Forks Bloodbank
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Nessie & Jake - Zwischen den Welten

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Nessie & Jake - Zwischen den Welten - Seite 3 Empty Re: Nessie & Jake - Zwischen den Welten

Beitrag  esme78 Fr 25 Feb 2011, 15:38

Jake

Ich saß, auf meiner Unterlippe kauend, neben Charlie im Streifenwagen und trommelte nervös gegen die Plastikverschalung.
Abwechselnd huschte mein Blick zwischen der Uhr an der Armatur und der Eingangstür des Rathauses hin und her.
Ohne, dass ich es verhindert konnte, spulte mir mein Unterbewusstsein immer wieder den gleichen Film vor die Linse. Krähen, Feuer, Zerstörung: irgendetwas war da im Argen. Wie eine überdimensionale Gas-/Schlammblase, in der es stetig vor sich hin köchelte und die bald vor dem Platzen stehen würde.
Genauso ging es mir auch; mit meiner Geduld war es schon lange vorbei. Dumm dazusitzen, zum Abwarten verdammt, war so gar nicht mein Fall. Ich brauchte jetzt dringend etwas, auf das ich eindreschen konnte.
Charlie neben mir wurde bleich um die Nase, während er vergeblich versuchte gelassen zu wirken. Meine Gegenwart war ihm alles andere als angenehm. Nachdem er die Auseinandersetzung zwischen Seth und mir, vor einigen Tagen, hautnah mitbekommen hatte, konnte ich ihm seine Nervosität schlecht verübeln.
Kurz überlegte ich, mal eben im Wald zu verschwinden, um überschüssige Energien loszuwerden, da kamen Nessie und die Anderen schon zurück. Schnell stiegen wir aus. Nessie war ganz aufgeregt, ihre Wangen glühten. Wyatt hingegen war ganz cool. Er kam direkt auf Charlie und mich zu und verkündete mit siegessicherem Grinsen: „Rache ist ein Gericht, das am besten eiskalt serviert wird.“

Der Kerl gefiel mir. Endlich einer, der meine Einstellung zu der Sache teilte. Ich schlug ihm breit grinsend auf die Schulter. Charlie hingegen verzog skeptisch das Gesicht. Wyatt zückte sein Mobiltelefon, um Alice zu informieren, die nur auf sein Signal gewartet hatte. Dummerweise konnte sie nicht sehen, was Wyatt unter Hypnose in Erfahrung gebracht hatte.

Dann trennten sich unsere Wege. Charlie, Ranjan, Dexter und Wyatt machten sich mit dem Band auf den Weg zur Polizeistation. Bella und Edward machten sich gleich wieder auf den Weg zum Cullenhaus, bevor sie noch irgendjemand hätte sehen können. Sie wollten etwas bei der Peoples Best Holding hinter die gelackte Fassade blicken.
So standen Nessie und ich alleine da. Charlie bestand darauf, dass ich mich aus den Nachforschungen raushalten sollte. Anscheinend war ich ihm eine Spur zu aufgekratzt. Ganz toll!
Nachdem wir gerade nichts tun konnten, überlegte ich mir, Nessie zu einem kleinen Rennen zum Strand zu überreden, als ihr Handy piepte.
„Das war Melinda. Sie fragt, ob wir auch zum Zirkus kommen“, gab sie den Inhalt der Nachricht wieder.


Nessie

Der Regen zog nun endgültig vorüber, sodass sogar mal ein Streifen blauen Himmels zu sehen war. Die Vögel nutzten die Gelegenheit, die Baumkronen zu verlassen, um ihre Gefieder vom Regen zu befreien - zwitschernd begleiteten sie uns auf unserem Weg. Vor dem Zirkus Mendozza herrschte reges Treiben. Inmitten der vielen Menschen, die nicht, wie ich zuerst dachte, aus der Vorstellung geströmt kamen, entdeckte ich Melinda. Bei genauerem Hinsehen entdeckte ich auch viele unserer Mitschüler unter den Anwesenden.

„Was geht denn hier vor sich?“, murmelte Jake vor sich hin.
„Lass uns nachsehen.“ Da kam Melinda schon auf uns zu. Mit enthusiastischem Gesichtsausdruck nahm sie mich in den Arm.
„Schön, dass ihr uns auch helfen wollt. Schau dir an, wie viele Mitstreiter wir schon für den Zug begeistern konnten. Hinten auf dem großen Tisch werden fleißig Plakate gepinselt, und hier haben sich einige einen Schlachtruf ausgedacht. Ich sage euch, dass wird imposant aussehen morgen.“ Ihre Begeisterung war ungebremst; sie ging völlig auf, in dem was sie tat.

Da bahnte sich Lance einen Weg durch die jungen Leute zu uns. Er lächelte mich schuldbewusst an und versuchte mir die Situation von vorhin irgendwie zu erklären.
„Hey Nessie. Es tut mir echt leid, wegen vorhin. Ehrlich, so kenne ich Celeste gar nicht.“ Dabei hob er abwehrend die Hände. „Das habe ich auch schon Luke und Lucas gesagt. Sie steht einfach ein wenig neben sich“, versicherte er verlegen grinsend.
Aus dem Augenwinkel musterte er Jake ein wenig ängstlich, was mir nicht nur sein erhöhter Puls, sondern auch die Schweißperlen, die sich unter dem Haaransatz sammelten, verrieten. Ich legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Mach dir keine Gedanken. Es war ja nicht dein Fehler.“
Wir nickten stumm und liefen gemeinsam zu den Unterkünften.
Jake trat dicht neben mich und flüsterte leise in mein Ohr: „Muss ich wissen, was das eben zu bedeuten hatte?“
Lieber nicht schlafende Hunde wecken, dachte ich bei mir, und schüttelte nur den Kopf.

Die Vorbereitungen für die Demonstration morgen lenkten mich zumindest für eine Weile von den Ereignissen rund um das Rathaus und den düsteren Machenschaften des Stadtoberhauptes ab.
Mrs. Brikley debattierte mit nicht enden wollender Hartnäckigkeit. Sie und die Mitglieder des Naturschutzbundes konnten ihre Empörung über das Vorhaben von Bürgermeister Davis kaum zügeln. In Jose und Maria Mendozza fanden sie auch die geeignete Zuhörerschaft; natürlich erst, nachdem sie sich von der guten, wenn auch nicht gerade artgerechten, Haltung der Zirkustiere überzeugen konnten.
Es lag eine ganz eigene Atmosphäre über dem Gelände, keiner konnte sich der aufgeheizten Stimmung entziehen.
Jake versprach Gideon morgen mit seinen Jungs vom Reservat den Zug zu unterstützen. Wie ich den Stamm bisher kennengelernt hatte, rechnete ich mit nicht weniger als allen.
Gordon Davis hatte mit seinen ambitionierten Plänen nicht nur die Bewohner des Küstenstreifens enger zusammengeschweißt – nein, er hatte sich sein eigenes politisches Grab geschaufelt. Und er würde mit der Unbeirrbarkeit eines Lemmings über eben diese Klippe springen.


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Beitrag  esme78 Mi 09 März 2011, 18:34

Mikado


Jake

Nachdem ich am Abend mit Nessie am Häuschen angekommen war, bat ich sie, mich für einige Zeit zu entschuldigen:
„Ich möchte gerne noch einmal mit Seth reden. Er hat Wynona alles erzählt…ich möchte ihm Gesellschaft leisten. Ob er überhaupt reden will, wird sich noch herausstellen.“ Dabei umarmte ich sie und küsste sie auf die Stirn. Sie rieb mir sanft über den Rücken.
„Geh, und sei einfach für ihn da“, nickte sie mir aufmunternd zu. Zum Dank, für ihr Verständnis, gab ich ihr einen sanften Kuss. Meine Hände streiften ihre Arme hinab bis zu ihren Fingerspitzen. Kurz verschränkten wir unsere Hände, bevor ich kehrt machte und losrannte.

In Wolfsgestalt hatte ich Seth recht bald ausfindig machen können. Ich war mir nicht sicher, was genau ich erwartet hatte, aber auf seine wirren Gedanken konnte ich mir zunächst keinen Reim machen. Innerlich auf alles gefasst, lief ich auf ihn zu. Er marschierte zielstrebig seine Runde an der Grenze zu den Makah auf und ab. An seiner Seite, Jared.

Hey Seth! Wie geht´s Dir? Ich reihte mich ein und glich meine Schritte den beiden an. Er musterte mich von der Seite.

Wo warst du den ganzen Tag? Ja, so kannte ich Seth. Erst einmal eine Gegenfrage.

Beim Zirkus. Die halbe Stadt ist auf den Beinen, wegen der Demo morgen. Ihr kommt doch mit, oder?

Klar, diesem Mistkerl muss man mal gehörig in den Arsch treten. Jared hatte sofort angebissen. Doch Seth war mit seinen Gedanken wieder ganz woanders.

Gut! Aber jetzt erzähl mal, Seth. Wie hat sie überhaupt reagiert? Er verlangsamte das Tempo, bis er endgültig stehen blieb.

Wir haben lange geredet. Es war unbeschreiblich. Der Wald riecht nach so einem Regenguss einfach herrlich, findet ihr nicht? Als dann noch die Sonne raus kam…ihre Haare schimmern blauschwarz in der Sonne, einfach…

..wunderschön? Ja, es hatte ihn ordentlich erwischt, soviel stand fest. Das ist doch phantastisch. Er legte die Ohren an und sein Blick wurde mit einem Mal traurig verklärt. Sein Kopf sank immer tiefer unter seine massigen Schultern.

Sie glaubt mir nicht. Sie sagt, das Schicksal hätte sie und ihre Familie schon zu oft betrogen, als dass sie an Bestimmung glauben könnte. Ich starrte ihn sprachlos an. Sie hat früh ihre Mutter verloren, deshalb reagiert ihr Vater oft etwas eigenwillig, meint sie, erklärte er weiter.

Aber überleg doch mal. Du hast selbst gesagt, dass du mit ihr eine Zukunft haben wirst. Jareds Kopf huschte zwischen uns hin und her.

Das mag sein, aber sie hat mich gebeten, ihr etwas Abstand zuzugestehen. Sie braucht Zeit … und die werde ich ihr geben, sinnierte Seth.
Tja, auch wenn man weiß, dass man auf dem richtigen Weg ist, und seine Reise unbeirrt fortsetzten will, so ist es trotz allem mühsam, die Hindernisse, die einem den Weg versperren, zu überwinden.


Wynona

Es war bereits später Nachmittag, als ich nach Hause zurückkehrte. Die Dämmerung, die nun viel früher einsetzte, deutete den endgültigen Abschied des Sommers an. Nachdem ich mich vor über einer Stunde von Seth verabschiedet hatte, war ich kaum in der Lage meiner Familie gegenüber zu treten - viel zu viele Dinge gingen mir durch den Kopf.
Ich zog die Strickjacke, die mir Rachel gegeben hatte, enger um mich, doch das Frösteln wollte einfach nicht verschwinden. Mich beschlich die ungute Ahnung, dass mein langes Ausbleiben noch Konsequenzen nach sich ziehen würde. Ich sollte Recht behalten.

„Du kommst spät. Wo hast du die ganze Zeit nur gesteckt? Dein Vater ist außer sich vor Sorge.“
Kaya, die ältere Schwester meiner Mutter, stand, in ihrem Poncho eingewickelt, mit mürrischer Miene in der Tür. Ich stiefelte wortlos, mit gesenktem Kopf, an ihr vorbei ins Haus. Leider wurde ich in meinem Versuch, der Standpauke einfach aus dem Weg gehen zu wollen, von meinem Bruder aufgehalten. Er stand direkt am Eingang meines Zimmers und blockierte mir somit den Weg.

„Kiowan, darf ich bitte vorbei? Ich möchte mich umziehen, um Kaya bei den Vorbereitungen für das Abendessen zu helfen“, bat ich ihn ausweichend, um ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Er schaute mir lange in die Augen, trat dann aber beiseite, mit den Worten: „Na schön. Du willst nicht reden? Bitte.“
Ich wusste, dass das nur ein Aufschub war, denn so leicht war ich ihm noch nie entgangen. Als jüngste Schwester von vier Brüdern, war es schwer meinen Stand in der Familie zu finden. Natürlich hatte ich in Tante Kaya zumindest eine Verbündete, doch letzten Endes entschied mein Vater, was für mich das Beste zu sein hat. Ich zog mich um, packte schnell die fremden Kleidungsstücke in einen Beutel und versteckte ihn unter meinem Bett. Ein letzter Blick in meinen Spiegel, der mir eine völlig andere Wynona zeigte als noch heute Morgen, ein tiefer Seufzer, und dann stellte ich mich meiner Familie.

Der Geruch von frischen Kräutern und Tomaten und der große, gusseiserne Bräter, der auf dem Herd stand, verrieten mir, dass es heute Bratfisch geben würde. Ich trat neben Kaya an die Spüle. Sie war gerade damit beschäftigt die Fische auszunehmen. Ich nahm die Fische entgegen, trocknete sie mit Küchenpapier ab, um sie dann in den vorbereiteten Sud zu legen. Kaya beobachtete mich mit Argusaugen. Rasch und zielstrebig erledigte ich meine Arbeit; ich wollte ihr keinen Anlass geben, sich weiterhin meinetwegen zu grämen. Sie war für mich gleichsam Mutter und Schwester, die ich beide nicht hatte, und die beste Freundin. Doch selbst ihr gegenüber wagte ich keine Silbe zu erwähnen, von dem, was mich, seit meinem Gespräch mit dem Nachbarstamm, zutiefst beschäftigte.

Als alle am Tisch versammelt saßen, und ich den Fisch auf den Tellern angerichtet hatte, kehrte Vater nachhause zurück. Er zog sich seine Stiefel aus, entledigte sich seiner Regenjacke und wusch sich an der Spüle die Hände. Noch mit dem Handtuch in der Hand trat er an meine Seite.
„Wynona, mein Augapfel, was hast du dir nur dabei gedacht? Du bist ganz alleine in den Wald gegangen.“
Er warf Kaya einen missbilligenden Blick zu, worauf sie wiederum seinem Blick auswich. Er legte das Handtuch über die Stuhllehne und fasste mich an den Schultern.
„Habe ich dir nicht immer und immer wieder eingebläut, dass es gefährlich ist, alleine im Wald umherzustreunen?“

Es versetzte mir einen Stich, zu sehen, wie mein Vater Kaya anfunkelte. Ich hatte ihre Gutmütigkeit innerhalb weniger Tage gleich zweimal ausgenutzt. Das erste Mal, als ich mich vor einigen Tagen in aller Frühe raus geschlichen hatte, um meinem Vater und meinen Brüdern zu einem geheimen Treffen zu folgen, von dem ich eigentlich gar nichts hätte erfahren sollen. Und dann ließ ich mich auch noch von einem der Quileute, denen wir bis vor einigen Monaten noch freundlich gesonnen gewesen waren, mitschleifen und geriet nun in einen echten Gewissenskonflikt. Natürlich stieß die veränderte Stimmung, dem Nachbarstamm gegenüber, bei einigen von uns auf Unverständnis, doch Waneta ließ keinen Zweifel an seinen Handlungen zu. Es wird schon gute Gründe geben, warum der Häuptling so handelt, redeten sich alle ein. Ich hingegen war skeptisch und so hatte ich die Gelegenheit genutzt, Seth zu folgen und mir die ganze Geschichte zumindest anzuhören. Ich hatte ja keine Ahnung, was ich dort erfahren werden würde.
Vater behielt mich die ganze Zeit in festem Griff. Da ich ihm nicht antwortete, schüttelte er mich leicht.
„Ich möchte wissen, was du dir dabei gedacht hast.“
Mit leerem Blick sah ich ihn an. Ich öffnete die Lippen und sagte: „Was haben euch die Quileute denn nur angetan, dass du ihnen so kaltherzig die Grundlage ihrer Existenz rauben kannst, Vater?“
Sein Blick versteinerte sich. Besteck fiel klirrend auf Porzellan.


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Beitrag  esme78 So 20 März 2011, 00:45

Nessie

Ich machte es mir mit einer Tasse Tee vor dem lodernden Kaminfeuer gemütlich und grübelte. Vor dem Häuschen hörte ich nur einen einsamen Fleckenkauz, der sich mit seinen Rufen die Einsamkeit vertreiben wollte. Damit wären wir schon zu zweit, dachte ich mir. Ich nahm einen tiefen Schluck aus meiner Teetasse und sah mich um.
Hier saß ich nun. Ich war nach Forks gekommen, um ein normales Leben zu führen.Fernab von mystischen Fabelwesen und rotäugigen Blutsaugern. Ich wollte einmal normal sein, wie alle anderen auch. Stattdessen lernte ich die menschlichen Abgründe kennen, aus denen ein skrupelloser Kleinstadtbürgermeister, der auf seinem Weg nach ganz oben in der politischen Hierarchie über Leichen gehen würde, schöpfte - und auch noch der irrsinnigen Annahme verfallen war, damit durchzukommen.
Oder ein rechtschaffener, traditionsbewusster Führer eines Indianerstammes, der sich durch blinden Hass zu weitreichenden Taten gezwungen sah, dessen Folgen er in seiner Kurzsichtigkeit schlichtweg übersehen haben musste. Und dann war da noch ein gewisses Medium, das mit seinen Worten mehr Verwirrung als Klarheit in das ganze Durcheinander brachte.
Ja, es war alles ganz anders gekommen. Die Frage nach dem Warum, erschien mir äußerst mühselig, darum legte ich mich zur Seite und bettete meinen müden Kopf auf die Lehne des Sofas und schloss die Augen – ließ einfach los.

Vor mir erhob sich ein riesiger Gebirgskamm, dessen Gipfel von Schnee überzogen waren, und der Wind blies mir die Melodie des Nordens entgegen, der die Schneeflocken auf ihrem Weg begleitete. Es rauschte in meinen Ohren und ich fror entsetzlich. Die eisige Kälte umklammerte mich mit festem Griff. Angst stieg in mir auf und ich blickte mich hektisch um. Doch dann entdeckte ich ein kleines Licht in der Ferne. Mühsam verengte ich die Augen, um meinen Blick zu fokussieren. Langsam bewegte ich mich auf das geheimnisvolle Licht in der Ferne zu, ohne auch nur einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ich spürte, wie mir wieder wärmer wurde. Die Starre, in der ich mich befand, fiel von mir ab und ich konnte wieder tief einatmen. Vertraute Aromen erfüllten mich, mit jedem Atemzug. Ich spürte etwas Weiches unter mir und eine warme Berührung umschmeichelte meine Wange. „Träum süß“, hauchte mir eine tiefe Stimme ins Ohr. Dann verschwamm wieder alles, wie in einer Seifenblase.

Am nächsten Morgen wurde ich durch ein leises Summen geweckt, das von einem warmen Luftzug an meinem Ohr begleitet wurde. Schläfrig blinzelnd öffnete ich die Augen. Ich hatte Mühe, mich daran zu erinnern, wie ich wohl am Abend ins Bett gefunden hatte.
„Guten Morgen, du Murmeltier. Immer noch nicht ausgeschlafen?“ Jake lächelte mich an. Er lag seitlich auf den Ellenbogen gestützt, den Kopf in die linke Hand gelegt, da. Mit der anderen Hand strich er mir die Locken aus dem Gesicht. Sein Gesichtsausdruck war sorgenvoll.
„Als ich gestern Abend kam, lagst du zusammengekauert auf dem Sofa und hast gezittert wie Espenlaub. Fühlst du dich nicht wohl?“ Mit seiner großen Hand fuhr er über meine Stirn, um zu überprüfen, ob mit meiner Temperatur etwas nicht stimmte.
„Mir geht es gut“, versicherte ich ihm.
Es war also nur ein Traum. Jetzt erinnerte ich mich wieder daran. An das Gefühl der Kälte und Einsamkeit, die seine Gegenwart mit einem Mal in Wärme und Geborgenheit verwandelte. Ich setzte mich langsam auf und spürte, dass meine Glieder schwer wie Blei waren. Am liebsten hätte ich mich wieder unter der Decke verkrochen und weiter geschlafen, doch ich musste in die Schule. Wovon war ich nur so erschöpft, ging es mir durch den Kopf. Jake zog mir die Decke weg und hievte mich aus dem Bett. Ich quälte mich unter die Dusche, während Jake sich um das Frühstück kümmerte. Durch das prasselnde Nass fühlte ich mich nach und nach wieder wie ich selbst. Mit geschlossenen Augen stand ich unter den Wasserstrahlen und genoss die wohlige Wärme. Danach zog ich mich schnell an und trat mit knurrendem Magen in die Küche.

Jake hatte Pfannkuchen gezaubert und brutzelte Speck in der Pfanne. Ich lud mir den Teller mit beidem voll und bemerkte mit dem ersten Bissen, dass diese Kombination nicht nur interessant roch, sondern auch mehr als annehmbar schmeckte. Jake erzählte mir in allen Einzelheiten von Seth und Wynona. Bei seinen Schilderungen von Seths Gefühlschaos seufzte ich auf. Ich hatte mir so viel für ihn gewünscht; er sollte endlich glücklich werden.
Ich verabredete mich mit Jake nach dem Unterricht an der Schule, schließlich wollten die Bewohner von Forks heute auf demokratische Weise ihre Stimme erheben. Ich fragte mich, was Charlie letztendlich aus den Informationen, die wir von Davis erhalten hatten, gemacht hatte, und wie sich dieser Donnerstag entwickeln würde - denn in Forks gab es keine langweiligen Tage.


Jake

Den ganzen Weg zum Zirkus überlegte ich, was wohl mit Nessie los war, in der letzten Zeit. Normalerweise schlief sie nicht so viel, und bisher musste sie eher mich vor dem Verschlafen bewahren als umgekehrt. Vielleicht lag es nur am Wetter; der heutige Morgen schlich mit Nebelschwaden dahin, als wollte er sich ebenfalls wieder verkriechen. Die Luft war feuchtkalt und die Sonne, die kein Durchkommen durch die dicke Wolkendecke fand, hatte keine Chance den Nebel aufzulösen. Seth und Paul waren bereits bei der Arbeit, als ich ankam. Sie hatten sich mit mir dazu bereit erklärt, die Plakate und Banderolen für die Demo mit Pauls Transporter vom Zirkus nach Forks zu transportieren. Dabei gingen uns Maria und José hilfreich zur Hand. Nebenbei unterhielten wir uns.

„Mir juckt es gewaltig unter den Fingernägel, um ehrlich zu sein. Ich würde euch nur zu gerne später begleiten“, seufzte der Direktor.
Ich verriegelte die Ladeklappe und wandte mich ironisch grinsend an José.
„Ich will ihnen ja nicht zu nahe treten, aber, glauben sie im Ernst, dass heute Nachmittag irgendjemand ihre Vorstellung besuchen wird?“
Er hob die Schultern und legte den Kopf zur Seite. „Wenn ich die Wahl hätte zwischen einer gefüllten Vorstellung und einer gut besuchten Demonstration, würde ich mir letzteres wünschen.“ Maria trat neben ihren Mann und umschlang mit ihren Armen seinen stattlichen Bauch.
„Mein Mann, der Revolutionär“, brummte sie vergnügt, worauf er laut schallend zu lachen begann. „Zu dumm nur, dass ich kein Laserschwert in meinem Besitz habe, um euch im Kampf gegen das Imperium zu unterstützen.“

José war wirklich einmalig. Trotz der Geldsorgen, die durch die Reparaturen am Zelt nach dem Unwetter sicherlich schwer auf seiner Seele lasteten, sprudelte er nur so vor Optimismus, oder vielleicht war es doch Galgenhumor. Wenn es dabei bleiben sollte, dass sie in nicht weniger als zwei Wochen ihre Zelte abbrechen und erneut auf Reisen gehen mussten, blieb dem Zirkus nicht mehr viel Zeit, die Kassen zu füllen. Die beiden wünschten uns viel Glück und winkten uns nach, als wir auf die Straße in Richtung Forks einbogen.


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Nessie & Jake - Zwischen den Welten - Seite 3 Empty Re: Nessie & Jake - Zwischen den Welten

Beitrag  esme78 Do 24 März 2011, 11:00

Labyrinth


Wynona

Wie ein verängstigtes Rehkitz irrte ich durch den Wald. Die Sicht wurde mir unentwegt durch die immer wieder aufkommenden Tränen genommen, so stolperte ich mehr, als dass ich zügig vorwärts kam. Ich hatte kein echtes Ziel vor mir, nur den Drang davonzulaufen. Der vergangene Abend brachte alte Wunden zum Vorschein, von deren Existenz ich nicht einmal etwas geahnt hatte. Wut, Trauer, Hass – Gefühlsausbrüche, die ich von meinem Vater so bisher gar nicht gekannte hatte, begleitet von einem Geständnis, das zudem jahrelang sein Gewissen belastete haben musste. Unfähig, dem, was er mir da beichtete, etwas entgegenzusetzen, hatte ich seinen Ausbruch ertragen.
Kaya hatte immer wieder versucht ihn zu beruhigen. Nachdem er schließlich wutentbrannt das Haus verlassen hatte, sah ich mich meinen Brüdern gegenüber, die mir mit vorwurfsvollen Blicken zu verstehen gaben, dass ich mich da lieber nicht eingemischen hätte. Ich saß über Stunden wie betäubt in meinem Zimmer und starrte auf das gerahmte Bild meiner Mutter, welches auf meinem Tisch stand. Mein Vater kehrte in dieser Nacht nicht nach Hause zurück, auch meine Brüder blieben verschwunden.
Die schreiende Stille im Haus machte mich fast wahnsinnig. Kurz vor dem Morgengrauen hielt es nicht mehr aus. Ich packte meine Stiefel und die Regenjacke und schlich mich fort.
Ein Schwarm Krähen, der lautstark krächzend um das Haus flog, jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken und ich rannte wie eine Getriebene davon.


Jake

Zum verabredten Zeitpunkt kamen wir mit dem Transporter bei der Kirche an. Da der Zug erst am frühen Nachmittag von hier losziehen würde, und die Schüler sich nach der Schule hier versammeln wollten, erklärte sich Mr. Webber bereit, die Plakate in der Kirche unterbringen. Doch der Pfarrer war nicht bei der Kirche. Auch nach einer halbstündigen Wartezeit, in der mittlerweile Seth und die anderen Jungs eingetroffen waren, fehlte von ihm jede Spur. Die Kirche war abgesperrt und auf mein Klopfen reagierte niemand.
Mist, dass ich seine Nummer nicht habe, dachte ich, als plötzlich jemand auftauchte, mit dem ich an diesem Vormittag überhaupt nicht gerechnet hätte.

Kiowan kam in einem alten Ford direkt neben uns zum Stehen. Die Verwunderung war jedem von uns ins Gesicht geschrieben. Der hatte Nerven - stellte sich alleine dem gesamten Rudel. Nennt mich einen Hellseher, aber irgendetwas sagte mir, dass er nicht gekommen war, um sich mit uns über die Nebelsuppe zu unterhalten.

Offenbar kommt er diesmal nicht in offizieller Funktion, beschlich mich der ironische Gedanke zurück an unser letztes Aufeinandertreffen. In Jeans und Sweatshirt wirkte er gleich weniger arrogant, als bei besagtem Treffen. Doch da war etwas in seinem Gesicht, was mir gar nicht gefiel. Er stiefelte direkt auf Seth und mich zu. Die Jungs nahmen uns sofort in ihre Mitte – hätte er auch nur gehustet, wäre ihm das nicht sonderlich gut bekommen.

„Was willst du, Kiowan?“, fragte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Doch er beachtete mich gar nicht, sondern fixierte Seth mit düsterer Miene.
„Wo ist sie?“
Stille.
„Wynona. Wo ist meine Schwester? Mach bloß den Mund auf, sonst werde ich ungemütlich.“ Seth war wie vom Blitz getroffen, ganz im Gegensatz zu den Jungs, die alle noch einen Schritt näher an uns heran traten. Ich hob abwehrend die Arme.
„Hey, hey. Ich denke du beruhigst dich jetzt besser, bevor die Sache hier ausufert.“ Seth griff nach meinen Armen und zog sie herunter. „Was sagst du da? Wynona ist verschwunden?“
„Tu nicht so unschuldig, du Bastard. Du hast ihr nachgestellt. Sag wo sie ist, oder ich brech dir sämtliche Knochen“, fiel er Seth mit blitzenden Augen an. Von allen Seiten griffen starke Hände nach ihm und hielten ihn im Zaum.
„Das bringt doch nichts. Er weiß nicht, wo sie ist. O.k.? Warum erzählst du uns nicht lieber, was passiert ist?“, stellte ich mich den beiden in den Weg.
Er überlegte kurz und blickte sich gezwungenermaßen höflich um. Seth nickte den Jungs zu, die ihn augenblicklich losließen. Er verlagerte das Gewicht, um sicheren Stand zu finden, und fing an zu erzählen, dass es am Vorabend zu einer Auseinandersetzung zwischen ihr und ihrem Vater gekommen war, und das sie am heutigen Morgen spurlos verschwunden war.
„Ich glaube nicht, dass…“, versuchte er seinen Auftritt zu rechtfertigen.
„Jetzt hörst du mir mal zu!“, fuhr Seth ihm über den Mund. „Wenn du glaubst, ich würde hier tatenlos rumstehen, während sie vielleicht in Schwierigkeiten steckt, dann hast du dich aber gewaltig geschnitten. Solange du mit deinem Schattenich planlos im Labyrinth des Waldes umherirrst, könnte ihr Gott weiß was zustoßen. Also komm endlich von deinem hohen Ross runter und bitte uns einfach um unsere Hilfe – nicht, dass ich auf deine Erlaubnis warten würde.“

So kam es, dass wenig später Seth und ich einträchtig neben Kiowan in dessen Ford sitzend aus der Stadt tuckerten. Als wir den Stadtrand erreichten, mussten wir allerdings zu Fuß weiter. Doch bevor wir uns verwandelten, hielt mich Kiowan an der Schulter zurück.
Mein Blick folgte seiner Hand entlang in sein Gesicht, dessen Miene ich nicht recht zu deuten wusste. Waffenstillstand war ein heikler Zustand, daran wollte ich ihn gerade erinnern, als er sagte: „Woher wusstet ihr, dass wir für eure Misere verantwortlich sind?“
Interessante Frage. Das war das erste Eingeständnis, dass einer der Makah uns gegenüber machte.
Ich gab ihm nur einen Namen zur Antwort: „Billy.“
Er nickte.
„Darf ich dich auch etwas fragen?“ Ich war einfach neugierig. Er hob fragend die Augenbrauen.
„Woher wusstest du, wo du uns heute finden würdest?“
Er kicherte in sich hinein und antwortete: „Billy.“


Zuletzt von esme78 am Sa 05 Jan 2013, 01:13 bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
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Nessie & Jake - Zwischen den Welten - Seite 3 Empty Re: Nessie & Jake - Zwischen den Welten

Beitrag  esme78 So 03 Apr 2011, 00:12

Nessie

Auch an diesem Tag war von Celeste nichts zu sehen. Es schien sie aber auch niemand wirklich zu vermissen. Im Gegenteil. Dank ihres Ausbruchs am Vortag war die Schülerschaft Gott sei Dank aus ihrem Schneewittchenschlaf erwacht und würde später geschlossen an der Demonstration teilnehmen, ebenso die Lehrerkräfte.
Soweit war Gideon zufrieden, mit dem, was wir in der kurzen Zeit erreicht hatten. Als dann endlich der erlösende Klingelton den Schulschluss einläutete, setzte sich eine aufgeregte Menge von jungen Menschen zu Fuß in Richtung Stadtmitte in Bewegung. Da ich noch auf Jake warten wollte, blieb ich alleine zurück. Als ich suchend meinen Kopf nach ihm reckte, klingelte es in meiner Tasche.
Schnell fischte ich mein Handy hervor und nahm das Gespräch an. Es war Jake.

„Hey, ich dachte schon, du hättest mich vergessen.“
„Schatz, du musst leider auf mich verzichten. Ich bin mit Seth und Kiowan unterwegs. Den Rest erkläre ich dir später. Die Jungs erwarten euch an der Kirche. Aber Pfarrer Webber ist nicht erschienen.“ Er überschlug sich beinahe und klang dabei sehr bedrückt.
„Was ist denn los? Was heißt das >er ist nicht erschienen„Ich hab keine Ahnung. Frag Melinda, vielleicht weiß sie mehr.“
„Gut, das werde ich. Pass auf dich auf“, bat ich ihn.
„Bis später.“ Dann hatte er schon aufgelegt. Hatte er Kiowan gesagt?

Ohne weiter darüber nachzugrübeln lief ich los. Mit schnellen Schritten versuchte ich Anschluss an die Menschenmenge vor mir zu finden. Schließlich bahnte ich mir einen Weg durch meine Mitschüler, während mein Blick über die Köpfe schweifte, auf der Suche nach Melinda.
Da konnte ich ihren Schopf etwas links vor mir ausmachen. Ich schlängelte mich, mit den Ellenbogen voran, durch die Leute und fasste sie am Oberarm. Sie drehte sich erschrocken um.

„Nessie, da bist du ja endlich! Ich dachte schon, du hättest es dir anders überlegt.“
„Melinda, weißt du, wo dein Großvater ist? Er wollte sich mit Jake und den Jungs an der Kirche treffen, wegen der Plakate.“ Melinda sah mich ungläubig an.
„Er ist nicht dort gewesen?“
„Nein, Jake hat mich gerade angerufen“, erklärte ich ihr.
Fassungslos schüttelte sie den Kopf. Der Tross riss uns weiter mit sich in Richtung Kirche, von wo aus die Demonstration starten sollte. Sie versuchte ihrerseits ihren Großvater telefonisch zu erreichen, wobei sie sich krampfhaft die Ohren zuhalten musste, um bei der Geräuschkulisse überhaupt etwas zu verstehen.
„Ich kann ihn auch nicht erreichen. Er hat sein Handy abgeschaltet. Merkwürdig.“ Da kämpfte sich Gideon zu uns durch.
„Habt ihr gesehen? Da vorne. Ganz Forks ist auf den Beinen.“
Er hatte Recht. Allen lockenden Versprechen zum Trotz, hatten sich die Bewohner der kleinen Stadt auf ihre Wurzeln besonnen und zogen das ländliche Idyll, in dem ein kleiner Fleckenkauz seine Heimat gefunden hatte, dem Konsumterror vor. Angeführt von Mrs. Brikley und ihren Mitstreitern vom Naturschutzbund, setzte sich der Zug planmäßig in Bewegung. Melinda versuchte immer wieder bei Pfarrer Webber durchzukommen. Erfolglos.

Die Straßen verwandelten sich in Kanäle, die den reißenden Strom von Menschen kaum fassen konnten. Mir fiel auf, dass auch Mrs. Newton nicht unter den knapp dreitausend Teilnehmern zu finden war. Oder war sie bereits am Rathaus?
Dort angekommen - wir waren eine ganze Stunde unterwegs - verlief sich der Menschenstrom in die anliegenden Nebenstraßen, denn der Vorplatz war auf solch eine Versammlung nicht einmal annähernd ausgerichtet.
Ich hielt unentwegt nach Charlie Ausschau. Er wollte im Anschluss an die Kundgebung Bürgermeister Davis einen denkwürdigen Besuch abstatten, den ich mir um nichts in der Welt entgehen lassen wollte.
Am Eingangstor entdeckte ich ihn. Er stand auf dem Podest, neben Mrs. Brikley, die via Megaphone versuchte, sich Gehör zu verschaffen. Er winkte mich zu sich.



Jake

Mit Kiowan als Bremse auf zwei Beinen kamen wir nur langsam voran. Seth beschloss, nachdem er Wynonas Spur aufgenommen hatte, vorzulaufen. Ich trottete ihm hinterher, immer darauf achtend Kiowan nicht zu verlieren. Einerseits konnte ich auf diesem Wege mit Seth in Kontakt bleiben und sicherstellen, dass wir nicht unnötig Zeit verlören, andererseits konnte ich mich während der Suche nicht mit Kiowan austauschen. Es hätte mich schon brennend interessiert, zu erfahren, was der Auslöser für den Streit gewesen war. Ich musterte ihn unentwegt von der Seite, was ihm ganz und gar nicht zu gefallen schien.
Schließlich fuhr er mich an: „Und ihr nennt euch Vampirjäger? Pha! Das ich nicht lache.“ Ich knurrte ihn mit funkelnden Augen an.
„Ich kenne sehr wohl eure Geschichte“, wetterte er weiter. „Wie kann man nur so hinterrücks die eigenen Werte verraten? Ich begreife das beim besten Willen nicht.“
Er musste völlig lebensmüde gewesen sein, sich in der Gegenwart eines Wolfes, der obendrein noch jedes seiner Worte verstehen konnte, so dermaßen leichtsinnig zu verhalten. Alleine sein selbstgerechter Gesichtsausdruck reichte aus, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten. „Und eins schwöre ich euch: Wenn ihr irgendetwas zugestoßen ist, dann habt ihr einen Erzfeind hinzugewonnen.“
Ich musste mich schon sehr beherrschen, um ihn nicht augenblicklich anzufallen.
Just in diesem Moment meldete sich Seth.

Jake, ich hab hier was gefunden. Komm schnell! Ich hob den Kopf und spitze die Ohren, während ich mich gen Norden ausrichtete.
Kiowan schien die Veränderung zu bemerken, denn er fragte: „Was ist? Hat er sie gefunden?“

Ohne auch nur eine Sekunde zu verlieren, machte ich auf dem Absatz kehrt und hebelte den verblüfft dreinschauenden Kiowan aus seinem Stand auf meinen Rücken. Sobald ich seine Hände in meinem Fell krampfhaft nach Halt suchen spürte, rannte ich los. Wynonas Geruch wurde immer intensiver, je näher wir Seth kamen.
Wir stießen an einer Anhöhe in der Nähe der Interstate auf ihn. Er kauerte neben einer großen Wurzel. Bei näherer Betrachtung erkannte ich Wynonas Anhänger, der am Lederband zwischen Seths Zähnen baumelte.
Kiowan kletterte von mir herunter und griff sich den herzförmigen Anhänger: „Sie hat die Apachenträne nie abgenommen.“
Die beklemmende Stille, die daraufhin einsetzte, schürte nicht nur in Seth dunkle Phantasien. Was war nur geschehen?


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Beitrag  esme78 Sa 09 Apr 2011, 22:00

Schach Matt


Nessie

Charlie wartete gar nicht erst das Ende der Kundgebung ab, sondern stiefelte, in meiner und Hilfssheriff Marks Begleitung, zielstrebig direkt die Stufen hinauf, den Korridor entlang, bis er vor Emilias Schreibtisch stehenblieb. Er nickte ihr kurz zu und legte die Hand an den Messingknauf der Tür.
„Chief Swan! Moment mal! Sie können da jetzt nicht rein gehen. Haben Sie überhaupt einen Termin?“ Er hielt kurz inne und bedachte die Sekretärin mit einem Augenzwinkern, während er auf seinen Stern tippte.
„Sie sehen doch, dass ich kann.“ Somit verschaffte er uns Einlass. Mrs. Folder folgte uns mit einem heiseren „Ja, aber...“.

Gordon Davis sah verwundert auf, als wir unangemeldet in sein Büro eintraten. Er beendete schnell sein Telefonat und erhob sich.
„Charlie, was gibt es denn so dringendes? Haben Sie die Meute da draußen etwa nicht mehr im Griff?“, scherzte er. Noch. Als ihm aber langsam zu dämmern schien, dass das Auftreten des Chiefs dienstlicher Natur war, wurde er ernst. „Was soll dieser Überfall?“

Charlie trat ihm gegenüber und zückte seine Handschellen. „Bürgermeister Davis, ich verhafte Sie wegen Amtsmissbrauch, Versicherungsbetrug, Brandstiftung und wegen Korruption in mindestens zwei Fällen. Ich werde Sie nun über ihre Rechte belehren.“
Mit steinharter Miene ließ Davis den Vortrag über sich ergehen, sein Blutdruck stieg merklich und bescherte ihm eine unschöne Zornesröte im Gesicht.
„Haben Sie Ihre Rechte verstanden, Mr. Davis?“, wollte Charlie abschließend von ihm wissen.
Davis blieb der Mund offen stehen. Man konnte ihm förmlich ansehen, wie er seine Optionen abschätzte, gedanklich diesen oder jenen Satz formulierte, der ihm sein Gesicht zu wahren helfen sollte. Dann setzte er sich langsam wieder auf seinen Sessel. Er nahm sich eine seiner Zigarren und zündete sich diese genüsslich an. Er blies einen runden Rauchkreis in unsere Richtung und fing mit einem Mal an zu lachen. Zweifelsohne sah er sich noch immer über jeden Verdacht erhaben.

„Charlie, Charlie, Charlie. Beinahe hätten Sie mich erwischt. Eine wahrhaft bühnenreife Inszenierung. Ich wäre fast darauf herein gefallen.“ Unterstützend steckte er sich die Zigarre wieder in den Mundwinkel und applaudierte. Sein verräterischer Angstschweiß, der mir aus jeder seiner Poren entgegen kroch, strafte ihn jedoch Lügen. Innerlich brodelte es in ihm.
„Oh, dieses Kompliment gebe ich gerne zurück. Ich muss schon sagen, schauspielerisch kann Ihnen hier keiner das Wasser reichen“, entgegnete Charlie gänzlich unbeeindruckt.

Davis war sein aufgesetztes Grinsen wie ins Gesicht gemeißelt und stückchenweise wieder abgebröckelt, als er ruckartig auffuhr und zu poltern begann: „Wie kommen Sie nur darauf, derart ungeheuerliche Behauptungen in den Raum zu stellen, denen jedwede Grundlage fehlt?“ Seine Stirn lag in Falten und sein Atem ging stoßweise. Er nahm einen weiteren tiefen Zug seiner Zigarre und blies den Qualm ebenso energisch von sich, wie die Anschuldigungen, die gegen ihn erhoben wurden. Währenddessen wechselte seine Gesichtsfarbe von hellrot zu burgundrot.
„Oh, wenn Sie das gerne hier ausdiskutieren möchten, kann ich Ihnen gerne das, mir heute Morgen zugekommene, Geständnis eines gewissen Roger Holt verlesen.“ Davis riss die Augen noch weiter auf und die Kinnlade fiel ihm herunter, samt Zigarre.
„Der Name ist Ihnen ein Begriff?“, stichelte Charlie weiter. „Achtung, Sie sollten Ihre Zigarre lieber im Aschenbecher aufbewahren. Wie schnell so ein Feuer um sich greift brauche ich Ihnen doch sicherlich nicht zu erklären.“
Mit ironischem Lächeln nahm Charlie die Zigarre mit Daumen und Zeigefinger auf und drückte sie sorgfältig im Aschenbecher aus. „Die nehme ich als Beweismittel mit. Sie haben doch nichts dagegen?“
Es dauerte nicht lang, bis sich der Bürgermeister wieder einigermaßen gefangen hatte. Er lief wutentbrannt in seinem Büro auf und ab und schimpfte wie ein Rohrspatz. „Sie sind ein Narr, Charlie! Forks wird vor die Hunde gehen. Zum Kuckuck nochmal, erkennen Sie denn nicht, was ich für diese Stadt alles getan habe?“
Hilfssheriff Mark nahm den Zigarrenstumpen von Charlie entgegen, sodass der mit beiden Händen seiner weiteren Tätigkeit nachgehen konnte. Mit dem Klacken der Handschellen, die sich um Davis Hände schlossen, erwiderte Charlie nur gelassen: „Nicht Kuckuck, Fleckenkauz. Abführen!“
Das Stadtoberhaupt wurde von Mark bei den Armen gepackt und, an der völlig aufgelösten Emilia Folder vorbei, nach draußen geführt. Im Vorbeigehen schrie er seiner Sekretärin zu, sie solle seine Frau verständigen, damit sie sofort nach Forks zurückkehrte.

Charlie blieb, mit in die Hüften gestemmten Händen, neben mir stehen und grinste zufrieden.
„Es war ein Leichtes, Patrick Wilder wie zufällig auf die kleinen Hinweise zu stoßen, die ihm zu der Erkenntnis verhalfen, dass es sich doch um Brandstiftung handelte. Ebenso wie die Unterlagen, die Bella und Edward über die Peoples Best Holding zusammengetragen haben, bei der Staatsanwaltschaft den Verdacht erhärteten, dass die Vergabe des Centers an Forks nicht zufällig stattgefunden hat. Ein richterlicher Durchsuchungsbefehl verhalf mir dann noch zu der fehlenden Einsichtnahme in Davis´ Finanzverkehr, um die kürzlich eingegangene Versicherungszahlung für Newtons Outdoor-Geschäft und etlicher Schmiergeldzahlungen nachzuweisen. Das Geständnis von Roger Holt war sozusagen nur noch die Kirsche auf dem Sahnehäubchen.“
Erwartungsvoll strahlte er mich an. Man konnte ihm die Erleichterung deutlich ansehen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann dürften seine Fälle ruhig öfter derart schnell und komplikationslos über die Bühne gehen.

Ende gut, alles gut? So hätten wir ein dickes Ende unter diese Geschichte schreiben können, wenn da nicht mein Handy diese eine Nachricht empfangen hätte, die alles verändern sollte.


Wynona

Die Sonne stand schon schräg am Himmel. Ich war so lange ziellos umher geirrt, dass ich nun völlig außer Atem dastand, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, um nicht umzukippen. Neben dem Rauschen meines Blutes in meinen Ohren vernahm ich das Geräusch der Autos, die auf der Interstate ganz in meiner Nähe vorbeibrausten. Wie weit ich wohl von Zuhause weg war? Ich konnte es nicht einschätzen. Mir brannten die Lungen; ich keuchte. Der Magen verlangte krampfhaft nach Nahrung, die ich ihm jetzt leider nicht geben konnte. Ich hatte nicht einmal mehr genug Speichel im Mund, um die rissigen Lippen zu benetzen. Was sollte ich jetzt tun? Ich hatte jede Orientierung verloren. Die Umgebung kam mir so gar nicht bekannt vor.

Ich suchte nach einer Wurzel, auf der ich mich niederlassen und erst einmal wieder zu Atem kommen wollte. Nach und nach beruhigte sich mein Körper wieder. Das Adrenalin zog sich langsam aus meinen Adern zurück und hinterließ mich in blankem Entsetzen. Wie konnte ich nur so die Fassung verlieren? Instinktiv fasste ich mir an die Kehle. Mit Schrecken stellte ich fest, dass dort, wo normalerweise mein Anhänger ruhte, nichts war außer meiner erhitzten Haut.
Hektisch suchte ich den Boden um mich herum ab, konnte den Anhänger aber nicht finden. Er musste mir bei einem meiner Stürze abgerissen sein, ohne dass ich es bemerkt hatte. Tränen schossen mir in die Augen, über den Verlust des geliebten Andenkens an meine Mutter. Sie hatte mir den Anhänger vermacht. Der Legende zufolge war ihre Mutter an jener Stelle ums Leben gekommen, an der man diesen Obsidian gefunden hatte. Ich hegte ihn wie ein Kleinod, nachdem auch meine Mutter auf tragische Weise ihr Leben hatte lassen müssen. Bei einem Unfall, wie ich all die Jahr geglaubt hatte. Doch seit dem gestrigen Abend kannte ich die ganze Wahrheit.

Es hatte sich vor beinahe dreißig Jahren ereignet, als ich gerade einige Monate alt gewesen war. Mein Vater und meine Mutter waren mit mir gerade von einer ärztlichen Untersuchung auf dem Weg nach Hause gewesen, als ihr Auto durch ein plötzlich auftauchendes Hindernis ins Schleudern geraten war. Mein Vater, der den Wagen gerade noch hatte abfangen können, war ausgestiegen und wollte sich das Hindernis aus der Nähe betrachten. Da hatte sich die zuvor leblose erschiene Kreatur, die vor ihm auf der Straße gelegen war, bewegt, wie ein roter Blitz. Meine Mutter, die ebenfalls ausgestiegen war, war von der wirr aussehenden rothaarigen Frau mitgerissen worden. Er hatte nur noch ihren schmerzerfüllten Schrei vernommen. Danach hat er sie nie wieder gesehen. Völlig von Sinnen war er zuerst dem roten Etwas hinterhergerannt, bis er sich wieder in Erinnerung rief, dass seine einzige Tochter schreiend im Auto zurückgeblieben war.

Meine Mutter war einem Vampir zum Opfer gefallen. Einem dieser Wesen, die Seth und seine Freunde schützten, weil sie angeblich keine Gefahr für uns darstellten. Ich konnte immer noch nicht glauben, was sich die letzten Tage alles ereignet hatte. Vampire! Blutsaugende Mörder, die auch meine Mutter auf dem Gewissen hatten. Gewissen! Ich lachte hysterisch auf. Mir wollte sich einfach nicht erschließen, warum die Quileute sich auf deren Seite geschlagen hatten. Oder gab es doch friedliche Vampire?

Mir drehte sich der Kopf, vor Schwindel, Hunger und wirrer Gedanken. Ich kämpfte gegen die bleierne Erschöpfung an, die sich in mir ausbreitete. Mit den Armen umschlang ich meinen Brustkorb, den es von innen schier zerreißen wollte; so schnell schlug mein Herz gegen meine Rippen. Meine Zähne klapperten, ebenso wie der Rest von mir. Plötzlich durchbrach ein markerschütterndes Wolfsgeheul mein leises Schluchzen. Panisch stand ich auf und stolperte davon. Wann würde dieser Albtraum endlich zu Ende gehen?


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Beitrag  esme78 So 01 Mai 2011, 17:34

Nessie

Zwei Worte. Nur zwei kleine Worte, die ohne die zugehörigen Hintergründe keinen Sinn ergeben hätten. Doch ein Blick auf Alice´ SMS reichte aus, um mich in Panik zu versetzen.

>> Er springt! <<

Charlie und ich rasten den Flur entlang, die Treppen hinunter und erstarrten, als uns klar wurde, dass wir festsaßen. Der Ausgang war hermetisch abgeriegelt, von der aufgebracht tobenden Menschenmasse, die ein Durchkommen schier unmöglich machte.
Hunderte Menschen standen dicht gedrängt um das Gebäude. Selbst Mark und Gordan Davis waren keinen Meter vorwärts gekommen.
Der Tumult war natürlich noch angewachsen, als die Menge von der Verhaftung Gordan Davis´ erfahren hatte. Einige wenige fingen an mit Eiern zu werfen. Um ein Haar hätte Charlie auch eines der ovalen Flugobjekte in eben selbiges geklatscht bekommen, doch er konnte sich gerade noch unter lautstarkem Fluchen wegdrehen.
Mit offenem Mund betrachtete ich die Szenerie vor mir. Die Stimmung schien gekippt zu sein - von friedlich, zu potenziell gefährlich.
Der Protest drohte zu eskalieren, doch leider Gottes mussten wir uns um Wichtigeres kümmern.

Ich konnte nur hoffen, dass Alice geistesgegenwärtig gehandelt und Mum und Dad ebenfalls informiert hatte. Mit jeder Sekunde, die wir hier noch festsäßen, schwand die Hoffnung, Mike doch noch aufhalten zu können. Ich atmete tief durch und fragte mich mit schuldschwerem Herzen, wie wir Mike nur vergessen konnten. Die letzten Tage waren wir alle so sehr damit beschäftigt gewesen, die Folgen des Unwetters zu beseitigen und den Fortbestand einer gefährdeten Vogelart zu gewährleisten, dass wir uns gar nicht weiter um ihn gekümmert hatten. Diese Erkenntnis traf mich nun mit voller Wucht. Die Selbstvorwürfe schnürten sich wie eine Schlingpflanze um mich und erschwerten mir nicht nur das Atmen, sondern trübten auch meine Gedanken.

„Es hat einfach keinen Zweck“, brüllte mich Charlie über die lautstarken Rufe der Menge hinweg an. Ich blinzelte und zwang mich zur Ruhe. Mit beiden Händen raufte er sich die Haare: „Warum hab ich nicht früher geschaltet? Mrs. Newton rief mich heute Morgen an und erklärte, dass sie nicht an der Demonstration teilnehmen könne, weil es ihrem Mann schlechter ginge.“ Zu meiner flachen Atmung gesellte sich nun auch noch Übelkeit.
„Der Pfarrer…Er war vorhin nicht wie verabredet bei der Kirche...niemand kann ihn erreichen. Denkst du…?“, stotterte ich, als ich mir die seltsamen Begebenheiten des heutigen Tages zusammenreimte.
Es war so offensichtlich, doch wir sahen den buchstäblichen Wald vor lauter Bäumen nicht. Pfarrer Webber war die ganze Zeit über bei Familie Newton gewesen, um ihnen in diesen schweren Stunden geistlichen Beistand zu leisten.
Charlie kniff sich mit Daumen und Zeigefinger in den Nasenrücken und schüttelte den Kopf.
„Ich habe ihr gesagt, dass sie sich keine Sorgen zu machen braucht. Ich konnte ja nicht ahnen, dass es so schlimm um ihn steht.“
Wie blind wir doch gewesen waren! Mr. Newtons verschlechterter Gesundheitszustand und sein schlechtes Gewissen, wegen der betrügerischen Machenschaften, in die Gordan Davis ihn gezogen hatte, waren Grund genug für Mike, seinem Leben ein Ende zu setzen.

Charlie behielt zumindest die Nerven und schnappte sich kurzerhand das Megaphon. Ich blickte mich um, auf der Suche nach einem Ausweg. Nachdem der Weg nach vorne versperrt war, blieb mir nur die Flucht nach hinten. Ich entschied, über die Hinterseite des Gebäudes mein Glück zu versuchen und lief zurück zu Davis´ Büro. Gott sei Dank war Mrs. Folder nirgends zu sehen. Es wäre ihr wahrscheinlich sehr merkwürdig vorkommen, mich dabei zu beobachten, wie ich mich dort aus dem Fenster stürzte.
Mit einem geschmeidigen Satz landete ich im feuchten Gras zwischen den hohen Bäumen und stand vor dem nächsten Problem. Wo wollte ich hin? Ich hatte keine Ahnung, von welcher Brücke Mike sich stürzen wollte.
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Beitrag  esme78 Mo 30 Mai 2011, 10:37

Domino


Jake

Seth stieß ein jämmerliches Jaulen aus und jagte mit unheilvoll verengten Augen davon. Wynonas Spur war noch frisch; sie musste erst vor kurzem hier gewesen sein. Ein kleiner Hoffnungsschimmer, der sich an diesem tristen Herbsttag am Himmel abzuzeichnen schien. Doch weit kamen wir nicht, denn Seth blieb plötzlich abrupt stehen. Ich stieß mit den Vorderpfoten so tief in den lockeren Waldboden, dass ich beinahe ins Stolpern geriet. Kiowan hetzte hinter uns her. Wir handelten instinktiv und mussten wir ihn notgedrungen zurück lassen. Irgendetwas verriet uns, dass wir keine Sekunde zu verlieren hatten.
Ich reckte die Nase in die sich drehende Windrichtung und registrierte ungläubig den Geruch, der sich in die Aromen des Waldes mischte. Was um alles in der Welt hat sie hier verloren?


Nessie

Noch bevor ich mich für eine Richtung entscheiden musste, nahm ich die Witterung von Mom und Dad auf. Sie eilten wie der Blitz aus dem Waldstück hinter dem Rathaus heran und kamen dicht vor mir zum Stehen. Dankbar schickte ich ein Stoßgebet gen Himmel. Ohne auch nur ein Wort zu verlieren - ihre Mienen verrieten mir, dass sie wussten wohin wir gehen mussten – rannten wir davon. Nach kurzer Strecke stießen Ranjan, Wyatt, Leighton und Dexter zu uns. Dad erläuterte uns Alice´ Vision, die sich mit meiner eigenen deckte. Er kannte auch die Brücke und führte uns auf direktem Weg dorthin. Uns blieb nicht viel Zeit. Doch mussten wir Acht darauf geben, keine Aufmerksamkeit auf uns zu lenken; schließlich war immer noch helllichter Tag.


Wynona

Ich hielt mir vor Entsetzen die Hände vor die bebende Brust, als ich mich nach meiner erneuten Flucht beinahe Aug in Aug mit einer seltsam gekleideten Frau widerfand. Ihre funkelnden, stahlblauen Augen hielten mich gefangen in hypnotischem Blick. Eiskalt fuhr es mir den Rücken hinunter und der Geruch von Räucherstäbchen, der die mysteriöse Frau umgab, drehte mir den leeren Magen um.

„Wynona, du musst stehen bleiben. Höre auf meine Stimme, nur auf meine Stimme.“ Ihre Worte schlugen mir wie eine Faust ins Gesicht. Woher kannte diese Frau nur meinen Namen? Der tiefe Bass in ihrer Stimme stand im Kontrast zu ihrer eher prallen, weiblichen Erscheinung. Was hatte das alles zu bedeuten? Diese Stimme war mir - im Gegensatz zu der fremden Person, die sich mir in den Weg stellte -, so vertraut. Ich schüttelte den Kopf und hielt mir die Ohren zu, als ich am Himmel über den Baumwipfeln einen dunklen Schatten vorüberziehen sah. Kurz wandte ich mich von ihren blitzenden Augen ab und konnte nicht glauben, was sich mir da für ein beängstigender Anblick bot. Meine ganze Aufmerksamkeit auf den Schwarm Krähen über mir gerichtet, suchte ich erneut das Weite. Ich bin wohl im Begriff den Verstand zu verlieren, dachte ich mir, als ich plötzlich stattdessen den Boden unter den Füßen verlor. Ich strauchelte und fiel - fiel in einen Abgrund. Die Augen vor meinem Ende fest verschlossen, flehte ich um rasche Erlösung aus diesem Irrsinn.
Ein gellender Schrei mischte sich unter das Kreischen der Vögel über mir – es war mein eigener.


Jake

In meine kurze, grüblerische Abwesenheit mischte sich das mir mittlerweile vertraute Krächzten von unzähligen Krähen, die sich in einer Art bedrohlichen Wolke am Himmel zusammenzogen. Unwillkürlich stellten sich mir die Nackenhaare auf. Das muss es sein! Jenes vorhergesagte Unglück, dass unser aller Schicksal entscheiden sollte. Wie von der Tarantel gestochen rannten wir weiter. Ich registrierte am Rande, dass sich Sam und einige Jungs vom Rudel in unserer Nähe befanden. Ihre Stimmen drangen jedoch nicht zu mir hindurch – zu Seth erst Recht nicht. Er war wie von Sinnen, denn in seinem Kopf herrschte Leere. Leere, die sich in ihm ausbreiten würde, würde er hier und heute den Sinn seines Lebens verlieren. Er war bereit sich selbst zu opfern, nur um ihr Überleben zu sichern.

Da tauchte die Interstate in ihrer kerzengeraden Führung direkt vor uns auf. Die Augen auf den Rand des Brückenpfeilers gerichtet, stockte uns der Atem. Was dann geschah, war kaum in Worte zu fassen.


Nessie

Den Verlauf der Interstate, der in südlicher Richtung zu besagter Brücke führte, jagten wir im Schatten der Bäume entlang. Mir fuhren eisige Schauer über den Rücken, als ich die Krähen über uns bemerkte. Wir mussten uns auf dem richtigen Weg befinden. Alle Sinne auf unser Ziel fokussiert, registrierte ich Jake und Seth auf der gegenüberliegenden Straßenseite, ob der Szene, die sich uns bot, zuerst nicht.

Die schemenhafte Gestalt, die reglos am Geländer auf dem höchsten Punkt der Brücke stand… ein Auto, das aus der Ferne in sein Unglück rasen würde…
Mike kletterte über die Brüstung und hielt sich hinter dem Rücken am Geländer fest, dann hob er einen Fuß über den Rand der Brücke, ließ das Geländer los und stieß sich mit dem anderen Fuß vom Untergrund ab. Zeitgleich tauchte in meinem rechten Blickfeld ein weiterer Körper wie aus dem Nichts auf, der ebenfalls in die todbringende Tiefe stürzte. Ein todesmutiger Wolf, der hinterher zu fliegen schien, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.

Dad jagte an mir vorbei und sprang die Böschung auf unserer Seite der Straße hinunter, gefolgt von Mom und den Anderen. Ich hingegen konnte nicht anders, als wie angewurzelt stehenzubleiben und die grauenhaften Bilder, die sich in diesen Sekunden ereigneten, für immer in mein Gedächtnis aufzunehmen.
Das Auto, welches just in diesem Moment in hoher Geschwindigkeit unter der Brücke ankam, verlangsamte das Tempo. In kurzer Distanz zur Fahrbahn sah ich Leighton stehen, die mit ausgestreckten Armen der Karosserie die entgegengesetzte Richtung aufzwang. Auf der anderen Seite nahm Dexter Gestalt an und positionierte sich mit weit ausgestreckten Armen unter der fallenden Frau – ich erkannte nur einen Schweif pechschwarzer Haare.
Mittlerweile hatte Dad in einem Salto, Mike fest im Griff, dessen Flugbahn von der vermeintlichen Aufschlagestelle, dort, wo der Wagen zum stehen kam, verändert. Nur einen Wimpernschlag später landeten sie neben Mom auf dem Asphalt. Der Wolf hatte es zwischenzeitlich geschafft im Fallen das Mädchen mit seinem massigen Körper schützend zu umfassen, bevor er mit den Hinterläufen aufkommend den Sturz abfederte, um sich dann seitlich abzurollen.

Das Quietschen der Reifen, die Schreie der paralysierten Frau, die Laute der schwarzen Vögel über uns; das alles hallte über dem Moment, wie die anschwellenden Klänge jener Instrumente, die in einer Sinfonie den Höhepunkt einleiteten. Dann verstummte jeder Ton und es legte sich eine nebulöse Stille über uns. Aus dem Nichts segelte eine einzelne tiefschwarze Feder vor meinen Augen vorbei, die der plötzlich einsetzende Wind wieder mit sich forttrug.
Jetzt erst war ich im Stande, mich zu rühren.


Zuletzt von esme78 am Sa 05 Jan 2013, 01:32 bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
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Beitrag  esme78 Mi 15 Jun 2011, 10:45

Versteckspiel


Wynona

Unter meine flackernden Lider kehrte langsam das Bewusstsein, die Erinnerung, an das eben Geschehene zurück.
Ich holte tief Luft, die sich in qualvoller Weise in meine Lungen zwang. Der darauf einsetzende Hustenreiz ließ mich kurz erbeben.
Die erhoffte Erlösung war das mit Sicherheit nicht, dazu fühlte ich mich viel zu elend.
Meine Lunge brannte und ich konnte einfach nicht mit dem Zittern aufhören. Das einzige, was die gespenstische Stille um mich herum durchbrach, war mein Zähneklappern und mein hämmernder Puls - ich war noch am Leben.
Krampfhaft presste ich Ober- und Unterkiefer zusammen und spannte versuchsweise die Muskeln an. Ich wunderte mich, dass ich dabei keinen Schmerz empfand. Nach meinem Sturz hätte ich doch keinen einzigen heilen Knochen mehr im Leib haben dürfen, oder?
Doch da war etwas anderes; ein leichter Druck um meinen Oberkörper und Wärme, die mich gänzlich umhüllte wie ein Kokon, begleitet von sanften Worten, die nun in mein Ohr geflüstert wurden.
Stück für Stück beruhigte sich mein Körper und das Zittern ließ nach. Mein Puls wurde wieder regelmäßiger. Dann öffnete ich blinzelnd die Augen.
„Seth?“ Meine Stimme klang rau und kratzig. Ich erkannte sie überhaupt nicht wieder. „Was..?“
„Ruhig. Nicht ..sag nichts“, flüsterte er mir zu.
Er war mir so nahe, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte. Meine Hände suchten sein Gesicht, da mein Blick noch nicht recht erkennen konnte, was um mich herum geschah. Ich ertastete seine erhitzen Wangen, die mit kleinen Bartstoppeln übersät waren. Die Nervenenden an meinen Fingerspitzen kribbelten bei der ersten Berührung.
In diesem Moment war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich nicht vielleicht doch hoch oben in einer Wolke in den Armen eines Engels läge. Doch ganz gleich, wo ich mich befand, ich fühlte mich geborgen und angenommen. Ein Gefühl, dass mich mit Ruhe und Frieden erfüllte. Müde senkten sich wieder meine Augenlider und ich lächelte das Gesicht an, welches mir mein Verstand in diesem Moment vorgaukelte. Es war das Gesicht meiner Mutter. Ich erkannte sie von den Fotos, die ich mir immer wieder angesehen hatte, um meiner kindlichen Vorstellung, die ich von ihr hatte, auch ein Bild geben zu können.

Dann registrierte ich eine Hand an meinem Unterarm, die einwandfrei nicht Seth gehörte (im Gegensatz zu ihm war diese Berührung etwas kälter). Kurz hing ich dem Gedanken nach, wie vertraut mir dieser anhängliche junge Mann mit seinen unvergleichlich samtweichen Augen in der kurzen Zeit bereits geworden war. Doch dann schweiften die Bilder in meinem Kopf ab; gingen auf eine Reise in die Vergangenheit. Unfähig, den Gedanken eine andere Richtung zu geben, war ich gezwungen stummer Zeuge meiner eigenen Geschichte zu werden.


Jake

Scheiße, das war verdammt knapp!, fluchte ich innerlich und lief Nessie entgegen, die den Abhang in großen Sprüngen heruntergestürzt kam und mir in die ausgestreckten Arme fiel. Ihr Gesicht war leichenblass, was ich für den Moment zumindest dem Schrecken in die Schuhe schob. Aber da war auch Erleichterung in ihren Augen zu erkennen, bevor sie den Kopf senkte und sich eng an meine Brust schmiegte. Das Herz schlug mir bis zum Hals, während in meinem Kopf ein morbider Gedanke den nächsten ablöste. Ich spürte die Gänsehaut, die mir über den nackten Rücken jagte und mich mit beinahe vergessener Eiseskälte drangsalierte.

Es konnte kein Zufall sein, dass Wynona ausgerechnet genau an dieser Stelle den Halt verlor und in den Abgrund stürzte, an der Mike Newton seinem Leben ein Ende setzen wollte. Abgesehen von der weiterhin ungeklärten Frage, warum sie überhaupt hier draußen war.

Nachdem Seth Wynona hinterher gehechtet war, verwandelten wir uns zurück, wobei ich tunlichst darauf achtete, nicht durch exhibitionistische Zurschaustellung meiner edelsten Teile pietätlos zu wirken. Seth hingegen saß, so wie Gott ihn schuf, auf der Fahrbahn, hielt Wynona wie ein Baby in seinen Armen und wiegte sie beruhigend hin und her – ein Anblick, der gar nichts anrüchiges an sich hatte, sondern mich zutiefst berührte.

Wynona stand unter Schock. Sie blinzelte Seth an und berührte ihn im Gesicht, nur um gleich wieder in eine Ohnmacht zu fallen. Seth begegnete sorgenvoll Wyatts Blick, der neben die beiden trat. Er wartete kurz Seths stumme Erlaubnis ab, legte dann seine Hand auf ihren Arm und schloss die Augen. Was er vor seinem inneren Auge zu sehen bekam, brachte ihm offensichtlich Sorgenfalten bei, denn seine Züge verfinsterten sich zusehends.
Nessie zitterte in meinen Armen. Ich rieb ihr beruhigend über den Rücken und fuhr ihr mit meinem Kinn über die Locken, wobei ich es Seth, mit einem langgezogenen „Sch sch sch“, gleichtat.

Aus dem Augenwinkel beobachtete ich Edward, der Mike einigermaßen unbeschadet aufgefangen hatte, wie er Ranjan zu sich winkte. Der indische Halbvampir kniete sich umgehend neben dem bewusstlosen Lebensmüden nieder und vollführte an ihm seine Zauberkunststückchen. Mike sollte sich später, wenn er aus seiner Ohnmacht erwachen würde, weder an Bella, Edward oder gar an fliegende Wölfe erinnern können.
Bella kniete sich dazu und hielt Mikes Hand.
Keine Ahnung warum, aber ich musste in diesem Moment an unseren gemeinsamen Kinoabend, vor so vielen Jahren, zurückdenken. Jener Abend, den Mike kotzend im Klo verbrachte und in mir das Fieber zu toben begann. Sowenig ich den Typen auch leiden konnte, musste ich mir eingestehen, dass er doch irgendwie ein Teil unserer seltsamen Geschichte war.

Sam tauchte kurz danach mit Josh, Paul und Jared am Unfallort auf und verständigte Rettungswagen und Polizei. Nessie berichtete uns kurz von der Demonstration und eröffnete uns, dass Charlie wohl nicht so schnell hier auftauchen würde. Wir konnten nur abwarten und unser möglichstes tun, bevor Hilfe eintreffen würde.
Paul öffnete die Fahrertür des Autos, um sich um die aufgelösten Insassen zu kümmern.
„Was…wie…ich habe nicht bremsen können. Es ging alles so schnell. Ist jemand zu Schaden gekommen?“
Eine Frau in schickem Kostüm stieg aus, schlängelte sich an Paul vorbei und fiel ihrer jungen Beifahrerin um den Hals, die hysterisch mit den Armen fuchtelnd um den Wagen herum gestürmt kam.
„Mein Schatz, geht es dir gut?“ Kaum hatte sie sich vom ersten Schrecken erholt und davon überzeugt, dass es dem Mädchen gut ginge, fiel ihr Blick schließlich auf Mike. Dann stieß sie einen kurzen, quickenden Laut aus: „Du meine Güte! Mike Newton? Ist er etwa gerade von der Brücke gestürzt?“ Die andere starrte uns an, als wären wir kleine grüne Männchen mit Antennen.
„Nessie?“, ihre mit Makeup zugekleisterten Augen fielen ihr beinahe aus dem blonden Barbieköpfchen, „Was machst du denn hier?“

Noch bevor ich mich auch nur wundern konnte, hallte ein gequälter Schrei über die Talsenke: „Wynona!“
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Nessie & Jake - Zwischen den Welten - Seite 3 Empty Re: Nessie & Jake - Zwischen den Welten

Beitrag  esme78 Mi 06 Jul 2011, 12:32

Nessie

Wir staunten beide nicht schlecht, dass wir uns nach der Auseinandersetzung in der Cafeteria ausgerechnet hier wiedersahen. Den kurzen Moment der Stille, den wir uns mit offenem Mund anstarrten und ich mir eine passende Antwort auf Celestes Frage überlegte, unterbrach ein verzweifelter Schrei.
Allesamt rissen wir die Köpfe herum. Madame Cassandra tauchte, neben einem jungen, grimmig dreinschauenden Mann indianischer Herkunft, hinter uns auf. Völlig außer Atem rannte sie auf uns zu. Es dauerte einen Moment, bis ich realisierte, dass das nicht die Madame Cassandra war, die wir kennengelernt hatten. Irgendetwas war anders an ihr, aber ich kam beim besten Willen nicht darauf, was es war. Wie von Sinnen schrie sie unaufhörlich Wynonas Namen. Jake stutze kurz neben mir (ihm ging es da wohl ähnlich, wie mir), doch dann….
„Kiowan, was um Himmels Willen hat das alles zu bedeuten?“, forderte er eine Erklärung.
Sofort schirmten die Jungs Seth und Wynona ab, sodass keiner auch nur einen Blick auf Seth´s Blöße erhaschen konnte. Jake und ich tauchten hinter ihnen ab, damit ich mich um Wynona kümmern konnte, während Seth gerade noch rechtzeitig in seine Short stieg.

Kiowan kämpfte sich zu uns durch und ging, mit vor Verzweiflung gezeichnetem Gesicht, neben seiner Schwester und mir zu Boden. Seth brodelte vor Wut und knurrte ihn mit gepresster Stimme an: „Sie könnte jetzt tot sein, du Idiot!“ Dabei packte er ihn am Hals und drohte ihm mit bloßen Händen die Kehle herauszureißen. Und Kiowan ließ es zu; sein teilnahmsloser Blick war unablässig auf Wynona geheftet.
Ganz im Gegenteil zu Seth. Seine Augen funkelten und durchbohrten ihn förmlich in seiner Wut.
Ich konnte die feinen Härchen auf seiner Haut beobachten, wie sie sich aufstellten, einhergehend mit unkontrolliertem Zittern.
Ehe wir uns versahen, brach der Wolf aus ihm heraus. Paul, Joshua und Sam warfen sich vor Kiowan. Jake trat entschlossen vor den Wolf und fixierte ihn mit steinharter Miene. Seth fletschte die Zähne und knurrte ihn aus tiefster Brust an. Einen Wimpernschlag lang standen sich die beiden bis auf wenige Zentimeter gegenüber, es herrschte absolute Stille. Dann heulte der Wolf auf und zog sich nach kurzem Zögern hinter den Bäumen zurück.
Das war wohl der Moment, indem die Frage des Leitwolfes endgültig geklärt worden war.
Mir blieb nichts weiter übrig, als hilflos zu Celeste zu blicken, die mit weit aufgerissenen Augen das Geschehene verfolgte. Irgendetwas müssen wir doch unternehmen, dachte ich mir noch, als Dad mit Ranjan sich an Celestes Seite schlich und Ranjan die beiden Grazien in einen hypnotischen Dämmerschlaf versetzte. Über die weggetretenen Körper der beiden hinweg warf er uns einen entschuldigenden Blick zu und meinte achselzuckend: „Noch mehr Zeugen können wir uns einfach nicht leisten.“


Jake

Etwa eine halbe Stunde später standen Bella, Edward, Nessie und ich noch immer am Straßenrand und warteten auf den Regen, der jeden Moment einsetzen würde. Gedanklich war ich natürlich bei Seth: Ich konnte gut nachvollziehen, dass es mit ihm durchgegangen war, aber eine weitere Verschärfung der Situation durch einen Alleingang konnten wir uns nun wirklich nicht leisten – da hatte Ranjan schon Recht. Er sollte sich erst einmal beruhigen und wieder zu sich kommen. Alles Weitere würde sich schon irgendwie regeln. Das hoffte ich zumindest für uns alle.

Minuten später, nachdem sich die Lage wieder etwas beruhigt hatte, trafen endlich die Rettungskräfte ein. Charlie war sichtlich erleichtert, dass alles relativ glimpflich ausgegangen war, und dass er nicht derjenige sein würde, der Mrs. Davis von der Verhaftung ihres Mannes berichten musste, denn die schlummerte nach wie vor selig vor sich hin, als sie zusammen mit ihrer Tochter im Rettungswagen ins nächste Krankenhaus gefahren wurde. Nessie und ich erzählten brav unsere zurechtgelegte Geschichte; wie wir zufällig an der Stelle vorbeikamen und Mike völlig weggetreten auf die Fahrbahn treten sahen - direkt vor ein vorbeifahrendes Auto - und das es uns im letzten Moment gelungen war, ihn davon abzuhalten eine riesen Dummheit zu begehen. Wynona war ebenfalls in unserer Gesellschaft gewesen und hatte, wie der arme Mike und die Insassen des Wagens, einen Schock erlitten.
Ranjan versicherte uns, dass alle genau das denken würden, wenn sie wieder zur Besinnung kommen würden. Währenddessen verschwanden die Vampire in die Bäume und die Jungs liefen Seth hinterher. Madame Cassandra hatten wir irgendwann im allgemeinen Trouble einfach aus den Augen verloren. Später erfuhren wir von Kiowan, dass Waneta sich bei der Madame um Hilfe bei der Suche nach Wynona bemühte, sie ihm aber keine befriedigenden Antworten über den Verbleib seiner Tochter geben konnte (oder wollte).
Da hatte er sich, anscheinend ohne weiter über die Konsequenzen nachgedacht zu haben, ihres Körpers bemächtigt. Sowas in der Richtung hatte ich mir schon gedacht, nach ihrem nicht gerade damenhaften Auftritt vorhin. Madame Cassandra war bestimmt nicht sehr erfreut darüber, als übersinnliches Gefäß für einen alternden Indianerhäuptling fungiert zu haben.
Wir mutmaßten, dass sie sich in jenem Moment, als die Situation aus dem Ruder gelaufen war, wieder ihres Körpers bemächtigte und Wanetas Geist verbannt hatte. Es war die einzig logische Erklärung dafür, dass wir seine Anwesenheit, auch nach dem Verschwinden der Hellseherin, immer noch spüren konnten.
„Wenn ich er wäre, würde ich schleunigst meinen Körper in Sicherheit bringen, und zwar bevor Madame Cassandra ihn zwischen ihre Finger bekommt“, gab Nessie einigermaßen verdrießlich zu Bedenken, musste dann aber doch bei dem Gedanken daran lachen.
Bella und ich stimmten in ihr Lachen mit ein, doch Edward starrte weiterhin stumm geradeaus. Er hatte die ganze Zeit über kein Wort über seine Lippen gebracht. Bella sah ihn bekümmert an, dann nahm sie sein Gesicht in ihre Hände und zwang ihn somit, sie anzusehen. Keine Ahnung, was sie ihm damit übermittelte, aber langsam kehrte wieder Leben in ihn.
Seine Gesichtszüge wurden seltsam verklärt und da war etwas in seinen Augen - wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich geschworen, dass er weinte. So hatte ich ihn zuletzt gesehen, als….Mir schnürte es alles ab, als ich mir diese Bilder wieder in Erinnerung rief.

„Wann wird Victoria uns endlich in Frieden lassen?“, flüsterte er kaum hörbar und zog Bella und Nessie an sich.
Die Rothaarige? Was hat sie denn mit all dem zutun? Edward hatte sie doch seinerzeit eigenhändig in Staub verwandelt. Stoisch gab er wider, was Wyatt in Wynonas Vergangenheit gesehen hatte. Es hat sich damals unglaublicher Weise so zugetragen, dass Victoria Kiowans und Wynonas Mutter als eine Rekrutin ihrer Armee gegen die Cullens auserkoren hatte und sie in einen Vampir verwandeln wollte. Waneta hatte sie aber wenig später tot im Straßengraben gefunden - blutleer. Diesen Schluss zog Edward aus Wyatts Beobachtungen und Wanetas Gedanken.
In meinem Kopf drehte sich alles. Ich schwankte, als ob mir jemand den Boden unter den Füßen weggezogen hätte.
Das erklärte natürlich alles. Wanetas unbändigen Hass,…. Wynonas Flucht, nachdem sie die Wahrheit erfahren hatte….
Mein ganzer Frust löste sich buchstäblich in Rauch auf, als der erwartete Wolkenbruch über uns hereinbrach. Ich ging fassungslos in die Knie und berührte mit beiden Händen den Teer, auf dem die großen Tropfen nieder prasselten.
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Nessie & Jake - Zwischen den Welten - Seite 3 Empty Re: Nessie & Jake - Zwischen den Welten

Beitrag  esme78 Mi 27 Jul 2011, 12:09

Boomerang


Nessie

Victoria - alleine der Name war für uns ein rotes Tuch, im wahrsten Sinne des Wortes. Natürlich kannte ich die Geschichten um James, Laurent und sie. Ebenso ihren Rachefeldzug mit der Neugeborenen-Armee in Seattle. Sie schien unsere Familie mit einer Art Fluch belegt zu haben, der uns jetzt - nach beinahe dreißig Jahren - erneut heimsuchte. Das zu verarbeiten, ließ uns in Fassungslosigkeit verharren, wie es der Natur von Vampiren entsprach.
Jake hingegen sank einfach in sich zusammen und kauerte auf dem Asphalt. Ich blinzelte ungläubig, ging neben ihm in die Hocke und rieb ihm sacht über den Rücken. Ich war versucht, ihm eine glücklichere Erinnerung zu zeigen, um ihn aus seinem Schock Zustand zu befreien. Doch ich entschied mich dagegen. Es erschien mir falsch, ihn derart manipulativ um seine Entschlusskraft zu bringen. Erfahrungen, so niederschmetternd sie auch sein mögen, helfen uns, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Minutenlang standen wir in strömendem Regen, bis wir nass bis auf die Haut waren. Von den Bergen her rollte der Donner heran und holte uns aus unserer Lethargie.

Mom war die Erste, die ihre Sprache wiederfand: „Ich schlage vor, wir sorgen erst einmal dafür, dass wir wieder einen klaren Kopf bekommen.“
Sie reckte ihre Nase in den Wind und atmete mit geschlossenen Augen tief ein. Ich tat es ihr gleich. Ja, schoss mir der Gedanke durch den Kopf, als auch ich die verführerische Fährte registrierte. Alleine der Gedanke an das heiße, dickflüssige Blut ließ meinen Magen rumoren und mir den Mund wässrig werden. Meine letzte Jagd lag zwar erst etwa eine Woche zurück, aber ich fühlte mich momentan nicht ganz bei Kräften. Ich lechzte regelrecht danach; die Aussicht auf die Geschwindigkeit, den erlösenden Kampf und den Geschmack des Blutes, weckte sofort meinen Durst.
In Mom und Dads Miene sah ich dieselben Begierden aufflackern – zwei tiefdunkle Augenpaare starrten mich durchdringend an. Ich wandte mich an Jake, der sich langsam erhob.
„Ist schon in Ordnung. Geht. Ich muss sowieso ins Reservat.“ Äußerlich war ihm nichts anzumerken, aber ich spürte, dass er jetzt einfach Ruhe und Abstand brauchte. Mom und Dad gegenüber meinte er nur: „Ich werde lieber mal bei den Jungs nach dem Rechten sehen. Sonst macht Seth noch irgendwelchen Blödsinn.“
Er strich mir die klatschnassen Haare aus dem Gesicht und gab mir einen Kuss auf die Stirn, dabei bemerkte er: „Das Jagen wird dir gut tun.“ Sein Blick war forschend. „Du bist so blass geworden.“ Er zog mich kurz an sich und wandte sich dann zum Gehen. „Wir sehen uns später, bei Charlie.“ Er wartete mein Nicken ab und lief schließlich davon.

Dad legte mir seinen Arm über die Schulter, während wir Jake hinterher sahen. „Keine Angst, mein Engel. Er fängt sich schon wieder. Das war wohl alles etwas viel für ihn.“
„Du siehst wirklich blass aus. Geht’s dir nicht gut, Renesmee?“, bemerkte Mom. Sofort beäugten mich die beiden kritisch.
Ich seufzte: „Nein, nein. Ich hab wohl zu lange nicht gejagt. Kein Grund, gleich nervös zu werden.“
Dad sah mich kurz mit zusammengekniffenen Augen an. Nur einen flüchtigen Moment schien er zu zögern. Da ich mich ganz auf die Fährte konzentrierte, war es ihm nicht möglich, in meinem Kopf einen Grund zur Besorgnis zu finden. Für den Moment zumindest konnte ich sie beruhigen und so machten wir uns auf die Jagd.
Trotz des heftigen Regens fiel es uns nicht besonders schwer, der Spur einer Rotwildherde, die unter einem naheliegenden Felsvorsprung Zuflucht vor dem Wetter suchte, zu folgen. Wir überraschten sie von allen Seiten. Den harten Fels im Rücken, war ein Entkommen für die verängstigten Tiere unmöglich.

Ich konnte gar nicht schnell genug die Zähne in mein Opfer schlagen und trank gierig gleich zwei große Tiere nacheinander, bis die Kadaver keinen Tropfen mehr hergaben. Mit gemischten Gefühlen legte ich den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. Ich hatte die Jagd auf ein Minimum reduziert – ich ernährte mich überwiegend menschlich –, doch gerade in diesem Moment war der Vampir in mir einfach übermächtig. Die Wärme durchflutete mich augenblicklich und das Durstgefühl ließ rasch nach.
„Renesmee“, hallte es zu mir. In einiger Entfernung machte ich die beiden aus. Mom winkte mich zu ihnen: „Lass uns gehen.“

Ich erhob mich, um die Kadaver mit Ästen und Reisig zu bedecken, als sich meine Umgebung zu drehen begann. Ich klammerte mich gerade noch blind an einen Ast über mir, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Ich schloss die Augen, was ich wohl besser nicht getan hätte, denn jetzt wurde mir auch noch übel. Das zweite Mal an diesem Tag, wunderte ich mich noch. Völlig kraftlos ließ ich mich wieder zu Boden gleiten und legte den Kopf in die Hände. Durch das Rauschen in meinen Ohren vernahm ich verzerrt Dads Stimme. Ich vermutete, er fragte mich, ob ich aufstehen könne. Ich konnte nur behäbig den Kopf schütteln, worauf der Schwindel wieder stärker wurde. Er fackelte nicht lange, nahm mich auf seine Arme und rannte los.


Jake

Die Umgebung flog an mir vorbei, ohne dass ich auf irgendetwas Acht gegeben hätte. Dazu war ich viel zu aufgewühlt; ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Jetzt, da ich die Beweggründe von Waneta kannte, fühlte ich mich so hilflos, wie ein Kaninchen vor einer Giftschlange. Das Bild passte; aus Angst sind Menschen durchaus in der Lage, Dinge zu tun, die sie sonst nie für möglich gehalten hätten. Die Unwissenheit, mit der die Makah geschlagen waren, konnte man ihnen ja auch schlecht vorwerfen. Dickköpfigkeit dagegen schon. Mit einem Mal überkam mich eine Wut, die ich kaum beschreiben konnte. Ich weigerte mich, Umstände als gegeben hinzunehmen, die längst Geschichte waren. Das war einfach nicht fair. Weder für die Makah, noch für die Cullens und am allerwenigsten für Wynona und Seth.

Wildentschlossen, die Sache ein für alle Mal klarzustellen, traf ich Zuhause ein. Dad erwartete mich bereits. Er saß auf der Veranda und unterhielt sich mit Seth. Die beiden schüttelten sich die Hände. Seth drehte sich zu mir um. Seine düstere Miene verriet mir, dass wir ein und denselben Entschluss gefasst hatten.
„Dem werd ich jetzt ein für alle Mal die Meinung sagen“, blaffte er, als er die Stufen der Veranda in einem Schritt nehmend auf mich zugestürmt kam. Zur Bestätigung nickte ich kurz: „Bin dabei.“
Dad schickte uns Embry, Jared und Quil hinterher, als moralische Unterstützung. Wir waren derart überdreht, das unsere Mission beinahe einem Himmelsfahrtskommando gleich kam. Die Angelegenheit würde heute geklärt werden - egal wie. Da waren wir uns alle einig.
In der Höhle des Löwen angekommen, scherten wir uns einen Dreck um die stummen Gesichter, an denen wir vorbei liefen; wir hatten auch nicht mit einem freundlichem Empfangskomitee gerechnet. Vor Wanetas Haus standen viele Autos und sobald unser Erscheinen bemerkt worden war, öffnete sich die Tür. Einige Männer, Kiowan vorneweg, liefen auf uns zu.

„Du gibst wohl nie auf.“ Kiowan verschränkte die Arme vor der Brust und presste grimmig die Lippen aufeinander. Fest davon überzeugt, das uralte „Wer zuerst blinzelt"-Spiel gewinnen zu werden, trat er Seth gegenüber. Seth verzog daraufhin nur fragend das Gesicht und meinte: „Aufgeben? Dieses Wort existiert in meinem Vokabular nicht.“
Kiowan war wie vom Donner gerührt. Err blinzelte und dann schüttet er sich aus vor Lachen. Niemand regte sich; er erntete skeptische Zurückhaltung von beiden Seiten.
Nachdem er seinen Lachanfall beendet hatte warf er einen kurzen Blick zurück auf das Haus, um Seth dann mit anerkennender Mimik zu mustern.
„Eines muss man dir lassen: du bist schlagfertig“, gab Kiowan schließlich zu und räumte seine Niederlage in dieser Runde ein. „Nur wage ich zu bezweifeln, dass du damit Waneta auch beeindrucken kannst. Er hat etwas gegen Verehrer seiner Tochter im Allgemeinen und gegen Wolfsmenschen im Besonderen“, fügte er sarkastisch grinsend an.
„Im Allgemeinen..“ Ich bediente mich ausdrücklich seiner Wortwahl, „…ist es hilfreich, wenn man zuvor das Leben seiner Tochter gerettet hat“, erinnerte ich ihn. Sein Erinnerungsvermögen war wohl etwas löchrig. Überhaupt schien er nicht lange gebraucht zu haben, um sich aus dem weinerlichen Häufchen Elend von vorhin wieder in einen arroganten Kerl zu transformieren.


Wynona

Ich lag in meinem Bett in eine Decke gehüllt und nippte an meinem Tee, als ich die Wortfetzten von draußen mitbekam.
Das schallende Lachen meines Bruders ließ mich aufhorchen – was um alles in der Welt ging da vor sich?
Ich stand auf und trat ans Fenster. Ein Blick genügte und ich stürmte nach draußen. Doch weit kam ich nicht; ich lief Kaya in die Arme.
„Was hast du vor? Du sollst dich doch ausruhen“, ermahnte sie mich. Ich ließ sie einfach stehen und ging nach draußen. Zielstrebig bahnte ich mir einen Weg durch meine Familie. Ein Blick in seine dunklen Augen, und es war um mich geschehen.
„Seth!“
„Wynona!“ Wie zwei Magnete zog es uns aufeinander zu. Hinter mir hörte ich Vater aus dem Haus stürmen, aber das war mir in diesem Moment gleichgültig.
„Geht es dir gut?“, erkundigte sich Seth und ergriff meine Hände.
„Nimm deine Finger von ihr! Was wollt ihr noch? Glaubt ihr, damit wäre alles vergessen?“, empörte sich Vater lauthals.

Seth beachtete ihn gar nicht. Er griff in seine Hosentasche und reichte mir die Apatchenträne. Vorsichtig drehte er meine offene Hand, legte sie hinein und schloss meine Finger darüber. Sein Blick war warm und weich. Ich war bis ins Innerste meiner Seele berührt. Mit Tränen in den Augen drückte ich die Hand an mein Herz.
Eine Welle tiefster Dankbarkeit überspülte mich und ohne weiter zu überlegen gab ich dem Impuls nach, mich ihm an den Hals zu werfen, ihn festzuhalten – ganz gleich, wer uns auch dabei zusehen würde.
Ich vergaß völlig, was um uns herum geschah. Ebenso die Zeit; ich konnte nicht sagen, wie lange wir so dastanden. Die Gespräche um uns blendete ich einfach aus, ganz in unserer Zweisamkeit versunken.


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Nessie & Jake - Zwischen den Welten - Seite 3 Empty Re: Nessie & Jake - Zwischen den Welten

Beitrag  esme78 So 14 Aug 2011, 23:08

Nessie

Opa Charlie öffnete uns perplex dreinschauend die Hintertür. Dad trug mich schnurstracks durch die Küche, an ihm vorbei, direkt ins Wohnzimmer. „Was ist passiert?“, rief er uns hinterher.
„Es geht schon. Ehrlich. Lass mich bitte wieder runter, Dad“, flehte ich ihn an, mich aus dieser entwürdigenden Situation zu befreien, als ich sah, dass die gesamte Familie uns bereits erwartete.
Doch zu spät: Esme und Rosalie kamen auf uns zu und hielten mich links und rechts am Arm, sobald ich wieder auf meinen eigenen Beinen stand.
„Geht’s dir nicht gut?“ Wie immer, wenn sie sich um jemanden sorgte, lag Esmes Stirn in Falten und ihre Augen glänzten.
„Alice hat zwar gesagt, dass ihr später kommen würdet, aber ich hatte gehofft, dass euch nichts zugestoßen sein würde“, schielte Rosalie vorwurfsvoll zu Alice.
„Sagt Carlisle, er soll gleich nach ihr sehen“, schürte Mom noch zusätzlich deren Sorge und schob mich bestimmend die Treppe hinauf. Natürlich hörte mir niemand auch nur zu, als ich immer wieder beteuerte, dass alles wieder o.k. sei. Als mich dann aber auch noch Carlisle - in meinem Zimmer angekommen - besorgt in Augenschein nahm, war ich mir auf einmal nicht mehr so sicher. Sah ich wirklich so schrecklich aus? Langsam aber sicher keimte auch in mir die Skepsis auf. Ohne weitere Einwände ließ ich mich doch von ihm untersuchen.

„Hast du deine Gabe mittlerweile wieder erlangt?“, fragte er mich nach einer halben Ewigkeit, in der wir kein Wort gewechselt hatten. Die Frage überraschte mich. Ich musste einen Moment darüber nachdenken. Nein, oder etwa doch? Ich zuckte mit den Schultern.
„Ich denke nicht. Zumindest kann ich gerade nichts über dich sagen.“ Ich rang mir ein entschuldigendes Lächeln ab. Er ging nicht weiter darauf ein, sondern senkte seinen Blick, um in seiner Tasche zu kramen. „Carlisle, was glaubst du? Warum habe ich meine Gabe verloren und warum habe ich sie nicht längst wieder? Der Unfall… die ganze Sache ist doch nun ausgestanden, oder nicht?“

Carlisle war der einzige, dem ich in solchen Dingen vertraute. Er betrachtete Dinge normalerweise trocken und analytisch; zog aus seinen Beobachtungen immer die richtigen Schlüsse. Er war uns immer ein Fels in der Brandung, hörte jedem zu und wusste auf jede Frage eine Antwort. Jetzt aber übte er sich in Zurückhaltung: „Ich weiß es nicht.“
Ruhig fuhr er fort, mich von Kopf bis Fuß zu untersuchen. Ich erinnerte mich an damals, wie er mich als Baby untersucht hatte.
Es war seine unterschwellige Sorge, die ihn verriet und die mich wiederum in eine Art Déjà-vu gefangen hielt.
Was stimmte nur nicht mit mir?



Gordischer Knoten


Jake

„Wie kann ich euch Glauben schenken - ihr, die ihr euch mit denen verbündet habt, meiner einzigen Tochter unschickliche Avancen macht und nun auch noch die Frechheit besitzt, einfach so hier vor meinem Heim aufzutauchen, um uns absurde Geschichten aufzutischen?“

Ich tat mir unheimlich schwer, Seth einfach zu ignorieren, wie er engumschlungen mit Wynona direkt neben deren Vater dastand, als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt. Irgendwie versuchte ich die Strike beisammen zuhalten, die diesen Gordischen Knoten endlich entwirren würden.
Quil, Embry und Jared hielten sich im Hintergrund. Sie überließen mir die Führung; die Verantwortung, die mit der Position des Leitwolfes einhergeht und der ich mich endlich stellen musste. Krampfhaft suchte ich nach den rettenden Worten, mit denen ich Waneta davon überzeugen wollte, dass nicht alles im Leben schwarz oder weiß ist. Gerade als er wildentschlossen auf die beiden zutrat, um sie zu trennen, hielt ich ihn an seiner Hand zurück – kurz schloss ich die Augen, um all meinen Mut zusammen zu nehmen – und besann mich einer alten indianischen Redensart, die mir mein Vater beigebracht hatte.

„Waneta, bitte versuch nur einmal dir vorzustellen, wie du an unserer Stelle gehandelt hättest. Mein Vater sagt: Urteile nie über jemanden, ehe du nicht mindestens einen Mond lang dessen Mokassins getragen hast.“
Waneta ließ den Arm sinken und ein Ausdruck der Verwunderung huschte über sein wuterfülltes Gesicht.
„Glaub mir, anfangs wollte ich nichts lieber, als die Blutsauger eigenhändig unschädlich zu machen“, redet ich weiter; nun, da ich seine Aufmerksamkeit hatte. „Der Hass auf diese Kreaturen hat sich tief in mein Wesen gefressen. Ich war nicht mehr ich selbst.“ Er beobachtet meine aufrichtige Haltung, mit der ich meine Worte zu verdeutlichen versuchte. Ein Geständnis dieser Art hatte er nicht erwartet. „Ich musste einsehen, dass ich nicht das Recht hatte, jemanden nur nach seinem Schicksal zu beurteilen – ein Schicksal, das keiner von ihnen angenommen hat. Sie widersetzen sich ihrer Natur, indem sie die Menschen achten und sie nicht jagen. Wie auch bei den Menschen gibt es ehrbare und ehrlose unter ihnen. Ich habe beide kennengelernt.“

Seine Augen verengten sich und sein Blick richtete sich in die Ferne, als versuchte er gerade sein Weltbild neu auszurichten. Es bedurfte nur noch eines Details meiner Ausführung, das ich mir bis zum Schluss aufgehoben hatte. Ich deutete mit ausgestreckter, offener Hand in Seths Richtung:
„Victoria, der rothaarige Vampir, der deine Frau auf dem nicht vorhandenen Gewissen hat….“ Ich ging einen Schritt auf Seth zu. „Er und Edward haben sie vernichtet. Zusammen. Sie wurde gerächt, wie all die anderen Unschuldigen.“
Jetzt bohrte er ungläubig seinen Blick in meinen. Langsam ließ ich meinen Arm wieder sinken und wartete. Ich hatte mein ganzes Feuerwerk auf einmal losgelassen und dem Finale folgten Sekunden der Stille, die mir wie Stunden vorkamen.
Irgendwann straffte Waneta die Schultern, als er aus seiner grüblerischen Abwesenheit wieder aufgetaucht war, und sagte: „Billy war immer ein Mann von Wert.“ Er nickte, sah mich an und legte mir seine Hand auf die Schulter: „Und er kann stolz sein, dich seinen Sohn nennen zu dürfen.“


Zuletzt von esme78 am Fr 18 Mai 2012, 10:40 bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
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Nessie & Jake - Zwischen den Welten - Seite 3 Empty Re: Nessie & Jake - Zwischen den Welten

Beitrag  esme78 Do 25 Aug 2011, 12:08

Nessie

Carlisle blieb ganz sachlich und einfühlsam zugleich, als er mir mitteilte, dass er keine Erklärung für meinen Schwächeanfall gefunden habe. Ich nickte wortlos – halb erleichtert, halb verängstigt. Er nahm mich in den Arm und führte mich aus dem Zimmer.
„Die anderen warten schon“, meinte er vieldeutig.
Es war schon sehr spät, kurz nach Mitternacht, als wir die Stufen schließlich herunter kamen. Ganz in Gedanken versunken, war ich tatsächlich überrascht.

„Überraschung!!“
Mein Kopf fuhr herum. Der Chor, dem Oma Renée vorstand, hatte sich im Esszimmer eingefunden. Ungläubig sah ich mich um. Innerhalb der letzten zwei Stunden war Charlie und Sues Wohnstube in ein Luftballonmeer verwandelt worden. An den Hängeleuchten hangelten sich bunte Girlanden durch das ganze Erdgeschoß und auf dem Esstisch stand eine dreistöckige Torte mit buntem Zuckerguss. Ich hatte über all die Aufregungen der letzten Tage doch glatt meinen eigenen Geburtstag vergessen. Verlegen schob ich mir die Hände vors Gesicht. Ich spürte die Hitze, die in mir hochstieg, unter meinen Fingern – Gott, war mir das peinlich.

„Alles Gute, Schätzchen“, begrüßte mich Renée in einer für sie typischen, überschwänglichen Umarmung.
„Danke. Schön, dass du gekommen bist. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, überspielte ich meine dusselige Unachtsamkeit. Zu Carlisle gewandt sagte ich schalkhaft grinsend: „Das hast du wirklich geschickt eingefädelt.“
„Man tut was man kann“, verteidigte er sich mit unschuldig erhobenen Händen. Doch da war etwas in seinen Augen, dass mein ungutes Gefühl von vorhin noch verstärkte. Ich schluckte den Klos in meinem Hals herunter, um mir nichts anmerken zu lassen.
Billy, Rachel, Paul, Rebecca, sowie die Halbvampire waren ebenfalls gekommen.
Ich fragte mich, wie beschäftigt ich mit mir selbst gewesen sein musste, dass ich diese Mensch-Vampir-Wolfsansammlung nicht hatte hören können. Der Reihe nach wurde ich umarmt, beglückwünscht und abgeküsst.
Ich schnitt den Kuchen an und ließ geduldig alle Einfälle von Alice über mich ergehen, dankbar für die momentane Ablenkung. Ein kleiner Teil meiner Aufmerksamkeit blieb aber auf Carlisle und Dad gerichtet. Es war davon auszugehen, dass – wenn es etwas gäbe, was ich nicht erfahren sollte – Carlisle den Weg wählen würde, Dad gedanklich seine Vermutungen mitzuteilen.
Doch so sehr ich mich auch bemühte, hinter ihr Pokerface zu blicken; es gelang mir einfach nicht.

Alice, Jasper und Emmett kamen zu mir und nahmen mich in ihre Mitte.
„Die letzten Stunden haben mich beinahe an den Rand der Verzweiflung getrieben“, beklagte sich Alice und verdrehte ihre Augen, während sie sich bei mir einhakte. „Ich war gezwungen, die Planung für die Überraschungsparty wieder und wieder über den Haufen zu werfen. Und dass wir es nun doch noch hingekriegt haben, grenzt schon beinahe an ein Wunder. Mal im Ernst: Solch ein Konglomerat an unglücklichen Umständen hab ich schon lange nicht mehr erlebt“, trieb sie ihre Tirade auf die Spitze und hob die freie Hand beschwörend gen Himmel. Jasper grinste breit.
„Konglomerat? Alice, bitte verschone uns mit deinem lateinischen Kauderwelsch“, jammerte Emmett. „Aber sonst muss ich ihr Recht geben. Eigentlich sollte die Party in unserem Haus stattfinden. Da hätten wir zumindest mehr Platz gehabt.“ Sein Blick überflog die Gesellschaft, die sich mehr oder weniger eng, in Grüppchen zusammen gefunden hatte. „Wie auch immer“, fuhr er fort, als seine blitzenden Augen wieder auf mich gerichtet waren. „Nachdem wir unsere Pläne in den letzten zwei Tagen etwa hundertmal umschmeißen mussten, dachte keiner mehr daran, dass sie überhaupt noch stattfinden würde.“
Alice schlug ihm erbost mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. „Seit wann zweifelst du an meinen Fähigkeiten, Emmett?“
„Na hör mal, wer musste denn ständig deine neuste Order in Rekordgeschwindigkeit umsetzen.“ Emmett versuchte, ihr über den schwarzen Wuschelkopf zu fahren, doch Alice erriet seinen Revancheversuch und duckte sich unter seinem Arm hindurch.
„Gib es doch endlich auf, Großer“, amüsierte sie sich kokett grinsend. Den beiden beim Zanken zu zusehen, war zu komisch. Es fiel mir erstaunlich leicht, mich fallen zu lassen und einfach mit zulachen.
„Apropos Großer. Wo bleibt eigentlich Jake?“, fragte Mum, die Billy zwischenzeitlich zu uns geschoben hatte, abwechselnd zwischen ihm und mir hin- und herschauend.
Wie aufs Stichwort hörte ich Jake und Seth vor dem Haus. Eilig liefen wir zur Tür hinaus und staunten nicht schlecht. Die beiden kamen, den Arm über die Schultern des anderen gelegt, lachend die Auffahrt entlang geschlendert.
Sue und Billy blieben hinter uns und atmeten erleichtert auf. Jake sprang auf mich zu und wirbelte mich herum.

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Süße.“ Er hatte es nicht vergessen.
Mit einem überschwänglichen Kuss ließ er mich wieder runter.
„Ist das nicht eine herrliche Nacht?“ Ungläubig schielte ich zu Seth, der ein breites Grinsen im Gesicht trug. Ganz offensichtlich.
War ich denn wirklich die Einzige, die sich noch Sorgen um meinen schwächelnden Kreislauf machte? Wenn dem so war, wollte ich Jake nicht unnötig beunruhigen und ihm die gute Laune verderben. Es ging mir ja schließlich wieder blendend. Ich redete mir ein, dass ich bei der Jagd einfach übertrieben hatte, und meine Familie mich nur für einige Zeit bei Carlisle aufgeräumt wissen wollte, während die letzten Vorbereitungen liefen. Kurz entfuhr mir ein erleichtertes Seufzen.
Drinnen berichteten Jake und Seth von Wanetas Sinneswandel, nachdem Jake ihn endlich zur Vernunft gebracht hatte. Seth wurde nicht müde, immer wieder Jakes grandiosen Auftritt zu wiederholen. Billy und ich strahlten über dessen Schilderungen voller Stolz um die Wette.


Jake

Nessies Geburtstag war ein willkommener Anlass, den Waffenstillstand mit den Makah gebührend zu feiern. Keiner hatte es für möglich gehalten, dass dieser Tag, der so rabenschwarz begonnen hatte, sich noch so entwickeln würde.
Nachdem Waneta uns zu sich eingeladen hatte, versprach er mir, tatkräftig beim Wiederaufbau zu helfen. Die Fische würden ihren Weg in unsere Gewässer auf natürliche Weise wiederfinden, doch die Schäden an den Fischerbooten und den Piers würden nicht von heute auf morgen verschwinden. Lange tauschten wir uns über Fischfang, Familientraditionen, Bürgermeister Davis und die Demonstration, den Unfall und nicht zuletzt über unsere Erfahrungen mit den Vampiren aus. Seth war in Wanetas Augen zum Held avanciert, dem er nur zu gerne den weiteren Umgang mit seiner einzigen Tochter gestattete. Es war schon herzerwärmend den beiden beim zaghaften Turteln zuzuschauen. Kaum zu glauben, dass die beiden noch vor kurzer Zeit Welten getrennt haben sollten.
Wir nahmen Waneta das Versprechen ab, uns die nächsten Tage zu besuchen und verabschiedeten uns, als der Wald schön längst in nächtliche Ruhe gehüllt dalag. Schnellstens machten wir uns auf den Weg nachhause. Es war schon nach Mitternacht und ich wollte nur noch zu Nessie.


Und hier saß ich nun: Nessie auf meinem Schoß, Bella, Esme, Renée und Sue um uns herum, und ich wie der Hahn im Korb. Emmett konnte es natürlich nicht lassen, mir in regelmäßigen Abständen gehässige Grimassen zukommen zu lassen. Aber das war mir in diesem Moment so was von egal. Ich fühlte mich, als ob mir jemand einen Zentner Geröll von den Schultern genommen hätte. Liebevoll strich mir Nessie mit ihren zierlichen Fingern über die Schläfen, während ihr Kopf an meiner Schulter ruhte.

Renée berichtete von ihrer spannenden Rundreise, auf der sie sich seit einiger Zeit befand und wie unendlich froh sie über ihre nach wie vor gute gesundheitliche Konstitution war. Bella hörte ihr mit wehmütiger Miene zu und bekam immer wieder von Renée zu hören, wie schade es sei, dass sie nie wieder die Gelegenheit hätten, gemeinsam zu verreisen.
Esme und Sue tauschten sich besorgt über Mike und dessen Mutter aus. Charlie stellte fest, dass die Ausschreitungen während der Demo sogar noch schlimmere Verwüstungen angerichtet hatten als das verheerende Unwetter vor einigen Tagen.
Ich begnügte mich damit, über die momentane Harmonie, den Zusammenhalt und die glückliche Fügung, die diese Patchwork-Familie, in ihrer Einzigartigkeit, zusammen gebracht hatte, nachzudenken und wünschte mir im selben Moment, dass nichts sich je daran ändern möge.


Es war kurz vor Sonnenaufgang als Nessie in meiner Umarmung friedlich eingeschlafen war. Ich brachte sie nach oben und legte sie in ihr Bett. Ich gönnte mir einen Augenblick, den ich ihr einfach nur glückselig beim Träumen zusah. Madame Cassandra hatte Recht behalten: Alles hatte sich zum Guten gewandt. Die Leidenszeit war endgültig vorüber. Es war schon ein befreiendes Gefühl, endlich meinen Platz gefunden zu haben. Die ganze Zeit über war dieser Schwebezustand, in dem ich mich befunden hatte, mit einer inneren Zerrissenheit und Unzufriedenheit verknüpft gewesen, die mir erst jetzt so richtig bewusst geworden war. Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und verließ das Zimmer.

Kaum wieder unten angekommen, wurde ich von Carlisle, Edward und Bella zur Seite genommen. Ich trug noch immer ein etwas dümmliches Grinsen im Gesicht, das mir beim Anblick ihrer Mienen in Sekundenschnelle aus den Gesichtszügen purzelte.
„Sie hatte bei der Jagd einen Schwächeanfall“, fing Edward ohne Umschweife an zu berichten. Ich kniff die Augen zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. War es denn die Möglichkeit? Gerade noch hatte ich dem friedlichen Gedanken nachgehangen, dass wir den ganzen Stress nun hinter uns hatten, und jetzt das.
„Reg dich nicht auf. Es fehlt ihr offenbar nichts weiter. Das heißt Carlisle konnte nichts Besorgniserregendes feststellen. Wir machen uns natürlich trotzdem Sorgen. Jasper hat sich die ganze Zeit um sie gekümmert“, fuhr er erklärend fort, wobei er mich wie ein rohes Ei tätschelte, wohl aus Angst ich würde sofort polternd zurück in ihr Zimmer hechten. Carlisle nickte fortwährend, zur Bestätigung all dessen. Wie konnten sie nur so gefasst dastehen und mir das einfach so vor den Latz knallen?
Bella verschränkte die Arme vor der Brust und starrte mich ängstlich an. Wenigstens eine vernünftige Reaktion.
„Jake, hör mir zu. Ist dir sonst irgendetwas bei ihr aufgefallen?“, fragte sie mit flüsternder Stimme.

Mir war, als hätte mich jemand an ein Starterkabel angeschlossen. Tausend kleine Stromschläge fuhren durch meinen Körper, der mit einem Mal zu keiner Bewegung mehr fähig war. Ich schnaubt nur geräuschvoll die Luft durch die aufgeblähten Nasenflügel. Fieberhaft ging ich die letzten Tage gedanklich durch - natürlich in dem Bewusstsein, dass Edward alles hören konnte, doch darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Mir wollte nur eine Sache einfallen, über die ich mir schon selbst den Kopf zerbrochen hatte. „Sie schläft viel. Aber das ist doch nicht krankhaft, oder?“

„Es ist ungewöhnlich, zugegeben. Alle Halbvampire, die ich bisher beobachten durfte, haben nach Abschluss der Wachstumsphase wenig, bis kaum noch das Bedürfnis nach Schlaf“, erklärte Carlisle. Er fuhr sich über den blonden Schopf - eine Geste, die ich so noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte – und seufzte auf: „Wobei ich bei meinen Untersuchungen feststellen musste, dass ihr Zellstoffwechsel nach wie vor voranschreitet. Ihre Haare sind weiter gewachsen.“

Ich war kurz verwirrt. Was soll das nun schon wieder bedeuten? Edward und Bella starrten sich wie so oft schweigend an. Ich suchte verzweifelt in Carlisles Blick den Rettungsanker, den er mir aber nicht zuwerfen wollte.
„Kann mir endlich mal einer verraten, was das zu bedeuten hat?“, preschte ich aufgebracht hervor.
Carlisle räusperte sich: „Es hätte schon längst aufhören sollen, wenn wir ihr Lebensalter in Betracht ziehen.“ Dann drehte sich Edward mit leidvoll verzogenen Gesichtszügen zu mir.
„Die Hellseherin meinte doch: Ihre Gabe kommt wieder, wenn sich ihr Schicksal erfüllt. Was, wenn sie überhaupt nicht zurückkehrt?“
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Nessie & Jake - Zwischen den Welten - Seite 3 Empty Re: Nessie & Jake - Zwischen den Welten

Beitrag  esme78 Do 29 Sep 2011, 14:15

Jeopardy


Nessie

Ein vertrautes Aroma kitzelte mich an diesem Freitagmorgen aus tiefstem Schlaf. Ich blinzelte, strich mir die störenden Locken aus dem Gesicht und atmete tief ein. Mein müder Blick fiel auf den Nachttisch, der direkt in meinem Sichtfeld stand und von woher der verheißungsvolle Duft herzukommen schien. Ein Tablett, mit noch dampfendem Kaffee, Brötchen, Rühreiern und Orangensaft, wartete auf mich. Als ich mich, auf der Suche nach meinem Gönner, weiter im Zimmer umsah, fiel mir ein wunderschöner Strauß roter Rosen auf meinem Schreibtisch auf. Wer auch immer mir das Frühstück ans Bett gebracht hatte, musste auf Samtpfoten durch den Raum geschlichen sein, überlegte ich noch schlaftrunken.
Die Sonne steuerte bereits auf ihren Zenit zu, was meine Beobachtung als nächstes registrierte, da sich deren Strahlen ihren Weg über die Dachgaube erkämpft hatten und nun mitten ins Zimmer fielen. Erst mit einiger Verspätung drang die Erkenntnis zu mir durch, dass ich eigentlich gerade in der Schule sein sollte. Hastig schlug ich die Decke zurück und richtete mich auf. Im selben Moment wurde die Tür geöffnet.

„Guten Morgen.“ Jake krabbelte übermutig über das Bett und setzte sich neben mich. Freudestrahlend gab er mir einen Kuss auf die Nasenspitze, während er mein Gesicht in seine großen Hände bettete.
„Morgen ist gut. Ich hab verschlafen.“ Ich entzog mich seinem Griff und wollte aufstehen, doch er hielt mich an Arm zurück.
„Keine Hektik. Du gehst heute nicht zur Schule“, begründete er die Tatsache, dass mich offensichtlich niemand geweckt hatte. Mit dem Kinn deutete er zu dem liebevoll angerichteten Tablett und zog die Augenbrauen hoch. Ich nickte kommentarlos. Er griff nach einem der Brötchen, schnitt es auf, und bestrich es mit Butter und meiner Lieblingsmarmelade.
Währenddessen beobachtete ich ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und aufkeimendem Ärger. Nachdem er nicht weiter erklärend darauf eingehen wollte, hakte ich nach.
„Und warum nicht, wenn die Frage gestattet ist?“ Jake lachte auf, biss sich aber schnell wieder auf die Lippen, um nicht Gefahr zu laufen, etwas zu verraten, was im brennend auf der Zunge liegen musste. Trotzig nahm ich das Brötchen entgegen und biss ab. Er beäugte mich mit spitzbübischem Grinsen, wie ich am Kaffee pustete und zaghaft einen Schluck nahm.
Ich versuchte mir insgeheim einen Reim auf das alles hier zu machen. Eine Geburtstagsüberraschung, vermutete ich. Noch eine. Mir fiel wieder ein, dass ich am frühen Morgen unhöflicherweise eingenickt sein musste - auf meiner eigenen Geburtstagsparty. Die Müdigkeit hatte mich übermannt und ich erinnerte mich daran, diesem ungeheuerlichen Drang nachgegeben zu haben.
Mein Magen reagierte auf den ersten Bissen mit frohlockendem Knurren. Ich nahm noch einen Bissen und kaute ausgiebig, wobei ich weiter grübelte. Ich entschied, das Gespräch vorerst in sicheres Terrain zu lenken, um Jake dann eventuell aus seiner Reserve locken zu können.
„Sind Mom und die anderen noch da? Ich hab mich ja leider nicht verabschieden können, heute Morgen.“ Ich unterstrich meinen Versuch, mich geschlagen gegeben zu haben, mit einem unschuldigen Lächeln.
„Sie sind zuhause“, antwortete er knapp. Die entscheidende Frage brannte bereits auf meiner Zunge, aber ich hielt sie zurück. Ich hatte nicht vor, bei diesem Frage-und-Antwort-Spiel vorzeitig kleinbeizugeben.
„Kommen sie wieder?“
„Ganz bestimmt“, versicherte er mit breitem Grinsen und schüttelte gleich darauf energisch den Kopf, als hätte er die Lunte gerochen. Er stand auf, drückte mir noch eine Kuss auf die Stirn und lief zur Tür. „Du frühstückst erst einmal in aller Ruhe, dann gehst du ins Bad und machst dich fertig. Ich warte unten auf dich.“
Mit diesen Anweisungen stahl er sich aus meinem Zimmer und ließ mich verwirrt zurück.


Jake

„Und?“, erkundigte sich Bella, die mich gleich in Beschlag nahm, kaum, dass ich die letzte Stufe genommen hatte. Ich hob abwehrend beide Hände.
„Nur die Ruhe. Sie isst gerade, wie ihr sicherlich mitbekommen habt“, flüsterte ich. Bella boxte mir mit relativ gezügelter Kraft auf die Brust – ich wusste, was sie hören wollte, aber die Sache fing an mir richtig Spaß zu machen. Außerdem wollte ich nicht riskieren, dass Nessie uns hören konnte. Edward kam mir zu Hilfe, indem er sie nach draußen führte. Ich folgte den beiden einige Schritte in den Garten.
„Schatz, sie hat keine Ahnung.“ Edward umfasste ihre Schultern und lächelte sie schief an, nachdem er mir einen kurzen Seitenblick zugeworfen hatte. „Und es wird sich auch niemand den Fauxpas leisten wollen, Jake die Überraschung zu verderben“, flüsterte er verschwörerisch. Wiederwillig gab sie sich mit einem Seufzen geschlagen und lief auf dem Rasen einen kleinen Bogen ab. Wenn sie geglaubt hatte, mich damit nervös machen zu können, war sie schief gewickelt. Ich verschränkte die Arme siegessicher vor der Brust und ließ meine Kiefermuskeln tanzen. Bella reagierte verlässlich, wie immer. „Werd endlich erwachsen!“


Es war der zehnte September, der zum wiederholten Male unser Leben nachhaltig beeinflussen sollte. Die kurze Unterhaltung, von vor einigen Stunden, kam mir vor, wie in einem schlechten Film. Wäre dies ein Drehbuch gewesen, hätte ich den Autor eigenhändig und kaltlächelnd dafür umgebracht.
Nach dem ersten Schock fand ich mich auf dem Boden kauernd wieder. Ich hatte die Knie angezogen und hielt mir die Ohren zu, dabei wippte ich in monotoner Bewegung vor und zurück. Das Wirrwarr aus Verabschiedungen und Gelächter, das aus dem Nebenraum zur mir getragen wurde, konnte ich nicht ertragen. Ich dachte nur an Renesmee, die vor neunzehn Jahren, am Tage ihrer Geburt, meinen Leben erst den richtigen Sinn gegeben hatte. Konnte es möglich sein, dass sie mir bald wieder genommen werden sollte? Es war zwar nur eine Vermutung, die Edward in seine Frage hatte einfließen lassen, doch das Kopfkino, das vor meinem inneren Auge ablief – es hätte von Hitchcock persönlich inszeniert worden sein können -, zwang mich zu Boden. Sein Weltenschmerzgesicht alleine hätte schon ausgereicht, um meinem Herzen einen tiefen Stich zu versetzten.

Nach und nach wurde es ruhiger, bis nur noch die Cullens anwesend waren. Ich hörte, dass Charlie und Sue sich zurückzogen. Ab und zu huschte jemand an mir vorbei, wobei ich mir nicht die Mühe machte aufzusehen. Niemand kam an mich heran. Selbst der sensible Jasper biss sich an mir seine schneeweißen Beisserchen aus. Mir konnte niemand mehr helfen.

Ich verlor jegliches Zeitgefühl. Der Tag erwachte und mit ihm auch die Vögel. Ihr unaufhörlich, gellendes Gezwitscher sorgte dafür, dass ich drauf und dran war, aufzustehen, nach draußen zu stürmen, um sie zu fragen, was es denn hier bloß zu besingen gäbe. Ich hatte so angestrengt versucht, alle Nebengeräusche auszublenden, dass ich die Stille, nachdem sie sich dann endlich eingestellt hatte, als noch unangenehmer empfand.
Ich öffnete langsam die schmerzenden Augen und fuhr mir mit den Händen über das taube Gesicht. Die erste Bewegung seit gefühlten Stunden sorgte dafür, dass das Blut in meinen Adern wieder verstärkt zirkulierte und ein Kribbeln unter der Haut hinterließ. Ich ächzte auf und schüttelte sie in wedelnden Bewegungen nach unten, bis es endlich nachließ. Mit meinen Fingern strich ich über die Knöchel und die Handgelenke. Das war der Moment, an dem mir ein Licht aufging.

Mein Blick blieb einen Herzschlag lang an meinen Händen haften. Dann fuhr ich hoch - so schnell, dass ich die Vase auf der Kommode neben mir umgestürzt hatte. Eine weiße Hand schnellte an mir vorbei und fing sie auf.
„Jasper? Jake?“, riefen Alice und Bella im Chor, die zu uns geeilt kamen. Ich sah geistesabwesend die Hand an, die die Vase sicher in ihrem Griff umschloss – sie gehörte Jasper.
War er die ganze Zeit schon an meiner Seite? Ich hatte ihn nicht bemerkt.
„Alles in Ordnung?“ Japers Gesicht war seltsam verzerrt. Eine seiner Augenbrauen war in die Stirn gezogen, die andere kräuselte sich über seinem fokussierten Blick. Sie spiegelten die wirren Emotionen wieder, die er von mir zu empfangen schien. Ich löste mich von seiner seltsamen Mimik und stapfte an den dreien vorbei ins Wohnzimmer, direkt auf Carlisle zu. Unterdessen lief mein Verstand auf Hochtouren. Ich hatte beinahe das Gefühl zu platzen, als wäre nicht genug Raum für all die Gedanken, die in meinem Gehirn Purzelbäume schlugen und darum wetteiferten, welchem ich mich zuerst widmen sollte.

„Hast du jetzt gänzlich den Verstand verloren?“, trat mir Edward misstrauisch in den Weg. Ich schob ihn einfach zur Seite und beachtete ihn nicht weiter.
„Carlisle. Sie wird uns nicht verlassen.“ Die Worte sprudelten regelrecht aus meinem Mund. Er sah sich hilfesuchend nach Edward um. Obwohl er immer noch nicht zu wissen schien, worauf ich hinaus wollte, nickte er bestimmt, drehte mich um meine eigene Achse und drückte mich auf den Stuhl, von dem er gerade aufgestanden war.
„Was willst du damit sagen? Weißt du, was ihr fehlt?“
Ich konnte es einfach nicht mehr zurückhalten. Das Lachen brach mit solch einer Wucht aus mir heraus, dass ich Edwards Gedanken, mich könnten alle guten Geister verlassen haben, durchaus nachvollziehen konnte. Ich konnte es ja selbst noch nicht begreifen. Carlisle starrte mich weiterhin fragend an. Ich stand entschlossen wieder auf und lief zur Tür.
„Das war nicht die richtige Frage, Doc. Ihr fehlt nicht das Geringste – im Gegenteil.“
„Was soll das denn nun schon wieder heißen? Und wo willst du jetzt überhaupt hin?“, mischte sich Bella ein.

Ich drehte mich im Türrahmen um. „Ich muss schnell was besorgen.“
Ich linste zu Alice, deren Blick starr und abwesend war. Nun, da meine Entscheidung gefallen war, blieb ihr nichts weiter übrig, als dem etwas veränderten Verlauf der Dinge in ihrer Vision stumm beizuwohnen. Edwards Blick klebte gebannt auf Alice und noch bevor sie die richtigen Schlüsse hätten ziehen können, rief ich, schon einige Meter vor dem Haus: „Bin bald zurück.“


Als ich nach knapp zwei Stunden, mit einem Strauß roter Rosen und einem kleinen Päckchen in meiner Hosentasche, wieder bei Charlie auf der Matte stand, war die Aufregung immer noch groß.
Carlisle kam mit angespannt aufeinander gepressten Lippen auf mich zu.
„Jake, du weißt: Ich kann ihr so ohne weiteres kein Blut abnehmen, oder andere bildgebenden Verfahren anwenden. Geschweige denn sie um eine Urinprobe bitten - nicht ohne, dass sie Fragen stellen würde“, fügte er schwach grinsend an. „Abgesehen davon, dass wir beide wissen, dass sie nicht funktionieren würden.“ Seine Argumente sprachen für sich. „Bist du dir absolut sicher, was deine Vermutung betrifft?“, flüsterte er eindringlich.
Ihm war (wie mir natürlich auch) klar, dass die Bombe, wenn sie einmal fälschlich gezündet worden wäre, alles nur noch schlimmer gemacht hätte.
„Ich war mir noch nie bei einer Sache so sicher“, betonte ich jedes einzelne Wort.

Durch absolut nichts war ich von meinem Entschluss abzubringen. Ich wollte und musste Nägel mit Köpfen machen.
Zügle deine Gedanken, Jake, rief ich mir in Erinnerung. Gerade weil mein geschätzter Schwiegervater, mit seiner antiquierten Vorstellung von Moral und Ehre, mich seit meinem erneuten Erscheinen nicht eines Blickes gewürdigt hatte. Emmett griff die Gelegenheit beim Schopfe – Carlisle besprach sich gerade mit den Damen - und zog Edward und mich nach draußen. Jasper folgte uns.

Emmett warf einen verstohlenen Blick zu Nessies Fenster.
„Na das nenne ich doch mal eine echte Überraschung.“ Er legte Edward die Hand auf die Schulter und zwinkerte mir zu.
„O.k. Du hörst das wahrscheinlich nicht gerne, aber deine Tochter ist erwachsen. Sie war es schon als Dreikäsehoch.“ Er grinste verschlagen und legte seine andere Hand auf meine Schulter. „Sei doch froh, dass er aus ihr ein ehrbares Mädchen machen will.“ Den nicht ausgesprochenen Nebensatz konnte ich direkt in seinen blitzenden Augen ablesen.
„Emmett! Halte dich zurück!“, knurrte Edward. Ja, ich hatte wohl recht.
„Da hat er nicht ganz Unrecht“, pflichtete ihm auch Jasper bei. „Es wird langsam mal Zeit, dass du etwas lockerer wirst.“ Er tat das, was er am besten konnte und Edward entspannte sich zusehends.
Emmett grinste nur noch breiter und huschte mit den Worten, „Willkommen im 21. Jahrhundert, Edward.“ mit Jasper wieder ins Wohnzimmer.
Ich war schon auf dem Weg, Emmett und Jasper zu folgen, da hielt Edward mich zurück.
„Jacob, warte. Wir beide haben da noch etwas zu erledigen.“
Ich hatte mir noch nie zuvor so sehr gewünscht mal einen Blick in seinen Schädel werfen zu können, wie in diesem Augenblick.
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Nessie & Jake - Zwischen den Welten - Seite 3 Empty Re: Nessie & Jake - Zwischen den Welten

Beitrag  esme78 So 16 Okt 2011, 14:36

Nie im Leben wäre ich darauf gekommen, was Edward mit mir vor hatte. Er packte mich am Arm und rannte los. Mir war nicht ganz wohl in meiner Haut, denn er trieb seine Beine im Stechschritt voran und ich hatte Mühe ihm zu folgen. Kurz spielte ich mit dem Gedanken mich zu verwandeln, verwarf ihn aber schnell wieder, als sich ein anderer Gedanke zu Wort meldete: Er will mir wohl unter Ausschluss der Öffentlichkeit das Fell über die Ohren ziehen. In Menschengestalt hat er vielleicht eher Skrupel.
„Jacob. Sei nicht albern“, ging er auf meine - zugegeben - leicht nervöse Befürchtung ein. „Du müsstest mich doch mittlerweile besser kennen.“
Er blieb stehen und bedachte mich mit seinem typischen, etwas überheblichen Gesichtsausdruck – der Blick betont sachlich, die Marmorstirn in Falten gezogen und einem angedeuteten Lächeln, das seine Lippen umspielte.
„Willst du mir nicht endlich sagen, was wir so dringendes zu erledigen haben?“ Mit den Fingern malte ich Anführungszeichen in die Luft.
Wieder wechselte er abrupt seinen Gemütszustand und mir jagte die nächste Gänsehaut über den Rücken. Er ballte die Hände zu Fäusten und biss die Zähne zusammen.
„Kannst du dir das nicht denken?“, zischte er zwischen den Zähne hervor, dabei machte er einen kleinen Schritt auf mich zu. Ich wich automatisch einen Schritt zurück, die Schultern ahnungslos nach oben gezogen.
Er seufzte auf und starrte in das dichte, grüne Blätterdach über uns. „Ich hole dich nur ungern von deiner Wolke sieben. Aber hast du mal darüber nachgedacht, dass ich mit meiner Vermutung nicht vielleicht auch Recht haben könnte.“
Darauf konnte ich im ersten Moment nichts erwidern. Er trat wieder einen Schritt auf mich zu und sah mir tief in die Augen.
„Bella und Renesmee sind mein Leben. Ich ertrage den Gedanken nicht, dass ihnen Schmerzen zugefügt wird.“

Da war er wieder: Dieser irre Blick, der ihn uralt aussehen ließ. Ich wusste, worauf er anspielte. Carlisle und er sahen sich schon einmal, mit ihrem Latein am Ende, einer ähnlichen Situation gegenüber. Das Bella und Nessie heute unser aller Leben bereicherten, war keinesfalls selbstverständlich. Ihn erinnert das alles an damals, als wir von Nessies Existenz überrascht worden waren.
Es musste ihm wie eine Art Déjà-vu vorkommen. Nur mit dem winzigen Unterschied, dass dieses Mal er auf mich hätte losgehen können, so, wie ich ihn damals hatte umbringen wollen. Ich sah Bellas ausgemergelten Körper vor mir, als wäre es gestern gewesen – ein Anblick, den man nie wieder loswird.
Vielleicht hatte er Recht. Und genau wie damals nisteten sich augenblicklich diese Gedanken wie Unkraut in meinen Schädel, ehe ich es verhindern konnte; Gedanken, die mir alle möglichen Horrorszenarien vorspielten. Ich schüttelte angewidert den Kopf, um die Bilder schleunigst wieder loszuwerden.
Edward verzog leidend das Gesicht, als er meinen Gedanken folgte. Er wandte sich von mir ab und trat gegen einen Stein, der in hohem Bogen durch das Gehölz zischte. Von diesem Geräusch wachgerüttelt trat ich ihm gegenüber und packte ihn an den Schultern. Einen kurzen Moment starrten wir uns an, während ich versuchte meine zitternden Glieder zu beruhigen und Edward seine Fassade wiederherstellte.
Das kann und darf einfach nicht sein.
„Edward, du siehst Rauch, wo noch nicht mal Feuer ist. Ich kann deine Ängste und Befürchtungen verstehen – ich war damals schließlich auch dabei. Aber könntest du nicht zumindest versuchen, ein wenig optimistischer zu sein?“
Gedanklich stellte ich die vom nahenden Tod gezeichnete Bella von damals, der friedlich schlummernden Nessie von heute Morgen gegenüber.
Er schien die Bilder zu vergleichen, wie ich es mir erhofft hatte, denn seine Augen wanderten hektisch hin und her, wobei er geradewegs durch mich hindurchsah.
„Vierundzwanzig Chromosomenpaare. Muss ich dich wirklich daran erinnern?“
Er nickte zerknirscht und flüsterte: “Ich wünschte, ich könnte aus meiner Haut.“
Oh ja, Edward, der ewige Pessimist.

Er entzog sich meines Griffes und lief weiter. Ich blinzelte überrascht. Was hat er denn nun schon wieder vor?
„Mir Klarheit verschaffen.“ Zielstrebig rannte er weiter und ließ mich unschlüssig zurück. „Nun komm schon!“
Ich sah mich prüfend im Wald um und begann mich zu orientieren. Als mir klar wurde, wohin wir gelaufen waren, verstand ich, was er im Sinn hatte.

Wie schon die Male zuvor überkam mich leichte Übelkeit, als ich den Dunst der Räucherstäbchen roch. Edward und ich verharrten an den schweren Samtvorhängen und warfen einen vorsichtigen Blick ins Zeltinnere.
„Was wollt ihr?“ Die Stimme der Madame hatte einen leicht mürrischen Unterton. Nachvollziehbar. Schließlich wurde sie vor kurzem von einem Geist gekidnappt.
Mit erhobenen Händen trat ich langsam ein.
„Madame Cassandra, dürfen wir eintreten?“ Sie runzelte die Stirn und legte den Kopf schief.
Edward trat aus meinem Schatten. „Wir müssen mit ihnen sprechen. Es ist sehr wichtig.“
Jetzt fielen ihr schier die Augen aus dem Kopf. Sie taumelte blind rückwärts und ließ sich auf ihren Sitz fallen.
„Wer seid Ihr? Was wollt Ihr von mir?“ Ich warf Edward einen vorwurfsvollen Blick zu. Musste er sie so überfallen? Beschwichtigend legte ich die Handflächen aneinander und legte die Fingerspitzen an meine Lippen. „Hören Sie. Wir wollen Sie gar nicht belästigen. Wir sind auch gleich wieder weg. Es geht um meine Freundin.“
Sofort wurde ihr Blick forschend. Sie musterte Edward von oben bis unten.
„Das ist...ihr Bruder“, log ich schnell, um Verwirrung von vornherein auszuschließen. „Wir machen uns Sorgen um sie. Können Sie uns helfen?“
Ich streckte Edward die flache Hand entgegen, da ich leider nicht genügend Geld bei mir hatte. In meiner Hosentasche steckte zwar etwas von Wert, aber ich bezweifelte, dass die Madame etwas anderes als harte Währung akzeptierte. Erst meinem gedanklichen Anstoß folgend griff er sich in seine Tasche und zog einen fünfzig Dollarschein hervor. Mich überkam ein kurzer Anflug von Neid. Wenn er einen Hunderter gezückt hätte, wäre es ihm wahrscheinlich nicht einmal aufgefallen. Der Drang, endlich eine Bestätigung für meine Gefühle zu bekommen, überwog dem Ärger über seine Verschwendungssucht. Vielleicht war ich auch nur eifersüchtig. Eifersüchtig auf die Tatsache, dass ich, mit meinen beschränkten Mitteln, Nessie wohl nie annähernd gerecht werden könnte. Ich schüttelte unmerklich den Kopf und nahm das Geld, um es in den Schlitz der Box zu stecken – da konnte wohl noch jemand nicht aus seiner Haut.

Madame Cassandra wies uns immer noch misstrauisch auf die Plätze.
„Ich habe ihr bereits aus den Karten gelesen. Was wünscht ihr über dies hinaus zu erfahren?“
Wir nahmen Platz und wechselten einen kurzen Blick. Edward gab mir stumm zu verstehen, dass ich das reden übernehmen sollte. Ich war mir jedoch nicht sicher, wo ich anfangen sollte. Nervös rieb ich mir mit den Handflächen über die Oberschenkel.
„Sie haben ihr geweissagt, dass sie alles bekommen würde, was sie sich erträumt.“ Ich zögerte, um meine Frage so aussagekräftig wie nötig, gleichzeitig aber so wage wie möglich zu formulieren. „Wird sie es gesund überstehen? Werden sie es beide überstehen?“
Ich biss mir auf die Lippen und krallte mir die eigenen Fingernägel ins Fleisch.
Sie versuchte aus meiner verkrampften Haltung schlau zu werden, gab sich aber mit einem tiefen Seufzer geschlagen. So begann sie akribisch die Glaskugel zu polieren. Als sie damit fertig war, legte sie das Tuch wieder sorgfältig zusammengefaltet neben sich auf den Tisch. Ich hielt vor Anspannung den Atem an, Edward vermutlich auch. Sie versank in ein tiefes Summen und bewegte ihre Hände rhythmisch zu den Tönen, die sie anschlug, dicht um die Kugel. Wie schon beim letzten Mal, als sie Seth aus der Kugel dessen Zukunft voraussagen wollte, beugte sie sich über die Kugel und suchte mit hochkonzentriertem Blick nach Antworten.

Es dauerte eine halbe Ewigkeit – in der sie nicht einmal mit der Wimper zuckte -, bis sie sich wieder aufrichtete und uns anlächelte.
„Ich kann euch beruhigen. Es ist mir eine Ehre, ein solch mächtiges übernatürliches Wesen getroffen zu haben. Ihr Schicksal wird sich erfüllen. Ihr braucht euch nicht zu sorgen. Alles wird sich fügen, wie es sein soll.“
Erleichtert seufzten wir auf, auch wenn ich auf eine etwas präzisere Aussage gehofft hatte. Diese Nachricht ließ mich ihre freizügige Äußerung, über übernatürliche Wesen, glatt überhören.
„Vielen Dank. Wir sind auch schon wieder weg“, plapperte ich gelöst drauf los und stand schon, zum Gehen bereit.
Die Madame erhob sich und legte ihre Hand auf meine.
„Gern geschehen. Tu mir bitte einen Gefallen. Richte dem alten Mann aus, dass ich tue, was ich kann – wenn ich höflich darum gebeten werde.“ Ihr sarkastisches Grinsen brachte mich wiederum beinahe zum grinsen, doch ich konnte mich gerade noch zurück halten. Wer konnte schon wissen, wie sie darauf reagiert hätte. Ich nickte förmlich und griff mir mit der Hand schuldbewusst in den Nacken. Sie warf Edward einen flüchtigen Seitenblick zu und versicherte uns: „Ich werde eure Geheimnisse hüten. Ehrenwort!“
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Nessie & Jake - Zwischen den Welten - Seite 3 Empty Re: Nessie & Jake - Zwischen den Welten

Beitrag  esme78 Fr 16 Dez 2011, 22:52

Spiel des Lebens


Nessie

Es gestaltet sich mehr als schwierig, irgendetwas aus meiner schweigsamen Familie herauszubekommen. Ich kam auch gar nicht dazu, irgendwelche Vermutungen anstellen zu können, da ständig ein anderer um mich herum wuselte. Auf die Frage, wo denn Jake sei, begegnete man mir mit Schulterzucken und Augenrollen. Ich fragte mich, ob es Jasper zu verdanken war, dass ich mich wie im Inneren eines Tornados fühlte. Es war schon beinahe beängstigend – für mich, als einzig Unwissende – zu beobachten, dass trotz all der äußerst verwirrend wirkenden Abläufe ein homogenes System wütete. Ein Schweizer Uhrwerk hätte diesem Vergleich nicht standgehalten. Einzig Alice passte nicht ins Bild. Ich kam nicht umhin zu bemerken, dass sie auffallend missmutig zu sein schien. Ihre einzige Aufgabe bestand offenbar darin, ein unscheinbares, weißes Kästchen mit ihren Argusaugen zu bewachen, als beherbergte es den Schlüssel zu Fort Knox.

Schlussendlich wurde ich entführte. Man fuhr mich ins Reservat - genauergesagt nach La Push, soviel wusste ich nach einigen Minuten stummen Kolonnenfahrens. Vor lauter Anspannung fingerte ich immer wieder am Saum meiner Bluse herum. Meine innere Unruhe übertrug sich auf Rosalie und Esme, die mich in ihre Mitte genommen hatten. Esme griff mit einem aufmunternden Lächeln nach meiner Hand und deutete mit hochgezogenen Augenbrauen auf den Strandabschnitt, der nach der letzten Kurve wie ein Gemälde vor uns auftauchte.
Mein Blick schweifte über die Bucht und ich genoss das Bild, welches sich mir bot. Der Himmel über der brausenden See begrüßte uns mit einer wunderschön, milchigen Wolkenkulisse, die die Möwen und Reiher als Bühne für ihr Willkommensschauspiel nutzten. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht, begleitet von einer Gänsehaut, die mir über den Rücken lief.
Die Fische waren zurückgekehrt; der Fortbestand des Stammes war wieder gesichert. Erleichtert atmete ich auf. Einen weiteren tiefen Atemzug später kamen wir oberhalb der Klippen endlich zum Stehen.

Die Prozession, mit mir in ihrer Mitte, bewegte sich auf ein hochgelegenes Felsenplateau zu, hinter dem sich die ersten Ausläufer des Naturschutzgebietes erstreckten. Da stand Jake umringt von seinen Jungs neben Billy und strahlte mich an. Noch bevor ich wie an einer unsichtbaren Schnur gezogen einen Schritt aus der Menge auf ihn zu machen konnte, hielt mich Alice zurück. Sie reichte mir eine einzelne rote Rosen mit den knappen Worten: „Moment. Einen Augenblick wird er sich noch gedulden müssen.“
Dann kippte ihre Stimmung und mit einem Mal fingen ihre goldenen Augen Feuer und sie schloss mich in ihre Arme.

In diesem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Mom und Dad traten ebenfalls nach vorne. Mom umklammerte besagtes Kästchen und sah aus, als ob sie gleich vor Aufregung platzen wollte. Sie tauschte einen verschwörerischen Blick mit Opa Charlie und Oma Renée, die sichtlich mit den Tränen kämpfte. Ehrfurchtsvoll öffnete sie das Kästchen und zog zwei silberne Haarkämme aus dem Futter. Rosalie nahm ihr das Kästchen ab, sodass sie mir die Schmuckstücke in die Frisur einarbeiten konnte. Ich erinnerte mich gut an Moms Kostbarkeiten, mit denen ich als Kleinkind öfter gespielt hatte, als es ihr recht gewesen sein konnte. Mir stockte der Atem, als Dad meinen Arm nahm und mir einen Kuss auf die Stirn drückte. Und nun war ich es, die mit den Tränen zu kämpfen hatte.

Die Ereignisse der letzten achtundvierzig Stunden hätten ausgereicht, um ein ganzes Leben zu füllen. Soviel ist geschehen. Unheimliches, Leidvolles, Mysteriöses, Versöhnliches und Unerwartetes.
Ich hatte ihn mit meinem Antrag, dem ich ihm vor einer kleinen Ewigkeit auf der Lichtung gemacht hatte, überrumpelt. Jetzt wollte er den heutigen Tag zu jenem Tag werden lassen, von dem an wir endlich und unwiderruflich als Ehepaar in unsere gemeinsame Zukunft schreiten würden.
Bei dem Gedanken daran kribbelte es in meinem ganzen Körper. Ich war so froh, dass Dad wusste, wohin er mich zu führen hatte. Ich war einfach zu perplex, um auch nur einen Fuß selbständig vor den anderen zu setzten. Bedacht schritten wir auf den Halbkreis zu, den meine beiden Familien um Jake und Billy gezogen hatten.
Charlies Schnäuzer durchbrach die gespannte Stille, als Dad meine schweißnasse Hand in die von Jake legte. Die Berührung mit seiner Haut war wie eine Explosion. Der Blick seiner dunklen Augen, die selbst jetzt vor spitzbübischem Charme glühten, war das Feuer und ich was das TNT.

Da ergriff Billy das Wort: „Liebe Freunde. Wir alle sind hier zusammengekommen, um den ewigen Bund zwischen Renesmee und Jacob zu schließen. Wir dürfen Zeugen einer Vereinigung werden, die mehr für uns bedeutet, als ein gegenseitiges Versprechen zweier Liebenden. Es ist die Verbindung zweier Familien… zweier Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Feuer und Eis. Tag und Nacht. Ich brenne vor Stolz, nicht nur dieser Zeremonie beiwohnen, sondern sie selbst auch durchführen zu dürfen.“
Dann wandte er sich an Jake, der nickte. Ich reichte Mom die Rose.
Mit gesenktem Blick auf unsere beiden nun ineinander gelegten Hände räusperte er sich kurz, bevor er mir tief in die Augen sah.

„Renesmee. Du bist mein Morgen, mein Mittag, mein Abend und meine Nacht. Du bist die Sonne, der Schatten, mein Atem, mein Herz. Alles, was du bist, bin auch ich. Deine Liebe gibt mir die Kraft, mehr zu sein, als ich es alleine je sein könnte. Wir gehören zueinander. Lass uns nun auch vor allen alten Mächten den Schwur leisten, einander nie loszulassen, bis wir am Ende unseres Weges angekommen sein werden.“

Hier stand ich, in meiner Jeans, meiner Karobluse über dem Top in der Hüfte geknotet, die Locken lässig mit den Silberkämmen hochgesteckt, und strahlte über das ganze Gesicht.
Mein Verstand versuchte zu erfassen, was Jacob mir gerade gesagt hatte. Mir war, als würde die Welt stillstehen. Alles um mich herum verblasste und ich war gefangen im Bann seines Blickes. Diese Augen versprühten das glühende Versprechen, seine Worte auch in die Tat umsetzten zu wollen. So voller Demut und Dankbarkeit, dass mir die Tränen aufstiegen. Ich verstärkte den Druck um seine Hände und bedeutete ihm, dass ich die Absicht hatte, sie nie wieder loszulassen.


Jake

Es war einfach perfekt. Mein Engel stand hier vor mir, unsere Freunde und Verwandten bei uns. Ihr Lächeln erreichte mein tiefstes Inneres. Sie war die Kraft, die mich am Leben erhielt, der Grund für mich zu atmen und einen Fuß vor den nächsten zu setzen. Wir waren füreinander bestimmt und dieser Moment war einzig und alleine geschaffen dafür, unseren Bund zu besiegeln. Daran hatte ich nicht den geringsten Zweifel. Jedes meiner Worte kam direkt aus meinem Herzen. Ich musste nicht zögern, nicht nachdenken – einfach sein. Und das konnte ich nur mit ihr.
Nimm dein Schicksal in die Hand. Ja, das tat ich. Seth reichte mir den Ring und trat wieder zurück. Noch einmal holte ich tief Luft und sprach:
„Renesmee Carlie Cullen, nimm diesen Ring als Zeichen meiner endlosen Liebe, ohne Anfang, ohne Ende. Begleite mich, bis ans Ende unserer Tage.“
Sie presste die Lippen aufeinander und ihre Augen schimmerten wässrig, als ich ihr mit leicht zittrigen Händen den Ring an den Finger steckte.
Von irgendwoher wurde ihr ein Taschentuch gereicht, das sie kopfschüttelnd ablehnte. Sie schämte sich nicht ihrer Tränen, sondern ließ ihnen freien Lauf. Mit ihren zarten Händen umschloss sie mein Gesicht und kämpfte um ihre Stimme.
„Das bringst auch nur du fertig. Mich zum Weinen zu bringen, ohne das sich gleich eine ganze Armee rachsüchtiger Vampire auf dich stürzt.“
Die Möwen krächzten verschreckt über dem anschwellenden Gelächter auf, welches augenblicklich ihren Worten folgte. Doch sie redete unbeirrt weiter:
„Und das ist auch gut so. Denn ich möchte alles mit dir teilen. Die Tränen, das Lachen….“ Sie lachte ein entzückendes Lachen. „Sogar deine Blondinen-Witze. Alles, was dich ausmacht. Denn du bist es, was ich will… was ich brauche, um glücklich zu sein. Ja, Jake.“

Weitere Worte hatten keine Chance mehr ihre Lippen zu verlassen, denn ich forderte den mir rechtmäßig zustehenden Kuss meiner Braut ein. Tosender Applaus, johlendes Gelächter und raunendes Stimmengewirr setzte ein.
Einen vollkommenen, nervenaufreibenden Moment später knieten wir vor Dad nieder. Er berührte unsere Schultern und sprach die Worte in der uralten Sprache unserer Vorfahren.
Der hypnotische Sprechgesang verfehlte nicht seine Wirkung. Ich konnte sie spüren. Die Geister meiner Vorfahren, die Mächte der Mutter Erde und den Geist meiner Mutter, von dem ich wusste, dass er in diesem Augenblick in allen Anwesenden aufgenommen worden war.
Die Zeremonie ließ den ungeheuren Stolz in mir noch wachsen, zu wissen, dass auch unser Baby diesen Moment mit uns teilte.
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Nessie & Jake - Zwischen den Welten - Seite 3 Empty Re: Nessie & Jake - Zwischen den Welten

Beitrag  esme78 So 08 Jan 2012, 18:00

Nessie

Ich hatte Jake noch nie so gesehen. Nach der herrlichen Zeremonie schloss er mich in seine Arme und ich spürte die Wellen freudiger Erregung, die ihn durchfuhren. Genauso hatte er es sich vorgestellt, genauso hatte er es sich erträumt - all die Jahre, die er auf diesen Moment hatte warten müssen. Ebenso wie sein Vater, der solch eine Ruhe und Zufriedenheit ausstrahlte, die ich auch bei ihm in dieser Form noch nicht erleben durfte. Die Reihe der teils verheulten Gesichter, die uns beim Beglückwünschen passierten, wollte kein Ende nehmen. Nur gut, dass sich an diesen Teil des Strandes nur sehr selten Besucher verirrten. Jake hatte den Ort äußerst bedacht gewählt.

Es folgte ein gemütliches Beisammensein aller Gäste am Strand mit Lagerfeuer. Vampire, Werwölfe, Menschen und Halbvampire saßen bunt gewürfelt zusammen und erfüllten den Strand mit fröhlichem Geplänkel. Es wurde gelacht, erzählt und geschlemmt - es ein einfaches Picknick zu nennen, wäre schlichtweg frevelhaft gewesen. Obwohl ich ein reichhaltiges Frühstück am Morgen hatte, holte ich mir noch vor Jake einen Nachschlag. Dabei grinste er mich verschlagen an.

Mit einem unschuldigen Achselzucken setzte ich mich wieder zu ihm, als Renée sagte: „Alice, gib es zu. Du hättest es nicht besser machen können.“
„Eine perfekte Feierlichkeit kann kein zu wenig oder ein zu viel von etwas haben“, ergänzte Sue und drückte meine Hand. Charlie trat hinter Alice, um sie freundschaftlich an den Schultern zu fassen.
„Sei mir nicht böse, aber ich beschwere mich auch nicht, auf den Smoking verzichtet zu haben.“
Die Runde stimmte in ein herzhaftes Lachen ein. Alice hingegen konnte sich trotz der ausgelassenen Stimmung nicht mehr als ein müdes Lächeln abringen. Ich deutete ihre Zurückhaltung als Kapitulation und versuchte sie etwas aufzuheitern.
„Melinda hat mir erst neulich erzählt, dass ihre Mutter heute noch von deinen Qualitäten als Hochzeitsplanerin schwärmt“, beteuerte ich ihr. Mit einem zufriedenen Lächeln beobachtete ich meine Eltern, wie sie gedankenverloren – natürlich in gebührendem Abstand zum Feuer - in die Flammen schauten.
Wieder einmal wurde mir bewusst, welch großes Glück ich hatte. Von Liebe umringt schnürte es mir förmlich die Kehle zu. Ich spürte in einem sentimentalen Anflug die Tränen in mir aufsteigen und schluckte sie mit Mühe herunter.
Da kam plötzlich Carlisle auf uns zu und sah mich prüfend an.
„Geht es dir nicht gut?“
Ich hatte kaum Gelegenheit ihm über meine Verwirrung mit einer Gegenfrage zu begegnen, da zog mich Jake ohne Vorwarnung auf die Beine und verkündete selbstsicher: „Sie braucht nur ein paar Streicheleinheiten von ihrem Mann. Ihr entschuldigt uns bitte?“
Ungläubig sah ich ihn an und ließ mich mit hochroten Wangen von meiner eigenen Hochzeit entführen.



Jake

Es war ja nun wirklich nicht so, dass ich Carlisles medizinisches Interesse am Wohlbefinden meiner mir endlich Angetrauten nicht zu schätzen gewusst hätte. Nein. Ich zog es einfach vor, diesen Moment nicht mit dem Rest unserer Familie zu teilen. Ohne auch nur einen weiteren Blick auf das Lagerfeuer zurückzuwerfen, entfernten wir uns von diesem Strandabschnitt. Mit Nessie eng an mich gezogen führte mein Weg uns eine ganze Weile am Strand entlang, bis zu den Gezeitenbecken. Dort war ich mir der gewünschten Privatsphäre einigermaßen sicher. Mit diebischem Seitenblick musterte ich sie ganz genau. Die anhaltende Verwirrung war ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.

Ich atmete die salzige Meeresluft tief ein, fasste mir ein Herz und fragte betont gelassen:
„Und? Wie gefällt dir deine Hochzeitsfeier?“
Mit einer Hand über meinem wild pochenden Herzen hob sie ihren Blick mit einem Augenaufschlag, bei dem ich sonst mit Sicherheit dahin geschmolzen wäre. Doch für den weiteren Verlauf dieser Unterredung benötigte ich dringendst alle meine Sinne. So blinzelte ich um Fassung ringend, während ich auf ihre Antwort wartete.
„Ich bin überwältigt“, gestand sie. „Mir fehlen die Worte. Sei nur froh, dass ich vorhin zumindest ein Ja herausbekommen habe“, ließ sie mich kichernd wissen.
Darauf musste ich einfach lachen.
„Und wie fühlst du dich, Schatz?“ Behutsam rieb ich ihr über die Arme, während sich, statt bei ihr, bei mir sämtliche Haare aufrichteten.
Sie wurde sofort ernst und musterte mich unter angehobenen Augenbrauen auffallend kritisch.
„Warum werde ich das ständig gefragt?“, verlangte sie zu erfahren.
Ich spielte nervös mit meinem Ring, der sich noch etwas ungewohnt an meinem Finger anfühlte. Ich befeuchtete meine Lippen verlegen grinsend und zog ihre Hand an mich, um sie mit federleichten Küssen zu bedecken.
„Weil wir dich lieben. Wir haben uns Sorgen gemacht“, gestand ich ihr flüsternd.
Als ich wieder in ihr Gesicht sah, bemerkte ich, dass sie beharrlich meinem Blick standhielt, ohne mit der Wimper zu zucken. Ihre Gesichtszüge spiegelten die unterschiedlichsten Emotionen wider. Sie schien zu ahnen, dass ich im Begriff war, ihr etwas Wichtiges zu beichten.
„Hat Carlisle mit dir gesprochen?“
Ich neigte den Kopf etwas zu Seite und zog die Augenbrauen zusammen.
Wie sagt man seiner Frau am schonendsten, dass sie ihren Mann zum glücklichsten aller Männer gemacht hat, ohne, dass sie einem ohnmächtig entgegenfällt.
„Raus mit der Sprache!“, forderte sie ungeduldig.
Ich atmete nochmals tief durch.
„Lass uns einen Moment hier hinsetzen.“

Auf einem Felsbrocken ließen wir uns nieder und ich zog ihre linke Hand zu mir. „Show, don´t tell“, entschied ich.
Mit dem Zeigefinger fuhr ich die unzähligen feinen Linien in ihrer Handfläche nach. Mit offenem Mund bestaunte sie mein Tun. Ich suchte ihren scheuen Blick und deutete auf die deutlich ausgeprägte Vertiefung unter ihrem Kleinfinger. Dann zeigte ich ihr meine Hand. Wortlos fuhr sie mit ihrem Zeigefinger über dieselbe Vertiefung, die ich an exakt der gleichen Stelle vorzuweisen hatte.
Die Erkenntnis durchfuhr sie wie ein Blitz, so wie mich vor wenigen Stunden.



Nessie

Mir fuhr es heiß und kalt über den Rücken. Die Kehle war trocken und mein Herz schlug so schnell, als hätte ich einen Marathon hinter mich gebracht. Konnte es möglich sein? Nach all der Zeit?
„Renesmee?“, riss er mich aus meiner Zerstreutheit.
Mir schwirrte der Kopf. Ich blinzelte Jake an. Ich wollte ihm antworten – ihm sagen, dass ich gleich den Verstand verlieren würde. Der Gedanke, dass Jake und ich auf dieses Glück würden verzichten müssen, hatte sich bereits so tief in mir verwurzelt, dass ich diese Möglichkeit als Erklärung für meine Unpässlichkeiten gar nicht erst in Erwägung gezogen hatte. Ich sehnte mir Jasper herbei, denn ich stand kurz davor zu hyperventilieren. Außerdem zermarterte ich mir meinen Kopf darüber, warum ich darauf nicht selbst gekommen war. Gebannt starrte ich wieder auf unsere Hände.
„Ich hab auch eine Weile gebraucht, um eins und eins zusammenzuzählen“, gestand er, als ob er meine Gedanken gelesen hätte.
„Die Madame. Ich…wir“, stammelte ich. Ehe ich mich versah, fand ich mich in seiner Bärenumarmung wieder.
„Ja, wir bekommen ein Baby! Was sagst du dazu? Ein schöneres Hochzeitsgeschenk hätten wir uns doch nicht wünschen können.“

Er löste sich ein Stück von mir, um mich mit einem breiten Grinsen anzuhimmeln. Dieses allesüberstrahlende Glück, das mir aus seinen großen braunen Augen entgegenfieberte, ließ mich erbeben. Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen kniete er vor mir nieder. Mit seinen großen Händen bedeckte er meinen Unterleib und eine wohlige Wärme durchströmte mich. Als er die Tränen sah, die aus meinen Augenwinkeln quollen, hob er leicht meine Bluse und liebkoste meine nackte Haut. Vollkommen elektrisiert von seiner gebieterischen Hingabe suchte ich die Umgebung nach den explodierenden Sternen ab, die um uns herum schwirren mussten. Durch den Tränenschleier erkannte ich die glühende Sonne am Horizont, die im Begriff war sich im Meer zu ertränken.

Leider blieb uns nicht die nötige Zeit, die süßen Gedanken über unsere nahende Zukunft weiter zu vertiefen.
Arm in Arm schlenderten wir zu unseren Freunden und Familien zurück. Ich musste mich sehr zusammenreißen, um nicht ständig vor mich hin zu grinsen.
Schon von Weitem erkannte ich die erhabene, aufragende Gestalt von Waneta, der von Billy freundlich in Empfang genommen wurde. Ich tauschte mit Jake einen äußerst zufriedenen Blick. Wir legten einen Schritt zu und kamen gerade an, um Wanetas Worte mithören zu können.
„Billy. Ich hoffe doch, dass ich nicht ungelegen komme.“ Der Blick seiner dunklen Augen streifte neugierig reserviert über die Runde.
„Ganz im Gegenteil, alter Freund“, versicherte er ihm.
Billy bot ihm einen Platz neben Oma Sue und Opa Charlie an. Wanetas Mimik konnte man deutlich ansehen, wie er mit sich rang. Doch schließlich begrub er seine Zweifel und nahm dankend Platz. Ich schielte kurz zu Jasper, dessen Augen konzentriert verengt waren. Ganz offensichtlich benötige der Makah-Führer einen klitzekleinen Anstoß.
Bevor ich mich wieder Waneta und Billy zuwandte, bemerkte ich Alice´ grüblerische Abwesenheit. Was sie wohl gerade sieht?
Auch Billy beobachtete sie. Er zögerte einen kurzen Moment und ich bemerkte, wie Alice ihm mit einem seltsamen Blick begegnete.
„Du kommst sogar zu einem äußerst gelegenen Zeitpunkt“, lenkte er seine Aufmerksamkeit wieder unserem Gast zu. „Wir feiern die Vermählung meiner Kinder.“ Er fasste nach meinem Arm und strahlte mich an.
Ich entriss mich Alice´ gezwungenem Lächeln. Waneta seinerseits verfolgte Billys Geste ungläubig.
„Darf ich dir vorstellen? Renesmee, meine Schwiegertochter.“
Mit seiner ausgestreckten Hand deutete er weiter zu meiner Familie.
„Bella und Edward – Rensmees Eltern. Esme und Carlisle, Rosalie und Emmett, Alice und Jasper - die Cullens. Und Freunde aus dem schönen Denali“, fügte er zuletzt betont an.
Bei der Erwähnung des Namens zuckte Waneta kurz zusammen. Dann hafteten seine blitzenden Augen an Seth, der demonstrativ Dads Nähe suchte. Das Knistern der Holzscheite und der sich verfangende Wind, der sich im Feuer verzehrte, um als Rauchsäule empor zu steigen, waren für Sekunden die einzigen Geräusche.
"Wir müssen von Zeit zu Zeit eine Rast einlegen und warten, bis uns unsere Seelen wieder eingeholt haben", sagte er plötzlich versonnen dreinschauend.
„Wahre Worte, Waneta“, plichtete Billy ihm bei. Offenbar war er gekommen, um endgültig mit seinen Vorurteilen aufzuräumen. Wir ließen uns am Feuer nieder und lauschten den uralten Geschichten Wanetas und Billys. Ab und an trug auch Carlisle etwas aus seinem enormen Erfahrungsschatz bei. Es wurde ein Abend voller offener Ohren und - was noch viel wichtiger war - offener Herzen.


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Beitrag  esme78 Mo 23 Jan 2012, 00:24

Schwarzer Peter


Jake

Wanetas Besuch, den er uns ja angekündigt hatte, verlieh der Feier einen weiteren Höhepunkt. Andererseits bedeutete er auch, dass wir gezwungen waren, die Verkündung der Neuigkeit noch etwas hinauszuschieben. Ich deutete Alice´ angespannten Blick in die Zukunft als Wink, das dünne Band der neugewonnenen Freundschaft mit Waneta nicht überspannen zu wollen. Bis auf den blutsaugenden Teil der Verwandtschaft hatte keiner eine Ahnung. Das meine Jungs die Nachricht erfahren würden, ließ sich aber auf längere Zeit gesehen sowieso nicht vermeiden. Bald würde es also der gesamte Stamm erfahren. Und früher, oder später auch Waneta. Wenn es nach mir gegangen wäre, lieber später.

Umso mehr sehnte ich mir den Ausklang des Abends, der übergangslos in eine romantische Nacht münden würde, herbei – was das anging, duldete ich nicht den geringsten Aufschub. Vorher aber hieß es Abschied nehmen von den Halbvampiren. Sie ließen uns ihre besten Wünsche für unsere gemeinsame Zukunft da und brachen umgehend auf. Charlie und Sue erklärten sich bereit, Waneta nach Hause zu begleiten. Renée wurde erneut von Esme aufs herzlichste als Gast in deren Haus eingeladen. Der Rest von uns beseitigte gemeinschaftlich die Spuren des Abends am Strand, bevor sich die Runde auflöste.

Die letzten Stunden unseres Hochzeitstages holten wir die unbändige Freude und das ungeheure Verlangen nacheinander, das wir den Tag über gezwungenermaßen zügeln mussten, ausgiebig nach. Es war ein unglaublich berauschendes Gefühl, meine Frau - die Mutter meines Kindes – in den Armen zu halten; das Intimste mit ihr zu teilen und dabei zu denken: Möge diese Nacht niemals zu Ende gehen.
Apropos: Denken. Als irgendwann wieder mein Verstand die Oberhand gewann, schoss mir ein Gedanke durch den Kopf, der lange Zeit tief in mir verborgen schlummerte. Ich richtete mich neben ihr auf und betrachtete sie. Wie von selbst gingen meine Finger auf Entdeckungsreise. Nessie lag in ihrer anbetungswürdigen Schönheit da und genoss mit halb geschlossenen Augen die Berührungen, die ich ihr schenkte. Gerade war ich dabei, mit dem Zeigefinger größer werdende Kreise um ihren Bauchnabel zu ziehen. Ganz gefangen in meiner Verzückung musste ich immer wieder vor mich hin lächeln.

„Woran denkst du gerade?“, flüsterte sie, als habe sie meinen Stimmungsumschwung gefühlt.
Ich hielt in meiner Bewegung inne und hob den Blick aus schelmisch blitzenden Augen.
„Ich?“ Ich verlagerte mein Gewicht und schob mich über sie, um ihr einen Kuss auf die geröteten Wangen zu platzieren. Dabei breitete sich mein Lächeln zu einem Grinsen aus.
„Ich frage mich gerade…“, setzte ich an, machte eine grüblerische Pause und strich ihr mit den Daumen sanft über die Schläfen.
„Was?“
„…wann man mit Gewissheit sagen kann, ob…“ Ich biss mir auf die Lippen.
„Ich hätte gerne einen logisch aneinandergereihten Satz, wenn es nicht zu viel verlangt ist“, wurde sie leicht ungeduldig. Ich lachte auf.
„O.K.. Du bist dir doch hoffentlich im Klaren, dass ich ein gewisses Gen in mir trage. Und damit meine ich nicht das „Gestaltenwandler-Gen“.“
Sie blinzelte fragend. Ich räusperte mich, um angemessenen Ernst bemüht, und begann aufzuzählen: „Rachel und Rebecca, meine Tanten Jennie und Connie, Billys Tanten Mary und Jane…Soll ich fortfahren?“
Sie spannte sich an, fuhr unvermittelt aus den Kissen auf und stieß mit ihrer Nasenspitze an meine. Ich wich etwas zurück.
„Du meinst… Du lieber Himmel, daran habe ich ja überhaupt noch nicht gedacht.“ Geplättet von der Aussicht, womöglich gleich zwei schreiende Winzlinge zu bekommen, ließ sie sich gleich wieder zurückfallen.
„Ich meine ja nur, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, nachdem der Kelch an Rebecca und Rachel vorübergegangen zu sein scheint“, erklärte ich und war erleichtert, zu sehen, dass sie diesen Schock relativ schnell überwunden hatte. Sie schüttelte leicht den Kopf und stöhnte lachend auf.
„Erst vor kurzem haderte ich noch mit meinem Schicksal, keine Kinder haben zu dürfen, und jetzt…“
Nun war sie es, die keinen zusammenhängenden Satz zustande brachte.
Ich zog verwundert die Stirn in Falten. Mir war nicht bewusst gewesen, dass sie das so sehr beschäftigte.
„Und warum ausgerechnet jetzt? Es ist ja nun wirklich nicht so, dass wir es bisher mit allen Mitteln verhindern wollten.“
Mit einem drängenden Kuss beendete ich ihre leicht hysterische, jedoch völlig irrelevante Ansprache, um sie wenig später mit fester Stimme wissen zu lassen:
„Das spielt doch keine Rolle. Und ganz egal, ob Junge, oder Mädchen, ob Wolf, oder was weiß ich, oder am Ende sogar beides…wir werden unser Überraschungsei annehmen und es abgöttisch lieben.“
Einen Moment starrte sie mich nur an. In ihren Augen funkelte die Entschlossenheit.
„Daran besteht kein Zweifel“, stimmte sie mir mit fester Stimme zu.
Somit war diese Unterhaltung beendet und wir ließen unsere Körper weiter miteinander kommunizieren.


Nessie

Wie Dornröschen wurde ich am nächsten Morgen mit einem zärtlichen Kuss geweckt. Unter der Decke wühlten seine Beine bis er mich in einer Art Klammergriff unter sich begraben hatte.
„Guten Morgen, Mrs. Black“, brummte er vergnügt. Seine großen Hände umschlangen mein Gesicht und gestatteten mir kein Entkommen aus seinen Liebkosungen. Ich fragte mich, ob wir wohl den Rest des Tages im Bett verbringen würden, als sich mein Magen wahrlich raubtierhaft zu Wort meldete. Jake zog sich umgehend zurück und die Bettdecke beiseite. In knieender Haltung half er mir dabei, mich aufzurichten. Ich schlang die Arme um seinen Körper, willens meinen störenden Magen einfach zu ignorieren. Doch er befreite sich bestimmend aus meinem Klammergriff und stand auf. Leicht enttäuscht funkelte ich ihn an – er grinste verschlagen.
„Das Frühstück ist fertig.“ Er verbeugte sich hoheitsvoll und hielt mir meinen Morgenmantel hin.
Ich schmunzelte mich geschlagen gebend und fuhr in lasziven Bewegungen in das Kleidungsstück. Dann trug er mich in seinen starken Armen in die Küche und platzierte mich auf dem Stuhl. Ich bestaunte den reich gedeckten Tisch und stellte fest, dass ich kein Problem damit hatte, von nun an jeden Tag so zu beginnen.
Er nahm mir gegenüber Platz und goss uns Kaffee ein. Er reichte mir die Tasse mit der Frage: „Was möchtest du heute tun, Liebste?“
Es war Samstag. Ich überlegte kurz, obwohl mir klar war, dass diese Frage rein rhetorisch gemeint gewesen war. Noch bevor ich ihm antworten konnte, klingelte das Telefon. Jake seufzte entnervt auf.

Ich nahm das Gespräch an und setzte mich mit angezogenen Beinen wieder an den Tisch. Es war Charlie, am anderen Ende der Leitung.
„Guten Morgen, Schatz. Entschuldigt, wenn ich euch störe, aber ich muss unbedingt mit Jake sprechen.“
„Guten Morgen, kein Problem.“
Ich reichte das Telefon weiter. Jake legte prüfend den Kopf schief und erhaschte einen Blick auf den Teil meiner Beine, der nun nicht mehr mit dem Morgenmantel bedeckt wurde und genoss unverhohlen den Ausblick. Ich richtete mich wieder auf und schüttelte tadelnd den Kopf. Er räusperte sich und verdrehte amüsiert die Augen.
„Morgen, Charlie. Was gibt’s?“
Eine ganze Weile hörte er nur zu. Ich machte mir nicht die Mühe, dem Gespräch zu folgen, denn ich stürzte mich begierig auf das Frühstück. Doch als ich das nächste Mal in Jakes Gesicht sah, erschrak ich und mein Appetit löste sich augenblicklich in Luft auf. Seine Stirn war in tiefe Falten gelegt und den Mund hatte er zu einer schmalen Linie zusammen gepresst. Die Muskeln an seinem Kiefer zuckten. Ein eiskalter Schauer lief über meinen Rücken und ich kämpfte gegen die plötzlich aufkommende Übelkeit an, die in mir aufstieg.

„Was ist den passiert?“ Ich trat an seine Seite und lauschte.
„Es wäre besser, wenn ihr herkommen würdet“, verstand ich Charlies letzte Worte.
„Sind schon unterwegs.“ Das Telefon landete lautstark auf dem Tisch.
Jake stand auf, stützte sich mit verkrampften Händen an der Tischkante ab und atmete tief durch. Sein Blick ließ nichts Gutes erahnen. Ich suchte seine Umarmung, doch er stand stocksteif da und schüttelte den Kopf.
„Alice“, ließ er seine Stimme hochschnellen. Ich sah ihn ungläubig an.
„Billy ist im Krankenhaus.“


Jake durchmaß den schmalen Flur in großen Schritten; immer und immer wieder. Charlie und Jakes Schwestern saßen stumm neben mir. Wir warteten beinahe eine Stunde. Solange dauerte es, bis einer der Weißkittel endlich Billys Zimmer verließ und mit ernstem Gesicht an uns heran trat.

„Also…ich möchte ganz offen sein. Es sieht nicht gut aus. Aufgrund seiner Grunderkrankung ist sein Körper nicht in der Lage von dem Schlaganfall wieder zu genesen. Es tut mir sehr leid, aber wir können ihm nur die letzten Tage so angenehm wie möglich machen. Hat Ihr Vater eine Patientenverfügung?“
Mit einem Knall krachte Jakes Hand in die Wand und hinterließ einen deutlichen Abdruck. Zwei Aquarelldrucke fielen klirrend zu Boden. Die Augen aller umstehenden Zeugen waren tadelnd auf Jake gerichtet.
Charlie packte ihn bei den Schultern und redete beschwörend auf ihn ein.
„Verlier jetzt nicht die Nerven, verdammt. Damit hilfst du ihm auch nicht.“
„Nein! Ich bestehe auf eine zweite Meinung“, presste er hervor. Seine Augen ähnelten zwei glühenden Kohlen, die sich mit beinahe wilder Intensität in das Gesicht des Arztes brannten.
Ungerührt von Jakes zornigem Blick kam der näher und legte seine Hand auf Jakes Arm. Charlie registrierte die Geste mit Skepsis. Er argwöhnte wohl eine unkontrollierte Verwandlung Jakes, die es um alles in der Welt zu verhindern galt. Ich sah, wie er den Druck um seine Schultern verstärkte.
„Das ist Ihr gutes Recht, aber meine Kollegen teilen meine Ansicht. Es tut mir unsagbar leid“, wiederholte sich der Arzt, dessen Namensschild ihn als Prof. Dr. med. A. Brandon auswies, wobei er mit beiden Händen hilfesuchend sein Stethoskop umfasste, welches um seinen Hals hing.
„Ich nehme ihn mit. Wo sind die Papiere, die ich dafür unterschreiben muss?“
Jake war in keinster Weise von seinem Vorhaben abzubringen. Ich stand auf und ließ Charlie mit eindringlichem Blick wissen, dass er ihn wieder loslassen könne. Er zögerte nur einen flüchtigen Moment, ließ dann aber von ihm ab.
Ich ergriff seine zitternden Hände und sagte: „Wir werden das veranlassen, wenn es dein Wunsch ist.“
Langsam fokussierte Jake mein Gesicht und atmete tief durch. Charlie ebenfalls. Sein Zittern ließ merklich nach. Der Arzt nickte etwas gedrückt. Er war offensichtlich nicht begeistert über diese Entscheidung, doch er musste sie akzeptieren.
Gemäßigten Schrittes ging er uns voraus.
„Folgen Sie mir, bitte.“
Rachel und Rebecca nickten ihrem Bruder zu und verschwanden in Billys Zimmer. Charlie, Jake und ich folgten Dr. Brandon.

Gerade als wir um die Ecke bogen, die zum Tresen der Station drei führte, erkannte ich Mike, der dort mit der kleinen, großmütterlich wirkenden Schwester über ein Klemmbrett gebeugt dastand. Er sah auf, als er uns bemerkte. Der Unterschied in seinem Äußeren war mehr als augenscheinlich. Kein Vergleich zu dem Häuflein Elend, das er noch am Donnerstag nach seinem halsbrecherischen Sprung von der Autobahnbrücke abgegeben hatte. Seine Haut war nicht mehr ganz so käsig und seine strähnigen Haare waren einem frischen Kurzhaarschnitt gewichen. Sein Blick war zurückhaltend und fragend. Noch ungläubiger schaute er aber drein, als Jake und Dr. Brandon geschäftig an ihm vorbei liefen und in dem hinteren Schwesternzimmer verschwanden. Die Schwester entschuldigte sich bei Mike und folgte den beiden. Ich sah ihr noch einen kurzen Moment nach und wandte mich schließlich mit einem ehrlichen Lächeln an Mike.

„Mike, Sie sehen schon viel besser aus. Mein herzliches Beileid“, fügte ich mit angedeutetem Kopfnicken an.
Er hob die Augenbrauen und ließ in nervöser Dauerschleife die Mine des Kugelschreibers klicken, wobei er es krampfhaft vermied Charlie direkt anzusehen.
„Renesmee. Ja, ähm…danke. Es geht mir schon wieder viel besser. Aber bitte sieze mich nicht. Da fühle ich mich wie ein alter Opa.“
Er grinste schwach und - als ob er sich seiner Nervosität bewusst geworden wäre - legte den Kuli mitsamt Klemmbrett auf die Theke.
Charlie legte väterlich seine Hand auf dessen Hand.
„Mike. Ich denke wir sollten einen Termin vereinbaren, um diverse Angelegenheiten zu besprechen.“
Jetzt war Mike gezwungen, dem Übel - in Gestalt des Chiefs - ins Auge zu blicken.
Er wurde wieder bleich um die Nase und kaute auf seinen Lippen.
„Chief. Ich hab schon gehört, was du über Bürgermeister Davis in Erfahrung gebracht hast. Und du weißt sicherlich auch, was ich dabei für eine Rolle gespielt habe.“ Er schüttelte angewidert den Kopf. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie schäbig ich mir vorkomme.“
„Geh nicht zu hart mit dir ins Gericht. Ich kenne dich schon seit deinem elften Lebensjahr. Du warst immer ein anständiger Kerl mit einer ehrlichen Haut. Du hattest einfach nur das Pech in das schmutzige Kielwasser einer Kanalratte zu geraten.“
Er nickte ihm verständnisvoll zu, dann wurde sein Blick aber wieder ernst.
Mike duckte sich, überrascht über Charlies plötzlich harte Miene.
„Aber das ist noch lange kein Grund, deiner Mutter einen derartigen Schrecken einzujagen. Wenn du irgendetwas auf dem Herzen hast, kannst du immer zu mir kommen. Merk dir das.“
Mike senkte verlegen den Blick und machte „Mmhh“.
„Mike, deine Zeit ist noch nicht gekommen. Es gibt immer eine andere Lösung“, versuchte ich ihn in sanften Worten aufzumuntern.
Er schluckte. „Ihr habt ja recht.“
Mit einer Hand fuhr er sich fahrig über den Schopf, wobei er ein gequältes Lächeln zustande brachte. Charlie entfernte sich mit einem knappen „Gut“ von uns und sprach mit einer jüngeren Schwester, die gerade ihr Telefonat beendete.
„Du wirst es mir vielleicht nicht glauben, aber mir ist bei dem Unfall deine Mutter erschienen“, flüsterte Mike kaum hörbar. Bestimmt wollte er verhindern, dass Charlie Wind von seinem Geständnis bekam.
Seine Wangen nahmen eine schimmernd rote Farbe an und er wippte unruhig von einem Fuß auf den anderen.
So wie es aussah, spuckte ihm Mom wohl wirklich noch im Kopf herum. Er musterte mich eindringlich, um abzuschätzen, ob er bei mir nicht an alten Wunden zerrte. Er konnte ja nicht wissen, dass meine trüben Gedanken weniger bei Mom, als vielmehr bei Billy waren. Dann fuhr er fort: „Als wollte sie mir zu verstehen geben, ich solle umkehren. Sie sah aus wie damals. Sie hat mich mit goldenen Augen angelächelt und wirkte zufrieden und glücklich.“
Seine Augen schimmerten und er schniefte. Beinahe wäre ich ihm um den Hals gefallen und hätte ihm gesagt, dass es ihr mehr als gut ging und dass sie glücklich war, eben dort, wo sie sich gerade befand. Im letzten Moment jedoch konnte ich diesem Impuls wiederstehen und nickte stattdessen.
„Das macht mich unendlich froh“, versicherte ich ihm.
Er hatte Gottseidank keine Ahnung, dass er bei seiner angeblichen Erscheinung keinen Geist gesehen hatte.
Die drückende Stille beendete er mit einer Handbewegung auf das Schwesternzimmer gerichtet, an die Frage geknüpft: „Was ist denn mit Jake los?“


Zuletzt von esme78 am Fr 18 Mai 2012, 12:06 bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
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Beitrag  esme78 Di 21 Feb 2012, 15:20

Stille Post


Jake

Was ist das nur für ein Scheißleben? Wessen hirnverbranntem Plan ist es zu verdanken, dass ich mich immer wieder von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt durch eben dieses Scheißleben quälen muss? Vorzugsweise alles an einem einzigen Tag. Klar doch!
Gedanklich Madame Cassandra würgend, erinnerte ich mich an deren Worte: „Ich kann euch beruhigen, diese stürmischen Zeiten sind nicht von allzu langer Dauer. Es zeichnet sich ein Neuanfang ab, das Ende einer Leidenszeit.“ Wollte sie mich etwa verarschen?
Das Ende von Billys Leidenszeit würde für mich doch nicht die von ihr prophezeite, ach so erstrebenswerte Zukunft bedeuten. Ich war noch nicht bereit, ihn zu verlieren. Nicht, dass ich überhaupt jemals dazu bereit gewesen wäre. Aber besonders nicht nach der langen Zeit, die ich ihm den Rücken gekehrt hatte. Es hatte Dad so viel bedeutet, als ich vor weniger als einem Monat wieder ins Reservat zurückgekehrt war.

Ich hatte keine Ahnung, was genau geschehen war, nachdem mir dieser Halbgott in Weiß Dads baldiges Ableben eröffnete. Viel zu nahe war mir mein innerer Wolf auf den Pelz gerückt – immer wieder scharrten seine Pranken an meiner Selbstbeherrschung -, als dass ich hätte erfassen können, unter was ich da meine Unterschrift gesetzt hatte. Ich wollte nur verhindern, dass Dad seine letzten Tage in einer an Emotionsarmut nicht zu unterbietenden Umgebung würde zubringen müssen.
Sein Anblick - hier und jetzt - brachte mich schon an den Rand der Verzweiflung. Er vegetierte halb schlafend zuhause in seinem eigenen Bett dem Ende entgegen. Carlisle, der natürlich alles in seiner Macht stehende getan hatte, konnte uns mit seiner Prognose auch keine Hoffnungen mehr schenken.

Der Abend war mittlerweile hereingebrochen. Im Haus hörte ich leises Gemurmel und ab und an schepperte es, vermutlich in der Küche. Mir war das alles gleichgültig. Mein Platz war an Dads Seite, bis zum letzten Atemzug. Das hatte ich mir geschworen. Mir gegenüber saß Edward stirnrunzelnd, das Kinn auf die verschränkten Hände gestützt, auf der anderen Seite des Bettes.
Ich funkelte ihn fuchsteufelswild an und warf ihm gedanklich alle Schimpfwörter an den Kopf, die mir nur einfielen.

Verlogener Bastard, scheinheiliger Möchtegerngott, beschissener Blutsauger…..

Doch er besaß die Frechheit, darauf noch nicht einmal mit der Wimper zu zucken. Soviel Hinterhältigkeit hätte ich ihm nie im Leben zugetraut. Er war mir ein Freund, der Bruder, den ich nie hatte. Doch weder er, noch Alice hielten es für nötig, uns über Billys Zustand zu informieren, und dafür Sorge zu tragen, dass wir sein Gebrechen hätten verhindern können. Ich fühlte mich verraten und verkauft, wie noch nie zuvor in meinem Leben.
Billys plötzlicher Druck um meine Hand riss mich aus meinem Gedankenkarussell. Sein schwacher Blick erinnerte mich wieder an die Notwendigkeit, die die Anwesenheit des Gedankenlesers erforderte. Er war halbseitig gelähmt und er konnte nicht mehr sprechen. Laut Dr. Brandon mussten wir damit rechnen, dass Billy sich seiner Umwelt nicht mehr bewusst war, geschweige denn, dass er sich uns irgendwie hätte mitteilen können. Doch ich war mir sicher, dass er, trotz der widrigen Umstände, noch immer bei klarem Verstand war.

„Du sollst dich beruhigen. Das ist nicht gut für deinen Blutdruck.“ Edwards ruhiger, aber bestimmter Tonfall ließ mich aufblicken. Seine Augen ruhten auf Billy und ich begriff, dass er soeben dessen Gedanken zitiert hatte. Sein teilnahmsloser Gesichtsausdruck passte nicht zu den beißend ironischen Worten. Ich hab es doch gewusst. Eilig rutschte ich mit dem Stuhl näher an ihn heran.

„Dad.“ Er blinzelte. Die Medikamente, die Carlisle ihm gegen die Schmerzen gegeben hatte, ließen ihn noch kraftloser wirken. Nur unter enormer Anstrengung konnte er die Augen offen halten. Ich berührte sein faltiges Gesicht und schluckte, um das Kratzen in meiner Kehle loszuwerden.
„Bitte, nimm es ihnen nicht übel.“ Mein Kopf fuhr wieder zu Edward herum, doch er rührte sich nicht. Ein gequälter Ausdruck huschte über sein Gesicht und seine Hände verkrampften sich.
„Ich habe sie gebeten, dir nichts zu sagen.“
„Warum?“, stieß ich hervor und stand ruckartig auf.
Jetzt wurde mir so einiges klar. Es war weder Alice´, noch Edwards Entscheidung gewesen, sich anzumaßen, mir, zu meinem eigenen Besten, nichts über seinen Zustand verraten zu wollen. Es war einzig die Entscheidung meines Vaters gewesen. Die hochkochenden Emotionen, die mich bis zu diesem Moment wie unter Starkstrom gehalten hatte, waren urplötzlich wie verflogen. Ich sackte buchstäblich in mich zusammen; landete unsanft auf den Knien und ließ meinen Kopf neben ihm in das Laken fallen.

Explosionsartig brach in mir ein Damm, der all die angestaute Wut, den unerträglichen Kummer, meinen Hass auf die hohen Mächte, die mir meinen Vater nehmen würden, im Zaum gehalten hatte. Ich spürte jeden einzelnen Muskel in meinem Körper, die unter dem Ansturm der Gefühle um Kontrolle kämpften. Während ein Stich in der Brust mir das Gefühl gab, als ob mich etwas von innen zerreißen wollte. Diese Empfindungen ähnelten nicht im Geringsten dem Gefühl der Verwandlung, sondern spiegelten die unendliche Trauer wider, die ich mir bis zu diesem Zeitpunkt nicht erlaubt hatte.

„Ich hatte Recht.“ Edward machte eine Pause. „Ich konnte euch doch nicht den Abend ruinieren, mein Sohn.“
Ich schluchzte laut auf. Über all die wirbelnden Gedankenbilder und Vorwürfe erschrak ich, als ich Edwards Hand auf meinem Rücken spürte.
„Wir sind nicht von seiner Seite gewichen, bis er sich endlich von Charlie ins Krankenhaus hat bringen lassen.“ Seine Stimme war brüchig und ließ sein ganzes Mitgefühl erahnen.
„Er möchte dir noch etwas sagen, Jake. Du solltest ihm zuhören“, bat er in Dads Namen.

Ich richtete mich auf und fuhr mir hastig mit dem Handrücken über die Augen. Edward sah ihm wieder ins Gesicht und sprach: „Ich hab es kommen sehen. Im Wald. Wenn du deine Seele den Mächten überantwortest, ist es dir gestattet, einen genaueren Blick auf das Ganze zu werfen. Meine Aufgabe hier ist getan. Und ich werde gerufen…von deiner Mutter.“

Vage Erinnerungen an meinen Traum flackerten in mir auf: Die Flüsterstimmen, das Abbild der Krähe in seinen Augen. Ich hätte es wissen müssen. Verbissen presste ich die Zähne aufeinander, bis mir der Kiefer schmerzte. Ich konnte es einfach nicht begreifen, dass er nicht mehr da sein würde, um meine Kinder an seiner Erfahrung und seinem Geist teilhaben zu lassen.

„Du wirst ein toller Vater sein, Jacob. Ich habe vollstes Vertrauen in dich, mein Sohn. Du bist der ehrenhafte Mann geworden, den ich mit Stolz meinen Nachfolger nennen darf. Du hast dich in den schwierigsten Momenten bewiesen und gezeigt, dass dir das Wohl deiner Familie über alles geht. Ich kann dich nichts mehr lehren, mein Junge.“

Ich kniff die Augen zusammen, da ich die Tränen nicht länger zurückhalten konnte. Er hatte es die ganze Zeit gewusst. Es wurde ihm offenbart und er hatte sich ohne Wehklagen seinem Schicksal gestellt. Einen Führer wie ihn würde es nicht wieder geben. Neben ihm, in seiner gebrechlichen Gestalt und dennoch mit ungebrochenem Willen, fühlte ich mich trotz meiner körperlichen Stärke so schwach - alldem nicht gewachsen.

„Sei nicht traurig. Trauer macht dich nur verletzlich und angreifbar für Zweifel. Du musst aber stark sein, für Renesmee und deine Familie. Das hier ist kein Abschied, nur ein „Auf Wiedersehen“.
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Beitrag  esme78 Do 22 März 2012, 11:34

Epilog

Memory

Billy

Draußen beginnt es zu dämmern. Ich kann meine Augen kaum noch offen halten. So sehr mich diese Geschichte auch fesselt, ich bin zum Umfallen müde. Ich rutsche tiefer in die Kissen und lege meinen Kopf auf Moms Schoß. Dad, der die ganze Zeit über in seinen lebhaften Erinnerungen versunken blieb, läuft zum Fenster und beobachtet nachdenklich den Sonnenaufgang. Die vielen Stunden, die wir vier mittlerweile hier zugebracht haben, scheinen ihm nichts anzuhaben.
„Was meint ihr? Wollen wir ihm und Charlie später einen Besuch abstatten? Renée hat es vorgeschlagen.“
„Das ist eine gute Idee. Es scheint mir, dass heute der richtige Tag dafür ist“, stimmt Mom seinem Vorschlag zu.
Oma Renée hat nach Phils Tod doch tatsächlich wieder ihre Zelte in Forks aufgeschlagen. Sie konnte noch so glaubhaft versichern, dass man im Alter mit nachlassendem Temperament keinen Sandstrand und Unterhaltung mehr nötigt hätte, aber jeder, der sie besser kennt, weiß, dass sie sich nichts sehnlichster wünscht, als im Kreise ihrer Familie ihren Lebensabend zu verbringen. Ich liebe es, mich mit ihr zu unterhalten, denn kaum einer kann mit solcher Begeisterung aus dem Nähkästchen plaudern wie sie. Mit einem Lächeln streife ich über Moms Narbe, die sie von der Knochenmarkspende damals davongetragen hat. Neben mir regt sich meine Schwester, die sich herzhaft in ihr Taschentuch schnäuzt.
„Ich weiß nicht, ob ich das heute schaffe“, stellt sie zu Bedenken. Mom zieht sie näher an uns heran, sodass es plötzlich ziemlich eng für mich wird.
„Ihr solltet euch erst einmal ausruhen. Euer Vater und ich werden alles für die Reise vorbereiten und euch später wecken. Sonst erkennen euch eure Urgroßväter nicht.“

Ich kann nur noch müde nicken und kuschle mich in mein Kissen, als Mom, Dad und Sarah mein Zimmer verlassen. Doch an Schlaf ist jetzt nicht zu denken. Wirre Bilder von rivalisierenden Stammesführern, eine in Trance verfallene Zigeunerin, Schwärme von Krähen und aufgebrachten Menschen, die auf einen Hochstapler einschimpfen, lassen mich keine Ruhe finden.
Das nächste, was ich wahrnehme, ist Dads Hand, die mir über die Stirn streicht. Ich blinzle gegen die grelle Nachmittagssonne an und komme langsam zu mir.
„Es ist Zeit.“


Sarah

Die ganze Geschichte hat mich zum Nachdenken gebracht. Schon viele Male habe ich mir den Kopf zerbrochen, was genau dazu geführt hat, dass mein Bruder und ich heute diese Reise antreten würden. Ich hätte diese Madame Cassandra gerne persönlich kennengelernt. Aber sie wird wahrscheinlich gar nicht mehr am Leben sein. Meine Sachen stehen gepackt an der Tür und ich erhebe mich, als es an der Tür klopft.
„Komm rein. Ich bin soweit.“
Mom tritt zu mir und stellt sich hinter mich. Mein Spiegel über der Kommode rahmt unser Abbild ein und ruft mir erneut in Erinnerung, wie sehr wir uns doch ähneln. Dieselben rotbraunen Locken, die gleichen Lachfältchen um den Mundwinkel und tiefbraunen Augen. Auf eben diese Augen klebt mein Blick und ich spüre all die Fragen, die mir nach der heutigen Nacht auf der Seele liegen, in mir aufsteigen.
„Was hast du auf dem Herzen, mein Schatz?“
Ich lächle. Wir sind uns nicht nur äußerlich sehr ähnlich. Langsam drehe ich mich zu ihr um.
„Was ist aus Melinda und Luke geworden?“
Ich bin aus einem guten Grund neugierig, denn ich weiß, wie sehr Mom ihre beste Freundin vermisst. Das ist mir erst klar geworden, als ich ihren gedankenverlorenen Blick bemerkte, während sie von ihr erzählte.
„Der Zirkus Mendozza hat nach Absprache mit Bürgermeister Davis´ Nachfolger die Winterpause in Forks verbringen dürfen. Sie haben für ein angemessenes Entgelt beim Wiederaufbau geholfen und das Naturschutzgebiet mitgestaltet. Es war eine glückliche Zeit für die beiden.“ Wieder spiegelt sich die schmerzliche Erinnerung in ihrem Gesicht. Sie seufzt auf.
„Doch dann mussten der Zirkus weiterziehen. Sie haben weiterhin Kontakt gehalten. Melinda hat nach ihrem Abschluss versucht an ihre gemeinsame Zeit anzuknüpfen und ist den Mendozzas nachgereist - gegen den Willen ihrer Eltern“, fügt sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Was aus ihnen geworden ist, weiß ich nicht. Ich hatte schließlich alle Hände voll zu tun mit euch beiden.“
Ich schließe sie in meine Arme und lasse mich durch ihre Nähe beruhigen.
Ein Räuspern an der Tür lässt mich aufsehen.
„Edward und Bella sind unten. Wir müssen los“, sagt Dad.
„Ja, wir kommen gleich“, bittet Mom noch um einen Moment.
Dad zwinkert Mom verschmitzt zu und zieht die Tür wieder hinter sich ins Schloss. Mom überreicht mir eine kleine Schachtel, die sie aus ihrer Jacke gezogen hat. Ich erkenne sie sofort und muss schlucken.
„Hier, Sarah. Ich bin so stolz, dir diese Kämme von deiner Urgroßmutter übergeben zu dürfen. Du wirst sie in Ehren tragen. Ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du glücklich wirst.“
„Als ob du das nicht viel besser wüsstest als ich. Habe ich mich schon bei dir bedankt, für deinen mütterlichen Zuspruch? Ohne dich wäre ich diesen Schritt nie gegangen.“
Sie lacht, denn natürlich habe ich mich – genau wie alle anderen in unserer Familie – immer auf ihre Meinungen und Ratschläge verlassen.
„Am Tage eurer Geburt ist mir klar geworden, dass das Leben manchmal seltsame Wege geht. Aber es lohnt sich, ihnen zu folgen.“ Damit legt sie mir den Arm um die Schulter und wir verlassen mein Jugendzimmer, dass ich für lange Zeit den Rücken kehren werde.

Mein Bruder und ich begehen nun den Weg, den uns das Schicksal vorherbestimmt hat. Denn eines habe ich recht früh lernen müssen.
Das Leben spielt kein russisches Roulette. Nicht der Zufall entscheidet, wessen Ende die eine Kugel im Magazin der sprichwörtlichen Waffe bedeutet, sondern eine wesentlich höhere Macht. Sobald die Kugel – um bei dieser Metapher zu bleiben – mit der Geburt in Bewegung gesetzt wird, ist ihr Weg über Gräben und Hindernisse vorbestimmt, bis sie an ihrem endgültigen Platz zum stehen kommt.
Wenn man so will, hat das alles Bella ins Rollen gebracht, als sie sich damals entschlossen hat, zu Charlie nach Forks zu ziehen.
Das musste auch Aro erkennen, bevor er sich schließlich selbst dem Feuer überantwortet hat.

Die Ordnung der Vampire, Gestaltenwandler und Halbwesen ist endlich hergestellt. Es gibt keine Rivalitäten, keine Vorurteile mehr. Der Anfang, der an jenem verschneiten Wintertag vor so vielen Jahren gemacht wurde, mündete im Lauf der Zeit in einen Sinneswandel, der mit der Existenz einer völlig neuen Macht einherging und eine neue Ära ankündigte. Die Unzufriedenheit, der Neid und die Gier nach Gaben - egal ob vampirischer, oder menschlicher Natur - hat ein Ende gefunden.

Da Billy und ich uns als immun gegenüber allen anderen Gaben zeigten, war der Untergang der Volturi nur eine Frage der Zeit. Die Philosophie meiner Familie, in friedlicher Koexistenz mit den Menschen leben zu können, hat seine Kreise gezogen. Und wer sich nicht damit identifizieren konnte, musste keine Bestrafung fürchten. Gewisse Regeln blieben zwangsläufig obere Priorität – die Geheimhaltung des Geheimnisses natürlich zuallererst. So kam es, dass Jane und Alec uns nach Italien gebeten haben, denn ohne den ständigen Drang, sich anderen gegenüber als überlegen beweisen zu müssen, hatten die beiden endlich die Gelegenheit zu begreifen, was sie mit ihrer Existenz wirklich bewirken wollen. Zusammen mit uns. Wir nehmen unsere Verantwortung an - die zwei Zwillingspärchen - und werden in Zukunft darauf achten, dass alle, die wir lieben, ohne Furcht und Angst miteinander leben können.

ENDE
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