ die anderen Mondkinder nie wieder sehen würden.

__________
1 Aber warum?
2 Sébastien ist der König. Er kennt die Probleme.


Zuletzt von singing_magpie am Sa 25 Okt 2008, 14:29 bearbeitet; insgesamt 4-mal bearbeitet

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Beitrag  Gast Fr 03 Okt 2008, 00:53


Chapitre deux:
Sébastien de la lune

Kapitel zwei:
Sébastien des Mondes


Sébastien war erschöpft. Obwohl es selten vorkam, spürte er die bleierne Müdigkeit auf sich, die ihn niederdrückte und zum Schlaf zwingen wollte. Aber er hatte noch viel zu tun.
Das Treffen mit den Wolfshünen stand bevor. Jene, die von der Sonnengöttin geboren wurden und seit jeher mit den Mondkindern verfeindet waren. Ihr Geruch brannte in der Nase, sie stanken scheußlich. Nach Untier und nach Dreck. Sébastien rief nach den Elstern, den Vögeln des Mondes, und trug ihnen auf, über die Katakomben zu wachen. Eine von ihnen bevorzugte Sébastien als seine Begleiterin. Sie nannte sich selbst La Mer3 und war, wie auch die anderen Elstern, den Mondkindern treu ergeben. Den Namen verdankte sie dem bläulichen Schimmer in ihrem Gefieder.
Sie ließ sich auf Sébastiens Schulter nieder und flüsterte: „Die Nacht ist heller als sonst. Die Wolfshünen sind auf Jagd. Sei wachsam, Gebieter.“
Sébastien ging unbeirrt weiter durch den langen Flur des Untergrunds. Seine Schritte hallten in dem Tunnel wider und man hörte das Rascheln des Gefieders der Vögel, die stumm über ihnen hinweg glitten. Die Elstern patrouillierten außerhalb des Tunnels, der unterhalb einer Kirche lag und sich wie ausgestreckte Finger unter der Stadt ausbreitete, an den Grenzen zu den Revieren der Wolfshünen.
„Die Werwölfe wissen um mein Ersuchen. Sie werden mir nichts tun.“, sagte Sébastien nur und obwohl er wusste, dass Werwölfe ihre Versprechen nicht brachen, war er angespannter als sonst.
Das friedliche Zusammentreffen von Vampiren und Werwölfen war eine Seltenheit, die sich nur in äußersten Notfällen ereignen sollte. Der Rudelführer der Pariser Wölfe war ein Mann, der großen Einfluss auf die Maskerade vor den Menschen hatte. Er war der Hüter des Geheimnisses. Und er war Schuld daran, wenn die Maskierung brach und Menschen von den Mond- und den Sonnenkindern erfuhren.
Sonnenkinder, dachte Sébastien abfällig, Es hört sich edler an, als die Werwölfe es verdienen.
Die herbstliche Nacht war regnerisch in Paris und die Regentropfen verfingen sich in Sébastiens rostbraunem Haar, während er mit der für die Menschen unsichtbare Geschwindigkeit die nasse Straße hinunter eilte. Das einzige, was den Sterblichen auffallen könnte, wäre ein leichter Luftzug. La Mer saß noch immer auf seiner Schulter und krallte sich in den schwarzen Mantel.
Sébastiens Gedanken kreisten und wanderten viele Wege doch letztendlich landeten sie wieder bei den Wölfen. Er hatte einen langen Weg vor sich, er musste Paris verlassen und zu dem einzigen Ort gelangen, an dem Wölfe und Vampire vor Urzeiten geschworen hatten, ein kleiner Ort südlich von der französischen Hauptstadt, genannt Les-Inconnus4. Es war eine mittelalterliche, steinerne Stadt, teilweise zerfallen, in der kein Sterblicher wohnte. Dort war vor Jahren eine Krankheit ausgebrochen, die den Ort unbewohnbar gemacht hatte. Selbst in der Moderne wollte niemand dort verweilen. Obwohl es gemütlich dort war, milde Winter, heiße Sommer.
Für Unsterbliche kein Problem.
Sébastien nahm wieder das menschliche Tempo an und bedeutete La Mer, acht zu geben. Sie sträubte ihr Gefieder und schlug zwei-, dreimal mit den Flügeln. „Herr“, wisperte sie, „Warum trefft Ihr Euch mit den Wölfen?“
Doch der König antwortete nicht und schritt stattdessen zu einem Platz, in dessen Mitte ein Brunnen stand. An dem Brunnen lehnte eine Gestalt, die bestimmt einen Kopf größer war als Sébastien, was schon etwas heißen sollte. Es dämmerte zum Morgen und Sébastien fühlte die Sonne, die ihn peinigte.
Die Morgenröte war der Feind der Mondkinder.
„Bonjour, le roi5“, begrüßte der Wolfsmensch den Ankommenden.
„Lassen wir die Förmlichkeiten“, schnitt Sébastien ihm hart das Wort ab, „Du weißt, worum es geht.“
Der Mann setzte sich auf den Rand des Brunnens und grinste höhnisch und Sébastien erkannte eine Reihe messerscharfer Reißzähne. Er blinzelte kurz und sah den Werwolf in die braunen Augen.
„Erneut ist ein Mensch in unser Versteck eingedrungen.“, erzählte Sébastien knapp und zog die Brauen hoch.
Der Wolfsmann, genannt Martin le Grand6, wurde ernst.
„Sie streunen auch an unseren Grenzen. Dringen die Sterblichen ein, erledigen wir sie, aber die Menschen werden nach jenen suchen und bald wird unser Versteck ebenso gefunden, wie das Eure.“
Sébastien nickte. Die Werwölfe hatten dasselbe Problem.
„Was tun?“, fragte er.
„Aber König der Vampire“, sagte Martin leise, „Habt Ihr keinen Schlachtplan? Hat Euer Hofstaat versagt, was das Pläneschmieden angeht?“
Sébastien runzelte wütend die Stirn und knurrte: „Deshalb treffen wir einander, richtig? Dein Rudel ist ebenso ratlos.“
Martin schürzte die Lippen und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein helles Hemd leuchtete bleich auf seiner dunklen Haut.
„Es ist verboten, die Sterblichen zu töten, wenn die Mondkinder nicht an Blutmangel eingehen.“, erinnerte Martin und Sébastien verdrehte genervt die Augen.
„Ich bin mir der Regeln bewusst, Martin. Wir wissen um das Gesetz, die Maskerade zu waren. Womit wir beim Thema wären: Eigentlich seid ihr Werwölfe diejenigen, die die Maskerade haben bröckeln lassen. Es ist eure Pflicht, die Kinder der Gestirne im Geheimen zu halten. Und genau das ist es, was gerade in diesen Stunden nachlässt.“ In Sébastiens Stimme schwangen Ungeduld und Wut.
La Mer auf seiner Schulter war angespannt. Die kriegerische Elster erwartete jeden Moment einen Kampf der beiden, aber diese waren sich der Regeln bewusst. Morgen- und Abendröte waren friedliche Zeiten. Es war verboten, während der Dämmerung zu kämpfen. Denn während der Röte hielten Mond und Sonne inne in ihrem ewigen Tanz.
Martin streckte sich und kam auf Sébastien zu, der dem hoch gewachsenen Mannwolf fest ins Gesicht blickte, der sich etwas herunterbeugen musste. Fauliger nach Fleisch stinkender Atem schlug Sébastien ins Gesicht, aber er verzog keine Miene. La Mer auf seiner Schulter sträubte das Gefieder und reckte den Hals, wie Eulen es tun, bevor sie ihre Beute angreifen.
„Du meinst also, es wäre meine Schuld, dass die Menschen neugierig werden?“, grollte Martin und Sébastien nickte leicht.
„Du bist der Hüter der Maskerade, du bist schuldig, wenn sie berstet.“, zischte er und Martins Körper erzitterte. Er rang mit seiner Geduld. Wenn er den Vampir jetzt angriff, würde er bestraft werden mit Schmerzen, die schlimmer waren als der Tod.
Das Feuer in Sébastiens Augen war stark. Martin gab nach.
„Die Maskerade ist geschwächt.“, knurrte er leise, „Die Zeit hat sie zerschunden und jetzt liegt sie im Sterben.“
Sébastiens Augen weiteten sich und ein erschreckter Ausdruck trat in sein Gesicht. „Qu’est-ce que tu dis?7
Martin seufzte. „Du weißt, dass die Macht der Maskerade, die uns die Fähigkeit gibt, uns vor den Menschenaugen zu verbergen, in einen Kelch gebunden ist, der unser beider Völker Blut trägt. Er verbirgt uns vor den Blicken der Sterblichen und weilt seit jeher in der Obhut der Sonnenkinder.“
Sébastien wank ungeduldig ab. „Ich kenne die Geschichte des Kelchs. Was ist geschehen, dass die Macht versiegt?“
Martin legte den Kopf schief. „Vor langer Zeit schenkte Kain, der Sohn Adams und Evas, dem Mond und der Sonne seinen Ursprung und so gebaren sie Vampire und Werwölfe. Damit die drei Völker, Menschen, Werwölfe, Vampire, sich in ewigen Kriegen nicht gegenseitig auslöschten, mischte er das Blut seiner Kinder mit seinem eigenen, was die Macht der Maskerade entwickelte. So war jeder Rasse Blut gemischt und einander konnten sie doch nicht begegnen. Vampire sind an die Nacht gebunden. Wölfe an den Tag – mit menschlicher Gestalt natürlich.“
Sébastien runzelte die Stirn. „Warum versiegt die Macht, Martin? Ich kenne unser aller Geschichte. Die Zeit läuft mir davon.“ Er warf einen Blick zum Horizont im Osten, über dem schon ein roter Film schwebte und die Sterne verblassten.
Der Wolf atmete tief durch. „Ich weiß, Vampir. Die Macht also versiegt, weil das Blut versiegt.“
Verblüfft starrte Sébastien den Mann an. „Ce n’est pas possible…“8
Martin neigte den Kopf. „Das ist möglich.“, antwortete er, „Deshalb müssen wir das Blut wieder in den Kelch füllen. Königsblut, versteht sich.“
Der Vampir schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich würde einen Teil meines Blutes geben und du bist ebenfalls dazu verpflichtet, aber... wie sollen wir das Blut Kains erlangen? Kain lebte vor meiner Zeit. Er lebte vor der Zeit meines Vaters und dessen Vaters! Noch dazu wurde er verbannt!“
Martin le Grand verzog den Mund. „Kain wurde nur in etlichen biblischen Geschichten verbannt. In Wirklichkeit liegt er begraben in der weißen Krypta.“
„Die weiße Krypta existiert nicht mehr. Man hat sie während der französischen Revolution zerstört, wenn sie überhaupt existiert hat.“, widersprach Sébastien.
Doch Martin ließ sich nicht beirren. „Das Grab muss dort unten sein. Du weißt, wo, nicht wahr? Du bist dort gewesen vor über dreihundert Jahren.“
Sébastien zuckte bei der Erinnerung daran unwillkürlich zusammen.
„Oui.“9 , sagte er nur leise.
„Finde das Grab, Vampir, bring uns Kains Blut und die Menschen werden nie von uns erfahren.“, trug Martin auf.
„Le loup-garou est un filou, mon roi. Pourquoi est-ce qu’il ne viens pas là?10“ , flüsterte La Mer auf Sébastiens Schulter.
„Sie hat recht, Martin“, bestätigte dieser und Martin runzelte die Stirn, „Warum gehst du nicht hinab in die weiße Krypta? Immerhin seid ihr Wölfe die Hüter der Maske.“
„Kain hat sein Grab mit einem Fluch belegen lassen. Schon immer waren ihm die Vampire lieber als die Wölfe. Es ist eine Farce – eine Vampirdame hat ihn verführt, die erste Vampirin. Sie hat seinen Verstand verwirrt und so starb er in dem Glauben, die Wölfe seien die Verräter, die den Krieg zwischen Sonne und Mond angezettelt hätten. Er versiegelte das Grab mit dem Fluch, dass nur Vampire königlichen Blutes es öffnen können.“, erklärte Martin schnell und man konnte die Verzweiflung in ihm spüren.
Sébastien nickte. Er kannte die Geschichte.
Ein erster Sonnenstrahl brannte über dem Horizont und der Vampir zuckte zusammen. Der Schmerz zehrte wie ein Feuer von ihm, er sollte schnell fort.
„Die Reise ist mit Gefahren verbunden“, rief Martin ihm hinterher, „Dämonen Lucifers sind unterwegs!“
Der König der Vampire beschleunigte seine Schritte und die Welt um ihn herum verschwamm im blassen Rot des Morgens.

__________
3La Mer = Das Meer
4Les Inconnus = Die Unbekannten
5Guten Morgen, König.
6Martin le Grand - Martin der Große
7Was sagst du da?
8Das ist nicht möglich...
9Ja.
10Der Wolf ist ein Betrüger, mein König. Warum geht er nicht dorthin?

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Beitrag  Gast Sa 04 Okt 2008, 03:14


Chapitre trois:
L’oublier

Kapitel drei:
Das Vergessen


Als Claire die Augen aufschlug, schimmerte noch das letzte Licht der Sonne durch das einzige kleine Fenster, auf das sie bestanden hatte, als man ihr ein Zimmer zugeteilt hatte. Die Nachbilder ihres Traums verblassten vor ihren Augen an der Wand, an die sie Bilder von Sonnenauf- und Untergängen gehängt hatte und originale Noten von berühmten Komponisten. Außerdem ein Bild von jenem Mann, der in ihrem Traum erneut erschienen war, wie in so vielen zuvor. Sie kannte ihn nicht. Und doch hatte sie in ihrer Hosentasche sein Bild gefunden, als sie aus dem Schlaf vor langer Zeit erwacht war. War er ihr einstiger Geliebter gewesen, bevor sie vor sechzig Jahren verwandelt worden war? Oder einer ihrer Verwandten?
Sie hatte keine Erinnerung an ihr Leben vor ihrer Verwandlung und sie war die einzige, die sich nicht darüber freute. Émilie hatte immer gesagt, das Vergessen sei ein Geschenk. Nicht immer waren die Erinnerungen glückliche. Der einzige, dem die Erinnerung nicht geraubt worden war, war der König – Sébastien. Und er hatte ihnen allen eingebläut, dass sie sich glücklich schätzen sollten, dass sie das Vergessen geschenkt bekamen.
Niemand kannte seine Geschichte. Er versicherte nur stets, dass sie es nicht wert sei, gehört zu werden und so fragte auch niemand danach, obwohl es, so wusste es Claire, jeden interessierte.
Dieser Mann, den sie Tag für Tag in ihren Träumen sah, hatte einen dunkelbraunen Seitenscheitel und tiefdunkle Augen, sein Lächeln war angedeutet, aber sicher und er trug eine Uniform. Auf der oberen linken Ecke des Bildes stand etwas in schnörkeliger Schrift: Vincent Rigot.
Dieser Name und das Bild waren das einzige, was Claire aus ihrer Vergangenheit geblieben war und sie hütete es, wie einen Schatz. Sie hatte in Datenbänken nach Vincent Rigot gesucht, doch diejenigen, die sie gefunden hatte, hatten nichts mit ihrem Vincent zu tun.
Sie richtete sich auf und zog sich hellblaue Jeans und eine dunkelrote Bluse an, kämmte sich das hellblonde Haar und band es am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz, dann ging sie barfuss auf den Flur direkt ins Zimmer gegenüber, wo der Konzertflügel stand, auf dem gerade gespielt wurde.
Es war Sébastien, der erschöpft aussah und der, so wie Claire das schätzte, wohl den Tag über kein Auge zu getan hatte. Tiefdunkle Ringe lagen darunter und er war blasser, als es Vampire eh schon waren.
Desinteressiert ließ Claire sich auf einem der Sessel nieder und trank von dem Blut, das dort bereit stand.
Sébastien spielte etwas von Chopin, seinem Lieblinskomponisten, wie Claire glaubte, und war tief in der Musik versunken. Seine Augen waren geschlossen und seine Gesichtszüge entspannt.
So war er überrascht, als er sie entdeckte.
„Claire“, sagte er perplex, „Was tust du denn hier?“
Claire runzelte die Stirn. „Ich frühstücke. Was dachtest du denn?“
Sébastien schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich bin wohl etwas... schläfrig. Es war ein harter Morgen und etliche Vorbereitungen haben mich den Tag gekostet.“
„Was musstest du vorbereiten?“
Sébastien schüttelte müde den Kopf. „Später, Liebes, später. Das ist zu groß für dich.“
Claire rümpfte empört die Nase und stellte ihr Glas zurück. „Tu es un égoïste.“11, flüsterte sie leise.
Innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde stand Sébastien so nah vor Claire, dass sie seinen Atem auf der Haut spüren konnte. Sie hatte nicht einmal gesehen, wie Sébastien sich erhoben hatte. Vampirische Geschwindigkeit – einer der Vorteile, die dieses Leben bot.
„Nimm’ dich in acht, Claire Molière12. Geh’ nicht zu weit.“, flüsterte Sébastien wütend und Claire zuckte innerlich zusammen.
„Verzeih’, dass ich den Sohn des Mondes beleidigte.“, gab sie zögernd zurück. Sébastien und sie blickten einander an. Das Feuer in seinen hellgrünen Augen schlug hohe Flammen und schließlich wandte sie den Blick ab. Beschämt.
Sie spürte einen zarten Lufthauch, dann war Sébastien verschwunden. Nur sein zarter Geruch erinnerte daran, dass er vor wenigen Augenblicken noch am Klavier ein inniges Stück gespielt hatte.
„Claire Molière.“, wiederholte sie nachdenklich und trank einen Schluck des Tierbluts, das auf dem Tisch stand. Das edelste des Tierbluts war das des Rotwilds. Die Rehe und Hirsche waren die reinsten aller Tiere und die Unschuld in ihrem Blut mundete allen Vampiren.
Es war ihnen verboten, Menschen zu töten. Nur Eindringlinge bildeten die Ausnahme.
Claire schloss die Augen und erinnerte sich an Vincent Rigot. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass sie ihren Namen gehört hatte. Einfach nur ein Name. Doch so, wie Sébastien ihn ausgesprochen hatte, schien er einfach zu ihr zu gehören. „Das war mein Name.“, sagte sie sich, „Claire Molière.“
Es war ein Teil ihrer Vergangenheit. Ein anderes Leben.
Das Leben, das sie vergessen hatte.

__________
11 Du bist ein Egoist.
12 Molière - gesprochen "Mo-liär"

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Beitrag  Gast So 05 Okt 2008, 19:25


Chapitre quatre:
Des nuits seuls

Kapitel vier:
Einsame Nächte


Sébastien legte die Finger an seine Schläfen und schloss die Augen, während er angestrengt nachdachte. La Mer saß auf seiner Schulter und hatte die Äuglein geschlossen, aber sie war hellwach. Sie wachte über den König der Nacht.
Was soll ich bloß tun?, stellte er sich die Frage, die ihn seit dem Vorfall mit dem Sterblichen verfolgte, Was soll ich bloß tun?
Er seufzte verzweifelt und wütend. Er war ihrer aller König. Er musste sie doch vor einer jämmerlichen Bedrohung wie den Menschen beschützen. Er musste ihnen ein Vorbild sein – den Ausweg aus jeder Situation finden.
Doch er war ratlos.
Was soll ich bloß tun?
Er musste zuerst zur weißen Krypta finden. Hätte sie je existiert war sie nun zerstört – vor drei Jahrhunderten während der Revolution untergegangen. Und der Weg zur rätselhaften Grabesstelle Kains war gefährlich, denn er führte durch die Unterwelt, gespickt von Lucifers Dämonen, den eigentlichen Todfeinden der Mondkinder. Sie griffen jeden an, der ihnen im Weg war, auch einander, und tötete man sie, so verbrannte man in dem Sonnenlicht, das in ihren Körpern weilte. Ihnen zu begegnen bedeutete den Tod. So oder so. Kains Grabmal war mit einem Fluch besiegelt laut dem nur königliche Vampire die Gruft betreten durften. Damit kam nur er in Frage, aber allein würde er es nicht schaffen, Kains Blut zu erlangen. Er brauchte Hilfe. Aber dieses Angewiesensein bedeutete Schwäche. Er durfte vor seinem Volk keine Unfähigkeit zeigen, das würde ihren Respekt ihm gegenüber kosten und außerdem seine Macht in Frage stellen. Er benötigte die Hilfe von jemandem, von dem er sicher sein konnte, dass derjenige schwieg.
Aber sie waren wie eine Schar Hühner: Begann einer zu gackern, plärrte bald der gesamte Stall.
Émilie vielleicht. Sie schien vernünftig. Aber sie ließ sich leicht verführen – ein paar liebe Worte hier, Augenzwinkern da, ein Kompliment zur richtigen Zeit und schon plapperte sie los.
Ein anderer der Mondkinder, denen Sébastien Verschwiegenheit zutrauen konnte war Guillaume Merdrignac13. Die beiden kannten einander seit zweihundertsiebenundsiebzig Jahren. Einander kennen gelernt hatten sie sich, als sie während Uraufführung der Oper Il Demetrio von Antonio Caldara am Hoftheater in Wien in ein kleines Handgemenge geraten waren. Dabei war Guillaume so übel zugerichtet worden, dass Sébastien ihn hatte verwandeln müssen. Allerdings war Guillaume nicht dafür veranlagt, in die Untiefen zu steigen, Schlachten zu schlagen und eine gesamte Existenz zu retten. Er war einfach zu... schwach. Einfach ein Mann, der nicht für Abenteuer und Gefahren gemacht worden war.
Sébastiens Gedanken wanderten viele Wege. Viele, komplizierte Wege. Wege, die über Hügel führten, durch Tunnel und Täler und letztendlich landete er wieder in seinem hellen großen Kreiszimmer unter der Erde, dessen Wände mit der Geschichte aller Mondkinder bemalt war, mit dem Stammbaum Sébastiens Familie. Bis zu seiner Generation.
Und er saß hier. Einsam.

Vincent Rigot. Claire Molière. Namen, die Bedeutung hatten. Nicht aber für Claire. Claire hatte keine Ahnung von Vincent, keine Ahnung von den Molière. Hatte sie Familie gehabt? Vielleicht eine kleine Schwester oder einen großen Bruder, Mutter und Vater? Wer hatte ihr das Klavierspielen beigebracht? Sie hatte es seit jeher gekonnt. Unmittelbar nach ihrer Verwandlung.
Sébastien hatte sie alle verwandelt. Er war der einzige, der dazu fähig war – sie einfache Vampire waren nicht dazu in der Lage. Nur die Nachkommen des Mondgottes – die Könige – hatten diese Fähigkeit.

Claire streckte sich auf ihrem Bett aus und zündete die Kerze an, die auf dem Nachttisch stand.
Sie wünschte sie hätte gewusst, was es mit Vincent auf sich hatte. Vincent Rigot. Der Name klang so... vertraut, obwohl sie keine Ahnung hatte, wer dieser Mann überhaupt gewesen war.
Als Claire aus ihrem Schlaf erwacht war, hatte sie Schmerzen gehabt, die sie so gepeinigt hatten, dass sie am liebsten gestorben wäre. Sébastien hatte ihre Hand gehalten und mit ihr gesprochen. Sie erinnerte sich nicht an seine Worte, aber die Stimme würde sie nicht vergessen. Émilie war auch da gewesen, hatte mit Sébastien gesprochen. Vorwurfsvoll hatte ihre Stimme geklungen und bedauernd, als sie sich an Claire gewandt hatte.
Dieses Handhalten war die einzige vertraute Berührung gewesen, die sie und Sébastien erlebt hatten. Aber er, so hatte Émilie erzählt, ging mit jedem neuen Vampir so um. Sprach ihnen Mut für das neue Dasein zu, entschuldigte sich für die Schmerzen und wachte an der Seite, bis die Schmerzen nachließen. Claire hatte schon bei einer Verwandlung zugesehen. Am liebsten hätte sie dem Jungen seinen Wunsch erfüllt, ihn zu töten, statt ihn weiter Qualen leiden zu lassen, aber Sébastien hatte sie kaltherzig fort geschickt.
Claires Gedanken wirbelten durcheinander, wie ein Sturm, hoch hinauf und hin und her. Und letztendlich landeten sie wieder bei ihr.

Auch Émilie spürte die Einsamkeit in dieser Nacht stärker als sonst. Der kleine Wald im Osten von Le Havre flüsterte ihr heimliche Worte zu. Sie war auf der Jagd mit noch zwei anderen ihrer Art. Guillaume und Dolores, einer der älteren Generation, die etwas jünger als Sébastien war. Guillaume bewegte sich wie ein Schatten durch die Nacht, nicht einmal sie, Émilie, die mit dem guten Gehör, konnte ihn wahrnehmen. Und Dolores, im Körper einer neunjährigen Schottin, hatte den feinsten Geruchsinn. Sie bildeten die perfekten Jäger.
Doch heute Nacht war Émilie mit ihren Gedanken nicht ganz bei der Jagd. Die Hirsche spürten sie, bevor sie angreifen konnte und so konnten sie in dieser Nacht nur zwei junge Böcke erlegen, deren Blut unrein schmeckte von den Kämpfen, die sie ausgetragen hatten, während der Brunft.
„Was ist mit dir, Émilie?“, fragte Dolores, als sie in vampirischer Geschwindigkeit auf dem Weg zurück nach Paris waren, das Blut der beiden Böcke in großen Karaffen tragend.
Émilie schwieg vorerst. Sébastien hatte sie gefragt, ob sie bereit wäre, ihr Leben für das einer ganzen Existenz zu geben und sie hatte antworten müssen. Spontan hatte sie an Claire denken müssen, die ihr ans Herz gewachsen war. Auch wenn Émilies Körper der einer Fünfzehnjährigen war, so hatte die Erfahrung der hundertvier Jahre, die sie trug, gelehrt, dass man Freunde brauchte, wenn man ewig lebte. Claire sollte nicht einsam sein.
Warum hatte Sébastien so eine Frage gestellt? Sie hatte nicht antworten können. Und so hatte sie in ihrer Verwirrung nach Dolores und Guillaume gerufen um eine Jagd zu organisieren. Nun hatte ihre Gedankenlosigkeit eine karge Beute eingebracht. Das Blut der beiden Tiere reichte vielleicht für drei Nächte. Vampire tranken nie viel – pro Nacht höchstens ein halber Liter.
„Ah, ein unruhiger Geist“, stellte Guillaume fest und lächelte.
Émilie lächelte zögernd zurück, aber ihr Geist, wie Guillaume es so schön gesagt hatte, war unruhig und so verging die Nacht.

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13Merdrignac – gesprochen „Mer-dri-njak“

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Au revoir, la lumière du soleil [19.10] Empty Re: Au revoir, la lumière du soleil [19.10]

Beitrag  Gast So 19 Okt 2008, 02:26

Chapitre cinq:
La désespérance de Sébastien

Kapitel fünf:
Sébastiens Verzweiflung

Sogar das Bisschen morgendliches Sonnenlicht, das durch das Handgroße Fenster in Claires Zimmer drang, schmerzte Sébastien. Jeder Sonnenstrahl war zu viel.
Er saß an Claires Bett und betrachtete sie, wie sie schlief. Unruhig wälzte sie sich hin und her, murmelte den Namen, der sie nie mehr verließ.
Vincent Rigot.
Die Vergangenheit, die sie nicht loslassen konnte, verfolgte sie und Sébastien hätte ihr gern geholfen. Er verstand genau, wie Claire sich fühlte. Sie wollte kein Vampir sein. Sie wollte das Leben nicht aus wehrlosen Wesen rauben. Sie wollte nicht für immer an die Nacht gebunden sein.
Und doch hatte Sébastien sie nicht sterben lassen können. Sie hätte den Tod gefunden, wenn er sie nicht gefunden hätte.
Er erinnerte sich an die Nacht, in der er Claire verwandelt hatte.
Sie war so verzweifelt gewesen.
Würdest du mir beistehen, dachte er und massierte sich die Nasenwurzel, Würdest du mir beistehen?
Er war alt. Er war des Lebens überdrüssig. Zu gern hätte er sich in den ewigen Schlaf gelegt. Doch vorher war noch viel zu tun. Er runzelte die Stirn und rieb sich über das Gesicht, wie Männer es häufig tun, wenn sie nicht weiterwissen.
Dann betrachtete er wieder Claire. Letztendlich war sie ihm nur so viel wert, wie all’ die anderen – sie war ein Untertan seiner und sie hatte ihm zu gehorchen. Warum sträubte sie sich?
Leise erhob sich Sébastien und öffnete die Tür. In dem Moment schlug Claire die Augen auf.
„Verzeih’“, sagte Sébastien leise, ohne sich zu ihr umzudrehen. Er schämte sich nicht, dass er in das Zimmer einer schlafenden jungen Frau eingedrungen war, aber es war eine der letzten menschlichen Angewohnheiten, die er hegte. Das Verzeihen.
„Ich bin schon die ganze Zeit wach.“, antwortete Claire und setzte sich auf, während Sébastien noch immer in der Tür stand und ihr den Rücken zuwandte, „Worüber hast du nachgedacht?“
Sébastien schüttelte den Kopf. „Ce n’est pas important.“14
Sie wusste, dass er sie anlog. Und er wusste, dass sie es wusste. Aber sie fragte nicht weiter und so ging er.
So sehr Abneigung sie auch gegen Sébastien hegte, er arrogant, intrigant und selbstsüchtig war, empfand sie Mitleid für ihn. Er war alt und einsam. Niemand im Hofstaat konnte ihn wirklich ausstehen.
Sie hatte immerhin Émilie. Und Esteban, den Spanier, der erst vor ein paar Monaten verwandelt worden war und der noch viel lernen musste. Er hatte sie gefragt, als er Hilfe gebraucht hatte, das bedeutete Claire viel.
Die Morgensonne, die durch das kleine, runde Fenster auf den Platz vor Claires Bett schien, wo Sébastien gesessen hatte, schmerzte auch Claire. Die Sonne würde sie nicht verbrennen, aber sie löste einen Wahnsinn im Innern des Körpers aus, einen peinigenden Schmerz, der das Kind der Nacht bis zum Tod foltern konnte. Letztendlich gingen Vampire nur am Schmerz ein. Aber sie konnte sie nicht loslassen, die Sonne.
Claire legte sich wieder hin und schloss die Augen. Sie schlief nur langsam ein, da die Gedanken wieder wanderten. Während Paris erwachte.

Émilie begegnete Sébastien auf dem Rückweg von der Jagd in den Gemeinschaftsraum. Sie stand auf einer Leiter und hatte ihn schon von weitem erblickt.
„Sébas!“, grüßte sie ihn, aber er eilte nur stur an ihr vorbei in sein großes Zimmer und ignorierte sie. Leicht entrüstet füllte sie das Blut von ihrer nächtlichen Jagd aus den Karaffen in einen großen Tank, der in der Mitte des Gemeinschaftsraums unter der Decke hing und mit Porzellan, Blattgold und Edelsteinen verziert war. Am unteren Teil des Bottichs waren in gleichmäßigen Abständen fünf Zapfventile angebracht, unter denen stets sauber geputzte Gläser standen, bereit verwendet zu werden.
Guillaume saß in einem der Sessel und kicherte.
„Was ist?“, fragte Émilie.
Er sah sie lächelnd an. „Hast du wirklich geglaubt, Sébastien würde zurückgrüßen? Du kennst ihn doch. Er ist stur und ignorant.“
Émilie stieg von der Leiter und griff nach dem zweiten Krug mit Blut. „Und dennoch seid ihr beide beste Freunde.“, stellte sie fest und schüttelte verständnislos den Kopf.
Guillaume erwiderte nichts darauf. Er schmunzelte. War er sein bester Freund? Er und Sébastien kannten einander so gut, dass sie im Blick des anderen lesen konnten. Sie waren häufig zusammen auf Jagd und unterstützten einander, gaben sich Ratschläge, scherzten selten auch mal miteinander. Aber waren sie Freunde? Guillaume empfand tiefe, innige Freundschaft, aber was war mit Sébastien?
In Gedanken versunken erhob sich Guillaume und ging zu Sébastiens Zimmer. Er war das größte aller Räume und auch der schönste. Die große Flügeltür bestand aus schwarzem Ebenholz und der Boden war mit edelstem Marmor gepflastert. Vampire lebten eben gern luxuriös.
Guillaume war der einzige, der nicht anzuklopfen brauchte, wenn er Sébastiens Zimmer betrat, das über drei Stockwerke reichte. Und es war kreisrund, die Wände waren mit dunklen Holzregalen bestellt, die mit unzähligen Büchern bestückt waren. Das zog sich über zwei der Stockwerke. In der Mitte des Raums war eine Wendeltreppe. Rechts davon ein großer Billardtisch, dahinter ein eigener Bottich mit Blut, links bequeme Sitzgelegenheiten. Der rote Samtteppich dämpfte alle Schritte. An der Säule, um die sich die Wendeltreppe schlang, waren Bilder aller Mondkönige gehängt und sie sahen einander alle ähnlich. Die Generationen reichten zurück bis Kain, der, unbeschreiblich schön, kalt von seinem Bild herunterblickte.
Guillaume schritt langsam die Treppe hoch, deren Stufen ebenfalls mit rotem Samt bezogen waren. Der zweite Stock ähnelte dem ersten: Die Wände mit dem gewaltigen Bücherregal verdeckt und roter Teppich. Links von Guillaume stand ein großer, schwarzer Schreibtisch, dahinter ein bequemer Ohrensessel. Hinter ihm befand sich an der Wand, wo das Regal entsprechend unterbrochen wurde, eine große Couch, davor ein kleiner Tisch, auf dem große Stapel Papiere, Pergamente und Bücher lagen, als hätten sie keine Ordnung, aber Sébastien fand dennoch, was er suchte. Daneben stand eine große Musikanlage in dem Regal, aus der sanfte Klänge von Chopin ertönten.
Rechts von Guillaume an der Wand hatte man aufwändig den Stammbaum der Königsfamilie gezeichnet. Sébastiens Vater, König Sylvain de la lune sah Sébastien unglaublich ähnlich. Das fiel Guillaume jedesmal auf, wenn er hier war.
Vor Guillaume stand Sébastien mit dem Kopf gegen das Portrait seiner Mutter gelehnt. Er stand gebückt und atmete schwer. Guillaume wusste sofort, dass er wütend war. Verletzt und dadurch wütend, wie ein Tier. Letztendlich war es ja auch das, was sie alle waren: Tiere.
„Du findest einen Weg“, sagte Guillaume friedlich, „Du hast ihn immer gefunden.“
„Du hast keine Ahnung.“, gab Sébastien giftig zurück, „Ihr alle habt keine Ahnung, worum es geht.“
Guillaume runzelte die Stirn. „Dann sag mir, worum es geht, damit ich die Ahnung hab.“
Doch Sébastien schwieg erbittert. Sein Körper erzitterte und man hörte ihn stoßweise atmen. Guillaume ging einen Schritt auf ihn zu und legte dem König eine Hand auf die bebende Schulter.
„Was hat die Zeit dir nur angetan?“, fragte Guillaume leise.
Sébastien fuhr herum und Guillaume zuckte zurück. Sein Freund war blass, die Wangen waren eingefallen, tiefdunkle Ringe lagen unter seinen Augen, das Feuer in ihnen verlosch langsam. Lange starrten die beiden einander an. Schließlich entspannten sich die Züge des Königs.
„Die Zeit lässt die Maskerade brechen, mein Freund.“, murmelte Sébastien leise, „Wirst du mich begleiten, das Blut Kains zu bergen?“
Guillaume runzelte die Stirn. Zögerte.
„Wirst du es tun?“
„Sébastien“, sagte Guillaume leise und beschämt, während er zurückwich, „Du redest wirr. Die... die Maskerade kann nicht brechen. Sie ist unsterblich.“
Sébastien schüttelte den Kopf. „Das dachten wir alle. Die Wölfe sagen es. Sie sind die Hüter, sie werden es wissen.“
Guillaume erhob die Stimme. „Die Wölfe? Sie lügen! Sie wollen doch nur, dass du in dein Verderben rennst. Sie wollen uns vernichten, Sébastien.“
Sébastien packte ihn am Kragen und zerrte ihn an sich heran. „Du nennst mich einen Narr?“, zischte er nah an seinem Ohr und spürte den schnellen Herzschlags Guillaumes an seiner Brust.
„Aber wir sind Freunde!“, flüsterte Guillaume heiser. Sébastien stieß ihn von sich. Ließ ihn ziehen.
Und versank beinahe in der Verzweiflung.

__________
14 Das ist nicht wichtig.

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Beitrag  Gast So 19 Okt 2008, 20:39


Chapitre six:
La chaperonne

Kapitel sechs:
Die Begleiterin

Als Émilie Sébastien sah, wagte sie nicht zu sprechen. Er sah furchtbar aus, das rotbraune Haar hing ihm wirr ins eingefallene Gesicht und das Feuer in seinem Blick spiegelte die Verwirrung in seinem Geist. Stumm ging er durch den Gemeinschaftsraum nach draußen.
Claire, die an ihrer Seite stand, blickte Sébastien genauso fassungslos hinterher, wie jeder im Raum. Esteban war es schließlich, der fragte: „Was ist mit dem König?“
Émilie zuckte die Schultern. „Er sieht furchtbar aus.“ Ihr Blick glitt zu Guillaume, der auf dem Sofa saß und abwesend an einem Schlüssel herumfummelte. „Er macht eine Menge durch.“, antwortete dieser und sorgte für Schweigen.
Guillaume blickte wütend in die Runde. „Es geht euch nichts an.“
Somit wandten sich alle wieder ihren eigenen Angelegenheiten zu und Émilie sprach mit Claire.
„Die Jagd war furchtbar. Horrible!“15 , beschwerte sich Émilie, „Es schien mir, als würde mein Jagdinstinkt nachlassen.“
Claire kicherte. „Du wirst alt, Émilie.“
„Es mag sich merkwürdig anhören, aber es schien mir so, als wüsste ich, dass ich mich nicht mehr auf meine Spürsinne verlassen kann. Als würde ich diese Fähigkeit verlieren, mich auf einfach treiben zu lassen von den Intuitionen.“, erklärte Émilie ernst, „Als hätte ich das Jagen verlernt.“
„Mir ging es ebenso“, bemerkte Dolores, die, so sagte sie es jedenfalls, zufällig mitgehört hatte, „Es schien mir, als würde meine Nase nichts mehr unterscheiden können. Tut mir leid, wenn ich das so sage, aber ich bin froh, dass es dir genauso geht.“
„Was ist mit Guillaume?“, fragte Claire und blickte zu dem Jäger mit den blonden Haaren und den dunkelbraunen Augen, der den Kopf zu ihr drehte, als er seinen Namen hörte.
„Ich habe nichts gespürt. Keine Veränderung. Alles wie immer.“, sagte er kurz und wandte sich wieder ab.
Auch Claire hatte nichts Anderes gespürt. Aber Émilie und Dolores schienen sich sehr sicher. Claire wusste, dass sie die Wahrheit sprachen. Sie hatte schon immer ein Auge für Recht und Unrecht gehabt.
Was war aber mit Sébastien los? Am Morgen hatte er so erschöpft ausgesehen. Jetzt war er völlig zermartert.
„Vielleicht hat Sébastien ein bisschen vergiftetes Blut gekostet.“, scherzte Dolores, „Und das hat ihm die Suppe versalzen.“
Émilie lachte. „Oui, oui. Oder ihm ist jemand auf den Fuß getreten. Ihr wisst, wie schnell er auf die Palme geht, wenn ihm jemand oder etwas zu nah kommt.“
„Die einzige, die jemals seinen Körper erkunden durfte“, fuhr Dolores ihren Spott fort, „War dann wohl La Mer.“
Émilie verkniff sich ein Lachen. „Was die wohl schon alles erkunden durfte...?“
Claire runzelte die Stirn. „Jetzt übertreibt es nicht. Noch dazu ist La Mer ein Vogel!“, murrte sie, aber Dolores und Émilie sahen sie nur kichernd an.
„Sei kein Spielverderber!“, sagte Émilie, „Oder bist du etwa eifersüchtig auf La Mer?“
Es ging jeden Tag so. Claire war es inzwischen satt und deshalb stand sie auf und ging einfach. Die beiden würden sich schon wieder einkriegen. Mit ihnen war es jedesmal dasselbe. Aber Sébastien war heute anders gewesen.
Schnell hatte sie den Gemeinschaftsraum verlassen, doch jetzt schlenderte sie langsam durch den Flur, der zu Sébastiens, Émilies und dem Elsternzimmer führte. Der Gang zu ihrem, dem Musik- und dem Medienzimmer lag direkt gegenüber auf der anderen Seite des Gemeinschaftsraumes, der wie ein Knotenpunkt alle Tunnel vereinte.
Vier andere Tunnel erstreckten sich unterhalb von ganz Paris und wieder andere zu den Zimmern der anderen. Insgesamt waren sie vielleicht drei Dutzend Vampire in Paris. Sie alle hatten ein Zimmer, aber die lagen unterschiedlich viele Meter voneinander entfernt. Das Zimmer des Erwachens, wo die Neugeborenen aus dem Tod erwachten, lag am weitesten entfernt und etwas außerhalb südlich von Paris.
Claire stand unschlüssig vor Sébastiens Zimmertür. Wenn sie jetzt eintrat, würde sie entweder den Ärger ihres Lebens bekommen oder... Nein. Sie würde den Ärger ihres Lebens bekommen.
Aber sie wünschte sich, dass Sébastiens Laune sich besserte. Und das war ein selbstsüchtiger Gedanke, denn wenn es Sébastien gut ging, konnte er keinen Ärger an ihnen auslassen.
Sie atmete tief ein und klopfte an.
Keine Antwort.
Sie legte die Stirn an das Holz.
„Sébastien“, flüsterte sie kaum hörbar.
In dem Moment wurde die Tür aufgerissen und Sébastien stand vor ihr. Sein Blick glitt kurz über sie. „Was willst du? Du hast hier nichts zu suchen!“, fuhr er sie barsch an.
Claire starrte ihn wütend an. „Eigentlich wollte ich mich nach dir erkundigen. Aber da du noch Kraft hast, mich anzuschreien, scheint es dir gut zugehen. Gott sie Dank, es geht dir gut: Du bist unfreundlich, ignorant, selbstsüchtig, eingebildet und verständnislos. Ich hatte schon gefürchtet, du hättest dich geändert!“, gab sie wütend zurück und stolzierte davon, ließ Sébastien verdattert in der Tür stehen.
„Claire“, rief er ihr hinterher, doch sie drehte sich nicht um.
„Na, wie fühlt sich das an?“, fragte sie noch gereizt, dann knallte die Tür zum Gemeinschaftsraum hinter ihr zu.
Die Blicke aller lagen auf ihr, als sie quer durch den großen Raum stürmte, die Tür dort aufriss und verschwand.
Am Flügel spielte sie „Das Lied vom Sturm“, das sie selbst komponiert hatte, in das sie all’ ihre Wut und ihren Ärger über Sébastien und dieses gesamte Leben steckte und das laut und wild gespielt wurde. Es dauerte lang und es wurde schon Morgen, als sie ihren Frust in der Musik gedämpft hatte.
Der Tag tat ihr nicht weh, das waren nur die Sonnenstrahlen. Rein theoretisch hätte sie bei Regen und geschlossener Wolkendecke nach draußen gehen können. Aber es war verboten.
Und so spielte sie den ganzen Tag, während über Paris ein Sturm den Himmel verdunkelte.
Es war Sébastien, der sie in ihrem inzwischen sanfteren Spiel unterbrach. „Verschwinde“, sagte Claire ruhig, als er die Tür hinter sich schloss, sie spielte unbeirrt weiter. Sie hatte eben ein Stück von Chopin angestimmt, doch jetzt wechselte sie schnell zu einem Eigenen.
„Komm’ mit mir, Claire.“, hörte sie seine leise Stimme.
Ungläubig blickte sie nach rechts, wo Sébastien noch immer vor der Tür stand und sie wartend musterte. „Komm’ mit mir.“, wiederholte er bittend.
Und obwohl Claire nicht wusste, wovon er redete, obwohl sie nicht wusste, was er meinte und wohin sie ihn begleiten sollte, sagte sie: „Oui, mon roi.“16

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15 Furchtbar!
16 Ja, mein König.

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